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VGH München Beschluss vom 13.12.2005 - 11 CS 05.1350 - Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bei Abstinenznachweisen während des Verfahrens

VGH München v. 13.12.2005: Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bei Abstinenznachweisen während des Verfahrens




Der VGH München (Beschluss vom 13.12.2005 - 11 CS 05.1350) hat bei der Überprüfung eines Beschlusses des VG München vom 26.04.2005 - M 6b S 05.603 - u. a. entschieden:

   Besteht ernsthaft die Möglichkeit, dass ein einmaliger Ecstasy-Konsum unbewusst geschehen ist, dann kann die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis unter der Auflage wiederhergestellt werden, dass der Betroffene während des Laufes der aufschiebenden Wirkung Abstinenznachweise erbringt.<

Siehe
Stichwörter zum Thema Drogen
und
Ecstasy (MDMA) im Fahrerlaubnisrecht

Zum Sachverhalt:


Einem Untersuchungsbericht des Universitätsklinikums Jena vom 21. Oktober 2004 zufolge wurden dem 1969 geborenen Antragsteller am 8. August 2004 um 17.59 Uhr zwei Blutproben entnommen, nachdem ein Amphetamintest positiv ausgefallen sei. Die Nasen-Finger-Probe sei unsicher verlaufen; die Ergebnisse aller anderen durchgeführten Tests seien unauffällig gewesen. Insgesamt habe beim Antragsteller keine äußerlich merkbare Beeinflussung vorgelegen. Bei der Untersuchung der Blutproben hätten pro Milliliter Serum 110 ng MDMA (Ecstasy) sowie 13 ng MDA, ferner geringe Mengen von Methamphetamin und Amphetamin nachgewiesen werden können. Zusammenfassend hielt das Universitätsklinikum fest, die Aufnahme von MDMA stehe zweifelsfrei fest; sie dürfte - bezogen auf den Zeitpunkt der Blutentnahme - relativ zeitnah erfolgt sein. Falls eine sehr hohe Dosis aufgenommen worden sei, könnte die Einnahme auch schon einige Zeit zurückgelegen haben.

Durch für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 30. Dezember 2004 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 (einschließlich der Unterklassen) und gab ihm bei Meidung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach der Zustellung des Bescheids bei der Antragsgegnerin abzuliefern. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, sei im vorliegenden Fall nicht zulässig gewesen, da die Nichteignung des Antragstellers im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV aufgrund der untersuchten Blutproben zweifelsfrei feststehe.




Der Antragsteller machte geltend, kein Ecstasy oder Metamphetamine konsumiert zu haben; entweder seien die Blutproben vertauscht worden, oder der Konsum sei unbewusst auf einem Festival erfolgt, indem man ihm das geschmack- und geruchslose Ecstasy aufgelöst in Trinkwasser untergeschoben habe.

Nach erfolglosem Widerspruch hat der Antragsteller Klage erhoben.

Das Verwaltungsgericht lehnte die gleichzeitig beantragte Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klageerhebung ab. Die Beschwerde war teilweise erfolgreich.

Der Behauptung einer Vertauschung der Blutproben brauche wegen völliger Atypizität nur bei ganz besonders dargelegten Umständen nachgegangen zu werden.

Der VGH war aber mit ausführlicher Begründung der Meinung, es lasse sich nicht widerlegen, dass der Ecstasy-Konsum unbewusst erfolgte und stellte die aufschiebende Wirkung wieder her, allerdings unter der Auflage, während des Schwebezustandes einen einjährigen Abstinenznachweis oder wahlweise sofort eine positive MPU beizubringen.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die zulässige Beschwerde ist mit der Maßgabe begründet, dass die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit einer Auflage zu Lasten des Antragstellers zu verbinden war. Denn die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids muss aus gegenwärtiger Sicht als ungeklärt angesehen werden. Die Interessenabwägung, auf die es bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ausschlaggebend ankommt, führt zu dem Ergebnis, dass es verantwortet werden kann, dem Antragsteller das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr einstweilen weiterhin zu ermöglichen, sofern durch fortlaufende, engmaschige Kontrollen über einen ausreichend langen Zeitraum hin gewährleistet ist, dass er sich des Konsums derjenigen Betäubungsmittel enthält, deren Einnahme er wegen des Vorfalls am 8. August 2004 verdächtig ist.

