Das Verkehrslexikon

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BGH (Urteil vom 17.01.1995 - VI ZR 62/94 - Berechnung des unfallbedingten Erwerbsschadens

BGH v. 17.01.1995: Zur Berechnung des unfallbedingten Erwerbsschadens


Der BGH (Urteil vom 17.01.1995 - VI ZR 62/94) hat entschieden:
  1. Bei der Ermittlung eines nach BGB §§ 842, 843 zu ersetzenden Erwerbsschadens darf auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen nach BGB § 252 S 2, ZPO § 287 Abs 1 einem Verletzten, dessen Arbeitskraft im arbeitsfähigen Alter unfallbedingt beeinträchtigt worden ist, nicht ohne hinreichende Anhaltspunkte dafür, wie sich seine Erwerbstätigkeit ohne das Unfallereignis voraussichtlich entwickelt hätte, pauschal ein abstrakt geschätzter "Mindestschaden" zugesprochen werden.

  2. An die Darlegung der erforderlichen konkreten Anhaltspunkte für die Ermittlung des Erwerbsschadens dürfen jedoch bei einem Verletzten, der im Unfallzeitpunkt nicht in einem festen Arbeitsverhältnis stand und in besonderem Maße mit der Schwierigkeit belastet ist, eine verlässliche Prognose für die Fortentwicklung seines zur Zeit des Schadensereignisses noch wenig strukturierten Erwerbslebens zu ermöglichen, keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.

Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall und Prognosebildung bezüglich des hypothetischen Zukunftseinkommens


Zum Sachverhalt: Der Kläger begehrt Ersatz eines Verdienstausfallschadens, der von einem Versicherungsnehmer der beklagten Haftpflichtversicherung am 7. Januar 1982 als Folge eines Verkehrsunfalls verursacht worden ist. Die Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallfolgen steht zwischen den Parteien außer Streit.

Der am 21. Februar 1958 geborene Kläger war im Anschluss an seine Ausbildung zum Verkäufer für Eisenwaren und Werkzeuge zwischen dem 1. Juli 1975 und dem 31. August 1978 in diesem Beruf tätig. Während einer sich anschließenden Zeit der Arbeitslosigkeit erwarb er die Erlaubnis zum Führen von Taxifahrzeugen. Vor seiner Einberufung zur Bundeswehr zum 1. April 1981 arbeitete er sodann zeitweilig als Mietwagenfahrer. Nach seiner gesundheitsbedingten vorzeitigen Entlassung aus der Bundeswehr wurde er ab dem 1. Dezember 1981 aushilfsweise für den Taxiunternehmer Theo H. tätig.

Bei dem Verkehrsunfall vom 7. Januar 1982 wurde der Kläger schwer verletzt.

Die Beklagte gewährte dem Kläger bis Juli 1991 eine Erwerbsschadensrente, die sie ab Januar 1991 von bis dahin monatlich 2.324,06 DM auf 824,06 DM mit der Begründung herabsetzte, dem Kläger sei nunmehr seine Haushaltstätigkeit mit monatlich 1.500 DM anzurechnen. Seit August 1991 hat die Beklagte keine Zahlungen auf den Verdienstausfallschaden des Klägers mehr geleistet.

Der Kläger hält die Beklagte für verpflichtet, ihm auch weiterhin seinen Erwerbsschaden auszugleichen. Er habe vor dem Unfallereignis mit dem Taxiunternehmer Theo H. vereinbart gehabt, ab 15. Januar 1982 in dessen Betrieb als festangestellter Fahrer zu arbeiten. Diese Tätigkeit, die auf Dauer angelegt gewesen sei und ihm auch heute noch die Erzielung einer tarifmäßigen Entlohnung als Taxifahrer ermöglicht hätte, sei durch das Unfallgeschehen vereitelt worden. Der Kläger hat den seiner Ansicht nach für die Zeit bis November 1992 noch offenen Verdienstausfallschaden mit 58.085,02 DM berechnet und begehrt darüberhinaus die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm ab 1. Dezember 1992 eine monatliche Erwerbsschadensrente von 2.635,56 DM zu bezahlen, bis er eine ihm zumutbare Tätigkeit gefunden habe.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... II.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht in allem stand. Das Berufungsgericht ist den Anforderungen der §§ 252 Satz 2 BGB, 287 Abs. 1 ZPO nicht hinreichend gerecht geworden, da es dem Kläger den geltend gemachten Verdienstausfallschaden vollständig versagt hat.

1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht einen Erwerbsschaden des Klägers für den im vorliegenden Rechtsstreit relevanten Zeitraum nicht bereits aus einer ihm entgangenen festen Anstellung als Taxifahrer bei dem Unternehmen Theo H. hergeleitet hat.

a) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass dem Kläger hinsichtlich des Nachweises seines Verdienstausfalls die Beweiserleichterungen gemäß § 252 Satz 2 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO zugute kommen. Entgegen der Auffassung der Revision stehen die im Berufungsurteil im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Überlegungen mit den für diese Beweiserleichterungen geltenden verfahrensrechtlichen Grundsätzen im Einklang; das Berufungsgericht stellt weder zu hohe Anforderungen an das Beweismaß noch geben seine Ausführungen hinsichtlich der Bewertung der Aussage des Zeugen Theo H. Anlass zu revisionsrechtlicher Beanstandung.

