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Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss vom 22.01.2007 - 1 K 1978/06 - Zum Verhältnis eines laufendesn Bußgeldverfahrens zum Verwaltungsverfahren und zum fehlenden Trennvermögen bei gelegentlichem Cannabiskonsum

VG Freiburg v. 22.01.2007: Zum Verhältnis eines laufendesn Bußgeldverfahrens zum Verwaltungsverfahren und zum fehlenden Trennvermögen bei gelegentlichem Cannabiskonsum




Das Verwaltungsgericht Freiburg (Beschluss vom 22.01.2007 - 1 K 1978/06) hat entschieden:

  1.  Ein noch laufendes Bußgeldverfahren hindert die Verwaltungsbehörde nicht, über den Entzug der Fahrerlaubnis zu entscheiden. Der Grundsatz des Vorrangs des Strafverfahrens ist auf Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht analog anzuwenden.

  2.  Fehlendes Trennvermögen tritt zu feststehendem gelegentlichem Cannabiskonsum hinzu, wenn der Betroffene mit 1,0 ng/ml oder mehr am Verkehr teilgenommen hat; die Fahrerlaubnis ist sodann ohne vorherige Überprüfungsmaßnahmen zu entziehen.

Siehe auch
Nachweis von fehlendem Trennvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme - auch durch den aktiven THC-Wert
und
Cannabis im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht


Zum Sachverhalt:


Der Antragsgegner hatte dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mit Sofortvollzug entzogen. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit der Begründung, dass über das über seinen Einspruch gegen einen wegen eines Cannabisverstoßes erlassenen Bußgeldbescheides vom Amtsgericht noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Behörde hat den Sofortvollzug sowohl für die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch für die Anordnung der Ablieferung des Führerscheins den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend ausreichend schriftlich begründet. Die Ausführungen hierzu auf den Seiten 3 und 4 des Bescheides genügen den Anforderungen, die die Rechtsprechung seit langem im Recht der Fahrerlaubnisentziehung an das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO stellt (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 24.06.2002 - 10 S 985/02 -, VBlBW 2002, 441).

In materieller Hinsicht besteht ebenfalls kein Anlass, dem Begehren stattzugeben. Auch nach Auffassung der Kammer überwiegt das öffentliche Interesse der Allgemeinheit an der unverzüglichen Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der angefochtenen Verfügung vor einer endgültigen Entscheidung über ihre Rechtmäßigkeit in einem Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben. Zu einem solchen Ergebnis der Interessenabwägung gelangt die Kammer deshalb, weil bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die angefochtene Verfügung rechtmäßig ist.

Der Antragsteller wendet ein, das Landratsamt hätte die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits deshalb nicht verfügen dürfen, weil gegen ihn ein Bußgeldbescheid wegen Führen eine Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (THC) nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG ergangen sei und er dagegen rechtzeitig Einspruch erhoben habe, über den das Amtsgericht bisher nicht entschieden habe. Dem Bußgeldbescheid liege der gleiche Sachverhalt zugrunde wie der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung, nämlich die Autofahrt am 25.05.2006 und die im Anschluss daran entnommene Blutprobe, die nach dem rechtsmedizinischen Gutachten der Eberhard-Karls-Universität Tübingen vom 12.08.2006 für THC einen Wert von 1,3 ng/ml ergeben habe. Da er dieses Gutachten angefochten habe, könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht zu einem Freispruch gelange. Das Landratsamt hätte daher das Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bußgeldverfahrens aussetzen müssen.

Dem folgt die Kammer nicht. Diese Auffassung findet in den vom Antragsteller angeführten gesetzlichen Bestimmungen keine Stütze. Solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, darf die Fahrerlaubnisbehörde gem. § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser gesetzlichen Bestimmungen liegen beim Antragsteller nicht vor. Gegen ihn ist kein Strafverfahren, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht in Betracht kommt, anhängig, sondern lediglich ein Ordnungswidrigkeitenverfahren, das vom Wortlaut der Bestimmung gerade nicht erfasst wird.




