Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Stuttgart Beschluss vom 29.11.2006 - 2 Ss 520/06 - Eine tschechische Fahrerlaubnis berechtigt gem. § 28 Abs. 4 FeV nicht zum Fahren in Deutschland, wenn die deutsche Fahrerlaubnis nach der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis entzogen worden ist

OLG Stuttgart v. 29.11.2006: Eine tschechische Fahrerlaubnis berechtigt gem. § 28 Abs. 4 FeV nicht zum Fahren in Deutschland, wenn die deutsche Fahrerlaubnis nach der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis entzogen worden ist




Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 29.11.2006 - 2 Ss 520/06) hat entschieden:

   Eine tschechische Fahrerlaubnis berechtigt gem. § 28 Abs. 4 FeV nicht zum Fahren in Deutschland, wenn die deutsche Fahrerlaubnis nach der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis entzogen worden ist. Dies gilt auch, wenn der Zeitpunkt der Entziehung vor dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik liegt.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Zum Sachverhalt:


Das Amtsgericht Ulm verurteilte den Angeklagten am 1. Februar 2006 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Außerdem wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die unbeschränkte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht Ulm am 18. Juli 2006 mit der Maßgabe, dass die isolierte Sperrfrist auf 1 Jahr und 7 Monate festgesetzt wurde.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten im Jahre 1990 durch die Straßenverkehrsbehörde die Fahrerlaubnis der Klasse 3 entzogen worden. Am 26. Mai 1993 erwarb er die tschechische Fahrerlaubnis der Klassen A und B. Am 28. Mai 1999 wurde ihm erneut eine – deutsche – Fahrerlaubnis erteilt, nachdem er ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt hatte. Weil der Angeklagte wiederum zahlreiche Verkehrsverstöße begangen und mehrere Unfälle verursacht hatte, forderte ihn das Landratsamt Neu-Ulm ab Sommer 2001 wiederholt auf, sich erneut einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen. Da der Angeklagte dieser Aufforderung nicht nachkam, entzog ihm das Landratsamt Neu-Ulm mit Bescheid vom 6. März 2003 die Fahrerlaubnis. Dieser Bescheid ist seit dem 23. April 2003 bestandskräftig. In dem Bescheid vom 6. März 2003 wurde der Angeklagte darauf hingewiesen, dass er mit Zustellung des Bescheids gem. § 4 Abs. 3 Nr. 3 der Verordnung über internationalen Kraftfahrzeugverkehr (IntKfzV) auch nicht mehr berechtigt sei, im Inland mit einer ausländischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge zu führen.

Der Angeklagte wurde seit 1992 u.a. sechs Mal einschlägig wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Zuletzt wurde er aufgrund einer Fahrt am 13. Oktober 2003 auf seine Berufung am 16. Dezember 2004 vom Landgericht Heidelberg zu der Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt. Die Revision gegen dieses Urteil wurde am 6. Mai 2005 vom Oberlandesgericht Karlsruhe verworfen.
Zum vorliegenden Tatgeschehen hat das Landgericht Ulm weiter festgestellt, dass der Angeklagte am 24. August 2005 nach 0 Uhr mit dem PKW , auf der und dem in auf öffentlichen Straßen fuhr, obwohl er – schon jahrelang in wohnend – wusste, dass er wegen der bestandskräftigen Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis vom 6. März 2003 auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen durfte und sich daran auch durch den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Gemeinschaft am 1. Mai 2004 nichts geändert hatte.

Mit seiner zulässigen Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des Landgerichts Ulm aufzuheben und ihn freizusprechen.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... 1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte ohne gültige Fahrerlaubnis i.S.d. § 21 Abs. 1 StVG gefahren ist. Seine deutsche Fahrerlaubnis war ihm mit Bescheid des Landratsamts Neu-Ulm vom 6. März 2003 dauerhaft entzogen worden. Er kann sich nicht darauf berufen, dass er im Besitz einer gültigen EU-Fahrerlaubnis i.S.v. § 28 Abs. 1 FeV ist, die ihn im Inland zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.

Der Beitritt der Tschechischen Republik zur EU am 1. Mai 2004 hat nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG, innerstaatlich umgesetzt durch § 28 FeV, zwar grundsätzlich die Anerkennung der am 26. Mai 1993 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis im Inland zur Folge, die dadurch zu einer EU-Fahrerlaubnis wird. Der Anerkennung stehen Verstöße gegen das Wohnsitzprinzip oder Fehlverhalten vor dem Zeitpunkt der Erteilung einer ausländischen Fahrerlaubnis nicht im Wege. Insoweit verweist die Revision zutreffend auf die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Kapper (NJW 2004, 1725 ff.) und Halbritter (NJW 2006, 2173 ff.).

