Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe (Beschluss vom 29. 10. 2004 - 1 Ss 121/04 - Zum Fahrverhalten beim Grünpfeil

OLG Karlsruhe v. 29.10.2004: Zum Fahrverhalten beim Grünpfeil und zur Einstellung des Verfahrens wegen weitgehender Unbekanntheit der Regelung noch im Jahre 2004


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 29. 10. 2004 - 1 Ss 121/04) hat in Übereinstimmung mit der herrschen Rechtsprechung entschieden, dass dann, wenn eine Fußgänger- oder Radfahrerfurt vorhanden ist, bei Vorhandensein eines Grünpfeils gem. § 37 StVO (Z. 720) bereits vor der Haltelinie angehalten werden muss. Merkwürdigerweise meint das Gericht, dass auch nach mehr als 15 Jahren nach der Vereinigung der Grünpfeil vielen Verkehrsteilnehmern noch unbekannt sei, und hat daher in dem zur Beurteilung anstehenden Fall das Verfahren eingestellt.
  1. Bei Ampelanlagen mit nicht leuchtendem Grünpfeil muss ein Fahrzeugführer bereits an der Haltelinie sein Fahrzeug zum Stehen bringen, wenn sich an der Kreuzung auch eine Fußgängerfurt befindet und diese in den Schutzbereich der Lichtzeichenanlage mit einbezogen ist. Das spätere Anhalten an der sog. Sichtlinie ist deshalb nicht genügend.

  2. Aus diesem Grund hat der Fahrzeugführer bei Rotlicht sein Fahrzeug grundsätzlich an der Haltelinie vor der Fußgängerfurt zunächst zum Stehen zu bringen und darf erst nach dem Anhalten weiterfahren und in die Kreuzung einbiegen, wobei er sich so zu verhalten hat, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer ausgeschlossen ist.

  3. Eine gerichtliche Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG wird immer dann in Betracht zu ziehen sein, wenn eine Ahndung der Tat der ansonsten üblichen Verwaltungspraxis widersprechen würde, denn solche internen Richtlinien und Weisungen sollen gerade die gleichmäßige Behandlung aller Bürger gewährleisten.

Siehe auch Der Grünpfeil und Einstellung des Verfahrens wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit


Sachverhalt: Das AG verurteilte den Betr. am 26. 4. 2004 wegen fahrlässigen Abbiegens nach rechts bei rotem Lichtzeichen mit rechts daneben angebrachtem Grünpfeil zu der Geldbuße von Euro 50, weil er am 4. 12. 2003 in P. an der Kreuzung M.-Straße/K.straße mit seinem Pkw nach rechts abgebogen war, ohne an der Haltelinie der dortigen Kreuzung anzuhalten. Die Rechtsbeschwerde des Betr. führte zur Einstellung des Verfahrens.


Aus den Entscheidungsgründen:

Der Senat hält eine Ahndung des Verkehrsverstoßes nicht für geboten.

1. Entgegen der Ansicht des Betr. liegt ein solcher jedoch vor. Wie in der Rspr. obergerichtlich geklärt ist – der Senat sieht zur Abweichung hiervon keinen Anlass –, muss ein Verkehrsteilnehmer bei Ampelanlagen mit nicht leuchtendem Grünpfeil entsprechend der Bestimmung des § 37 Abs. 2 Nr. 8 StVO bereits an der Haltelinie sein Fahrzeug zum Stehen bringen, wenn sich an der Kreuzung auch eine Fußgängerfurt befindet und diese – wie hier – in den Schutzbereich der LZA mit einbezogen ist (vgl. KG VRS 88, 477 ff. m.w.N. auch zur Entstehungsgeschichte der Norm; VG Berlin NZV 1997, 327 f.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, StVO, § 37 Rdn. 53). Das spätere Anhalten des Betr. an der sog. Sichtlinie genügte deshalb nicht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass gerade dem Schutz von Fußgängern und Fahrradfahrern als oftmals schwächsten und nicht wahrgenommenen Verkehrsteilnehmern besondere Bedeutung zukommt. Aus diesem Grund hat der Fahrzeugführer bei Rotlicht sein Fahrzeug grundsätzlich an der Haltelinie vor der Fußgängerfurt zunächst zum Stehen zu bringen und darf erst – wie sich aus dem Wortlaut der Norm ergibt – nach dem Anhalten weiterfahren und in die Kreuzung einbiegen, wobei er sich so zu verhalten hat, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (§ 37 Abs. 1 Nr. 8 StVO).

2. Wie gerichtsbekannt, hält die zuständige Ordnungsbehörde der Stadt P. im Rahmen des ihr zustehenden Verfolgungsermessens in vergleichbaren Fällen jedoch eine Ahndung derartiger Verkehrsverstöße dann nicht für veranlasst, wenn ein bloßes Überrollen der Haltelinie oder ein Kolonnenverkehr vorliegt (Urt. des AG Pforzheim vom 18. 6. 2004, 4 OWi 82 Js 3392/04; Senat 1 Ss 147/04). Eine gerichtliche Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG wird jedoch immer dann in Betracht zu ziehen sein, wenn eine Ahndung der Tat der ansonsten üblichen Verwaltungspraxis widersprechen würde, denn solche internen Richtlinien und Weisungen sollen gerade die gleichmäßige Behandlung aller Bürger gewährleisten (vgl. OLG Hamm zfs 1993, 285; OLG Braunschweig NStZ 2003, 95 f.; KKOWiG-Bohnert, 2. Aufl. 2000, § 47 Rdn. 106; Göhler, OWiG, 13. Aufl. 2002, § 47 Rdn. 9).

Nach den getroffenen gerichtlichen Feststellungen hat der Betr. vorliegend die Haltelinie aber langsam überfahren und dann sogar an der Sichtlinie angehalten. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft vermag der Senat aus der unterschiedlichen Wortwahl keinen wesentlichen sachlichen Unterschied abzuleiten, da unter „langsam fahren” und auch ein bloßes „Überrollen” verstanden werden kann.

Ein Absehen von der Verfolgung – eine bloße Reduzierung der Geldbuße ist im Zulassungsverfahren nicht möglich – erschien auch sachgerecht. Zwar wiegt der Verkehrsverstoß – auch ohne konkrete Feststellung einer Gefährdung von Fußgängern – nicht unerheblich. Zu sehen ist jedoch, dass vielen auch sich um verkehrsgerechte Fahrweise bemühenden Verkehrsteilnehmern die Regelung in § 37 Abs. 2 Nr. 8 StVO nicht bekannt ist und sie im Glauben sind, sich durch ein Anhalten an der Sichtlinie normgerecht zu verhalten. Wohl aus diesem Grund sind bereits an vielen vergleichbaren Kreuzungen mit Grünpfeil entsprechende Hinweisschilder mit Aufdruck: „Bei Abbiegen nach rechts Stop an der Haltelinie” angebracht worden. Dass eine solche Tafel an der besagten Kreuzung ebenfalls aufgestellt gewesen wäre, ist den getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen. Zwar ergibt sich hieraus kein Hinweis auf sachwidrige Erwägungen der Bußgeldbehörde. Indes ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen, dass es sich bei der Kreuzung um einen besonderen Unfallschwerpunkt handeln würde und deshalb Kontrollmaßnahmen dringend geboten gewesen wären.



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