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Kammergericht Berlin Urteil vom 31.10.1994 - 12 U 4031/93 - Keine Mithaftung eines nicht deliktfähigen Kleinkindes für das Verschulden von Begleitpersonen

KG Berlin v. 31.10.1994: Keine Mithaftung eines nicht deliktfähigen Kleinkindes für das Verschulden von Begleitpersonen


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 31.10.1994 - 12 U 4031/93) hat entschieden:
  1. Ein nicht deliktsfähiges Kleinkind braucht sich weder sein eigenes Verhalten noch das seiner volljährigen Begleitperson im Verhältnis zum Unfallgegner (Kraftfahrer) anspruchsmindernd anrechnen zu lassen.

  2. Eine Mithaftung des nicht deliktsfähigen Kindes kommt auch nach BGB §§ 254, 829 regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Unfallgegner haftpflichtversichert ist.

  3. Zur Höhe des Schmerzensgeldes bei Verletzung eines Kleinkindes (hier: 8.000 DM bei Oberschenkelfraktur rechts, Prellungen; Krankenhausbehandlung von acht Wochen, davon 6 1/2 Wochen in Rückenlage mit hochgelagerten, extendierten Beinen; anschließende krankengymnastische Behandlung; leichter Dauerschaden).

Siehe auch Unfälle mit Kindern Siehe auch Zum Haftungsprivileg für Kinder und zur Haftung von Jugendlichen


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Entgegen der Auffassung des LG ist die Haftung der Bekl. gegenüber der KI. wegen des Verkehrsunfalls am 15.3.1991 (§§ 7 Abs. 1 StVG, 823, 847 BGB, 3 Nr. 1 und 2 PfIVG) nicht wegen eines der KI. zuzurechnenden Mitverschuldens (§§ 9 StVG, 254 BGB) auf 50 % eingeschränkt, sondern besteht in voller Höhe. Denn die im Unfallzeitpunkt drei Jahre und neun Monate alte KI. war nach § 828 Abs. 1 BGB nicht deliktsfähig und braucht sich daher weder ihr eigenes Verhalten noch das ihrer Großmutter als Begleitperson als Mitverschulden anspruchsmindernd anrechnen zu lassen.

1. Der Kl. kann ihr eigenes Verhalten nicht als Mitverschulden angerechnet werden, da sie im Unfallzeitpunkt nicht die erforderliche Zurechnungsfähigkeit besaß. Da Haftungsbegründung und Haftungsbegrenzung korrespondieren, sind die §§ 827, 828 BGB für die Frage der Zurechnungsfähigkeit im Bereich des Mitverschuldens entsprechend anzuwenden (RGZ 108, 89; BGHZ 9. 316 = VersR 53, 243; 24, 325; VersR 57, 455; BGH VersR 73, 925; 75, 133).

Zwar sind grundsätzlich auch die Regeln der Billigkeitshaftung des § 829 BGB entsprechend anwendbar (BGHZ 37, 102 = VersR 62, 635; BGH VersR 64, 385; FamRZ 65, 265); nach ständiger Rechtsprechung erscheint es jedoch angemessen, gerade bei der im Rahmen des § 254 BGB nur entsprechenden Heranziehung der Vorschrift des § 829 BGB um so größere Zurückhaltung zu üben, da der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift ... die Billigkeit einer Schadloshaltung nicht nur rechtfertigt, sondern nach den gesamten Umständen des Falls erfordert, was nicht der Fall ist. wenn der KI. wie hier haftpflichtversichert ist (BGHZ 73. 190 = VersR 79, 421; BGH VersR 75, 133; 82, 441: OLG Karlsruhe NJW-RR 90. 137)

...

2. Die Kl. muß sich ein Verhalten ihrer Großmutter als Begleitperson ebenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens nach §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 und 2 S. 2 BGB schadensmindernd anrechnen lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung (seit RGZ 62, 107) besteht zwar Einigkeit darüber, daß die Vorschrift des § 254 Abs. 2 S. 2 BGB sich auch auf das Mitverschulden im haftungsbegründenden Vorgang (§ 254 Abs. 1 BGB) bezieht. der Geschädigte sich also ein Mitverschulden von Hilfspersonen i.S.d. § 278 BGB (gesetzliche Vertreter und Erfüllungsgehilfen) auch bei der Schadensentstehung zurechnen lassen muß. Voraussetzung für die Anwendung des § 278 BGB ist jedoch das Bestehen vertraglicher Beziehungen oder einer sonstigen rechtlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien im Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses; bestehen derartige Beziehungen nicht, kann nach ständiger Rechtsprechung lediglich § 831 BGB (Haftung für Verrichtungsgehilfen) entsprechend angewandt werden (BGHZ 1, 248; 73, 190 = VersR 79, 421 = NJW 79, 973; 103, 338 = VersR 88, 632).

Mangels vertraglicher Beziehungen der Parteien im Unfallzeitpunkt kommt eine Zurechnung eines denkbaren Mitverschuldens der Begleitperson der KI. nur nach § 831 BGB in Betracht. Diese Vorschrift regelt die Haftung des Geschäftsherrn, die sich auf die Vermutung seines eigenen Verschuldens bei der Auswahl oder Leitung der Hilfsperson sowie der Kausalität gründet. Infolgedessen entfällt eine Haftung aus § 831 Abs. 1 BGB von vornherein, wenn der Geschäftsherr nach § 828 Abs. 1 BGB deliktsunfähig ist (vgl. nur Palandt/Thomas, BGB 53. Aufl. 1994 § 831 Rdn. 1). Denn § 831 BGB beruht nicht auf den Grundsätzen der Gefährdungshaftung, sondern auf einem vermuteten Verschulden des Geschäftsherrn. Da die KI. im Unfallzeitpunkt nach § 828 Abs. 1 BGB nicht deliktsfähig war, kann ihr auch nicht über § 831 BGB ein etwaiges Mitverschulden ihrer Begleitperson entgegengehalten werden.

3. Etwaige Sorgfaltspflichtverletzungen der Begleitperson sind der Kl. auch nicht unter dem Gesichtspunkt der “Haftungseinheit" zuzurechnen (vgl. dazu BGH VersR 78, 735 = NJW 78, 2392). Denn die nichtdeliktsfähige KI. hat den Unfall nicht in zurechenbarer Weise mitverursacht: sie kann daher nicht in einer Zurechnungseinheit mit ihrer Großmutter stehen (vgl. BGHZ 103, 338 = VersR 88, 632; BGH VersR 74, 34; OLG Düsseldorf VersR 82, 300). ..."



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