1. Angesichts der insoweit eindeutigen Aussagen im Schreiben des Universitätsklinikums Jena vom 21. Oktober 2004 muss - jedenfalls im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes - davon ausgegangen werden, dass sich am 8. August 2004 im Körper des Antragstellers das Betäubungsmittel MDMA befand. Denn seine Einlassung, die Blutproben, auf die sich jener Untersuchungsbericht bezieht, würden nicht von ihm stammen, hat er in keiner Weise substantiiert. Eine Verwechslung von Blutproben stellt einen hochgradig atypischen Sachverhalt dar, so dass der Beteiligte, der eine derartige Gegebenheit behauptet, konkret und nachvollziehbar dartun muss, warum es in seinem Fall zu einem solchen Ablauf gekommen sein soll. Solange es an einem diesbezüglichen, durch geeignete Nachweise untermauerten Vortrag fehlt (vgl. zur Obliegenheit der Beteiligten an einem Verwaltungsverfahren, an der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken und die ihnen bekannten Tatsachen und Beweismittel anzugeben, Art. 26 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayVwVfG), besteht für die Behörde keine Veranlassung, ihrerseits einschlägige Ermittlungen anzustellen. Vorliegend kommt hinzu, dass der Antragsteller der Überlegung des Verwaltungsgerichts, durch ein Sachverständigengutachten klären zu lassen, ob die im Universitätsklinikum Jena aufbewahrten Blutproben von ihm stammen (vgl. die gerichtliche Anfrage vom 27.4.2005), mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 30. Mai 2005 ausdrücklich entgegengetreten ist.

Nach gegenwärtiger Lage der Akten erscheint es jedoch nicht ausgeschlossen, dass die weitere Einlassung des Antragstellers, er habe am 7. oder 8. August 2004 unwissentlich MDMA konsumiert, zutreffen könnte. Sollte es sich so verhalten, könnte nicht davon ausgegangen werden, er werde (auch) künftig unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen.

Der Antragsteller hat einen Sachverhalt vorgetragen, der es als möglich - wenn auch keineswegs als gesichert - erscheinen lässt, dass er unwissentlich Ecstasy zu sich genommen haben könnte. Insbesondere hat er eine plausible Erklärung dafür gegeben, warum ihm während des Wochenendes, das der Blutentnahme vorausging, von unbekannten Dritten Getränke zur Verfügung gestellt worden sein sollen, die mit Ecstasy versetzt gewesen sein könnten. Es ist nachvollziehbar, dass sich diejenigen Teilnehmer des Festivals, die sich in dessen Verlauf in größerer Zahl wegen der im Bereich des Antragstellers und seiner Bekannten vorhandenen Annehmlichkeiten (Verfügbarkeit eines Kühlschranks, von Sitzmöbeln, eines Musikgeräts etc.) zu ihm gesellt haben sollen, ihrerseits Getränke mit sich geführt und diese - möglicherweise als "Gegenleistung" - dem Antragsteller angeboten haben. Angesichts der von ihm geschilderten Gegebenheiten ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass er versehentlich eines der von dritter Seite mitgebrachten Getränke zu sich genommen haben könnte. Da sowohl allgemein- als auch gerichtsbekannt ist, dass auf Veranstaltungen der inmitten stehenden Art Ecstasy konsumiert zu werden pflegt, liegt es ferner nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass dieses Betäubungsmittel in einem oder einigen der Getränke aufgelöst gewesen sein könnte, die aus dem Besitz Dritter stammten. Der vorliegende Fall unterscheidet sich somit nicht unerheblich von der Sachverhaltsgestaltung, die dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. November 2004 (ZfS 2005, 158) zugrunde lag: Der Antragsteller des dort zu entscheidenden Verfahrens konnte gerade nicht nachvollziehbar darstellen, warum ihm ein unbekannter Dritter Ecstasy, das in einem Getränk gelöst war, überlassen haben sollte. Anders als in einer Diskothek, in der die Gäste nicht ohne weiteres Gelegenheit finden, unbeobachtet ein Betäubungsmittel in einem Trinkglas aufzulösen (vgl. auch dazu VGH BW vom 22.11.2004, a.a.O., S. 160), lässt sich dieser Vorgang in einem Campinglager vergleichsweise unschwer ohne Wahrnehmung von dritter Seite vornehmen, zumal dort in der Regel nicht mit Kontrollen durch einen Gastwirt bzw. dessen Mitarbeiter zu rechnen ist, die bei nachgewiesener Duldung von Betäubungsmittelstraftaten mit dem Entzug ihrer Gaststättenerlaubnis rechnen müssen.




