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OVG Greifswald Beschluss vom 30.08.2006 - 1 M 59/06 - Eine EU-Fahrerlaubnis ist ohne weitere Förmlichkeiten anzuerkennen, wenn keine "neuen" - nach ihrer Erteilung aufgetretenen - Tatsachen Eignungsmängel indizieren

OVG Greifswald v. 30.08.2006: Eine EU-Fahrerlaubnis ist ohne weitere Förmlichkeiten anzuerkennen, wenn keine "neuen" - nach ihrer Erteilung aufgetretenen - Tatsachen Eignungsmängel indizieren




Das OVG Greifswald (Beschluss vom 30.08.2006 - 1 M 59/06) hat entschieden:
   Eine EU-Fahrerlaubnis ist ohne weitere Förmlichkeiten anzuerkennen, wenn keine "neuen" - nach ihrer Erteilung aufgetretenen - Tatsachen Eignungsmängel indizieren. Es kann auch noch keine missbräuchliche Ausnutzung des Anerkennungsgrundsatzes darstellen, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber mit dem Erwerb seiner Fahrerlaubnis lediglich unterschiedlich strenge Regelungen der Mitgliedsstaaten in Bezug auf die physische und psychische Fahreignung bei der Wiedererteilung der zuvor entzogenen Fahrerlaubnis nutzt.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Gegenstand des Verfahrens ist die sofort vollziehbare Verfügung der Antragsgegnerin über die Aberkennung des Rechts des Antragstellers, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Der hiergegen gerichtete Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz hatte erstinstanzlich Erfolg.

Die dagegen gerichtete zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.

Die Beschwerde hat zunächst nicht schon deshalb Erfolg, weil dem Antragsteller für seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde. (... wird ausgeführt).

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung darauf gestützt, dass die vom Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller verfügte Aberkennung der Fahrerlaubnis nach dem Maßstab des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens rechtswidrig sein dürfte, weil die Antragsgegnerin derzeit nach Maßgabe europäischen Rechts und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH nicht befugt sei, gegenüber dem Antragsteller Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine "Überprüfung seiner Eignung zielen; insbesondere habe die Antragsgegnerin den Antragsteller nicht zur Vorlage einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auffordern dürfen und nicht nach dessen Weigerung, sich einer solchen Begutachtung zu unterziehen, nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs schließen dürfen.




Die dagegen von der Antragsgegnerin angeführten Gesichtspunkte begründen keine durchgreifen den Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung; die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Antragsgegnerin habe den Antragsteller nach Maßgabe des in der Führerschein-Richtlinie formulierten Anerkennungsgrundsatzes nicht zur Vorlage einer medizinisch­psychologischen Untersuchung auffordern dürfen und auch nicht nach dessen Weigerung, sich einer solchen Begutachtung zu unterziehen, nach § 11 Abs. S FeV auf seine Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs schließen dürfen, stellt sich im Ergebnis als zutreffend dar. Damit er weist sich die vom Antragsteller angegriffene Aberkennungsentscheidung nach dem Maßstab des vorläufigen Rechtsschutzes als voraussichtlich rechtswidrig.

Unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der sog. Führerschein-Richtlinie (Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.7.1991 über den Führerschein in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2.6.1997 und der Richtlinie 2000/56/EG der Kommission vom 14.9.2000 spricht Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der Aberkennungsverfügung der Antragsgegnerin vom 02. Dezember 2005. Die Antragsgegnerin durfte im Fall des Antragstellers nach den Umständen des Einzelfalles aus der Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens durch den Antragsteller gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht auf dessen fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und folglich auch nicht die Fahrerlaubnis gemäß § 3 Abs. 1 Sätze 1 u, 2 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1, 5 FeV entziehen bzw. das Recht, von der polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, aberkennen; dem Antragsteller ist eine Berufung auf den Anerkennungsgrundsatz nach Maßgabe der Führerschein-Richtlinie nach derzeitigem Erkenntnisstand und nach dem Maßstab des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt.

