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OVG Münster Beschluss vom 22.11.2001 - 19 B 814/01 - Grundsätzlich zum Besitz von Cannabisprodukten ohne Anhaltspunkte für aktuellen Konsum und ohne Verkehrsteilnahme - Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens

OVG Münster v. 22.11.2001: Grundsätzlich zum Besitz von Cannabisprodukten ohne Anhaltspunkte für aktuellen Konsum und ohne Verkehrsteilnahme (Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens).




Anmerkung:
Die Entscheidung dürfte nicht mit den beiden "Besitz-Entscheidungen" des Bundesverfassungsgerichts vom 20.06.2002 und vom 01.08.2002 vereinbar sein.

Das OVG Münster (Beschluss vom 22.11.2001 - 19 B 814/01) hat entschieden:

  1.  § 14 Abs 1 S 1 Nr 2 FeV und § 14 Abs 1 S 2 FeV erfassen unterschiedliche Lebenssachverhalte und treffen dafür selbständige Regelungen; liegen keine weiteren Anhaltspunkte für aktuellen Konsum von Betäubungsmitteln vor, ist der bloße Besitz im Sinne von § 14 Abs 1 S 2 FeV keine Tatsache, die die Annahme begründet, dass Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne von § 14 Abs 1 S 1 Nr 2 FeV vorliegt.

  2.  Dem (formellen) Erfordernis nach § 11 Abs 6 S 2 FeV ist nur genügt, wenn der Betroffene der Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens entnehmen kann, was konkret ihr Anlass ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen.

  3.  § 14 Abs 1 S 2 FeV begegnet keinen bereits im Verfahren nach § 80 Abs 5 VwGO beachtlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

  4.  Welches Gewicht der einmalige Besitz einer geringen Menge eines Cannabisprodukts für den Verdacht regelmäßigen Konsums hat, hat die Fahrerlaubnisbehörde im Hinblick auf die Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles in Ausübung ihres Ermessens zu beurteilen.

  5.  Anlass für besondere Erwägungen, ob der Besitz einer geringen Menge im Einzelfall ausnahmsweise kein hinreichend aussagekräftiges Anzeichen für aufklärungsbedürftige Eignungsbedenken ist, ist dann gegeben, wenn

  -  die Umstände des konkreten Falles auf eine beabsichtigte Weitergabe an Dritte hindeuten,

  -  die Menge unzweifelhaft nur für lediglich experimentellen Cannabiskonsum ausreicht, und

  -  der (letzte) festgestellte Besitz schon längere Zeit zurückliegt.




Siehe auch
Besitz von Cannabissubstanzen
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller führte bei einer Polizeikontrolle auf dem Parkplatz einer Diskothek um 01:50 Uhr in seiner Hosentasche 1 g Haschisch mit sich. Nachdem er der etwa 5 Monate später getroffenen Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, ein ärztliches Gutachten in Form einer Blut- und Urinuntersuchung beizubringen, nicht nachgekommen war, entzog ihm die Behörde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis.

Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde nicht zugelassen.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Sie darf bei der Entscheidung über die Entziehung nach § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 3 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder ein von der Fahrerlaubnisbehörde gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Entsprechend den zu § 15 b Abs. 2 StVZO a. F. aufgestellten Grundsätzen,

   vgl. BVerwG, Urteile vom 5. 7. 2001 - 3 C 13.01 -, vom 13. 11. 1997 - 3 C 1.97 -, Buchholz 442.16, § 15 b StVZO Nr. 28, und vom 15. 12. 1989 - 7 C 52.88 -, Buchholz 442. 10, § 4 StVG Nr. 87, sowie Beschluss vom 23. 8. 1996 - 11 B 48.96 -, NJW 1997, 269,

ist der Schluss auf die Nichteignung nur zulässig, wenn die Anordnung, ein Gutachten beizubringen rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war und für die Weigerung, das Gutachten beizubringen, kein ausreichender Grund besteht.

   Vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36.A., § 11 FeV Rdnrn. 22, 24.

Die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, dient gemäß § 2 Abs. 7 und 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, §§ 11 Abs. 2, 13, 14, 46 Abs. 3 FeV dazu, aufgrund bekannt gewordener Tatsachen begründete Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zu klären. Mit dieser generellen Voraussetzung ist es - mit Rücksicht auf die belastenden Folgen einer Beibringungsanordnung für den Betroffenen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit - nicht ins freie Ermessen der Behörde gestellt, wann sie von einem Anfangsverdacht ausgehen darf. Die Anordnung ist nur rechtmäßig, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung bestehen und wenn die angeordnete Begutachtung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären.

   Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. 7. 2001 - 3 C 13.01 -, und Beschluss vom 23. 8.1996, a.a.O.




Speziell zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Drogenproblematik regelt nunmehr § 14 FeV in einer differenzierten Abstufung im Einzelnen die gebotenen bzw. zulässigen Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung. Angesichts des ordnungsrechtlichen Charakters der Vorschriften über die Erteilung und Entziehung der Fahrerlaubnis, die nicht der (weiteren) Sanktion von Straftätern, sondern der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit und andere Verkehrsteilnehmer dienen, die aus der Teilnahme von ungeeigneten Kraftfahrern am Straßenverkehr erwachsen, bestimmt sich der Aufklärungsbedarf nach dem Maßstab der durch den betroffenen Kraftfahrer ausgelösten Gefährlichkeit für den öffentlichen Straßenverkehr. Hierbei ist davon auszugehen, dass das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr unter die Fahrtauglichkeit beeinträchtigendem Einfluss von Betäubungsmitteln erhebliche Gefahren für hochrangige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer in sich birgt. Dass auch der Cannabisrausch die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt, entspricht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis.

   Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. 3. 1994 - 2 BvL 43/92 u.a. -, BVerfGE 90, 145 (181) = NJW 1994, 1577 (1581); BVerwG, Beschluss vom 23. 8. 1996, a.a.O.

Die hier streitige Anordnung, ein fachärztliches Gutachten in Form einer Blut- und Urinuntersuchung beizubringen, ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV ergangen. Danach "kann" die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet werden, wenn der Betroffene Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes widerrechtlich besitzt oder besessen hat. Entgegen der Auffassung des VG kommt als Rechtsgrundlage nicht § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV in Betracht, wonach die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnet, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt. ...




Der von der Behörde zu Grunde gelegte Sachverhalt lässt sich ersichtlich nicht unter den Tatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV fassen. Dieser verlangt nämlich tatsächlich begründete Beweisanzeichen dafür, dass "Einnahme" von Betäubungsmitteln "vorliegt", mithin, wie sich aus der Formulierung "vorliegt" ergibt, Anzeichen unmittelbar dafür, dass aktueller Konsum von Betäubungsmitteln stattgefunden hat. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV knüpft daran dem Wortlaut nach die Rechtsfolge, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens "anordnet". Demgegenüber lässt § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV dafür, dass die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen "kann", den - allerdings festgestellten - (widerrechtlichen) Besitz von Betäubungsmitteln genügen, ohne darüber hinausgehende Anhaltspunkte für eine Einnahme zu fordern. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV und § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV erfassen danach unterschiedliche Lebenssachverhalte und treffen dafür selbständige Regelungen. § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV zeigt, dass der bloße Besitz von Betäubungsmitteln, ohne dass weitere, für aktuellen Konsum sprechende Anhaltspunkte gegeben sind, nicht schon ausreicht, um die Anwendbarkeit von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV zu eröffnen; anderenfalls wäre § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV überflüssig und zudem der Unterschied in den Rechtsfolgen - "ordnet an" bzw. "kann anordnen" - missachtet.

