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Landgericht Trier Urteil vom 03.11.2003, Az. 1 S 104/03 - Haftungsprivilegierung setzt voraus, dass sich das Kraftfahrzeug in Bewegung befand

LG Trier v. 03.11.2003: Haftungsprivilegierung setzt voraus, dass sich das Kraftfahrzeug in Bewegung befand


Das Landgericht Trier (Urteil vom 03.11.2003, Az. 1 S 104/03) hat entschieden:
Voraussetzung der Haftungsprivilegierung im Sinne des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, dass sich das Kraftfahrzeug in Bewegung, es sich also im sogenannten "fließenden" Verkehr befindet.


Siehe auch Unfälle mit Kindern Siehe auch Zum Haftungsprivileg für Kinder und zur Haftung von Jugendlichen


Zum Sachverhalt: Der 9-jährige Beklagte zu 1), sein Zwillingsbruder und ein Klassenkamerad veranstalteten auf der Fahrbahn der Straße ein Wettrennen mit ihren Kickboards. Der an der Straße vorhandene Gehweg wurde von den Kindern nicht benutzt, obwohl dies ohne weiteres möglich gewesen wäre. Die Straße ist nicht als Spielstraße ausgewiesen. Der Beklagte zu 1) war im Umgang mit einem Kickboard geübt. Bei dem Wettrennen stürzte er jedoch aus Unachtsamkeit. Hierdurch prallte sein Kickboard gegen die linke Seite des ordnungsgemäß am rechten Straßenrand geparkten Pkws des Klägers. An dem Pkw entstand Sachschaden, dessen Ersatz der Kläger begehrt.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Durch das 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 ist die Verantwortlichkeitsgrenze "bei Unfällen mit einem Kfz, oder mit einer Schienen- oder Schwebebahn" ab 01.08.2002 von 7 auf 10 Jahre angehoben worden; das gilt nur dann nicht, wenn die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt worden ist (§ 828 Abs. 2 BGB n. F.). Folgt man ausschließlich dem Wortlaut des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB, genügt für einen Haftungsausschluss jeglicher Zusammenhang der Schädigung mit einem Kraftfahrzeug-Unfall, unabhängig davon, ob sich das an dem Unfall beteiligte Kraftfahrzeug im fließenden oder im ruhenden Straßenverkehr befunden hat (vgl. Bamberger/Roth/Spindler, BGB, 1. Aufl., § 828 Rn. 9). Nach dem Wortlaut der Vorschrift könnte also ein Sachverhalt wie der Vorliegende ohne weiteres der Haftungsprivilegierung unterfallen.

Der Gesetzeswortlaut reicht indes offensichtlich zu weit, weshalb er einschränkend auszulegen ist. Andernfalls entfiele die Verantwortlichkeit eines Kindes der entsprechenden Altersgruppe beispielsweise auch dann, wenn es ein in einer Garage stehendes Fahrzeug beschädigt. § 828 Abs. 2 BGB n. F. bezweckt jedoch nicht generell den Schutz von Kindern vor hohen Schadensersatzforderungen (vgl. Wagner, NJW 2002, 2049, 2060). Der Gesetzgeber hat sich bei der Novellierung von § 828 BGB vielmehr von der Überzeugung leiten lassen, "dass Kinder aufgrund ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten regelmäßig frühestens mit Vollendung des 10. Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen und sich den erkannten Gefahren entsprechend zu verhalten" (vgl. BT-Drucksache 14/7752. AI, 1). Ausweislich Abschnitt A II 4 der Gesetzesbegründung war es ein wichtiges Ziel des Gesetzgebers, die haftungsrechtliche Situation von Kindern im motorisierten Verkehr nachhaltig zu verbessern. Dabei hatte der Gesetzgeber insbesondere die typischen und besonders gefährlichen Fälle, in denen plötzlich ein Kind auf die Straße vor ein dort herannahendes Auto läuft, im Sinn.

Die neue Vorschrift zielt darüber hinaus vor allem darauf, den Mitverschuldenseinwand gemäß §§ 9 StVG, 4 Haftpflichtgesetz und 254 BGB im Verhältnis zu Kindern unter 10 Jahren auszuschließen (vgl. BT-Drucksache a. a. 0. Seite 26, Wagner a. a. 0.). Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen gesetzgeberischen Ziele muss § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB dahingehend teleologisch reduziert ausgelegt werden, dass ein "Unfall mit einem Kraftfahrzeug" im Sinne dieser Vorschrift nur dann vorliegt, wenn sich die von einem in Bewegung befindlichen Kraftfahrzeug ausgehende typische Gefahr auch realisiert hat. Allein die Tatsache, dass ein Kraftfahrzeug sich "im Betrieb" im Sinne des § 7 StVG befindet, kann hier nicht genügen. Auch ein ordnungsgemäß am Straßenrand abgestellter Pkw ist "im Betrieb" im Sinne dieser Vorschrift. obwohl von ihm nicht die typischen höheren Gefahren eines sich in Bewegung befindlichen Pkws ausgehen. Es ist vielmehr so, dass sich die Gefahren, die von einem parkenden Kraftfahrzeug ausgehen, nicht von denjenigen unterscheiden, die von einem ordnungsgemäß abgestellten Fahrrad, von einem Baum oder von einer Mauer ausgehen (vgl. Lemcke, ZfS 2002, 318, 324).

Voraussetzung der Haftungsprivilegierung im Sinne des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB muss nach alledem sein, dass sich das Kraftfahrzeug in Bewegung, es sich also im sogenannten "fließenden" Verkehr befindet. Eine weitergehende Haftungsprivilegierung war ausweislich der Gesetzesbegründung vom Gesetzgeber nicht gewollt und würde auch zu unbilligen und nicht vertretbaren Ergebnissen führen. Würde man etwa annehmen, dass § 828 Abs. 2 BGB allgemein für Unfälle mit einem Kraftfahrzeug gilt, so lange es "im Betrieb" im Sinne des § 7 StVG ist, so hätte das beispielsweise zur Folge, dass ein Kind der entsprechenden Altersgruppe von der Haftung befreit ist, wenn es, auf einem Bürgersteig in Fahrtrichtung fahrend mit einem links von ihm auf der Fahrbahn ordnungsgemäß abgestellten Pkw kollidiert, andererseits aber haftet, wenn es in derselben Situation mit einem direkt rechts neben dem Bürgersteig auf einem Privatgelände abgestellten Pkw kollidiert.

Da von dem auf der Fahrbahn abgestellten Pkw keineswegs eine höhere Gefahr für das Kind ausgeht, als von dem rechts neben dem Bürgersteig auf dem Privatgelände abgestellten Fahrzeug, ist nicht einsehbar, warum in einem Fall die Haftungsprivilegierung eingreifen soll und in dem anderen Fall nicht. Eine solche Differenzierung wäre lebensfremd und für die Allgemeinheit schlechthin unverständlich. ..."



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