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OLG Köln Beschluss vom 04.11.2004 - Ss 182/0 - Zur Anerkennung eines EU-Führerscheins, der nach Ablauf der deutschen Sperrfrist erteilt wurde

OLG Köln v. 04.11.2004: Zur Anerkennung eines EU-Führerscheins, der nach Ablauf der deutschen Sperrfrist erteilt wurde




In Übereinstimmung mit dem OLG Karlsruhe VRS 101, 202 hat das OLG Köln (Beschluss vom 04.11.2004 - Ss 182/04) entschieden:

   Die Richtlinie 91/439 EWG i.d.F. der Richtlinie 97/26 ist so auszulegen, dass ein Mitgliedsstaat einem von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb versagen kann, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedsstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedsstaat ausgestellt worden ist.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
Sund
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Zum Sachverhalt:


Das AG hat den Angekl. mit Urteil vom 6. 11. 2003 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 2 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 5 € verurteilt. Das AG hat hierzu ausgeführt:

   Der Angekl. befuhr am 8. 5. 2003 um 20.00 Uhr mit dem Pkw die W. Straße in K. Am 23. 6. 2003 befuhr er mit demselben Pkw in K. die V.-Straße. In beiden Fällen war der Angekl. nicht im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Bei den polizeilichen Kontrollen legte er lediglich einen am 31. 12. 1980 ausgestellten französischen Führerschein vor.

Der Angekl. hat die Fahrten vom 8. 5. 2003 und 23. 6. 2003 unumwunden zugegeben. Er ist aber der Ansicht, dass er aufgrund seiner französischen Fahrerlaubnis auch im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis ist und in Deutschland Kfz der ehemaligen Klasse 3, also Pkw führen darf. Im Hinblick auf das Urteil vom 6. 3. 2003 hat er allerdings eingeräumt, dass er mit der Fahrt vom 23. 6. 2003 gegen das in der Berufungsverhandlung vom 14. 5. 2003 rechtskräftig gewordene Fahrverbot verstoßen habe. Im tatsächlichen Bereich entspricht die Einlassung des Angekl. der Aktenlage, das Gericht hat insoweit keine Zweifel an der Richtigkeit der obigen Feststellungen.




Ob die französische Fahrerlaubnis dem Angekl. seinerzeit in Übereinstimmung mit den Vorschriften des internationalen Übereinkommens über den Straßenverkehr erteilt worden ist, mag bezweifelt werden, aber mangels eines derartigen Nachweises geht das Gericht davon aus, dass der Führerschein gültig (und auch nicht gefälscht) ist.

Für den rechtlichen Bereich ist davon auszugehen, dass dem Angekl. seine deutsche Fahrerlaubnis durch das Urteil vom 23. 4. 1976 entzogen worden ist, eine neue deutsche Fahrerlaubnis ist dem Angekl. nicht erteilt worden. Die französische Fahrerlaubnis ist zwar auch nicht in eine deutsche Fahrerlaubnis umgeschrieben worden, aber nach der entsprechenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. 2. 1996 schied eine Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis aus, wenn ein Bürger aus einem EU-Mitgliedsstaat (lediglich) den Umtausch der Fahrerlaubnis versäumt hatte.

Der Angekl. war somit nach dem Erwerb der französischen Fahrerlaubnis und Begründung des Wohnsitzes in Deutschland Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis aus einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, der seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland hatte. Für diese galt nach der Verordnung über den Internationalen Kraftfahrzeugverkehr und der nachfolgenden EU/EWR Führerscheinverordnung vom 19.06.1996, dass sie nach Ablauf einer oder mehrerer Sperrfristen von ihrer ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch machen konnten, so dass die Sperrfrist in ihrer Wirkung, einem Fahrverbot entsprach.

