Das Verkehrslexikon

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Europäischer Gerichtshof Beschluss vom 28.09.2006 - C-340/05 - Zur Anerkennung europäischer Führerscheine und zur Unzulässigkeit weiterer Überprüfungsmaßnahmen auch beim Fehlen einer im Inland nach Entzug der Fahrerlaubnis festgesetzten Sperrfrist -

EuGH v. 28.09.2006: Zur Anerkennung europäischer Führerscheine und zur Unzulässigkeit weiterer Überprüfungsmaßnahmen auch beim Fehlen einer im Inland nach Entzug der Fahrerlaubnis festgesetzten Sperrfrist




Der Europäische Gerichtshof (Beschluss vom 28.09.2006 - C-340/05) hat für den Fall, dass eine inländische Fahrerlaubnis ohne Sperrfrist entzogen und danach ein EU-Führerschein erworben wurde, entschieden:

   Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 geänderten Fassung verwehrt es einem Mitgliedstaat, das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheitsgebiet nicht anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins, auf den im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früher erteilten Fahrerlaubnis ohne gleichzeitige Anordnung einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewendet worden ist, die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Beschluss:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 1 Absatz 2 und 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. Juni 1997 (ABl. L 150, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen des Verfahrens über eine Revision, die Herr Kremer, der deutscher Staatsangehöriger ist und in Deutschland wohnt, beim Oberlandesgericht München eingelegt hat, nachdem er zu einer Freiheitsstrafe wegen wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden war; die zuständigen Behörden waren der Ansicht, dass er seit der Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis nicht mehr zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland berechtigt sei, und hatten es abgelehnt, die Gültigkeit der Fahrerlaubnis anzuerkennen, die ihm später in Belgien ausgestellt worden war.




Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:

   „(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. …

(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt. …“

4 Nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie 91/439 hängt die Ausstellung des Führerscheins außerdem „vom Bestehen einer Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, vom Bestehen einer Prüfung der Kenntnisse und von der Erfüllung gesundheitlicher Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III“ und „vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student - während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten - im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats“ ab.

5 Artikel 7 Absatz 5 der Richtlinie lautet: „Jede Person kann nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein“.

6 Artikel 8 der Richtlinie 91/439 sieht vor:

   „(1) Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen; es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, gegebenenfalls zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist.

(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

...

(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.

Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den eine solche Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.

…“




Nationales Recht

7 Die im Ausgangsverfahren einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften sind enthalten in der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr oder Fahrerlaubnisverordnung vom 18. August 1998 (BGBl. 1998 I S. 2214) in der durch die Verordnung vom 25. Februar 2000 (BGBl. 2000 I S. 141) geänderten Fassung (im Folgenden: FeV), im Straßenverkehrsgesetz (im Folgenden: StVG) und im Strafgesetzbuch (im Folgenden: StGB).

8 § 2 StVG bestimmt:

   „(1) Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde). … … (4) Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. … … (8) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb einer angemessenen Frist beibringt. …“

9 In § 21 StVG heißt es:

   „(1) Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde). …



(4) Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. …



(8) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung des Bewerbers begründen, so kann die Fahrerlaubnisbehörde anordnen, dass der Antragsteller ein Gutachten oder Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr innerhalb einer angemessenen Frist beibringt. …“

„(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat …



(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen wird bestraft, wer eine Tat nach Absatz 1 fahrlässig begeht, ....

…“

10 In Teil II Kapitel 5 der FeV mit der Überschrift „Sonderbestimmungen für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse“ bestimmt Artikel 28 mit der Überschrift „Anerkennung von Fahrerlaubnissen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union [EU] oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum [EWR]“:

   „(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.



(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,



denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,



(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Abs. 4 Nr. 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. § 20 Abs. 1 und 3 gilt entsprechend.“

11 § 20 FeV bestimmt:

   „(1) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung … gelten die Vorschriften für die Ersterteilung.

(2) Die Fahrerlaubnisbehörde kann auf eine Fahrerlaubnisprüfung verzichten, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die … erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. …

(3) Unberührt bleibt die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5.“




Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

12 Herrn Kremer wurde vom Oberkreisdirektor Euskirchen mit Verfügung vom 25. Januar 1996, bestandskräftig seit 1. März 1996, die Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nach wiederholter Begehung verkehrsrechtlicher Verstöße entzogen. Seinen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis lehnte der Oberkreisdirektor Euskirchen nach einer medizinisch-psychologischen Begutachtung mit Verfügung vom 13. Dezember 1996, bestandskräftig seit 17. Januar 1997, ab, da die Bedenken gegen die Kraftfahreignung nach Auswertung des Untersuchungsergebnisses nicht ausgeräumt waren.