Dem Antragsteller kann ferner nicht durchgreifend entgegengehalten werden, er müsste, um die bei ihm nachgewiesene Konzentration von 110 ng MDMA pro Milliliter Serum zu erreichen, ein mit Ecstasy versetztes Getränk in überaus großer Menge zu sich genommen haben. Wurde die für eine solche MDMA-Konzentration notwendige halbe (so Dr. Sch.) oder ganze (so die vom Verwaltungsgericht am 5.4.2005 fernmündlich konsultierten Auskunftspersonen) Tablette mit einem Wirkstoffgehalt von 50 mg MDMA nämlich nur in wenig Flüssigkeit aufgelöst, so kann bereits ein kleiner Schluck genügen, um diese Wirkstoffmenge aufzunehmen. Da Ecstasy in gelöstem Zustand geschmacks- und geruchsneutral ist (vgl. die auf der Rückseite von Blatt 39 der Akte des Verwaltungsgerichts festgehaltene fernmündliche Auskunft einer Mitarbeiterin des Münchener Universitätsinstituts für Rechtsmedizin vom 5.4.2005), muss derzeit davon ausgegangen werden, dass der Trinkende dieses Betäubungsmittel auch dann nicht wahrnimmt, wenn es in hoher Konzentration in einer Flüssigkeit aufgelöst wurde. Nur ergänzend ist deshalb darauf zu verweisen, dass angesichts der vom Antragsteller für das fragliche Wochenende behaupteten hochsommerlichen Temperaturen und des daraus resultierenden gesteigerten Flüssigkeitsbedarfs auch bei einem höheren Verdünnungsgrad die Zufuhr von MDMA in einem Umfang erklärbar ist, der zu der festgestellten Konzentration dieses Wirkstoffs im Blutserum führen konnte. Nimmt man hinzu, dass dieses Betäubungsmittel nach den Angaben im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. November 2004 (ebenda) nicht nur in Tabletten mit 50 mg, sondern auch in Einheiten mit bis zu 150 mg Wirkstoff anzutreffen ist, so verbietet sich auch unter diesem Blickwinkel der Schluss, der Antragsteller müsse, um die bei ihm festgestellte MDMA-Konzentration zu erreichen, Flüssigkeit in einer Menge zu sich genommen haben, deren Konsum nach den konkreten Umständen nicht unterstellt werden kann.

Bestätigt werden könnte die Richtigkeit seiner Schilderung ferner durch den Umstand, dass sich die am 8. August 2004 durchgeführte Polizeikontrolle offenbar auch auf Alkohol erstreckte (vgl. die diesbezügliche knappe Angabe im Untersuchungsbericht vom 21.10.2004), ohne dass hierbei, soweit ersichtlich, beim Antragsteller nachteilige Befunde erhoben wurden. Sollte deshalb davon auszugehen sein, dass er sich - wie von ihm vorgetragen - am 8. August 2004 im Hinblick auf die an jenem Tag anstehende Rückfahrt von der Veranstaltung und die von ihm erwarteten Polizeikontrollen bewusst des Genusses alkoholischer Getränke enthalten hat, so erschiene es wenig schlüssig, hätte er andererseits Ecstasy eingenommen.