Die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV unterliegt jedoch den Einschränkungen, die sich aus § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ergeben. Danach gilt die Berechtigung gem. § 28 FeV nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist. Dem Angeklagten wurde durch Bescheid des Landratsamts Neu-Ulm vom 6. März 2003 die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem er das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht hatte. Eine solche Entziehung bewirkt nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV, dass auch der Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis nicht (mehr) berechtigt ist, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist es daher irrelevant, dass die tschechische Fahrerlaubnis bis heute nicht durch einen gesonderten Verwaltungsakt entzogen worden ist.

Der Beitritt der Tschechischen Republik zur EU hat die alte Fahrerlaubnis nicht ab dem Zeitpunkt des Beitritts in eine neue Fahrerlaubnis umgewandelt, sondern er hatte lediglich zur Folge, dass auf die bestehende Fahrerlaubnis der Grundsatz der formalen Anerkennung anzuwenden ist, wie er in der oben zitierten Rechtsprechung des EuGH konkretisiert worden ist. Der Angeklagte steht somit nicht anders als der Inhaber einer Fahrerlaubnis eines „alten“ EU-Mitgliedstaates, wenn diesem nach Erteilung der EU-Fahrerlaubnis im Inland die Fahrerlaubnis entzogen wird. Eine neue Fahrerlaubnis ist dem Angeklagten nach der Anordnung des Landratsamts vom 6. März 2003 ausweislich der Feststellungen des Landgerichts nicht erteilt worden.




Dieses Ergebnis entspricht dem Gemeinschaftsrecht. Art. 8 Abs. 4 S. 1 der Richtlinie 91/439/EWG erlaubt einem Mitgliedstaat der EU, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dann nicht anzuerkennen, wenn auf den Inhaber in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme nach Abs. 2 – hier: Entziehung der Fahrerlaubnis – angewendet wurde. Diese Regelung ist eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie) der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine, der die Freizügigkeit von Personen erleichtern soll, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrerlaubnis erworben haben. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die Ausnahmebestimmungen zu einem in der Richtlinie aufgestellten allgemeinen Grundsatz eng auszulegen. In diesem Sinne hat der EuGH Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG dahingehend interpretiert, dass eine in einem Mitgliedstaat nach dem Ablauf der Sperrfrist erworbene Fahrerlaubnis automatisch im Inland wirksam ist (vgl. auch OLG Saarbrücken, NStZ-RR 2005, 50 ff.; OLG Düsseldorf, DAR 2006, 518 f.). An der grundsätzlichen Befugnis nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG, eine bereits ausgestellte ausländische Fahrerlaubnis dann nicht – mehr – anzuerkennen, wenn die Gründe dafür nach ihrer Erlangung entstanden sind, hat der EuGH nichts geändert (ebenso OLG Düsseldorf, DAR 2006, 519; s. ferner OVG des Saarlandes, zfs 2006, 355 ff.; Otte/Kühner, NZV 2004, 321, 328; Zwerger, zfs 2006, 543, 546).

2. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat, da er sämtliche tatsächlichen Vorgänge kannte.

Soweit das Landgericht den vom Angeklagten geltend gemachten Verbotsirrtum als widerlegt angesehen hat, beruht die Beweiswürdigung auf keiner ausreichenden tatsächlichen Grundlage. Der Angeklagte hatte sich dahingehend eingelassen, dass er aufgrund des Beitritts Tschechiens zur EU am 1. Mai 2004 der Ansicht gewesen sei, mit seinem tschechischen Führerschein wieder am Straßenverkehr in Deutschland teilnehmen zu können, da die Bundesrepublik Deutschland seine tschechische Fahrerlaubnis anerkennen müsse. Diese Fehlvorstellung bezieht sich nicht auf die Tatsachenebene, sondern resultiert aus einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung und kann somit einen Verbotsirrtum begründen. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen, weil ihm seine fehlende Fahrberechtigung aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Heidelberg vom 16. Dezember 2004 bekannt gewesen sei. Für diesen Schluss fehlt es an einer ausreichenden objektiven Grundlage. Es wird nicht mitgeteilt, ob die Frage der Wirksamkeit der tschechischen Fahrerlaubnis vom 26. Mai 1993 überhaupt Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht Heidelberg war und wie die damals ergangene Entscheidung begründet war sowie welche rechtliche Beurteilung dem Angeklagten „vor Augen geführt wurde“. Indessen ergibt sich schon aus dem damals zu beurteilenden Geschehen, dass die jetzt maßgebliche rechtliche Fragestellung seinerzeit nicht entscheidungserheblich war. Zum Zeitpunkt der damaligen Tat im Jahre 2003 – also vor dem Beitritt der Tschechischen Republik zur EU – konnte sich die Frage der gegenseitigen Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis bzw. der Auswirkungen einer Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis auf einen EU-Führerschein noch nicht stellen. Da insoweit gegenteilige Feststellungen ausgeschlossen erscheinen, geht der Senat zugunsten des Angeklagten von einem Verbotsirrtum aus.

