1. |
Voraussetzung für die Zuständigkeit des Gerichtshofes zur Vorabentscheidung ist nur, dass die vorgelegte Frage klar erkennbar die Auslegung des Vertrages betrifft.
|
2. |
Die Erwägungen, von denen das nationale Gericht bei der Formulierung seiner Frage ausgegangen ist, sowie die Erheblichkeit, die es dieser Frage im rahmen eines bei ihm anhängigen Rechtsstreites beimisst, sind im Verfahren der Vorabentscheidung der Nachprüfung durch den Gerichtshof entzogen (vgl. Leitsatz Nr . 4 des Urteils in der Rechtssache 13/61). Zur Erhebung und Beurteilung von Tatsachen ist der Gerichtshof im Verfahren nach Artikel 177 des Vertrages nicht befugt.
|
3. |
Die europäische Wirtschaftsgemeinschaft stellt eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts dar, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrecht eingeschränkt haben; eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt.
|
4. |
Wenn der EWG-Vertrag in den Artikeln 169 und 170 der Kommission und den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, den Gerichtshof anzurufen, falls ein Staat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, so wird dadurch den einzelnen nicht das Recht genommen, sich gegebenenfalls vor dem nationalen Richter auf diese Verpflichtungen zu berufen.
| 5. |
Nach dem Geist, der Systematik und dem Wortlaut des EWG-Vertrages ist Artikel 12 dahin auszulegen, dass er unmittelbare Wirkungen erzeugt und individuelle Rechte begründet, welche die staatlichen Gerichte zu beachten haben.
|
6. |
Aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung von Artikel 12 des Vertrages ergibt sich, dass bei der Feststellung, ob Zölle und Abgaben gleicher Wirkung entgegen dem in der genannten Vorschrift enthaltenen Verbot erhöht worden sind, von den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages tatsächlich angewandten Zöllen und Abgaben ausgegangen werden muss (vgl . Leitsatz Nr . 1 des Urteils in der Rechtssache 10/61). Aus der Auslegung der Artikel 12 und 14 des EWG-Vertrages nach ihrem Wortlaut ergibt sich, dass mit der Formel "angewandte Zollsätze" im Sinne dieser Artikel nicht die gesetzlich anwendbaren, sondern die tatsächlich angewandten Zollsätze gemeint sind. Diese Auslegung wird durch Artikel 19 Absatz 2 Unterabsatz 3 des EWG-Vertrages bestätigt; obwohl diese Vorschrift nur für den gemeinsamen Zolltarif gilt, hat sie eine über dieses Teilgebiet hinausgehende Bedeutung, denn sie gestattet den Schluss, dass sich die Verfasser des Vertrages des Unterschieds zwischen den gesetzlich anwendbaren und den tatsächlich angewandten Zollsätzen bewusst waren und mit den Worten " angewandte Zollsätze " die tatsächlich angewandten Zollsätze meinten.
| 7. |
Die Belastung eines und desselben Erzeugnisses mit einem höheren Zoll nach dem Inkrafttreten des EWG-Vertrages stellt eine unerlaubte Erhöhung im Sinne von Artikel 12 des Vertrages dar, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Erhöhung sich aus einer Erhöhung des Zollsatzes im eigentlichen Sinne oder aus einer Neugliederung des Tarifs ergibt, welche die Einordnung des Erzeugnisses in eine höher belastete Tarifnummer zur Folge hat.
|