Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Urteil vom 18.12.1979 - VI ZR 52/78 - Stillschweigender Haftungsverzicht des Autoverkäufers bei Probefahrt des Kaufinteressenten

BGH v. 18.12.1979: Stillschweigender Haftungsverzicht des Autoverkäufers bei Probefahrt des Kaufinteressenten


Der BGH (Urteil vom 18.12.1979 - VI ZR 52/78) hat entschieden:
Stillschweigender Haftungsverzicht des Kraftfahrzeughalters, der sein Fahrzeug verkaufen will, für einfache Fahrlässigkeit des den Wagen probefahrenden Kaufinteressenten, der hinsichtlich einer fahrlässig verursachten Verletzung des Halters als Insasse des Fahrzeugs keinen Versicherungsschutz genoss.


Siehe auch Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlussg und Haftung und Haftungsbegrenzung bei Gefälligkeitsfahrten


Zum Sachverhalt: Der Kraftfahrzeugmeister P. war Halter eines gebrauchten Pkw-Wagens Mercedes 280 S, den er verkaufen wollte. Mit ihm unternahm er am 11. Oktober 1971 mit dem Beklagten, der sich für den Wagen interessierte, eine Probefahrt; er übergab ihm alsbald das Steuer und nahm selbst auf dem Beifahrersitz Platz. Kurz vor einer Ortseinfahrt bremste der Beklagte den Wagen aus hoher Geschwindigkeit ab; dabei geriet er von der Fahrbahn und prallte gegen einen Baum. Beide Insassen wurden schwer verletzt; P. verstarb an den Folgen seiner Verletzungen.

Die Klägerin, die als Sozialversicherer des tödlich verunglückten P. dessen Hinterbliebenen Witwenrenten und Waisenrenten gewährt, verlangt von dem Beklagten aus übergegangenem Recht Ersatz ihrer Aufwendungen für die Vergangenheit und die Zukunft. Sie meint, der Beklagte habe den Unfall infolge Unaufmerksamkeit und erhöhter Geschwindigkeit schuldhaft verursacht.

Der Beklagte führt den Unfall auf ein technisches Versagen des Fahrzeugs zurück und beruft sich vor allem darauf, es müsse angenommen werden, angesichts der Umstände sei zwischen ihm und P. ein stillschweigender Haftungsverzicht mindestens für solche Schäden zustande gekommen, die durch leichte Fahrlässigkeit verursacht worden seien.

Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Die Revision hatte Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die ...Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Vielmehr entfällt eine Ersatzpflicht des Beklagten gegenüber den Hinterbliebenen des tödlich verunglückten P. und damit ein übergangsfähiger Ersatzanspruch der Klägerin, weil nach den besonderen Umständen des Falles anzunehmen ist, dass die Haftung für leicht fahrlässige Körperverletzungen anlässlich der Probefahrt zwischen dem Beklagten und P. stillschweigend abbedungen war.