Dem Antragsteller kann nach derzeitiger, vorläufiger Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs wohl auch nicht entgegengehalten werden, er sei deswegen fahrungeeignet, weil er - selbst wenn der Konsum von Ecstasy unbewusst erfolgt sein sollte - die Wirkungen dieser Droge verspüren musste, ohne dass ihn das davon abhielt, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu lenken. Da in der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung die Sachverhaltsgestaltungen, aus denen die mangelnde Fahreignung einer Person folgen kann, nicht abschließend umschrieben werden (vgl. das Wort "insbesondere" in § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV), erscheint es grundsätzlich vorstellbar, dass jemand deshalb als fahrungeeignet angesehen werden muss, weil er sich - fahrlässig oder bedingt vorsätzlich handelnd - der ihm möglichen Einsicht verschlossen hat, dass er seinem Körper unwissentlich ein Rauschmittel zugeführt haben könnte. Vorliegend hat der vom Verwaltungsgericht fernmündlich konsultierte Mitarbeiter des Universitätsklinikums Jena zwar erklärt, bei einer Person, die Ecstasy erstmalig konsumiere, sei es sehr wahrscheinlich, dass die Wirkung dieser Droge verspürt werde. Andererseits hat es die gleichfalls vom Verwaltungsgericht befragte Mitarbeiterin des Instituts für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität immerhin als "theoretisch möglich" angesehen, dass der euphorisierende Effekt von MDMA dann nicht bemerkt werden könnte, wenn sich der Konsument ohnehin in einer gehobenen Stimmung befindet. Berücksichtigt man, dass die Menge, die sich im Körper des Antragstellers befand, gemessen an den Werten, die nach den nicht evident unglaubwürdigen Angaben von Dr. Sch. in zahlreichen anderen Fällen festgestellt wurden, gering war, so lässt es sich nicht ausschließen, dass die Wirkung, die dieses Betäubungsmittel im vorliegenden Fall entfaltete, so schwach gewesen sein könnte, dass der Antragsteller sie u. U. nicht wahrgenommen hat. Hierfür spricht nachhaltig, dass die ärztlichen Untersuchungen, denen er sich ausweislich der Angaben im Schreiben des Universitätsklinikums Jena vom 21. Oktober 2004 zu unterziehen hatte, mit Ausnahme der Nasen-Finger-Probe unauffällig verliefen und sie zu dem Ergebnis führten, dass bei ihm "keine äußerlich merkbare Beeinflussung" vorlag. Durch die eidesstattlichen Versicherungen, die im Laufe des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht vorgelegt wurden, wird zusätzlich bestätigt, dass beim Antragsteller damals keine Verhaltensauffälligkeiten bemerkbar waren. Auch wenn diese Bekundungen von Personen stammen, die dem Antragsteller nahe stehen, spricht für ihre Glaubwürdigkeit, dass sie mit den Angaben im Untersuchungsbericht vom 21. Oktober 2004 inhaltlich übereinstimmen.

Aber selbst dann, wenn der Antragsteller eine bei ihm ggf. bestehende gehobene Stimmung hätte bemerken müssen (sie kann nach dem Vorgesagten schwerlich den Grad einer persönlichkeitsfremden Exaltiertheit o. ä. erreicht haben), steht derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass sich ihm der Schluss aufdrängen musste, dieser Umstand könnte auf einen vorangegangenen, unbewussten Betäubungsmittelkonsum zurückzuführen sein. Denn auch ein Teilnehmer an einer Veranstaltung der vorliegend inmitten stehenden Art muss ohne hinreichend triftigen Grund nicht davon ausgehen, er habe seinem Körper unbeabsichtigt Drogen zugeführt.

Die übrigen Angaben in den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen bestätigen das sich aus dem Vorstehenden ergebende Bild zusätzlich. Von Gewicht sind namentlich die darin enthaltenen Erklärungen, denen zufolge der Antragsteller generell drogenfrei lebe; es spricht vor diesem Hintergrund keine gesteigerte Wahrscheinlichkeit dafür, dass er - noch dazu im Vorfeld einer langen Autofahrt, auf der er die Verantwortung für Beifahrer trägt - bewusst ein Betäubungsmittel einnimmt, da ein solcher Konsum insbesondere bei nicht drogengewöhnten Personen unkontrollierbare Folgen zeitigen kann.




