Die Verwertung von Daten aus dem Mauterfassungssystem für strafrechtliche Zwecke außerhalb des Mautsystems ist unzulässig.
Siehe auch Mautsystem - Mautgebühren - Mautdaten und Güterkraftverkehr
Zum Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft Magdeburg führt ein Ermittlungsverfahren gegen bislang unbekannte Täter, die am 05. November 2005 in S. drei Lkw-Zugmaschinen im Wert von etwa 225.000,00 Euro vom Gelände einer Speditionsfirma entwendet haben sollen. Die Ermittlungsbehörde sieht die Tat als Teil einer Reihe von Diebstählen von Sattelzugmaschinen, vornehmlich der Marke „Scania“, die seit März 2005 in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen ist. Bei den Ermittlungen zu der Tat vom 05. November 2005 haben sich bislang keine Ermittlungsansätze ergeben.
Allerdings befindet sich in den drei entwendeten Zugmaschinen jeweils ein Gerät zur Abrechnung der Maut-Gebühren bei der Firma „T“, es handelt sich um sogenannte „On-Board-Units“ (OBU). Darin sind jeweils GSM-Telefone mit den jeweiligen GSM-SIM-Karten eingesetzt.
Die Staatsanwaltschaft Magdeburg hat vor diesem Hintergrund beim Amtsgericht Oschersleben beantragt, gemäß §§ 100 g, 100 h StPO anzuordnen, dass der zuständige Telekommunikationsbetreiber T. verpflichtet wird, die Standortdaten der in den drei entwendeten Lkw befindlichen GSM-SIM-Karten seit dem 05. November 2005 mitzuteilen.
Das angerufene Amtsgericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, nach dem Wortlaut des Autobahnmautgesetzes (ABMG) dürften die für schwere Nutzfahrzeuge erfassten Verbindungsdaten ausschließlich für die Zwecke des ABMG und für die Überwachung der Einhaltung jener Vorschriften verarbeitet und genutzt werden.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Gesetzesauslegung in dem Beschluss des Amtsgerichts Gummersbach vom 21. August 2003 (NJW 2004, 240), die sie sich zu Eigen macht.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die zulässige Beschwerde ist aus den zutreffenden Gründen des Beschlusses des Amtsgerichts Oschersleben unbegründet.
Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Amtsgerichts Gummersbach zur Auslegung des ABMG in dem von der Staatsanwaltschaft in Bezug genommenen Beschluss nicht an.
Allerdings folgt die Kammer jener Entscheidung noch insoweit, als dass sie den Informationsaustausch zwischen dem Mauterfassungssystem und der GSM-SIM-Karte als „Telekommunikation“ im Sinne der §§ 100 g, 100 h StPO definiert. Dies wird zwar zum Teil in der Literatur angezweifelt (vgl. Niehaus, NZV 2004, 502 m.w.N., der den Funkverkehr von Maschine zu Maschine nicht als Telekommunikation verstanden wissen will). Die Kammer sieht jedoch keinen Anlass, sich in diesem Zusammenhang nicht der Definition der „Telekommunikation“ in § 3 Nr. 22 und Nr. 23 TKG zu bedienen. Danach ist „Telekommunikation“ der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen; „Telekommunikationsanlagen“ wiederum sind technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können.
Nach dieser Legaldefinition stellt auch der Datenaustausch zwischen Mauterfassungssystem und dem jeweiligen GSM-Telefon in einer OBU „Telekommunikation“ dar (vgl. entsprechend zu Positionsmeldungen nicht telefonierender Mobilfunkgeräte BGH, Ermittlungsrichter, StV 2001, 214 f.). Zudem übersieht die anders lautende Ansicht, dass auch die im Mauterfassungssystem erfolgende Übermittlung von Daten von Maschine zu Maschine einen Datenaustausch darstellt, der durch eine Person zumindest durch das Installieren und Betreiben der OBU begründet und aufrechterhalten wird. Wenn ein Lkw-Fahrer keinen Austausch zwischen der OBU und dem Mauterfassungssystem will, kann er diesen auch verhindern, indem er entweder keine OBU einbaut oder diese beziehungsweise das darin enthaltene GSM-Telefon wieder außer Betrieb setzt. Indem er es jedoch installiert und auch nutzt, geht es dem Lkw-Fahrer und/oder Halter aber gerade darum, mit dem Mauterfassungssystem zu kommunizieren. Dass er sich dazu eines Kommunikationsmittels bedient, das durch sein automatisches Aussenden von Daten eine persönliche Anmeldung für die einzelne zu befahrende Mautstrecke überflüssig macht, ändert nichts an seiner bewussten und gewollten Kontaktaufnahme zu dem System.