13 Herr Kremer erwarb am 10. Mai 1999 eine Fahrerlaubnis in Belgien; eine Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis war von einem deutschen Gericht nicht verhängt worden.

14 Am 28. Juli 2000 wurde Herr Kremer vom Amtsgericht Schleiden wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - Tatzeit 15. Oktober 1999 - zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 70 DM verurteilt. Außerdem wurde die Entziehung seiner belgischen Fahrerlaubnis ausgesprochen und eine Fahrerlaubnissperre bis zum 8. Dezember 2001 verhängt. In den Urteilsgründen wird u. a. ausgeführt, Herr Kremer habe nach Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis - unter Beibehaltung seines Erstwohnsitzes in Deutschland - formal einen Zweitwohnsitz in Belgien begründet, um dort eine Fahrerlaubnis zu erwerben. Aus § 28 Absatz 4 Nummer 3 FeV ergebe sich, dass Herr Kremer nicht berechtigt sei, mit der belgischen Fahrerlaubnis Fahrzeuge in Deutschland zu führen, da ihm die deutsche Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden sei.

15 Wegen erneuten vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - Tatzeit 20. November 2001 - wurde Herr Kremer am 26. Juni 2002 vom Amtsgericht Schleiden neuerlich verurteilt, in diesem Fall zu sechs Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung (Bewährungszeit drei Jahre), die belgische Fahrerlaubnis wurde erneut entzogen und eine Fahrerlaubnissperre dieses Mal bis zum 25. September 2003 festgesetzt.

16 Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Schleiden vom 30. Dezember 2002 wurde Herr Kremer ein weiteres Mal wegen der gleichen Tat - Tatzeit 17. Juni 2002 - zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt, die belgische Fahrerlaubnis wurde entzogen und es wurde eine Fahrerlaubnissperre bis zum 2. April 2005 verhängt.

17 Mit einer vierten Entscheidung verurteilte das Amtsgericht Ingolstadt Herrn Kremer am 26. April 2004 wegen des gleichen Verstoßes - Tatzeit 15. Oktober 2003 - zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und ordnete eine Fahrerlaubnissperre von 15 Monaten an.

18 Die Berufungen von Herrn Kremer und der Staatsanwaltschaft gegen diese Entscheidung verwarf das Landgericht Ingolstadt mit Urteil vom 14. Oktober 2004. Herr Kremer legte daraufhin gegen dieses Urteil Revision beim Oberlandesgericht München ein.

19 Vor dem vorlegenden Gericht wendet sich Herr Kremer vor allem gegen die erste Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 28. Juli 2000 und die hierbei erfolgte Entziehung seiner belgischen Fahrerlaubnis, weil er bei der ihm angelasteten Fahrt im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis gewesen sei. Die belgische Fahrerlaubnis habe ihn nämlich ohne vorherige Durchführung eines Anerkennungsverfahrens berechtigt, in Deutschland ein Fahrzeug zu führen. Die Nichtanerkennung dieser Fahrerlaubnis durch die deutschen Behörden verletze Gemeinschaftsrecht. Aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 29. April 2004 in der Rechtssache C‑476/01 (Kapper, Slg. 2004, I‑5205) folge nämlich, dass Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439 so auszulegen sei, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen dürfe, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet worden sei, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen sei, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sei.


20 Herr Kremer betonte weiter, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des belgischen Führerscheins keine durch ein deutsches Strafgericht verhängte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gegen ihn bestanden habe. Soweit § 28 FeV es gestatte, ihm die aufgrund seines belgischen Führerscheins bestehende Fahrerlaubnis zu verweigern, sei er unbeachtlich, weil er gegen Gemeinschaftsrecht verstoße. Die nachfolgenden Verurteilungen beruhten letztlich auf der gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden Nichtanerkennung der belgischen Fahrerlaubnis durch die deutschen Gerichte.

21 Das Oberlandesgericht München führt aus, dass das Urteil Kapper, auf das sich Herr Kremer berufe, in der deutschen Rechtsprechung und dem deutschen Schrifttum zu einer Kontroverse geführt habe, ob § 28 Absatz 4 Nummer 3 FeV, auf den das Amtsgericht Schleiden die Nichtanerkennung der belgischen Fahrerlaubnis von Herrn Kremer gestützt habe, mit der Richtlinie 91/439 vereinbar sei oder nicht und - falls nicht - durch welche Einschränkung seines Anwendungsbereiches Richtlinienkonformität hergestellt werden könne. Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass nach der fraglichen Bestimmung die Berechtigung nach § 28 Absatz 1 FeV, aufgrund einer ausländischen Fahrerlaubnis Fahrzeuge in Deutschland im Umfang dieser Fahrerlaubnis zu führen, insbesondere nicht für Inhaber eines von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellten gültigen Führerscheins gelte, denen die Fahrerlaubnis entweder vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen, oder denen sie bestandskräftig versagt worden sei, wie im Fall des Herrn Kremer.