Bei zusammenschauender Würdigung all dieser Umstände kann nicht davon gesprochen werden, die mangelnde Fahreignung des Antragstellers stehe, wie das die Antragsgegnerin und die Widerspruchsbehörde angenommen haben, derzeit im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV fest. Vielmehr liegt lediglich ein Fall vor, bei dem Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV). Da der Verdacht des Betäubungsmittelkonsums, der aus dem Schreiben des Universitätsklinikums Jena vom 21. Oktober 2004 resultiert, durch die vorstehend erörterten Gesichtspunkte nur erschüttert, nicht aber widerlegt wird, hätte die Antragsgegnerin die ihr zugegangenen Informationen zum Anlass nehmen müssen, um dem Antragsteller, gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV, die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens darüber aufzugeben, ob er tatsächlich Betäubungsmittel einnimmt oder nicht.




Der Umstand, dass eine dahingehende Anordnung nicht erging, sondern stattdessen die Nichteignung des Antragstellers bereits als erwiesen angesehen wurde, stellt allerdings einen bloßen Verfahrensmangel dar, ohne dass hieraus bereits zwingend die materielle Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 30. Dezember 2004 und des zugehörigen Widerspruchsbescheids folgt. Sollte eine nachträgliche Aufklärung des Sachverhalts nämlich ergeben, dass der Antragsteller im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (d.h. bei Erlass des Widerspruchsbescheids; vgl. BVerwG vom 27.9.1995 BVerwGE 99, 249/250) fahrungeeignet ist, weil er entweder (auch) damals Betäubungsmittel eingenommen oder er dieses Verhalten bis dahin zwar eingestellt hat, ohne dass bereits der erforderliche einjährige Abstinenzzeitraum verstrichen ist (vgl. Nummer 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung), eine nach dieser Bestimmung ggf. erforderliche Entgiftung und Entwöhnung aussteht oder der Einstellungswandel im Umgang mit Betäubungsmitteln noch nicht als nachhaltig und tiefgreifend angesehen werden kann, so wäre ihm die Fahrerlaubnis, da insoweit eine gebundene Entscheidung inmitten steht, im Ergebnis zu Recht entzogen worden (vgl. Art. 46 BayVwVfG). Das Resultat etwaiger diesbezüglicher Ermittlungen entzieht sich derzeit indes ebenso einer Prognose wie die Beantwortung der Frage, ob derartige retrospektive Feststellungen überhaupt noch möglich sind.

An dem Befund, dass die Rechtmäßigkeit des Ausgangs- und des Widerspruchsbescheids gegenwärtig als ungeklärt angesehen werden muss, ändert der Umstand nichts, dass sich die Antragsgegnerin bei Erlass des erstgenannten Verwaltungsakts als zu einem Vorgehen nach § 11 Abs. 7 FeV berechtigt ansehen durfte, da der Antragsteller im Rahmen der Anhörung vor Bescheidserlass keinen Sachverhalt vorgetragen hatte, der geeignet war, die Aussagekraft des Untersuchungsberichts vom 21. Oktober 2004 in Frage zu stellen, und auch unabhängig hiervon keine Anhaltspunkte für einen unbewussten Drogenkonsum erkennbar waren. Denn die Frage, ob ein Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist, beantwortet sich ausschließlich nach objektiven Kriterien, nicht aber danach, ob den handelnden Amtsträger bei seinem Erlass ein Verschuldensvorwurf trifft.

2. Ist der Ausgang des anhängigen Hauptsacherechtsstreits mithin als offen anzusehen, so hat sich die vom Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung maßgeblich an einer Abwägung der Belange zu orientieren, die für bzw. gegen die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids vom 30. Dezember 2004 sprechen.