Die Führerscheinverordnung ist jedoch mit Wirkung vom 1.1.1999 durch die Fahrerlaubnisverordnung (FeV) ersetzt worden, die in § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV bestimmt, dass der Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis nach Ablauf einer gerichtlichen Sperrfrist nicht automatisch wieder fahrberechtigt ist. Damit stellte sich die Frage, ob „Altfälle”, d.h., Führerscheininhaber, die nach Entziehung der deutschen Fahrererlaubnis aufgrund ihrer ausländischen Fahrerlaubnis vor dem 1.1.1999 im Inland Kfz führen durften, mit dem In-Kraft-Treten der Fahrerlaubnisverordnung dies gem. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV nicht mehr durften. Diese Frage hat der BGH in seinem Beschluss vom 20.6.2002 (4 StR 371/01) aus Gründen der Gleichbehandlung dahingehend entschieden, dass auch bei „Altfällen” das zwischenzeitliche Recht zum Führen von Kfz nicht mehr fortbestand.

Für die erste Tat hat das AG eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen und für die zweite eine solche von 60 Tagessätzen festgesetzt und hieraus eine Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen gebildet. Die Sprungrevision des Angekl. hatte teilweise Erfolg.





Aus den Entscheidungsgründen:

Das Rechtsmittel hat insofern teilweise Erfolg, als es im Fall 1 (Fahrt vom 8. 5.2003) gem. § 353 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, weil dessen Überprüfung aufgrund der in zulässiger Weise erhobenen Sachrüge ergibt, dass es insoweit auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 337 StPO). Die tatsächlichen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in diesem Fall nicht. Sie ermöglichen vielmehr eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache gem. § 354 Abs. 1 StPO, da auf ihrer Grundlage nur der Freispruch des Angekl. hinsichtlich dieses Vorwurfs in Betracht kommt. Das bedingt im Fall 1 zwingend die Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe und mit deren Wegfall die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.

1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung, wonach der Angekl. nach dem Erwerb der französischen Fahrerlaubnis und Begründung des Wohnsitzes in Deutschland Inhaber einer gültigen EU/EWR-Fahrerlaubnis geworden ist, die es ihm gestattete, im Umfang ihrer Berechtigung Kfz im Inland zu führen (§ 28 Abs. 1 FeV). Nicht gefolgt werden kann dem AG jedoch darin, dass diese Erlaubnis mit In-Kraft-Treten der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) am 01.01.1999, hier aufgrund der Bestimmung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV nicht mehr fortbestand. Die Bestimmung lautet:

   „(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU-oder EWR-Fahrerlaubnis,

   ...

3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben.”



a) Allerdings befand sich das AG mit dieser Ansicht im Einklang mit der Rspr. des BGH, der mit Beschluss vom 20. 6. 2002 (BGHSt 47, 335 ff. = NJW 2002, 2330 = VRS 103, 212 = DAR 2002, 419 = NZV 2002, 406 = zfs 2002, 448) ausgeführt hat, dass „der Inhaber einer in einem EU- oder EWR-Staat erworbenen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland, dem die deutsche Fahrerlaubnis von einem Gericht rechtskräftig entzogen worden war und der nach dem 31.12.1998 im Inland ein Kfz führt, sich nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV strafbar macht, und zwar auch dann, wenn er aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis vor dem 1. 1. 1999 im Inland (wieder) Kfz führen durfte” (a.A. OLG Karlsruhe VRS 101, 220 = NStZ-RR 2002, 86 =VM 2002, 28; krit. a. Hentschel, StVR, 37. Aufl., § 28 FeV Rdn. 6).


b) Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zur nachfolgend ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH, Urteil vom 29.4.2004 = NJW 2004, 1725 ff. = DAR 2004, 333 ff. = NZV 2004, 373 ff. = zfs 2004, 287 ff.), der zur Richtlinie 91/439/EWG Art. 1 II i.d.F. der Richtlinie 97/26/ EG festgestellt hat, Art. 1 II i.V. mit Art. 8 IV der Richtlinie 91/439/EWG sei so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.