Die Anordnung der Antragsgegnerin vom 22. August 2005, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, dürfte zwar den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV genügen. Auch ist der Antragsteller auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen worden (§11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Die Gutachtenanordnung hatte ihre Grundlage in §§ 46 Abs. 3,13 Nr. 2 Buchst, c) FeV. Nach der zu letzt genannten Vorschrift ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn der Verdacht der Kraftfahrungeeignetheit wegen Alkoholmissbrauchs besteht, weil ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/1 oder mehr geführt wurde. Ein derartiger Sachverhalt ist vorliegend mit Blick auf die Trunkenheitsfahrt des Antragstellers vom 19. April 1999 gegeben, bei der beim Antragsteller eine Blutalkoholkonzentration von 2,52 Promille festgestellt wurde.

Die Gutachtenanforderung war im konkreten Einzelfall jedoch nicht europarechtskonform bzw. stand nicht in Einklang mit dem in der Führerschein-Richtlinie niedergelegten Anerkennungsgrundsatz in der Auslegung nach der dazu vorliegenden Rechtsprechung des EuGH.

Auf der Basis insbesondere der neuesten und gefestigten Rechtsprechung des EuGH sieht Art.1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und erlegt den Mitgliedstaaten damit eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (vgl. Beschl. v. 06.04.2006 -C-227/06 -, Halbritter, DVB1. 2006, S91, m.w.N.; Urt. v. 29.4.2004 C-476/01 - Kapper, NJW 2004,1726 m.w.N.).


Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung des EuGH bzw. des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung dürfen die deutschen Fahrerlaubnisbehörden dem in einem anderen Mitgliedstaat nach Ablauf einer Sperrfrist ausgestellten Führerschein bzw. der entsprechenden Fahrerlaubnis nicht die Anerkennung verweigern, sofern nicht Umstände dieses rechtfertigen, die nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis eingetreten sind. Dieser vom EuGH formulierte Grundsatz gilt mit Blick auf die von ihm entschiedenen Sachverhalte bzw. Einzelfälle zunächst für die Anerkennung der ausländischen Fahrerlaubnis und die Umschreibung einer solchen in eine deutsche. Der Senat ist darüber hinaus der Auffassung, dass damit grundsätzlich auch eine Befugnis der deutschen Behörden, einen erneuten Eignungsnachweis zu verlangen und - als Folge einer Verweigerung desselben durch den Fahrerlaubnisinhaber - ggf. die Fahrerlaubnis abzuerkennen, nicht be steht (vgl. grundlegend Beschluss des Senats vom 29.08.2006 - 1 M 46/06 -). Der EuGH hat in materieller Hinsicht klar zum Ausdruck gebracht, dass keine erneute Überprüfung der Fahreignung verlangt werden kann, auch wenn die nationalen Rechtsvorschriften aufgrund von - vor der Ausstellung des neuen Führerscheins bestehenden - Umständen, die zum Entzug einer zuvor erworbenen Fahrerlaubnis geführt hatten, eine solche Prüfung vorschreiben. Der formalen Argumentation der Antragsgegnerin, die gefahrenabwehrrechtlich motivierte Aberkennungsentscheidung setze ihrer Logik nach eine vorherige Anerkennung voraus, deshalb sei ein Konflikt mit der Rechtsprechung des EuGH nicht gegeben bzw. liege ein anderer Fall vor, ist vor diesem Hintergrund eine Absage zu erteilen. Der Sache nach stellt nämlich das Verlangen eines Eignungsnachweises wie im Falle des Antragstellers nichts anderes dar als eine Verweigerung der uneingeschränkten Anerkennung der polnischen Fahrerlaubnis. In der materiellen Wirkung bringt dieses Verlangen der Antragsgegnerin zum Ausdruck, dass die Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis durch die polnischen Behörden unzureichend war; zum Ausgleich dieses angenommenen Defizits soll der Antragsteller den verlangten Eignungsnachweis erbringen. Erbringt der Antragsteller/Fahrerlaubnisinhaber diesen Nachweis nicht, wirkt sich der von der Antragsgegnerin angenommene Mangel des polnischen Verfahrens dahin aus, dass dem Antragsteller zwingend die Fahrerlaubnis abzuerkennen ist.

