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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 15.02.2007 - 7 L 13/07 - Zur Auslegung der EU-Führerschein-Richtlinie und der EuGH-Rechtsprechung

VG Gelsenkirchen v. 15.02.2007: Zur Auslegung der EU-Führerschein-Richtlinie und der EuGH-Rechtsprechung




Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 15.02.2007 - 7 L 13/07) hat entschieden:

   Die Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie dahingehend, dass nach Ablauf einer strafrechtlich gem. § 69 a StGB angeordneten Sperrfrist generell die Befugnis der deutschen Behörden ausgeschlossen sei, wegen der aus dem früheren Verstoß resultierenden Fahreignungszweifel aus Gründen der Gefahrprävention die nachfolgend erlangte ausländische Fahrerlaubnis zu entziehen, ist zu eng und vom EuGH so auch nicht gemeint.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der Antrag,

   die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6. Dezember 2006 wiederherzustellen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig, aber unbegründet. Die Begründung der Vollziehungsanordnung genügt ersichtlich den - formalen - Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Es spricht bei der gebotenen summarischen Prüfung bereits vieles dafür, dass die angefochtene Ordnungsverfügung rechtmäßig ist. Insoweit wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen auf die Gründe der Verfügung des Antragsgegners, denen die Kammer folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).




Zur Vereinbarkeit der hier ausgesprochenen Aberkennung des Rechts, von einer EU-ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, hat die Kammer mit Beschluss vom 2. Juni 2006 - 7 L 621/06 - ergänzend Folgendes ausgeführt:

   +„Es spricht im Lichte der Rechtsprechung des EuGH,

   vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-476/01 - (Fall Kapper), NJW 2004, 1725 ff; EuGH, Beschluss vom 6. April 2006 - C-227/05 - (Fall Halbritter), zitiert nach juris,

vieles dafür, dass die Entscheidung des Antragsgegners auch europarechtskonform ist. Ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG, demzufolge die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden, ist nicht ersichtlich. Denn die Fahrerlaubnisentziehung, die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts hat, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, fußt auf der grundsätzlichen Anerkennung des tschechischen Führerscheins und greift in das Recht, damit in den übrigen EU- Staaten uneingeschränkt und in anderen Ländern nach internationalem und deren nationalem Recht Kraftfahrzeuge führen zu dürfen, gerade nicht ein. Darüber hinaus spricht nach Ansicht der Kammer vieles dafür, dass auch kein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie vorliegt, die es den Mitgliedstaaten ausdrücklich erlauben, in ihrem Hoheitsgebiet ihre nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Der Europäische Gerichtshof hat betont, dass diese Norm als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen sei und dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf sie berufen kann, um einer Person unbegrenzt die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften zu versagen,

   vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rdnrn. 76, 77.

Weiterreichendes hat der EuGH auch nicht in seiner jüngsten Entscheidung „Halbritter" ausgesprochen. Dies zeigt sich bereits an der Wahl des Beschlussverfahrens nach Art. 104 § 3 Abs. 1 der EuGH-Verfahrensordnung, welches gewählt wird, wenn die Antwort auf die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der bisherigen Rechtsprechung (hier der Entscheidung „Kapper") abgeleitet werden kann. Eine hinreichende Vorkehrung gegen eine zeitlich unbegrenzte Verweigerung der Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis bietet aber schon § 28 Abs. 5 FeV, dessen Rechtmäßigkeit der EuGH (a.a.O., Rdnr. 74) nicht in Abrede gestellt hat.




Zu eng ist dagegen die Auslegung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie dahingehend, dass nach Ablauf einer strafrechtlich gem. § 69 a StGB angeordneten Sperrfrist generell die Befugnis der deutschen Behörden ausgeschlossen sei, wegen der aus dem früheren Verstoß resultierenden Fahreignungszweifel aus Gründen der Gefahrprävention die nachfolgend erlangte ausländische Fahrerlaubnis zu entziehen,

   so aber OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. August 2005 - 7 B 11021/05.OVG -, NJW 2005, 3228, m.w.N.




Eine solche generalisierende Aussage hat der EuGH nicht getroffen und sie lässt sich auch nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen."

Diese Maßstäbe, die durch den kürzlich ergangenen Beschluss des EuGH vom 28. September 2006 - C- 340/05 - (Fall L. ) nicht in Frage gestellt werden, gelten auch im vorliegenden Sachverhalt. Im Gegensatz zu den vom EuGH zu entscheidenden Fällen bestehen nämlich beim Antragsteller nach wie vor ganz erhebliche Bedenken gegen seine Kraftfahreignung.

Er ist in der Vergangenheit wegen einer Trunkenheitsfahrt am 18. August 1996 verurteilt worden, bei der eine Blutalkoholkonzentration von 2,38 ‰ festgestellt worden ist. Ihm ist deswegen durch Strafbefehl des Amtsgerichts S. vom 2. Oktober 1996 die Fahrerlaubnis entzogen worden. Im Zuge zweier Wiedererteilungsanträge hat er in den Jahren 1997 und 1998 medizinisch- psychologische Gutachten vorgelegt, aus denen sich seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ergab. In den Gutachten wird deutlich, dass der Antragsteller einerseits schwere, behandlungsbedürftige Alkoholprobleme hatte und mehrfach, auch mit ärztlicher Hilfe, vergeblich versucht hatte, abstinent zu leben, und dass andererseits seine Kraftfahreignung nur dann wieder bejaht werden könnte, wenn er eine verlässliche Abstinenz erreiche. Die Wiedererlangung seiner Kraftfahreignung hat der Antragsteller bislang nicht nachgewiesen, wie dies gemäß § 13 Nr. 2 c) der Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV - erforderlich wäre; vielmehr spricht der Umstand, dass er eine tschechische Fahrerlaubnis erworben hat, deutlich für eine weiterhin bestehende Alkoholproblematik. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner den Antragsteller nicht mehr aufgefordert hat, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, sondern gleich von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen ist. Diese Verfahrensweise entspricht Nr. 4.3 des Erlasses des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 2006 (III B 2-21-06/1). Dem Antragsteller bleibt es aber unbenommen, im Widerspruchsverfahren ein solches Gutachten erstellen zu lassen.



Unabhängig von allem Vorstehenden geht die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW - davon aus, dass auch eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung eindeutig zu Lasten des Antragstellers ausfällt, weil der vorliegende Fall alle wesentlichen Merkmale des sog. Führerscheintourismus aufweist und dem Betroffenen daher die Berufung auf europarechtliche Freiheitsverbürgungen versagt ist.

   Vgl. zuletzt: OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2006 - 16 B 898/06 -, juris.

Der Antragsteller hat sich nicht erkennbar wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen über einen längeren Zeitraum in Tschechien aufgehalten. Zwar hat nach einem Vermerk des Antragsgegners vom 21. November 2006 (Bl. 172 der Verwaltungsvorgänge) ein Bruder des Antragstellers angegeben, der Antragsteller habe einen Nebenwohnsitz in Tschechien und einen tschechischen Ausweis. Davon hat der Antragsteller jedoch selbst nichts berichtet. Insbesondere ergibt sich daraus aber auch nicht, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Tschechien hatte, als er dort die Fahrerlaubnis erwarb. Daher spricht alles dafür, dass er Gemeinschaftsrecht in missbräuchlicher oder betrügerischer Absicht genutzt hat, um sich der Anwendung nationalen Rechts zu entziehen. ..."

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