Zugunsten des Antragstellers fällt insoweit ins Gewicht, dass er bereits seit langer Zeit eine Fahrerlaubnis besitzt und er nach Aktenlage bisher im Straßenverkehr nicht nachteilig in Erscheinung getreten ist. Dieser Umstand lässt es grundsätzlich als verantwortbar erscheinen, ihm vorläufig weiterhin das erlaubnispflichtige Führen von Kraftfahrzeugen zu ermöglichen. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass gegen ihn nach wie vor der nicht widerlegte Verdacht im Raum steht, Konsument harter Drogen zu sein; sollte sich dieser Verdacht als zutreffend erweisen, ginge die motorisierte Verkehrsteilnahme durch ihn mit einem erheblichen Gefährdungsmoment einher. Dieser Verdacht kann umso weniger von der Hand gewiesen werden, als im Kraftfahrzeug des Antragstellers am 28. Februar 1996 Marihuana aufgefunden wurde. Auch wenn dadurch ein (früherer) Betäubungsmittelkonsum durch ihn nicht belegt wird, ergibt sich daraus ein Anhaltspunkt dafür, dass er jedenfalls in der Vergangenheit in Kontakt zum Drogenmilieu stand.

Pflichtgemäße Ausübung des Ermessens, das den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO zusteht, gebietet es daher einerseits, die aufschiebende Wirkung der anhängigen Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen, diesen Ausspruch jedoch gemäß § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO mit Auflagen zu verbinden, durch die sichergestellt wird, dass sich der Antragsteller während der Geltungsdauer der aufschiebenden Wirkung des Betäubungsmittelkonsums enthält. Von den zu diesem Zweck in Betracht kommenden Maßnahmen - nämlich der Untersuchung von Blut, von Urin oder von Haaren auf Betäubungsmittelrückstände - erachtet der Verwaltungsgerichtshof im gegebenen Fall die zweitgenannte Alternative für die sachgerechteste Kautel. Denn die vorliegend vor allem belangreichen Substanzen Amphetamin, Methamphetamin, MDMA und MDE lassen sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand des Gerichts in Haaren nur dann nachweisen, wenn sie in einer gewissen Häufigkeit (etwa einmal pro Woche) eingenommen werden (vgl. Möller in Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 2005, § 3, RdNr. 161); bei Cannabis soll das sogar erst ab einem mehrmals pro Woche stattfindenden Konsum der Fall sein (vgl. Möller, a.a.O., § 3, RdNr. 160). Haaruntersuchungen würden deshalb keine ausreichende Vergewisserung darüber erlauben, ob sich der Antragsteller des Konsums derjenigen Betäubungsmittel, deren Gebrauch in seinem Fall in nähere Erwägung zu ziehen ist, vollständig enthält. Da die Abbaugeschwindigkeit von Drogen im Blut höher ist als im Urin (vgl. Möller, a.a.O., § 3, RdNrn. 109, 113 bis 117, 124), ist einer Untersuchung der letztgenannten Körperflüssigkeit der Vorzug zu geben. Im Hinblick darauf, dass auch durch Urinanalysen die Einnahme von Betäubungsmitteln nur während einer begrenzten Zeitspanne festgestellt werden kann, die sich bei Cannabis auf eine bis zwei Wochen, bei den übrigen Drogen in der Regel nur auf bis zu etwa vier Tagen beläuft (Möller, a.a.O., § 3, RdNr. 148), müssen derartige Kontrollen, soll durch sie der Nachweis der Betäubungsmittelabstinenz in verlässlicher Weise erbracht werden, engmaschig stattfinden. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet vorliegend in Übereinstimmung mit seiner Spruchpraxis in anderen Fällen (vgl. zuletzt BayVGH vom 30.11.2005 Az. 11 CS 05.1464) einmonatige Intervalle für ausreichend, angesichts der kurzen Abbauzeiten aber auch für geboten. Da auch bei Anwendung eines derart engmaschigen Netzes durch die einzelne Urinprobe der Nachweis des (unterbliebenen) Drogenkonsums nur für eine begrenzte Zeit vor der Gewinnung des Analysematerials geführt werden kann, muss zusätzlich gefordert werden, dass die Einbestellung des Probanden zur Urinabgabe kurzfristig und für ihn unvorhersehbar, insbesondere zu wechselnden Zeitpunkten innerhalb der Monatsintervalle, stattfindet. Als "kurzfristig" kann die Spanne, die zwischen dem Erhalt der Vorladung vor den die Uringewinnung überwachenden Arzt und diesem Vorgang liegt, dann gelten, wenn sie so bemessen ist, dass eine gezielte Abstinenz die Untersuchungsergebnisse nicht mehr beeinflussen kann.