Auch aus § 3 Abs. 4 StVG kann der Antragsteller nichts gegen die Rechtmäßigkeit der Verfügung herleiten. Zwar ist die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren nach § 3 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz StVG hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts und der Beurteilung der Schuldfrage auch an eine Bußgeldentscheidung gebunden. Diese Bindungswirkung hat das Landratsamt durch die angefochtene Entscheidung aber nicht missachtet, weil es weder hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen noch hinsichtlich der Schuldfrage vom Bußgeldbescheid abgewichen ist.

Dass das Ordnungswidrigkeitenverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, rechtfertigt - entgegen der Auffassung des Antragstellers - eine andere Beurteilung nicht. Nach seinem klaren und unmissverständlichen Wortlaut sieht das Gesetz für das verwaltungsbehördliche Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis ein Verbot der Berücksichtigung ein und desselben Sachverhaltes nur für den Fall vor, dass gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt (§ 3 Abs. 3 Satz 1 StVG). Ist gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis dagegen nur ein Ordnungswidrigkeitenverfahren anhängig, sieht das Gesetz lediglich eine eingeschränkte Bindungswirkung an bereits ergangene verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Bußgeldentscheidungen vor (§ 3 Abs. 4 StVG).

Diese gesetzliche Unterscheidung kann auch nicht durch eine analoge Anwendung, wie sie dem Antragsteller offenbar vorschwebt, von § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG auf Bußgeldverfahren unterlaufen werden. Zwischen Strafverfahren und Bußgeldverfahren bestehen im Regelungszusammenhang der Bestimmungen in § 3 Abs. 3 und Abs. 4 StVG gravierende Unterschiede, die die Annahme verbieten, es liege eine planwidrige Lücke vor, die das Gericht durch analoge Anwendung ausfüllen könnte. Nur in Strafverfahren kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 69 StGB als Maßregel der Besserung und Sicherung (vgl. § 61 Nr. 5 StGB) die Fahrerlaubnis entziehen, wenn sich aus der Tat ergibt, dass der Inhaber zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Um überflüssige und aufwendige Doppelprüfungen zu vermeiden und die Gefahr widersprechender Entscheidungen auszuschalten, hat der Gesetzgeber in diesen Fällen in § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG für die Fahrerlaubnisbehörde das Verbot normiert, bereits vor einer Entscheidung im Strafverfahren den Sachverhalt, der Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens ist, zu berücksichtigen. Dieser Gesichtspunkt kommt bei der Einleitung eines Bußgeldverfahrens, das noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, nicht zum Tragen, weil weder im verwaltungsbehördlichen noch im gerichtlichen Verfahren die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. In Betracht kommt hier lediglich ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten (§ 25 Abs. 1 StVG).

Deswegen war das Landratsamt von Rechts wegen nicht gehindert, das Verwaltungsverfahren durch Erlass der angefochtenen Verfügung abzuschließen, obwohl das Bußgeldverfahren noch nicht rechtskräftig beendet ist.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 g StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 9.2.2 i.V.m. Vorbemerkung Nr. 3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist ein Kraftfahrer, der gelegentlich Cannabis einnimmt, im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn keine Trennung zwischen Konsum und Fahren erfolgt. Gemessen hieran kann die Einschätzung des Landratsamtes, der Antragsteller sei i.S.v. § 46 Abs. 1 FeV ungeeignet nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht beanstandet werden.


Die Kammer geht davon aus, dass der Antragsteller i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert. Im rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgericht Oberndorf vom 24.05.2006 heißt es hierzu, der Antragsteller habe seit seinem 15. Lebensjahr Umgang mit Betäubungsmitteln und habe bis Ende letzten Jahres regelmäßig Marihuana konsumiert. Einen zumindest gelegentlichen Konsum von Cannabis hat der Antragsteller außerdem anlässlich eines Gespräches bei der Behörde am 02.06.2006 selbst eingeräumt (vgl. Aktennotiz hierüber Aktenseite 44 der Behördenakten).