Diese Vorgehensweise kann bei materieller Betrachtung und unter Berücksichtigung des Leitgedankens der EuGH-Rechtsprechung - Betrachtung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung als "Schlussstein" des mit der RL 91/439 eingeführten Systems - nur als Verweigerung der Anerkennung der polnischen Fahrerlaubnis gewertet werden. Die der Antragsgegnerin im Falle eines früheren Alkoholmissbrauchs durch Fahrerlaubnisinhaber offenkundig vorschwebende "flächendeckende" - erneute - Eignungsprüfung würde in eine Umkehrung des europarechtlichen Anerkennungsmechanismus münden (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 15.8.2005, - 7 B 11021/05 -, NJW 2005, 322S - zitiert nach juris; OVG Weimar, Beschl. v. 29.06.2006 - 2 EO 240/06 -, S. 15, zitiert nach www.thovg.thueringen.de).

Der EuGH hat unter dem Aspekt der Verhinderung einer solchen Umkehrung des Anerkennungsmechanismus auch - ohne insoweit einen Spielraum zu lassen - deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine - erneute - Eignungsprüfung bzw. das Verlangen eines Eignungsnachweises durch deutsche Behörden nur hinsichtlich von Umständen zulässig ist, die zeitlich nach dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis liegen. Diese Maßgabe kann nicht dahingehend umgangen werden, dass bestimmte vor diesem Erwerb vorliegende konkrete Umstände wie der des Alkoholmissbrauchs als "Dauerumstände" definiert werden, die sich abstrakt betrachtet im Sinne eines Gefährdungspotenzials jederzeit nach dem Erwerb aktualisieren könnten (so aber OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.10.2005 -1.2 ME 28S/05 -, NJW 2006,1158, 1161); eine solche in der Vergangenheit vielleicht mögliche Deutung ist jedenfalls nach dem Beschluss des EuGH vom 06. April 2006 - C-227/05 -(a.a.O., Halbritter) nach Auffassung des Senats nicht mehr haltbar (vgl. auch OVG Koblenz, Beschl. v. 15.8.2005, - 7 B 11021/05 -, NJW 2005, 322S - zitiert nach juris -, das darauf verweist, dass der EuGH nach Ablauf einer festgesetzten angemessenen Sperrfrist offenbar mit Blick auf das Anerkennungsprinzip eine Missbrauchsmöglichkeit in Kauf nimmt). Der EuGH hätte - würde er einer solchen Sichtweise zustimmen - in dieser Entscheidung hinreichend Gelegenheit gehabt, dies zum Ausdruck zu bringen. Sowohl in der Entscheidung Kapper als auch in dem Beschluss Halbritter, in dem wesentlich auf die Entscheidung im Fall Kapper verwiesen wird, haben derartige Um stände vorgelegen, im Fall Kapper Alkohol missbrauch, im Fall Halbritter Drogenmissbrauch.




Dem Antragsteller ist auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (vgl. hierzu ausführlich Beschluss des Senats vom 29.08.2006 -1 M 46/06 -) eine Berufung auf den Anerkennungsgrundsatz der Führerschein-Richtlinie nicht verwehrt.

Der Senat geht nach dem Prüfungsmaßstab des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zwar davon aus, dass die deutschen Behörden in Fällen eines in diesem Sinne rechtsmissbräuchlichen Erwerbs der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat ausnahmsweise einen Eignungsnachweis nach deutschem Recht verlangen können, weil dem betreffenden Fahrerlaubnisinhaber die Berufung auf den Anerkennungsgrundsatz verwehrt ist (vgl. OVG Weimar, Beschl. v. 29.06.2006 - 2 EO 240/06 -, zitiert nach www.thovg.thueringen.de; VG Münster, Beschl. v. 26.06.2006 - 10 L 361/06; VG Freiburg, Beschl. v. 01.06.2006 -1 K 752/06 -; VG Chemnitz, Beschl. v. 21.06.2006 - 2 K 356/06 - u. v. 05.07.2006 - 2 K 1025/05, jeweils Juris). Dies setzt indes greifbare tatsächliche, objektive Anhaltspunkte dafür voraus, dass der Erwerb der ausländischen EU-Fahrerlaubnis erfolgt ist, um die nationalen Bestimmungen für die Wiedererteilung einer zuvor entzogenen Fahrerlaubnis zu umgehen. In jedem Fall ist demnach eine entsprechende Einzelfallprüfung durch die Behörde erforderlich.