Für die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV liegen im konkreten Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Dass der Antragsteller 1 g Haschisch mit sich führte, ist keine Tatsache, die für sich allein schon die Annahme begründet, dass beim Antragsteller eine Einnahme von Haschisch vorgelegen, also aktueller Konsum stattgefunden hat; der Besitz der festgestellten Menge Haschisch als solcher gibt weder einen hinreichenden Anhalt dafür, dass der Antragsteller bereits früher Haschisch konsumiert hatte noch darauf, dass er in der betreffenden Nacht vor der polizeilichen Kontrolle von der erworbenen Menge Haschisch einen Teil eingenommen hatte. Zwar spricht der Besitz von 1 g Haschisch, wie das VG auch nur angenommen hat, dafür, dass diese Menge zum Eigenkonsum bestimmt und dieser beabsichtigt war. Dies reicht aber für die, wie § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV verlangt, tatsächlich begründete Annahme, dass Einnahme von Betäubungsmitteln "vorliegt", nicht aus.

Die Anordnung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Aus § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV folgt, dass die Fahrerlaubnisbehörde mit der Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens die Gründe für die Zweifel an der Eignung des Betroffenen darzulegen hat. Diesem (formellen) Erfordernis ist entsprechend den Anforderungen, die an eine Anordnung nach § 15 b Abs. 2 StVZO a. F. zu stellen waren, nur genügt, wenn der Betroffene der Anordnung, die aus sich heraus verständlich sein muss, entnehmen kann, was konkret ihr Anlass ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn unter Berücksichtigung der mit der Begutachtung verbundenen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung wie auch im Hinblick darauf, dass mit einer unberechtigten Weigerung, einer berechtigten Anordnung nachzukommen, regelmäßig das Ergebnis des Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens programmiert ist und der Betroffene mangels gerichtlicher Überprüfung der Anordnung vor einer Fahrerlaubnisentziehung das alleinige Risiko einer Weigerung trägt, ist es zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung geboten, dass der Betroffene in die Lage versetzt wird, anlassbezogen sinnvolle Überlegungen dazu anzustellen, ob auf der Grundlage der mitgeteilten Gründe die Eignungszweifel der Behörde berechtigt erscheinen durften und ob er in eigener Risikoabschätzung der Anordnung nachkommen soll oder nicht. Die Darlegung der Gründe für die Eignungszweifel soll auch der Fahrerlaubnisbehörde vor Augen führen, dass nur konkrete tatsächliche, hinreichend aussagekräftige Anhaltspunkte berechtigten Anlass zu Zweifel an der Kraftfahreignung geben und der Betroffene nicht "ins Blaue hinein" auf der Grundlage einer reinen Vermutung oder eines bloßen Vorverdachts mit einer Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens und den damit verbundenen Belastungen und Risiken überzogen werden darf.

   Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. 7. 2001 - 3 C 13.01 -, 13.

Diese Anforderungen hat die Behörde mit ihrer Anordnung bei einer Gesamtschau der dortigen Ausführungen (noch) beachtet. ...




Auch in materieller Hinsicht begegnet die Anordnung keinen Bedenken. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV sind offensichtlich erfüllt. ...

Durch § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV ist rechtssatzmäßig bestimmt, dass der - auch nur einmalige - Besitz von Betäubungsmitteln eine taugliche, hinreichend aussagekräftige Anknüpfungstatsache für berechtigte, aufklärungsbedürftige Bedenken gegen die Kraftfahreignung sein kann, denen die Fahrerlaubnisbehörde je nach den Umständen des konkreten Falles durch die Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens nachgehen kann.

Diese Vorschrift begegnet keinen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beachtlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

In formeller Hinsicht bestehen keine Bedenken gegen die hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigungsnorm des § 6 Abs. 1 Nr. 1 c) StVG, wonach durch Rechtsverordnung Bestimmungen erlassen werden können über die Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, die Beurteilung der Eignung durch Gutachten sowie die Feststellung und Überprüfung der Eignung durch die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit den Abs. 4, 7 und 8 des Gesetzes. Durch die Rechtsprechung des BVerfG,

   vgl. Beschluss vom 24. 6. 1993 - 1 BvR 689/92 -, BVerfGE 89, 69 (84) = DVBl. 1993, 995 (996),

ist geklärt, dass diese Ermächtigungsnorm den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG genügt.




