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Petitionsausschuss des EU-Parlaments 0281/2005: Stellungnahme der Kommission v. 24.05.2006

Petitionsausschuss des EU-Parlaments 0281/2005: Stellungnahme der Kommission v. 24.05.2006




Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Anmerkung:
Am 03./04.10.2006 wurde lt. Tagesordnung die Petition 0281/2005 im Ausschuss behandelt; im Protokoll v. 03.10.2006 heißt es:

   Es sprechen: der Vorsitzende und Alexander von Campenhausen (Vertreter der Kommission).

Beschluss: Die Prüfung der Petition wird abgeschlossen. Es wird ein Schreiben an die deutschen Behörden gerichtet.


MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER

Petition 0281/2005, eingereicht von ..., deutscher Staatsangehörigkeit, betreffend den EU-Führerschein

1. Zusammenfassung der Petition

Unter Bezugnahmen auf die Richtlinie des Rates 91/439/EWG über den Führerschein sowie auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-476/01 (Felix Kapper) protestiert der Petent gegen die Weigerung der deutschen Behörden, seinen tschechischen Führerschein anzuerkennen, den er während seiner Berufstätigkeit in der Tschechischen Republik erworben hat. Er ist der Auffassung, dass die deutschen Behörden aufgrund des Gerichtsurteils die Anerkennung der Gültigkeit seines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht mit der Begründung verweigern können, dass sein deutscher Führerschein eingezogen worden war. Die Rechtsprechung finde auf ihn Anwendung, da sein Führerschein lediglich befristet eingezogen wurde und diese Frist vor Ausstellung seines tschechischen Führerscheins abgelaufen war. Daher ersucht er um möglichst rasche Unterstützung seitens des Europäischen Parlaments.

2. Zulässigkeit

Die Petition wurde am 16. August 2005 für zulässig erklärt. Die Kommission wurde um Auskunft ersucht (Artikel 192 Absatz 4 der Geschäftsordnung).

3. Antwort der Kommission, eingegangen am 24. Mai 2006

Sachverhalt

Am 12. ... 2002 wurde Herrn ... für den Zeitraum von sechs Monaten, d. h. bis zum 12. ... 2002, sein deutscher Führerschein entzogen.

Nach Ablauf dieser Frist konnte der Betreffende unter der Voraussetzung, dass er eine bestandene medizinisch-psychologische Untersuchung nachweisen konnte, einen neuen deutschen Führerschein beantragen.

Am 13. ... 2004, d. h. nach Ablauf der Frist für seinen deutschen Führerschein, erwarb Herr ..., als er sich, wie er erklärte, von Mai 2004 bis Januar 2005 in der Tschechischen Republik aufhielt, einen tschechischen Führerschein.

Nach Deutschland zurückkehrt, verbieten ihm die deutschen Behörden, dass er diesen Führerschein verwendet, um auf deutschen Straßen zu fahren, und fordern ihn erneut auf, sich dieser medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen.

Gemeinschaftsrecht

Mit der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 über den Führerschein wurde der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen ohne Umtauschpflicht und ohne jede Formalität eingeführt. In Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie heißt es hierzu ausdrücklich:
„Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt“.
Ferner regelt die Richtlinie 91/439/EWG in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b, dass die Ausstellung des Führerscheins außerdem vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student - während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten - im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats abhängt. Artikel 9 der besagten Richtlinie definiert den Begriff des ordentlichen Wohnsitzes wie folgt:
„Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.

Als ordentlicher Wohnsitz eines Führerscheininhabers, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Diese Voraussetzung entfällt, wenn sich der Führerscheininhaber in einem Mitgliedstaat zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält. Der Besuch einer Universität oder einer Schule hat keine Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes zur Folge“.
Schließlich kann ein Mitgliedstaat (laut Artikel 8 Absatz 4) es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 desselben Artikels genannten Maßnahmen angewendet wurde. Absatz 2 wiederum regelt, dass der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen kann.

Rechtsprechung

Im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 29. April 2004 (in der Rechtssache C-476/01, Kapper) heißt es:
„Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439 ist so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden“.
In Randnummer 76 dieses Urteils heißt es genauer, dass, da die in Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439/EWG enthaltene Bestimmung eng auszulegen ist, ein Mitgliedstaat sich nicht auf sie berufen kann, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird.

Schließlich obliegt gemäß Randnummer 46 des Urteils Kapper die Prüfung der Wohnsitzvoraussetzung dem Mitgliedstaat, der den Führerschein ausstellt. Wenn im vorliegenden Fall Maßnahmen zu ergreifen waren, so durch die Tschechische Republik, da sie es war, die den Führerschein ausgestellt hat. Deutschland wiederum, das den Führerschein anerkennen muss, kann sich im Bedarfsfall auf die Bestimmungen von Artikel 12 Absatz 3 der Richtlinie 91/439/EWG über den Austausch von Informationen über Führerscheine zwischen den Mitgliedstaaten berufen (siehe Randnummer 48 des Urteils Kapper).

Schlussfolgerung

Die Petition von Herrn ... ist zulässig. Ohne Beurteilung der Erheblichkeit des Wohnsitzkriteriums ergibt sich aus den bekannten, zu den Akten genommenen Unterlagen, dass der tschechische Führerschein, den er am 13. Oktober 2004 erhielt, sowohl unter dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsrechts als auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften von den deutschen Behörden anerkannt werden muss, ohne dass ihm auferlegt wird, sich dieser medizinischpsychologischen Untersuchung zu unterziehen.

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