1. Allerdings ist, wie das Berufungsgericht richtig erkennt, die Rechtsprechung mit der Annahme stillschweigender Haftungsausschlüsse zwischen dem Insassen des Kraftfahrzeuges und dessen Fahrer sehr zurückhaltend. Als ausreichend wurde nicht anerkannt, dass die Mitnahme aus "Gefälligkeit" erfolgte. Selbst unter Ehegatten hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Beschränkung auf die eigenübliche Sorgfalt (§ 1359 BGB) abgelehnt (BGHZ 53, 352), dies sogar auch insoweit, als die Haftung unter eine Ausschlussklausel der Versicherungsbedingungen fiel (vgl dazu das Senatsurteil vom 14. Februar 1978 - VI ZR 216/76 - VersR 1978, 625 = VRS 55, 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Gleichwohl kann das Hinzutreten besonderer Umstände im Einzelfall zu einer anderen Beurteilung führen, wenn diese es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, die Abmachung über das Führen des Fahrzeuges durch den (wegen des zur Unfallzeit noch geltenden § 11 Nr 3 AKB) nicht mitversicherten Insassen in ergänzender Auslegung mit einem Haftungsverzicht gegenüber dem mitfahrenden Halter zu versehen (so das og Senatsurteil vom 14. Februar 1978, ihm zustimmend Böhmer JZ 1979, 58, 59, ferner Senatsurteil vom 14. November 1978 - VI ZR 178/77 - VersR 1979, 136 = VRS 56, 163, das auf die vom Senat entschiedenen Einzelfälle hinweist). Für Sachschäden, die der Kaufinteressent dem Kraftfahrzeughändler anlässlich einer Probefahrt durch leichte Fahrlässigkeit zufügt, hat schon der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes jedenfalls dann, wenn die Beschädigung im Zusammenhang mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren steht, eine Ersatzpflicht abgelehnt (Urteile vom 7. Juni 1972 - VIII ZR 35/71 - VersR 1972, 863 und vom 10. Januar 1979 - VIII ZR 264/76 - VersR 1979, 352 = VRS 56, 254). Das Berufungsgericht lehnt es mit eingehender Begründung ab, diesen Haftungsverzicht auch für materielle Personenschäden des bei einer Probefahrt mitfahrenden Halters anzunehmen.

2. Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen. Die besonderen Umstände des hier zu entscheidenden Falles erfordern vielmehr ebenfalls eine ergänzende Auslegung des zwischen P. und dem Beklagten anlässlich der Vereinbarung der Probefahrt im Rahmen der Kaufverhandlung geschlossenen Vertrages: Dieser muss mit einem Haftungsverzicht für leichte Fahrlässigkeit des Beklagten versehen werden, weil sich P. dem ausdrücklichen Ansinnen einer solchen Abmachung durch den Beklagten billigerweise nicht hätte versagen können (BGHZ 9, 273, 277). An dieser rechtlichen Begründung, die sich letztlich an dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) orientiert, hält der Senat gegenüber den gelegentlich in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen anderen Lösungsvorschlägen (Batsch, NJW 1972, 1706; Ströfer, NJW 1979, 2553; OLG Düsseldorf, VersR 1978, 156) fest.

a) Wie der Senat in seinem oben angeführten Urteil vom 14. Februar 1978 bereits ausgesprochen hat, bedeutete das Führen eines fremden Kraftfahrzeuges, in dem sich der Halter als Insasse befand, zur Unfallzeit ein ungewöhnliches Risiko, weil § 11 Nr 3 AKB die Deckung von Personenschäden des Halters ausschloss. Kein verständiger Mensch konnte ein solches Risiko übernehmen, ohne sich durch einen Haftungsverzicht abzusichern. In der Praxis unterblieb das meist wohl nur deshalb, weil diese Lücke im Versicherungsschutz Laien kaum bekannt war (vgl Klingmüller DAR 1972, 299). Das Bestehen einer Krankenversicherung oder Unfallversicherung für den Verletzten konnte (ohne vorausgegangenen Haftungsverzicht) den Schädiger (im Rahmen der Eintrittspflicht der Versicherer) nicht entlasten, weil die jeweiligen Versicherer nach § 67 Abs 1 VVG bzw § 1542 RVO bei ihm Regress nehmen konnten.

b) Nun könnte vielleicht dieser Umstand allein, wie der Senat schon in anderen Fällen ausgesprochen hat, es noch nicht rechtfertigen, im Wege ergänzender Vertragsauslegung einen Haftungsverzicht anzunehmen, an den tatsächlich wahrscheinlich niemand gedacht hat. Im Streitfall kommen aber diejenigen Umstände hinzu, die in vergleichbaren Fällen die Rechtsprechung bereits zur Ablehnung eines Ersatzanspruchs für Sachschäden veranlasst haben (dazu und zum folgenden BGH Urt v 7. Juni 1972 aaO). Die Interessenlage gebietet nämlich dem Kraftfahrzeughändler, seinen Kunden von diesem nicht bekannten Haftungsrisiko einer Probefahrt, bei der er als Halter (§ 11 Nr 3 AKB aF) mitfährt, auch für ihn (bzw seine Hinterbliebenen) treffende Personenschäden freizustellen, weil er für die Abdeckung seines Risikos zumutbarer sorgen kann.