Es kann insoweit noch keine missbräuchliche Ausnutzung des Anerkennungsgrundsatzes darstellen, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber mit dem Erwerb seiner Fahrerlaubnis lediglich unterschiedlich strenge Regelungen der Mitgliedsstaaten in Bezug auf die physische und psychische Fahreignung bei der Wiedererteilung der zuvor entzogenen Fahrerlaubnis nutzt (vgl. OVG Weimar, Beschl. v. 29.06.2006 - 2 EO 240/06 -, zitiert nach www.thovg.thueringen.de; auch OVG Koblenz, Beschl. v. 15.8.2005, - 7 B 11021/05 -, NJW 2005, 3228 - zitiert nach juris -).




Von einer Umgehungsabsicht, die es zulässt, dem betreffenden Fahrerlaubnisinhaber die Berufung auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht bzw. auf den Anerkennungsgrundsatz zu verwehren, kann etwa ausgegangen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass der Fahrerlaubnisinhaber die nationale Fahrerlaubnis nach Maßgabe deutschen Rechts hätte wiedererlangen können und sich ohne Zusammenhang mit einem gemeinschaftsrechtlich relevanten Vorgang an die Behörden eines Mitgliedstaates wendet, um dort - ohne sich einer auf die Alkoholproblematik bezogenen Eignungsprüfung unterzogen zu haben - antragsgemäß eine Fahrerlaubnis zu erlangen und den Folgen zu entgehen, die das innerstaatliche Recht nach einem vorangegangenen alkoholbedingten Entzug der Fahrerlaubnis an die Nichtvorlage eines seine Fahr eignung bestätigenden medizinisch-psychologischen Gutachtens knüpft.

Ebenfalls von einem Rechtsmissbrauch kann ausgegangen werden, wenn positiv feststeht, also nicht lediglich eine Vermutung oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Fahrerlaubnisinhaber die Behörden des ausstellenden Mitgliedstaates über für die Erteilung der Fahrerlaubnis relevante Umstände hinsichtlich seiner Fahreignung getäuscht hat und ein Zusammenhang mit einem gemeinschaftsrechtlich relevanten Vorgang nicht besteht. Die Relevanz dieser Umstände kann sich hierbei insbesondere aus der wahrheitswidrigen Beantwortung von Fragen z.B. zum Verlust der Fahrerlaubnis im Herkunftsstaat ergeben, im Einzelfall aber auch mit Blick auf die Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung der Fahrerlaubnis (vgl. insbesondere Anhang III der Führerscheinrichtlinie, Unterpunkt ALKOHOL Ziff. 14 und Unterpunkt DROGEN UND ARZNEIMITTEL Ziff. 15 Mißbrauch). In derartigen Fällen ist die rechtsmissbräuchliche Umgehungsabsicht sowohl in objektiver wie auch subjektiver Hinsicht geradezu handgreiflich.

Auf der anderen Seite ist grundsätzlich der Umstand, dass die Fahrerlaubnis in dem anderen Mitgliedstaat nach Lage der Dinge erworben wurde, ohne dass die entsprechenden Voraussetzungen hinsichtlich eines dortigen Wohnsitzes - vollständig - erfüllt waren, für sich gesehen regelmäßig noch kein ausreichender Grund, um von einem rechtsmissbräuchlichen Erwerb auszugehen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil anderenfalls die Ziele der fraglichen Bestimmungen unterlaufen würden: Die ausschließliche Zuständigkeit, die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Buchst, b und des Art. 9 der Führerschein-Richtlinie festzustellen, liegt danach beim Ausstellungsstaat (vgl. EuGH, Urt. v. 29.4.2004 - C-476/01 - Kapper, NJW 2004, 1726 f. m.w.N.). Wollte man bereits eine Verletzung des Wohnsitzerfordernisses als rechtsmissbräuchlich werten, würde im Ergebnis demgegenüber doch die für eine Anerkennung entscheidende Zuständigkeit des Aufnahmestaates begründet. Im Sinne eines zusätzlichen Hinweises auf eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf den Anerkennungsgrundsatz kann eine feststehende Verletzung des Wohnsitzerfordernisses jedoch Berücksichtigung finden.

