Das Verkehrslexikon

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OLG Köln Urteil vom 12.09.2005 - 16 U 36/05 - Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO begründet für den Geschädigten einen Gerichtsstand an seinem Wohnort

OLG Köln v. 12.09.2005: Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO begründet für den Geschädigten einen Gerichtsstand an seinem Wohnort


Das OLG Köln (Urteil vom 12.09.2005 - 16 U 36/05) hat entschieden:

   Entgegen der bisherigen herrschenden Meinung in der Literatur legt der Senat Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO dahingehend aus, dass die Vorschrift des Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO auf den Geschädigten entsprechend Anwendung findet und für diesen einen Klägergerichtsstand an seinem Wohnort begründet.

Anmerkung:
Der BGH (Vorlagebeschluss vom 26.09.2006 - VI ZR 200/05) hat die strittige Auslegungsfrage dem EuGH vorgelegt.
Der EuGH (Urteil vom 13.12.2007 - C-463/06) hat entschieden und sodann urteilte der BGH (Urteil vom 06.05.2008 - VI ZR 200/05) endgültig.

Siehe auch
Unfälle mit Auslandsberührung
und
Nationaler und internationaler Gerichtsstand für Kfz-Haftpflichtklagen

Zum Sachverhalt:


Der Kläger machte gegen die Beklagte, die niederländische Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28.12.2003 in den Niederlanden auf der A 76 zwischen Maastricht und Aachen ereignete.

Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.04.2005 wegen fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Das OLG hat mit Zwischenurteil die Klage für zulässig gehalten und die Revision zugelassen.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu bejahen. Sie ist aus Artikel 11 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO herzuleiten.

Gemäß Artikel 11 Absatz 2 EuGVVO ist auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, u. a. Artikel 9 EuGVVO anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage - wie auch vorliegend (vgl. Artikel 7 Nr. 2 WAM-Gesetz über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom 30.05.1963) - zulässig ist. Die Verweisung bedeutet nach Rechtsauffassung des Senates, dass Artikel 9 Absatz 1 b EuGVVO auf den Geschädigten entsprechend anwendbar sein soll, was zur Folge hat, dass er die Direktklage an seinem eigenen Wohnsitz erheben kann.

Diese Auslegung entspricht dem ausdrücklichen Willen des europäischen Verordnungsgebers und ist mit dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie deren Zweck und Entstehungsgeschichte vereinbar.


Der Wille des Verordnungsgebers kommt eindeutig in der Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.05.2005 zum Ausdruck. Hiernach wird u. a. die Richtlinie 2000/26/EG vom 16.05.2000 (zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung...) geändert und um folgende Erwägung ergänzt:

   "(16 a): Nach Artikel 11 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 1 b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kann der Geschädigte den Haftpflichtversicherer in dem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagen."

Der Entwurf dieser legislativen Entschließung des Europäischen Parlamentes stammt von dem Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, in dessen Bericht vom 10.10.2003 - A 5-0346/2003 - die entsprechende Änderung der vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie vom 16.05.2000 damit begründet wurde, dass nach der am 22.12.2000 verabschiedeten EuGVVO für den Geschädigten in dem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, ein Gerichtsstand gegen den Haftpflichtversicherer begründet worden sei und es deshalb erforderlich erscheine, auf diese "neue Rechtslage" in einer Erwägung hinzuweisen.

Dieser nachträglich geäußerte Wille des Verordnungsgebers steht im Einklang mit Sinn und Zweck der gegenüber dem EuGVÜ geänderten Vorschriften der EuGVVO. In Artikel 9 Absatz 1 b EuGVVO wurde im Bereich der Versicherung die Zuständigkeit des Gerichts an dem Ort, an dem der Kläger seinen Sitz hat, neben dem Versicherungsnehmer auf den Versicherten und den Begünstigten ausgedehnt. Sinn und Zweck dieser Neuregelung war es, den Schutz der gegenüber dem Versicherer schwächeren Partei zu stärken (so die Begründung des Verordnungsentwurfs durch die Kommission, KOM 1999 (348) sowie der Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 18.09.2000 über diesen Vorschlag - A5-0346/2003). Der Schutz der schwächeren Partei rechtfertigt aber gleichermaßen auch bei Klagen des Unfallopfers die Einräumung eines Klägergerichtsstandes, da sich dieses ebenfalls gegenüber dem Versicherer in einer schwächeren Position befindet und bei einem Unfall im Ausland besonders schutzbedürftig ist.



Der Wille des europäischen Verordnungsgebers, wie er ihn in der fünften Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, wird von dem Wortlaut des Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO auch gedeckt und kommt in ihm objektiviert zum Ausdruck. Die Verweisung auf die Vorschrift des Artikel 9 EUGVVO kann nach allgemeinen methodischen Grundsätzen auch ohne eine ausdrückliche Anordnung in dem Sinn verstanden werden, dass Artikel 9 Absatz 1 b auf den Geschädigten entsprechend anwendbar sein soll.

Da nach Artikel 20 Absatz 3 GG die Rechtsprechung "an Gesetz und Recht gebunden" ist, darf der Senat sich nunmehr nach Veröffentlichung der Richtlinie 2005/14/EG vom 11.05.2005 über den eindeutigen Willen des Europäischen Parlamentes und des Rates, wie er im Wortlaut des Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO zum Ausdruck kommt, nicht hinwegsetzen. Entgegen der bisherigen herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Artikel 11 Rdz. 4; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Artikel 11 Rdz. 16; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., § 3 Rdz. 101) legt der Senat deshalb Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO dahingehend aus, dass die Vorschrift des Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO auf den Geschädigten entsprechend Anwendung findet und für diesen einen Klägergerichtsstand an seinem Wohnort begründet (im Ergebnis ebenso Riedmeyer DAR 2004, 205 ; Lemor/Becker DAR 2004, 205 ). ..."

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