22 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Ausgangsverfahren den Fall betreffe, dass einer Person in einem Mitgliedstaat (Aufnahmestaat) durch die Verwaltungsbehörden wegen Eignungsmängeln die Fahrerlaubnis aberkannt oder der Erwerb einer solchen versagt worden sei, dass der Neuerwerb einer Fahrerlaubnis im Aufnahmestaat davon abhängig sei, dass der Antragsteller seine Eignung durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung nach den Regeln dieses Mitgliedstaats nachweise, dass diese Person diesen Nachweis nicht führe und dass sie in der Folgezeit - ohne dass eine Sperrfrist des Aufnahmestaats gelaufen sei - die Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat (Ausstellungsstaat) erwerbe.

23 Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht München beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
   Lässt Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439/EWG in einem derartigen Fall eine gesetzliche Regelung des Aufnahmestaats zu, wonach von der Fahrerlaubnis des Ausstellungsstaats nur auf Antrag und nach Prüfung, ob die Voraussetzungen der Maßnahme nach Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie entfallen sind, im Aufnahmestaat Gebrauch gemacht werden darf, oder folgt aus dem Gebot der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen nach Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie sowie aus dem Gebot, Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie eng auszulegen, dass der Aufnahmestaat die Gültigkeit der Fahrerlaubnis ohne Vorschaltung eines Kontrollverfahrens anerkennen muss und dass ihm lediglich die Befugnis zusteht, das Recht zum Gebrauch der Fahrerlaubnis im Aufnahmestaat abzuerkennen, sofern Gründe (fort-) bestehen, die die Anwendung von Maßnahmen nach Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie rechtfertigen?

Zur Vorlagefrage

24 Kann die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden, so kann der Gerichtshof gemäß Artikel 104 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist und auf die betreffende Rechtsprechung verweist.

25 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie 91/439 einem Mitgliedstaat verwehrt, das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheitsgebiet nicht anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins, auf den im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früher erteilten Fahrerlaubnis ohne gleichzeitige Anordnung einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewendet worden ist, die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.


26 Der Gerichtshof hat die Bestimmungen der FeV in Verbindung mit den Artikeln 1 Absatz 2 und 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439 in dem erwähnten Urteil Kapper und in dem Beschluss vom 6. April 2006 in der Rechtssache C‑227/05 (Halbritter, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) bereits geprüft.

27 Nach gefestigter Rechtsprechung sieht Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor und erlegt den Mitgliedstaaten damit eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (Urteile vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C‑230/97, Awoyemi, Slg. 1998, I‑6781, Randnrn. 41 und 42, sowie vom 10. Juli 2003 in der Rechtssache C‑246/00, Kommission/ Niederlande, Slg. 2003, I‑7485, Randnrn. 60 und 61; vgl. auch Beschlüsse vom 11. Dezember 2003 in der Rechtssache C‑408/02, Da Silva Carvalho, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20, vom 29. Januar 2004 in der Rechtssache C‑253/01, Krüger, Slg. 2004, I‑1191, Randnr. 25, und Halbritter, Randnr. 25). Daraus ergibt sich insbesondere, dass, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt sind, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (Beschluss Halbritter, Randnr. 34).

28 Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass Artikel 8 Absatz 4 Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439, soweit er einem Mitgliedstaat erlaubt, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dann nicht anzuerkennen, wenn auf dessen Inhaber in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der Fahrerlaubnis angewendet wurde, eine Ausnahme von dem in Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine darstellt und demnach eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Kapper, Randnrn. 70 und 72, sowie Beschluss Halbritter, Randnr. 26).

29 In Randnummer 76 des Urteils Kapper hat der Gerichtshof daraus gefolgert, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie berufen kann, um einer Person, auf die eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Wurde auf eine Person in einem Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis zusammen mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis angewendet, so erlaubt es Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439 diesem Mitgliedstaat nicht, nach Ablauf der Sperrfrist die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins, der dieser Person nach Ablauf dieser Frist von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde, abzulehnen.