So liegt es nach den vom AG getroffenen Feststellungen hier. Der Angekl. ist durch Urteil des AG Köln vom 23. 4.1976 zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt worden; zugleich ist seine Fahrerlaubnis entzögen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von drei Monaten verhängt worden. Dieses Urteil ist seit dem 1. 5. 1976 rechtskräftig, so dass die Sperrfrist an diesem Tag begann (§ 69a Abs. 5 StGB) und mit Ablauf von drei Monaten endete. Sie war damit bei Erwerb des französischen Führerscheins am 31. 12. 1980 bereits abgelaufen.

Bezugnehmend auf die Entscheidung des EuGH vom 29. 4. 2004 haben der VGH Mannheim (NJW 2004, 3058 f. = zfs 2004, 482) zu § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV (- Wohnsitzerfordernis -) und das VG Karlsruhe zu § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV (Urteil v. 18. 8. 2004, mitgeteilt bei Juris) ausgeführt, dass „hinsichtlich der Regelung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/ EWG die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung erfüllt sind, so dass sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf diese Bestimmung berufen kann (EuGH, Urt. v. 29. 10. 1998, C-230/97, Awoyemi, Slg. I-6781, Rdn. 42 f:; Urt. v. 29. 4. 2004, C-476/01, Rdn. 45, EuZW 2004, 337)”. Die Bestimmung des § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV seien deshalb wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ohne weiteres unanwendbar.




d) Der Senat folgt der Auffassung des EuGH und sieht sich hieran trotz der Divergenz zu der oben zitierten Entscheidung des BGH auch nicht durch die in § 121 Abs. 2 GVG normierte Vorlegungspflicht gehindert. Er steht insoweit im Einklang mit der Rspr. des BGH (BGHSt 33, 76; BGHSt 36, 92), der jeweils auf Vorlage des BayObLG unter Bezug auf die Rspr. des EuGH ausgeführt hat (BGHSt 33, 76 [79]), dass „das Recht eines nationalen Gerichts, den Gerichtshof anzurufen, nicht durch innerstaatliche Vorschriften gehindert werden darf, die das nationale Gericht an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten nationalen Gerichts binden.” Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Frage, ob der Senat den Gerichtshof unmittelbar anrufen könnte; weil er sich der Rspr. des Gerichtshofs anschließen will, besteht für eine solche Anrufung kein Anlass. Indes sind die Fälle gleich zu behandeln. Das OLG darf nicht durch die eine Bindung bezweckende Einschaltung des BGH gem. § 121 Abs. 2 GVG gehindert werden, die Rspr. des Gerichtshofs zu übernehmen und anzuwenden (BGH a.a.O.).

Diese Auffassung ist in BGHSt 36, 92 bekräftigt worden, wo es heißt:

   „In keinem dieser Fälle darf jedoch der BGH durch eine Entscheidung nach § 121 Abs. 2 GVG und die sich daraus ergebende Bindung das vorlegende Gericht daran hindern, die Rspr. des Gerichtshofs zu übernehmen und anzuwenden. Das gilt nicht nur, wenn der Gerichtshof, über die Vorlegungsfrage bereits entschieden hat, sondern auch, wenn eine verbindliche Auslegung der strittigen Frage, noch nicht erfolgt ist. Denn das Recht eines nationalen Gerichts, den Gerichtshof anzurufen, darf nicht durch innerstaatliche Vorschriften beeinträchtigt werden, die das nationale Gericht an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten nationalen Gerichts binden (EuGHE 1974, 33; BGHSt 33, 76, 79)”.



Der Angekl. befand sich somit bei seiner Fahrt am 8. 5. 2003 im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis. Er war deshalb insoweit vom Vorwurf, gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verstoßen zu haben, freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO).

2. Anders verhält es sich dagegen im Fall 2. Hier ist der Angekl. am 23. 6. 2003 gefahren, obwohl gegen ihn zuvor durch das am 14. 5. 2003 rechtskräftig gewordene Urteil des AG Köln vom 6. 3. 2003 ein Fahrverbot von 3 Monaten verhängt worden war. Bezüglich der Verurteilung in diesem Fall war die Revision des Angekl. als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angekl. ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO)."

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