Der an die T. gerichteten Anordnung, aus dem Mauterfassungssystem gewonnene Standortdaten mitzuteilen, steht jedoch der eindeutige Wortlaut der §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 7 Abs. 2 Satz 3 ABMG entgegen. Für eine teleologische Reduktion, wie sie das Amtsgericht Gummersbach in der oben genannten Entscheidung vorgenommen hat, ist hier kein Raum. In der Begründung zu § 4 Abs. 2 ABMG ist der BT-Dr. 14/7013, S. 13, zu entnehmen, dass die Zweckbindung in jener Vorschrift „die Verarbeitung und Nutzung dieser Daten für andere Zwecke, z.B. Geschwindigkeitskontrollen, aus(schließt)“. Zu § 7 Abs. 2 ABMG heißt es in der Begründung (a.a.O, S. 14): „Die Verwendung der Daten wird auf die Zwecke dieses Gesetzes beschränkt“. Neben dem Gesetzeswortlaut spricht daher auch die Gesetzesbegründung gegen die Ansicht des AG Gummersbach. Zudem waren die §§ 100 g, 100 h StPO bereits in Kraft, als das ABMG seinerseits in Kraft getreten ist. Wäre daher die vom AG Gummersbach vorgenommene einschränkende Auslegung es ABMG gewollt gewesen, hätte es dem Gesetzgeber bei der Abfassung jenes Gesetzes oblegen, dies in jenem Gesetz klarzustellen. Aus der bereits genannten Gesetzesbegründung ergibt sich indes gerade das Gegenteil. Zudem zeigt ein Vergleich mit den §§ 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 und 89 Satz 4 TKG, dass der Gesetzgeber, hätte er eine Auslegung wie vom AG Gummersbach vorgenommen gewollt, dies auch so im Gesetz formuliert hätte.
Die eindeutigen Bestimmungen im ABMG stehen daher einer Anordnung nach §§ 100 g, 100 h StPO entgegen (so auch Göres, NJW 2004, 195 ff.).
Auch wenn die Kammer darüber hinaus den Informationsaustausch zwischen Mauterfassungssystem und GSM-SIM-Karte nicht als „Telekommunikation“ bewertet hätte, wäre im übrigen eine Mitteilungsverpflichtung an die T. nicht in Betracht gekommen. Denn die im ABMG aufgenommene Zweckbindung stünde einer Mitteilungsverpflichtung der T. gegenüber den Ermittlungsbehörden generell entgegen, unabhängig davon, aus welcher Norm sich eine solche Mitteilungsverpflichtung ohne die Zweckbindung ergeben könnte (z.B. §§ 94, 98, 161 Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 1 Satz 2 StPO) .
Die Kammer übersieht nicht, dass diese strenge Handhabung des ABMG zu teils schwerlich nachvollziehbaren Ergebnissen führen kann. Beispiele in der jüngeren Vergangenheit, bei denen etwa die Auswertung der bereits erhobenen Daten aus dem Mauterfassungssystem (also nicht einmal die zusätzliche Datenerhebung) möglicherweise sogar zur Aufklärung von durch Lkw-Fahrern begangenen Tötungsdelikten hätte führen können, geben Anlass, über eine zumindest bereichsweise Ausnahme von der Zweckbindung im ABMG zur Aufklärung erheblichster Straftaten nachzudenken. Insoweit ist allerdings der Gesetzgeber gefordert. Eine gesetzeswidrige Handhabung des ABMG durch die Rechtsprechung erlaubt auch der noch so gewünschte Zweck nicht.
Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass zwar in der gängigen Kommentierung der §§ 100 g, 100 h StPO aus der Rechtsprechung regelmäßig nur der anderslautende Beschluss des AG Gummersbach zitiert wird. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass sich jener Entscheidung - soweit aus der veröffentlichten Rechtsprechung ersichtlich - weder ein anderes Gericht bislang angeschlossen hat noch sie Unterstützung in der juristischen Literatur erfahren hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 2005, § 100 g, Rn. 4, oder die a.a.O. genannten Aufsätze von Göres und Niehaus). Auch die rechtspolitischen Äußerungen in der jüngeren Vergangenheit gehen sämtlichst von einem derzeitigen Verbot der Mautdatennutzung für strafrechtliche Ermittlungen aus (vgl. die entsprechenden Äußerungen der Rechts- und Innenpolitiker S. (CDU), U. (CSU), W. (SPD), P. (FDP), R. (Grüne) in dem Bericht der F. vom 29. November 2005 und des Generalbundesanwalts N. anlässlich des Verkehrsgerichtstages 2006, SZ vom 27. Januar 2006). Dies stützt die Beurteilung der Kammer, dass der Gesetzesauslegung des Amtsgerichts Gummersbach mit der dortigen Begründung nicht gefolgt werden kann. ..."