Aus den weiteren Feststellungen des Landgerichts ergibt sich jedoch, dass der Verbotsirrtum gem. § 17 StGB für den Angeklagten vermeidbar war. Durch den Hinweis in dem Bescheid des Landratsamts Neu-Ulm vom 6. März 2003 war ihm mitgeteilt worden, dass er mit einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland kein Fahrzeug führen durfte. Dies hätte ihm Anlass geben müssen, sich bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde danach zu erkundigen, inwieweit ihn seine tschechische Fahrerlaubnis nach dem EU-Beitritt der Tschechischen Republik zum Fahren im Inland berechtigte. Von dort hätte er unter Hinweis auf § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV eine negative Antwort erhalten.


III. (folgen Ausführungen zur Strafzumessung)

IV.

Eine Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 EGV ist nicht geboten, denn die Rechtsfrage ist bereits entschieden worden.

Nach Art. 234 EGV steht die verbindliche Auslegung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften allein dem EuGH zu. Auf diese Weise soll die ordnungsgemäße Anwendung und die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden (vgl. EuGHE 1982, 3415 (Cilfit u.a.), Rn. 7). Art. 234 Abs. 3 EGV verpflichtet daher ein nationales Gericht, die Entscheidung des EuGH einzuholen, wenn seine eigene Entscheidung – wie hier bei der Revision – nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann. Durch die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte soll verhindert werden, dass sich eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die nicht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht (s. Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633 m.w.N.). In diesem Sinne ist der EuGH gesetzlicher Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (vgl. BVerfG, NJW 1987, 577 ff.). Für Instanzgerichte gilt ausweislich von Art. 234 Abs. 2 EGV diese strikte Verpflichtung nicht.

Die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV reicht über eine Divergenzvorlage hinaus und greift immer schon ein, wenn eine rechtserhebliche Frage des Gemeinschaftsrechts vom EuGH noch nicht entschieden ist. Obwohl die Entscheidung des EuGH unmittelbar nur in der Sache bindend ist, besteht keine Vorlagepflicht, wenn zu der sich stellenden Frage nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts bereits Rechtsprechung des Gerichtshofs ergangen ist. Dies ist hier der Fall.



In der Rechtssache Halbritter hat der EuGH (a.a.O., Rn. 38) folgendes ausgeführt:

   „Da die beim Entzug seiner deutschen Fahrerlaubnis ausgesprochene Sperrfrist für den Erwerb einer neuen Fahrerlaubnis in Deutschland abgelaufen war, als Herr Halbritter einen neuen Führerschein in Österreich erwarb, kann die Bundesrepublik Deutschland ihre Befugnis nach Art. 8 II der Richtlinie 91/439/EWG, ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf den Inhaber einer in Österreich ausgestellten Fahrerlaubnis, der seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Deutschland genommen hat, anzuwenden, nur im Hinblick auf ein Verhalten des Betroffenen nach dem Erwerb der österreichischen Fahrerlaubnis ausüben. Dazu hat das vorlegende Gericht ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte dahin bestünden, dass die Fahreignung von Herrn Halbritter auf Grund von Umständen in Frage zu ziehen wäre, die nach der Erteilung der österreichischen Fahrerlaubnis eingetreten seien.“

Der Gerichtshof differenziert somit ausdrücklich danach, ob die Umstände, die Zweifel an der Fahreignung begründen, vor dem Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat bestanden – dann darf ihretwegen die Anerkennung nicht versagt werden –, oder ob diese Umstände erst, wie hier, nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis aufgetreten sind. In diesem Fall kann der Mitgliedstaat gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nach seinem innerstaatlichen Recht dem Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis das Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr auf seinem Hoheitsgebiet untersagen. ..."

- nach oben -



Datenschutz    Impressum