30 Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, der den Schlussstein des mit der Richtlinie 91/439 eingeführten Systems darstellt, würde nämlich geradezu negiert, hielte man einen Mitgliedstaat für berechtigt, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern (Urteil Kapper, Randnr. 77).

31 Die Rechtssache Halbritter betraf eine Person, die, nachdem auf sie in Deutschland eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis zusammen mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewendet worden war, später nach Ablauf dieser Sperrfrist in Österreich eine Fahrerlaubnis erhielt. In Randnummer 29 des Beschlusses Halbritter hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf die ihnen mit Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 eingeräumte Befugnis, auf Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden, sowie die Befugnis nach Absatz 4 dieses Artikels, die Anerkennung der Gültigkeit eines solchen Führerscheins einer Person zu verweigern, auf die in ihrem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 dieses Artikels genannten Maßnahmen angewandt wurde, berufen können, um die Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat nach der Sperrfrist erworbenen Führerscheins nicht anzuerkennen.

32 Aus derselben Randnummer des Beschlusses Halbritter ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht die Erfüllung der Bedingungen verlangen kann, die sein eigenes nationales Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis aufstellt.

33 In Randnummer 37 jenes Beschlusses hat der Gerichtshof insbesondere entschieden, dass, wenn der Inhaber eines gültigen Führerscheins, der in einem Mitgliedstaat ausgestellt wurde, nachdem die Sperrfrist für den Erwerb einer neuen Fahrerlaubnis, die auf den Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, abgelaufen war, in letzterem Mitgliedstaat seinen Wohnsitz hat, dieser auch dann keine erneute Überprüfung der Fahreignung des Betroffenen verlangen kann, wenn die nationalen Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaats aufgrund von Umständen, die zum Entzug einer früheren Fahrerlaubnis geführt hatten, eine solche Prüfung vorschreiben, sofern diese Umstände vor der Ausstellung des neuen Führerscheins bestanden.

34 Diese Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 91/439 ist erst recht geboten, wenn die Maßnahme des Entzugs der ursprünglichen Fahrerlaubnis nicht mit einer Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verbunden war, was im Ausgangsverfahren der Fall ist. Es steht nämlich fest, dass gegen Herrn Kremer beim Entzug seiner deutschen Fahrerlaubnis im Jahr 1996 keine Fahrerlaubnissperre verhängt wurde. Die verschiedenen Verurteilungen von Herrn Kremer mit Fahrerlaubnissperren während eines bestimmten Zeitraums wurden alle nach dem Erwerb des Führerscheins in Belgien ausgesprochen, der ausgestellt wurde, als keine Fahrerlaubnissperre gegen ihn ausgesprochen war.



35 Da bei Entzug der deutschen Fahrerlaubnis von Herrn Kremer keine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland angeordnet worden war, könnte die Bundesrepublik Deutschland ihre Befugnis, nach Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/439 ihre innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis auf ihn anzuwenden, nur aufgrund des Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des Führerscheins in Belgien ausüben.

36 In dieser Hinsicht hat das vorlegende Gericht nichts angeführt, was die Fahreignung von Herrn Kremer auf der Grundlage von Umständen, die nach Erwerb dieses Führerscheins aufgetreten sind, in Zweifel ziehen könnte. Vielmehr wurde ihm nur zur Last gelegt, dass er in Deutschland ein Kraftfahrzeug geführt habe, ohne Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein, denn der in Belgien erworbene Führerschein wurde aus dem Grund nicht anerkannt, dass die Bedingungen nicht beachtet worden seien, die nach deutschem Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis gälten.

37 Nach alledem erweist sich, dass die deutschen Behörden in einem Kontext wie dem des Ausgangsverfahrens verpflichtet sind, die Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ohne vorherige Prüfung anzuerkennen, wenn keine Fahrerlaubnissperre bestand. Insbesondere können diese Behörden die Anerkennung der Fahrerlaubnis aufgrund dieses Führerscheins nicht von dem Erfordernis einer neuerlichen Fahreignungsprüfung des Inhabers abhängig machen, selbst wenn die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Überprüfung unter Umständen vorschreiben, die mit denen identisch sind, die zum Entzug einer früheren Erlaubnis geführt haben, wenn diese Umstände vor der Ausstellung eines neuen Führerscheins vorgelegen haben.

38 Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass es Artikel 1 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie 91/439 einem Mitgliedstaat verwehrt, das Recht zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins und damit dessen Gültigkeit in seinem Hoheitsgebiet nicht anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins, auf den im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs einer früher erteilten Fahrerlaubnis ohne gleichzeitige Anordnung einer Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis angewendet worden ist, die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen. ..."

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