Auch in materieller Hinsicht bestehen gegen § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Hinblick darauf, dass die Teilnahme von unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehenden Kraftfahrern am öffentlichen Straßenverkehr Gefahren für hochwertige Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer in sich birgt, ist die präventive Kontrolle von Kraftfahrern auf ihre Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen unter dem Aspekt des Drogenkonsums grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Anhaltspunkte dafür, dass der - auch nur einmalige - widerrechtliche Besitz von Betäubungsmitteln bei generalisierender und typisierender Betrachtung von vornherein nicht als tauglicher Anhaltspunkt für Bedenken gegen die Kraftfahreignung, die im Rahmen der präventiven Kontrolle durch Beibringung eines ärztlichen Gutachtens (Drogenscreening) aufzuklären sein können, in Betracht gezogen werden dürfte, sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere auch für den Besitz von Cannabisprodukten in geringer Menge. Es war daher nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten, den Besitz von Cannabisprodukten schon auf der Tatbestandsseite der Norm als Anknüpfungstatsache für eignungsrelevante aufklärungsbedürftige Mängel auszunehmen, um in entsprechenden Fällen die Möglichkeit der Anordnung eines Drogenscreenings und der damit verbundenen Rechtsbeeinträchtigung von vornherein auszuschließen. Insofern schreibt § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV die Rechtslage fort, wie sie sich nach Auslegung des § 15 b Abs. 2 StVZO a. F. in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung herausgebildet hatte. Danach konnte bei einem Fahrerlaubnisinhaber festgestellter unerlaubter Drogenbesitz je nach den Umständen berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung auslösen und die Anordnung eines Drogenscreenings rechtfertigen. In Bezug auf Cannabisprodukte waren bei regel- oder gewohnheitsmäßigem Konsum zumindest berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung begründet (nunmehr ist gemäß § 46 Abs. 1 FeV in Verbindung mit Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis in der Regel von fehlender Kraftfahreignung auszugehen). Als hinreichend aussagekräftiges Anzeichen für regelmäßigen Cannabiskonsum konnte, gestützt auf die sachverständig vermittelte Erfahrung, dass der Erwerb oder Besitz geringerer Mengen Cannabis (in der Regel) ein starkes Indiz für Eigenkonsum ist, auch schon der Besitz bzw. das erstmalige Betroffenwerden im Besitz einer geringen Menge eines Cannabisprodukts den Verdacht auf Eigenkonsum rechtfertigen. Wenn nach den Umständen des konkreten Falles nicht eindeutig nur einmaliger Cannabiskonsum anzunehmen war, berechtigte er die Fahrerlaubnisbehörde, zunächst die Frage, ob regelmäßiger Cannabiskonsum vorliege, durch ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel wie ein Drogenscreening klären zu lassen, um anschließend erforderlichenfalls der weiteren Frage, ob der Fahrerlaubnisinhaber seinen Drogenkonsum vom Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr ausreichend zu trennen vermag, durch Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachzugehen.

   Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. 12. 1999 - 3 B 150.99 -, NZV 2000, 345 f., vom 12. 1. 1999 - 3 B 145.98 - und vom 23. 8. 1996, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 21. 7. 1998 - 19 A 3204/98 -, NJW 1999, 161 f.; ferner - unter eingehender Auswertung sachverständiger Aussagen - Bay. VGH, Urteil vom 29. 6. 1999 - 11 B 98.1093 -, NJW 2000, 304 (307).