aa) Kein Kraftfahrer, der sich in den öffentlichen Verkehr begibt, ist dagegen gefeit, in einen Unfall mit Personenschäden verwickelt zu werden, die zu hohen, uU existenzvernichtenden Ersatzansprüchen gegen ihn führen können. Ohne den Schutz der Kraftfahrzeugpflichtversicherung wäre dieses Risiko, das selbst den Erfahrensten treffen kann, für ihn nicht tragbar. Deswegen wird ein verständiger Kraftfahrer nicht auf öffentlichen Straßen fahren, ohne die Gewissheit zu haben, dass eine Versicherung hinter ihm steht.

Dieses Unfallrisiko, für das seinerzeit eben keine Deckung durch die Haftpflichtversicherung bestand, ist bei Probefahrten allgemein noch erhöht. Denn der Kaufinteressent ist in der Regel mit Besonderheiten des Wagens, den er zur Probe fährt, nicht vertraut; es kommt hinzu, dass er auf der Probefahrt gerade die Fahreigenschaften des Wagens wie Kurvenfestigkeit, Beschleunigung und Bremsverhalten testen will. Das kann ihn leicht dazu verleiten, mit dem ihm unbekannten Wagen schneller und schärfer zu fahren, als er es gewöhnlich tut.

bb) Gegen das damit verbundene Risiko, dem sich der Kraftfahrzeughändler ausgesetzt hat, konnte dieser sich leichter und besser versichern. Der Beklagte als Kaufinteressent hätte demgegenüber, da der Abschluss einer Privathaftpflichtversicherung nicht in Betracht kam (vgl § 1 Abs 2b und § 2 Abs 3 AHB: "Benzinklausel"), eine Versicherung für das gelegentliche Führen und Benutzen fremder versicherungspflichtiger Kraftfahrzeuge nehmen müssen (vgl die vom Bundesaufsichtsamt genehmigten Sonderbedingungen 1 u 2 für die Kraftverkehrsversicherung, Veröffentlichungen des BAV 1962, S 30). Diese Versicherung jedoch war weithin unbekannt und für den durchschnittlichen Kraftfahrer auch unüblich. Dass der Kaufinteressent, der schon von der Deckungslücke im Versicherungsschutz nichts gewusst haben wird, von sich aus diese Möglichkeit in Betracht ziehen könnte, kann ein Kraftfahrzeughändler nicht erwarten. Demgegenüber war der Kraftfahrzeughändler nicht nur in der Lage, das Risiko für die erwähnten Schäden an dem probegefahrenen Wagen durch Abschluss einer Kaskoversicherung abzudecken, sondern auch, worauf es im Streitfall ankommt, für Personen-Schäden bei einer Mitfahrt Versicherungsschutz zu nehmen.