Angesichts der Gegebenheiten des konkreten Falles entspricht es pflichtgemäßer Ermessensausübung, den Kreis der Betäubungsmittel, auf die sich die Urinuntersuchungen zu erstrecken haben, auf die in der Nummer II.2 des Beschlusstenors genannten Stoffe zu begrenzen, wobei sich das Gericht von dem Ziel leiten ließ, die wichtigsten "Designer-Drogen" (vgl. die Aufzählung bei Möller, a.a.O., § 3, RdNr. 31) zu erfassen. Denn nur hinsichtlich dieser Substanzen sowie des leicht zugänglichen Betäubungsmittels Cannabis besteht ein hinreichend gewichtiger Verdacht, dass der Antragsteller sie entweder konsumiert hat oder auf sie ausweichen könnte.


Die Forderung, dass die beizubringenden Bescheinigungen eine Aussage über die ordnungsgemäße Beschaffenheit der Urinprobe enthalten müssen, dient zusammen mit der Vorgabe, dass die Urinabgabe unter der Sichtkontrolle eines Arztes zu erfolgen hat, dem Anliegen, die insoweit bestehenden Manipulationsmöglichkeiten (vgl. Möller, a.a.O., § 3, RdNr. 149) auszuschließen. Die gemäß der Nummer II.2 des Beschlusses vorzulegenden Befundberichte werden sich deshalb u.a. dazu zu äußern haben, ob die Urinprobe in nicht mehr normgerechter Weise verdünnt war.

Im Interesse der Gewinnung möglichst verlässlicher Untersuchungsergebnisse hält es der Verwaltungsgerichtshof für angezeigt, den Kreis der Ärzte, unter deren Verantwortung der Antragsteller die Urinproben abgeben muss, auf die in der Nummer II.1 des Beschlusstenors bezeichneten Personen zu beschränken. Wenn dem Antragsteller - über die bisherige Spruchpraxis in vergleichbaren Fällen (vgl. zuletzt BayVGH vom 30.11.2005, a.a.O.) hinausgehend - die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Urinabgaben auch vor an Gesundheitsämtern oder sonst in der öffentlichen Verwaltung tätigen Ärzten vorzunehmen, so erwächst diesen hieraus keine Verpflichtung, einem solchen Ersuchen nachzukommen; eine Beeinträchtigung der von diesem Personenkreis vorrangig wahrzunehmenden Dienstaufgaben ist deshalb nicht zu besorgen.

Obwohl vorliegend kein Fall inmitten steht, in dem über die Wiedergewinnung einer nachweislich bereits verloren gegangenen Fahreignung zu befinden ist, erachtet es der Verwaltungsgerichtshof für interessengerecht, die Geltungsdauer der festgesetzten Auflage in Rückgriff auf die in der Nummer 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung enthaltene normative Wertung auf längstens ein Jahr festzusetzen. Sollte bis dahin die aufschiebende Wirkung nicht ohnehin (z.B. wegen Ablaufs der in § 80 b Abs. 1 VwGO bezeichneten Zeitspanne oder im Gefolge einer Aufhebung des Ausgangsbescheids durch die Antragsgegnerin) entfallen sein, kann nach dem Ablauf dieses Jahres mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller tatsächlich drogenfrei lebt.