Dass die dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden allgemeinen Annahmen nicht mehr zuträfen bzw. sich die Aussagekraft des festgestellten Besitzes einer geringen Menge eines Cannabisprodukts als Indiz für Eigenkonsum geändert hätte, ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht unangemessen, den Besitz einer geringen Menge eines Cannabisprodukts generell-abstrakt als aussagekräftiges Anzeichen für aufzuklärende Eignungsbedenken genügen zu lassen. Zwar kann allein vom Besitz einer geringen Menge eines Cannabisprodukts noch nicht darauf geschlossen werden, dass regelmäßiger Konsum vorliegt,

   vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. 6. 1993, a.a.O., BVerfGE 89, 69 (87) = DVBl. 1993, 995 (997); Bay.VGH, Urteil vom 29. 6. 1999, a.a.O., unter Wiedergabe der Aussage des zugezogenen Sachverständigen,

und gegebenenfalls die Bereitschaft oder Fähigkeit zur Trennung von Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Deswegen können aber nicht etwa verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV - auch nicht unter Berufung auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung,

   vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. 6. 1993, a.a.O., BVerfGE 89, 69 (85 f.) = DVBl. 1993, 995 (996 f.) -




daraus hergeleitet werden, dass die Vorschrift die Möglichkeit eröffnet, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens schon dann anzuordnen, wenn die tatsächlichen Umstände einen Eignungsmangel noch nicht ohne Weiteres als naheliegend erscheinen lassen. Soweit nämlich das BVerfG tatsächliche Feststellungen verlangt, die einen Eignungsmangel als naheliegend erscheinen lassen, und nicht bereits jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, ausreichen lässt, ist diese Voraussetzung auf die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bezogen; diese Untersuchung ist mit einem tiefgreifenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verbunden, der nur bei entsprechend gewichtigen, hinreichend aussagekräftigen Anzeichen für einen Eignungsmangel verhältnismäßig ist. Die genannte Voraussetzung ist aber nicht auf die Anforderung eines ärztlichen Gutachtens in Form eines Drogenscreenings zu übertragen, weil eine solche Untersuchung "wesentlich schonender" in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreift.

   Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. 6. 1993, a.a.O., BVerfGE 89, 69 (88) = DVBl. 1993, 995 (997).

Welches Gewicht der einmalige Besitz einer geringen Menge von Betäubungsmitteln, hier eines Cannabisprodukts, für den Verdacht regelmäßigen Konsums hat, ist nur nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Dem trägt § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung, dass die Vorschrift es in das im konkreten Fall pflichtgemäß, d. h. unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen besonderen Umstände auszuübende Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde stellt, ob diese den Besitz von Betäubungsmitteln zum Anlass nimmt, ein Drogenscreening anzuordnen. Bei § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV handelt es sich nämlich nach dem klaren Wortlaut (Kann-Bestimmung) und der darin zum Ausdruck kommenden Regelungsabsicht um eine Ermessensvorschrift.

   Vgl. Amtliche Begründung zur Fahrerlaubnis-Verordnung, VkBl. 1998, 1049 (1071).

Verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick darauf, dass die Bewertung zweifelsbegründender Umstände beim Umgang mit Cannabisprodukten erheblich strenger ist als beim Umgang mit Alkohol (vgl. § 13 FeV), bestehen nicht. Denn für die unterschiedliche Behandlung liegen gewichtige sachliche Gründe vor, die in der unterschiedlichen Wirkung von Cannabis- und Alkoholkonsum, dem unterschiedlichen Wissen von den Auswirkungen des Konsums im Straßenverkehr und den damit zusammenhängenden Unterschieden der sozialen Kontrolle begründet sind; hervorzuheben ist auch, dass beim Alkohol eine Verwendung dominiert, die nicht zu Rauschzuständen führt, während beim Konsum von Cannabisprodukten typischerweise die Erzielung einer berauschenden Wirkung im Vordergrund steht und es für deren Relevanz für die Fahrtauglichkeit - im Unterschied zu Alkohol - keine Grenzwerte gibt.

   vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. 8. 1996, a.a.O. und VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9. 8. 1994 - 10 S 1430/94 -, NZV 1994, 495 (496), jeweils unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 9. 3. 1994, a.a.O., BVerfGE 90, 145 (195 f.) = NJW 1994, 1577 (1584 f.); OVG NRW, Beschluss vom 20. 5. 1999 - 19 B 391/99 -.

Durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung bei der Anordnung eines Drogenscreenings im konkreten Fall sind nicht ersichtlich. Die Behörde hat bei der Anordnung das ihr eingeräumte Ermessen beachtet (wird ausgeführt) und fehlerfrei ausgeübt. Sie hat verdeutlicht, dass der Besitz der festgestellten Menge Haschisch im konkreten Fall als hinreichend aussagekräftiges Anzeichen für klärungsbedürftige Eignungsbedenken im Hinblick auf die Frage, ob der Antragsteller regelmäßig Haschisch konsumiere, gewertet werden kann. Weitergehende besondere Umstände, auf die im Rahmen der Ermessensausübung bei der Würdigung des Gewichts und der Aussagekraft des konkreten Drogenbesitzes für den Aufklärungsbedarf einzugehen gewesen wäre, sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller aufgezeigt. Angesichts der typisierenden Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV waren mithin weitergehende Erwägungen zur Ermessensbetätigung im konkreten Fall nicht veranlasst.

Anlass für besondere Erwägungen dazu, ob der festgestellte Besitz einer geringen Menge eines Cannabisproduktes im Einzelfall ausnahmsweise kein hinreichend aussagekräftiges Anzeichen für aufklärungsbedürftige Eignungsbedenken ist, ist dann gegeben, wenn die Umstände des konkreten Falles auf eine beabsichtigte Weitergabe der Menge an Dritte hindeuten. Lässt sich nämlich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände ausschließen, dass der Betroffene die vorgefundene Menge zum Eigenkonsum erworben hat, liegen aufklärungsbedürftige Eignungsbedenken nicht vor.

   Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. 12. und 12. 1. 1999, jeweils a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 19. 1. 2001 - 19 B 1946/00 -.

Solche Umstände liegen im konkreten Fall ersichtlich nicht vor. (wird ausgeführt) Es bleibt dabei, dass der Erwerb einer geringen Menge Haschisch auch im konkreten Fall ein starkes Indiz für Eigenkonsum ist.

Anlass für besondere Erwägungen zur Aussagekraft des Cannabisbesitzes im konkreten Einzelfall kann die festgestellte Menge eines Cannabisprodukts sein. Es spricht nämlich Überwiegendes dafür, dass dann, wenn unzweifelhaft lediglich experimenteller (einmaliger oder seltener) Cannabiskonsum vorliegt, der Verdacht auf regelmäßigen Konsum oder bei Fehlen sonstiger aussagekräftiger Umstände sonstige Eignungszweifel noch nicht gerechtfertigt ist.

   Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 29. 6. 1999, a.a.O.


Auch unter diesem Aspekt war hier ersichtlich kein besonderer Anlass zu weiteren Ermessenserwägungen gegeben. Es kann nicht als hinreichend gesichert zugrunde gelegt werden, dass die beim Antragsteller vorgefundene Menge Haschisch (gewogen 1 g) nur für einen so geringfügigen Konsum ausreichte, dass ein aufklärungsbedürftiger Verdacht auf regelmäßigen Cannabiskonsum von vornherein nicht begründet war. Im Gegenteil spricht die festgestellte Menge dafür, dass der Antragsteller sich beim Erwerb von einer unbekannten Person einen Vorrat für mehrmaligen Eigenkonsum anlegte. Die Häufigkeit, in der mit einer bestimmten Menge des Stoffes Haschisch typischerweise konsumiert wird, ist abhängig von der Konzentration des für die berauschende Wirkung ursächlichen Hauptwirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) und von dem Wirkstoffgehalt je Konsumeinheit. Da Feststellungen zu der konkreten Wirkstoffkonzentration des beim Antragsteller vorgefundenen Cannabisprodukts fehlen und diese im Allgemeinen je nach Qualität sehr unterschiedlich sein kann, kann nur auf eine mittlere Wirkstoffkonzentration zurückgegriffen werden, die nach der Rechtsprechung, aus fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen abgeleitet, zwischen 5 % und 8 % liegt.

   Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. 3. 1994 - 2 BvL 43/92 u.a. -, BVerfGE 90, 145 (179) = NJW 1994, 1577 (1580); ferner BGH, Urteil vom 18. 7. 1984 - 3 StR 183/84 -, NJW 1985, 1404 (1405) und Beschluss vom 20. 12. 1995 - 3 StR 245/95 -, NJW 1996, 794 (797).

Für die Bestimmung des THC-Gehalts in einer durchschnittlichen Konsumeinheit kann in Orientierung an der nach fachwissenschaftlichen Aussagen zur Erzielung eines Rauschzustandes durch Rauchen als der hauptsächlich vorkommenden Konsumform im Durchschnitt erforderlichen Menge an THC und unter Berücksichtigung von Unsicherheitsfaktoren von einem durchschnittlichen THC-Gehalt je Konsumeinheit von 15 mg ausgegangen werden.

   vgl. BGH, Beschluss vom 20. 12. 1995, a.a.O., NJW 1996, 794 (795) und Urteil vom 18. 7. 1984, a.a.O.



Diese Vorgaben können mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im konkreten Fall für eine näherungsweise Abschätzung zu Grunde gelegt werden. Danach reicht die beim Antragsteller festgestellte Menge von 1 g Haschisch bei einer im unteren Bereich liegenden mittleren THC-Wirkstoffkonzentration von 5 % für (50 mg : 15 mg =) 3 bis 4 Konsumeinheiten, bei einer im oberen Bereich liegenden mittleren Wirkstoffkonzentration von 8 % für (80 mg : 15 mg =) 5 bis 6 Konsumeinheiten. Zu einer anderen Beurteilung bietet im vorliegenden Fall das Vorbringen des Antragstellers keinen Anhalt. ...

Schließlich kommt als Ansatz besonderer Ermessenserwägungen im Hinblick darauf, dass ein Drogenscreening unter Berücksichtigung der anzuwendenden Methoden der Klärung der Frage dient, ob der Betroffene in neuerer Zeit Cannabis konsumiert hat, die Frage in Betracht, ob der (letzte) festgestellte Besitz von Betäubungsmitteln schon so lange zurückliegt, dass allein mit Rücksicht auf den Zeitablauf dem Besitz keine hinreichende Aussagekraft für Eignungsbedenken mehr zukommt. Auch unter diesem Aspekt musste die Behörde im konkreten Fall die Eignungsbedenken nicht als hinreichend entkräftet zurückstellen. Denn die seit dem Vorfall verstrichene Zeit von etwa 5 Monaten war noch nicht so lang, dass allein deshalb der Antragsgegner bei seiner Ermessensausübung davon ausgehen musste, seine Eignungsbedenken seien nicht mehr hinreichend durch den festgestellten Drogenbesitz begründet. Es gab auch mangels konkreten und nachvollziehbaren Vorbringens des Antragstellers zu seinem Drogenkonsumverhalten keinen gesicherten Anhalt dafür, dass der Drogenbesitz ein einmaliger Vorfall und eine Wiederholung im Rahmen der Freizeitgestaltung auszuschließen war.

Weil der Antragsteller sich ohne beachtlichen Grund geweigert hat, das somit zu Recht geforderte Gutachten beizubringen, durfte die Behörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV bei ihrer Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung auf die Nichteignung des Antragstellers schließen. Dieser hat keine Umstände dafür aufgezeigt, dass der Schluss auf die Nichteignung nicht gerechtfertigt wäre. ..."

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