Aus dem Geschehen vom 25.05.2006 ergibt sich aller Voraussicht nach auch der Nachweis des unzureichenden Vermögens des Antragstellers, i.S.v. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Im Anschluss an die Immunchemische Untersuchung, die dem rechtsmedizinischen Gutachten vom 01.06.06 zugrunde lag, wurde eine quantitative chemisch-toxikologische Bestätigungsanalyse durchgeführt, die ausweislich des rechtsmedizinischen Gutachtens vom 12.08.2006 eine Konzentration der psychoaktiven Substanz THC im Serum des Antragstellers von 1,3 ng/ml ergab.

Nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (vgl. Beschl. v. 27.03.2006 - 10 S 2519/05 -, NJW 2006, 2135), der die Kammer folgt (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 12.06.2006 - 1 K 1725/06), ist das fehlende Trennungsvermögen dann gegeben, wenn eine THC Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml festgestellt wird. Der Antragsteller greift zwar das Ergebnis der quantitativen chemisch-toxikologischen Bestätigungsanalyse an und verweist hierzu auf eine Messwerttoleranz von mindestens 37 Prozent, die nach den wissenschaftlichen Untersuchungen, die er seinem Antrag beigefügt hat, bei diesem Messverfahren auftreten können. Dieser Angriff gegen die bei ihm festgestellte THC-Konzentration von 1,3 ng/ml erhöht die Erfolgsaussichten seines Rechtsbehelfsverfahrens aber nicht in einem Maße, das es rechtfertigen könnte, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Denn es ist davon auszugehen, dass diese Konzentration von THC in dem für die Beurteilung des Trennungsvermögens maßgeblichen Zeitpunkts der Autofahrt am 25.05.2006 deutlich höher war als der im rechtsmedizinischen Gutachten genannte Wert; nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Forschung ist zwar in Bezug auf THC eine exakte Rückrechnung vergleichbar der Vorgehensweise bei der Bestimmung der Blutalkohol-Konzentration wegen der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen dem psychoaktiv wirkenden Stoff THC und seinen Metaboliden nicht möglich. Es ist aber allgemein bekannt, dass die Substanz THC im Körper nach der Einnahme rasch abgebaut wird und die Konzentration dementsprechend schnell absinkt. Wegen des zeitlichen Abstands zwischen dem Ende der Autofahrt am 25.05.2006 um 20.50 Uhr und der Blutentnahme um 21.23 Uhr ist deshalb nicht auszuschließen, dass zum Zeitpunkt der Autofahrt THC im Blut des Antragstellers mit einer Konzentration von mehr als 1,3 ng/ml vorhanden war (vgl. hierzu mit zahlreichen Nachweisen VGH Bad.Württ., Beschl. v. 10.11.2005 - 10 S 2194/04 -, VBlBW 2005, 442).



Berücksichtigt man diesen Umstand, spricht einiges dafür, dass auch nach Abzug eventueller Messwerttoleranzen sich eine THC-Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml ergibt. Damit spricht zum jetzigen Zeitpunkt aber eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller nach einem bewussten Konsum von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, obwohl er - wie das Ergebnis der Blutprobe zeigt - nicht sicher sein konnte, dass in seinem Blut die psychoaktiv wirkende Substanz THC nicht mehr vorhanden ist. Damit hat er sich als charakterlich ungeeignet erwiesen, weil er bei der Fahrt das Risiko eingegangen ist, dass seine Fahreignung noch durch den Konsum von Cannabis beeinträchtigt ist. Ein ausreichendes Trennungsvermögen, das eine gelegentliche Einnahme von Cannabis im Hinblick auf die Verkehrssicherheit hinnehmbar erscheinen lässt, ist aber nur gegeben, wenn der Konsument Fahren und Konsum in jedem Fall in einer Weise trennt, dass eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften durch die Einnahme von Cannabis unter keinen Umständen eintreten kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.03.2006 a.a.O.).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers war das Landratsamt auch nicht gehalten, zunächst eine Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens zu erlassen; denn gem. § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt eine solche Anordnung, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. ..."

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