So hätte er eine private Unfallversicherung abschließen können, die ihm bzw seinen Hinterbliebenen einen pauschalen Ausgleich der Personenschäden gewährt hätte. Der Abschluss einer derartigen Versicherung durch einen freiberuflich tätigen Kraftfahrzeugmeister, wie dies hier der Getötete gewesen war, liegt nahe; ein Kunde wird, wenn er sich darüber Gedanken macht, ihr Bestehen vielleicht sogar vermuten dürfen. Die zu dieser Möglichkeit vom Berufungsgericht erwogenen Bedenken, der Kraftfahrzeughändler würde sich, wenn er (ausdrücklich oder stillschweigend) auf Inanspruchnahme des Probefahrers für Personenschäden verzichte, damit seines Deckungsanspruchs gegen den Versicherer begeben, sind nicht begründet. Die Vorschrift des § 67 Abs 1 Satz 3 VVG, die das Berufungsgericht offenbar im Auge hat, betrifft nur den Fall, dass der Versicherte auf bereits entstandene Ersatzansprüche verzichtet, nicht dagegen den, dass das Entstehen von Ersatzansprüchen von vornherein ausgeschlossen wird (BGHZ 22, 109, 122). Eine ungewöhnliche Abrede, wie sie etwa der Ausschluss der Haftung auch bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz darstellen könnte, und die dann eine analoge Anwendung des § 67 Abs 1 Satz 3 VVG rechtfertigen könnte, liegt nicht vor (vgl BGHZ 33, 216, 221). Auch besteht keine ernsthafte Gefahr, dem Versicherten, der in einem Fall wie dem hier zu beurteilenden einen Haftungsverzicht vereinbare, könne vom Versicherer gekündigt werden; schwerlich läge in dem Verhalten des P., wird es wie hier ausgelegt, ein zulässiger Kündigungsgrund. Eine solche Befürchtung hätte ihn deshalb redlicherweise nicht von einem Haftungsverzicht gegenüber dem Beklagten abhalten dürfen.

Vor allem aber hätte P. als Unternehmer freiwillig seiner Berufsgenossenschaft beitreten (§ 545 RVO) und sich so für Berufsunfälle mit geringem Aufwand einen Versicherungsschutz beschaffen können, der immerhin sein Verletzungsrisiko soweit gedeckt hätte, dass er dem Beklagten eine Haftung ohne Versicherungsschutz nicht ansinnen konnte.

cc) Dem Getöteten war (ebenso wie der Abschluss einer Kaskoversicherung für mögliche Schäden am probegefahrenen Wagen) die Versicherung gegen Personenschäden im Verhältnis zum Beklagten als Kaufinteressenten durchaus zuzumuten. Es hätte ihm sogar freigestanden, überhaupt auf eine Mitfahrt beim Ausprobieren des Wagens zu verzichten. Fuhr er jedoch, wie es bei Probefahrten meist der Fall sein wird, mit, so durfte er den Beklagten nicht einem infolge des damals noch geltenden § 11 Nr 3 AKB finanziellen Risiko aussetzen, das dieser offensichtlich nicht erkannte und das in keinerlei Verhältnis zu seinem bloßen Interesse, den Wagen probezufahren, steht. Mindestens hätte er ihn vor Antritt der Fahrt darüber aufklären müssen. Es liegt auf der Hand, dass dieser dann als verständiger Kraftfahrer auf einem Haftungsverzicht des P. bestanden hätte, den P. redlicherweise dem Beklagten sogar von sich aus hätte anbieten müssen. Ebenfalls fällt entscheidend ins Gewicht, dass die Mitfahrt des Kraftfahrzeughändlers, der dem Kunden den Wagen verkaufen will, im geschäftlichen Interesse des Verkäufers liegt. Ihm obliegt es daher auch, den Kaufinteressenten vor unvermuteten, nicht versicherten Ersatzansprüchen, die wegen der besonderen Gefahren der Probefahrten nicht fernliegen, zu schützen.

3. Angesichts all dieser Umstände ist deshalb entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die Vereinbarung einer Probefahrt unter Mitfahrt des Kraftfahrzeughändlers dahin zu verstehen, dass der Probefahrer für leicht fahrlässig herbeigeführte Personenschäden jedenfalls dann nicht haften soll, wenn ihm diese Schäden nicht von der Haftpflichtversicherung abgenommen werden.

III.

Die Klage erweist sich danach als unbegründet, ohne dass es noch eines Eingehens auf die von der Revision aufgeworfene Frage bedarf, ob das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, der Beweis es ersten Anscheins spreche für ein Verschulden des Beklagten. Dass mehr als leichte Fahrlässigkeit in Betracht kommt, behauptet auch die Klägerin nicht. ..."



Datenschutz    Impressum