Der Umstand, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 2. November 2005 die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgegeben hat, rechtfertigt kein anderes Ergebnis der Interessenabwägung. Denn aus dieser Anordnung geht nicht hervor, dass sich der Antragsteller - noch dazu über eine längere Zeit hinweg - Urin- (oder Haar-)analysen unterziehen muss. Nur auf diese Weise aber lassen sich die Gefahren, die mit einem Konsum von Betäubungsmitteln durch ihn während der Dauer der aufschiebenden Wirkung einhergehen können, hinreichend sicher ausschließen. Andererseits ist es, so lange die Einnahme von Betäubungsmitteln durch den Antragsteller nicht feststeht, unverhältnismäßig, von ihm zu verlangen, dass er sich auch einer psychologischen Begutachtung unterzieht; die Befugnis, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten zu verlangen, erkennt die Rechtsordnung (vgl. § 13 Nr. 2, § 14 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 FeV) wegen des damit einhergehenden gesteigerten Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Betroffenen der öffentlichen Gewalt nur zu, wenn bereits feststeht, dass er Rauschmittel (soweit erforderlich: in einer mit den Geboten des Straßenverkehrsrechts unvereinbaren Weise) konsumiert hat, und darüber zu befinden ist, ob er im Hinblick hierauf die Fahreignung noch besitzt oder sie wieder erlangt hat.



Nur ergänzend ist anzumerken, dass die Gutachtensanforderung vom 2. November 2005 auch dann nicht als rechtens angesehen werden könnte, wenn der Standpunkt der Antragsgegnerin, der Konsum eines Betäubungsmittels durch den Antragsteller sei bereits erwiesen, als zutreffend unterstellt würde. Da der Antragsteller unter dieser Voraussetzung die Fahreignung verloren hätte, könnte die Gutachtensanforderung nur dem Ziel dienen, ihre Wiedergewinnung festzustellen. Das aber setzt nach der Nummer 9.5 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung den Nachweis einer einjährigen Abstinenz voraus. Da der Antragsteller diesen Nachweis bisher noch nicht erbracht hat (die von Dr. Sch. vorgelegten Laborblätter sind in diesem Zusammenhang unbehelflich), muss die Gutachtensanforderung einschließlich der zur Vorlage des Gutachtens gesetzten Frist diesem normativen Erfordernis Rechnung tragen. Wird die Zeitspanne, innerhalb derer ein Gutachten vorzulegen ist, das dem Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung nach vorangegangenem Betäubungsmittelkonsum dienen soll, so knapp bemessen, dass sich bis zu ihrem Ablauf der von Rechts wegen erforderliche Abstinenznachweis nicht führen lässt, so zieht das die Rechtswidrigkeit der Gutachtensanforderung nach sich.

Der Antragsteller steht deshalb nicht vor der Notwendigkeit, zwei unterschiedlichen Aufforderungen nachkommen zu müssen, die auf die Klärung bzw. Sicherstellung seiner Fahreignung abzielen. Da die Anordnung der Antragsgegnerin rechtswidrig ist, kann er sie unbeachtet lassen, ohne deswegen befürchten zu müssen, dass diese nunmehr gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung schließt (vgl. zuletzt BVerwG vom 9.6.2005 DAR 2005, 578/579; BVerwG vom 9.6.2005 DAR 2005, 581). Entscheidet er sich demgegenüber dafür, das mit Schreiben vom 2. November 2005 angeforderte Gutachten beizubringen, und sollte die Antragsgegnerin diese Ausarbeitung, sofern sie für den Antragsteller ungeachtet der gegenwärtig fehlenden Nachweisführung einer einjährigen Drogenabstinenz günstig ausfällt, zum Anlass nehmen, um die Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, so entfällt die Verpflichtung des Antragstellers, der im vorliegenden Beschluss enthaltenen Auflage nachzukommen, da deren Geltungsanspruch sich auf die Dauer der aufschiebenden Wirkung beschränkt. Um den Beteiligten insoweit eine Abklärung der weiteren Vorgehensweise zu ermöglichen, wurde die Frist zur erstmaligen Einreichung der Ergebnisse eines Drogenscreenings auf den 28. Februar 2006 (d.h. auf die Zeit nach der etwaigen Vorlage des von der Antragsgegnerin geforderten Fahreignungsgutachtens) festgesetzt.

Soweit der Antragsteller die auflagenfreie Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der anhängigen Klage erstrebt hat, war die Beschwerde, da eine solche Entscheidung nicht interessengemäß wäre, zurückzuweisen. ..."

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