In der Vergangenheit, vor dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis liegende Umstände wie etwa ein Alkoholmissbrauch können im Übrigen im Einzelfall erneut Bedeutung erlangen bzw. Berücksichtigung finden, wenn der Fahrerlaubnisinhaber zum Beispiel eine sonstige Verkehrsordnungswidrigkeit begeht, die nach dem Punktesystem zu ahnden ist und hinsichtlich derer Anhaltspunkte bestehen, dass ein Zusammenhang mit einer Alkoholproblematik besteht (vgl. VG Bayreuth, Beschl. v. 27.06.2006 -B1S 06.412 -). Dann kann für die Fahrerlaubnisbehörde ebenfalls hinreichender Anlass gegeben sein, von dem Betreffenden einen Eignungsnachweis zu verlangen. Dies gilt naturgemäß vor allem dann, wenn es um Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkohol- oder Drogeneinfluss geht. Der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis steht insoweit gewissermaßen unter "Bewährung". Wie groß der Zeitraum sein muss, um einen Zusammenhang zwischen der früheren, vor dem Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis liegenden Alkoholproblematik und einer erneuten Zuwiderhandlung im letztgenannten Sinne verneinen zu können, wird ebenfalls jeweils im Einzelfall zu prüfen sein, bedarf vorliegend jedoch keiner näheren Betrachtung.

Im Ergebnis wirkt sich diese Art der Missbrauchskontrolle so aus, dass hinsichtlich der Eignungsfrage in Fällen einer Alkoholproblematik vor Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis praktisch eine Umkehr der materiellen Beweislast erfolgt: Muss für die Wiedererteilung einer nationalen Fahrerlaubnis derjenige, der diese Wiedererteilung beantragt, den Eignungsnachweis erbringen, hat demgegenüber die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber dem Inhaber einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis den Nachweis von objektiven Umständen im vorstehenden Sinne zu führen, um wiederum eine Nachweispflicht des Fahrerlaubnisinhabers herbeizuführen bzw. bei Unterlassen des entsprechenden Nachweises ggf. eine Aberkennung vornehmen zu können.



Den vorstehenden Maßstab auf den zu entscheidenden Fall angewandt, gelangt der Senat zu der Schlussfolgerung, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht stattgegeben hat: Von der Antragsgegnerin sind keine greifbaren tatsächlichen, objektiven Umstände benannt worden, die einen rechtsmissbräuchlichen Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis durch den Antragsteller hinreichend nahe legen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Weder kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller die nationale Fahrerlaubnis nach Maßgabe deutschen Rechts hätte wiedererlangen können, noch steht positiv fest, dass der Antragsteller die Behörden des ausstellenden Mitgliedstaates über für die Erteilung der Fahrerlaubnis relevante Umstände hinsichtlich seiner Fahreignung getäuscht hat. So liegt beispielsweise kein für den Antragsteller negatives MPU-Ergebnis vor, insbesondere keines, dass womöglich zeitlich unmittelbar vor dem Ausstellungsdatum der polnischen Fahrerlaubnis liegen würde. Auch die vom 08. August 2005 datierende Auskunft aus dem Verkehrszentralregister weist außer der bekannten Trunkenheitsfahrt keine weiteren Verkehrsverstöße des Antragstellers aus. Nach dem erstinstanzlichen Vorbringen des Antragstellers hat er gegenüber der polnischen Fahrerlaubnisbehörde den Ablauf der Sperrfrist nachweisen müssen. Dies spricht dafür, dass er wahrheitsgemäß die Entziehung seiner Fahrerlaubnis angegeben hat. Wenn die polnischen Behörden insoweit keine weiteren Eignungsnachweise verlangt haben, ist dies deren Sache. Der Antragsgegnerin kommt es mit Blick auf den Anerkennungsgrundsatz insoweit nicht zu, das polnische Verwaltungs verfahren "nachzubessern". Letztlich kann sich die Antragsgegnerin allenfalls darauf berufen, dass dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis - nach Ablauf der Sperrfrist - erteilt worden ist, obwohl die hierfür erforderliche Voraussetzung eines Wohnsitzes in Polen möglicherweise nicht erfüllt gewesen sein könnte. Abgesehen davon, dass dieser Sachverhalt nicht feststeht, ist dieser Gesichtspunkt - wie ausgeführt - grundsätzlich für sich gesehen nicht geeignet, die Annahme eines Rechtsmissbrauchs zu rechtfertigen. ..."

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