Auch der nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu führende Schadensnachweis verlangt eine entsprechende Überzeugungsbildung des Tatrichters, für die allerdings eine je nach Lage des Falles höhere oder deutlich höhere, jedenfalls überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen kann (vgl. Senatsurteile vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 - VersR 1987, 310 und vom 22. September 1992 - VI ZR 293/91 - VersR 1993, 55, 56). Die Schadensfeststellung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO setzt ebenso wie die Prognose des entgangenen Gewinns im Sinne des § 252 Satz 2 BGB voraus, dass die erforderlichen Anknüpfungstatsachen dargelegt und in der genannten Weise zur Überzeugung des Tatrichters nachgewiesen worden sind.

b) Das Berufungsgericht hat vorliegend verfahrensfehlerfrei dargelegt, weshalb es sich auf der Grundlage der erhobenen Beweise gerade nicht - auch nicht unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen der §§ 252 Satz 2 BGB und 287 Abs. 1 ZPO - davon zu überzeugen vermochte, dass der Kläger die behauptete feste Anstellung im Taxiunternehmen Theo H. erlangt und dort die nunmehr als entgangen geltend gemachten Einnahmen auch wirklich erzielt hätte. Insbesondere ist die im Berufungsurteil vorgenommene Würdigung der Aussage des Zeugen Theo H. revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; das Berufungsgericht war auch auf der Grundlage des § 391 ZPO nicht gehalten, diesen Zeugen zu beeidigen. Ebensowenig war eine Vernehmung des Klägers als Partei über eine im Unfallzeitpunkt in Aussicht stehende Anstellung bei dem Unternehmen Theo H. geboten. Der Kläger hatte eine Parteivernehmung nicht beantragt; angesichts des Ergebnisses der erhobenen Beweise bestand für das Berufungsgericht auch keine prozessrechtliche Veranlassung, von Amts wegen eine Parteivernehmung des Klägers nach § 448 ZPO durchzuführen oder zur Frage einer solchen Parteivernehmung im Berufungsurteil ausdrücklich Stellung zu nehmen; Umstände, unter denen dies verfahrensrechtlich geboten sein kann (vgl. dazu Senatsurteile vom 1. Februar 1983 - VI ZR 152/81 - VersR 1983, 445 und vom 8. Mai 1984 - VI ZR 179/82 - VersR 1984, 665, 666; ferner BGH, Urteil vom 24. Februar 1992 - II ZR 79/91 - ZIP 1992, 760, 762), lagen hier nicht vor.

c) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die im Berufungsurteil getroffene Feststellung, dass der Kläger, selbst wenn er zum 15. Januar 1982 wie von ihm vorgetragen bei Theo H. in eine feste Beschäftigung übernommen worden wäre, jedenfalls im hier relevanten Zeitraum (ab Januar 1991) aus diesem Anstellungsverhältnis den als entgangen geltend gemachten Verdienst nicht mehr hätte erzielen können, da dieses Unternehmen, das zwischenzeitlich von Werner H. übernommen worden war, im Jahre 1989 aufgegeben worden ist. Insoweit geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass auch eine mögliche Übernahme des Klägers in ein anderes Unternehmen, nämlich dasjenige der Ehefrau des Werner H., zur Darlegungs- und Beweislast des Klägers stand.

2. Hingegen halten die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht einen Erwerbsschaden des Klägers unabhängig von der Frage einer Anstellung bei dem Unternehmen Theo H. vollständig verneint hat, der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das BerGer. geht allerdings zutreffend davon aus, dass der Schätzung des Verdienstausfallschadens eines Verletzten nach § 287 I ZPO hinreichende Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen. Der Tatrichter überschreitet die seinem Ermessen gesetzten Grenzen, wenn er zu einer Schätzung greift, ohne für sie eine tragfähige Grundlage zu haben (vgl. Senat VersR 1988, 446 [467]). Die erleichterte Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB i.V mit § 287 I ZPO lässt eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens nicht zu, verlangt vielmehr die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadensermittlung (vgl. z.B. Senat, NZV 1988, 134 [m. Anm. Gottwald] = VersR 1988, 837; NZV 1991, 151 = VersR 1991, 179). Denn der zu ersetzende Schaden liegt hier nicht im Wegfall oder der Minderung der Arbeitskraft als solcher, sondern setzt voraus, dass sich dieser Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt hat (vgl. z.B. Senat, BGHZ 54, 45 [49 ff.]; 90, 334 [336]). Daher geht es nicht an, einem Verletzten, dessen Arbeitskraft im arbeitsfähigen Alter unfallbedingt beeinträchtigt worden ist, ohne hinreichende Anhaltspunkte dafür, wie sich seine Erwerbstätigkeit ohne das Unfallereignis voraussichtlich entwickelt hätte, gleichsam pauschal einen (abstrakt geschätzten) „Mindestschaden” zuzusprechen.

b) Andererseits dürfen an die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Ermittlung des Erwerbsschadens im Rahmen der §§ 252 S. 2 BGB, 287 I ZPO auch keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. z. B. Senat, VersR 1992, 973; NZV 1993, 428 = VersR 1993, 1284 [1285] m. w. Nachw.). Das gilt nicht nur dort, wo es etwa bei Selbständigen - um hypothetische Entwicklungen eines Geschäftsbetriebs geht, sondern auch für einen Verletzten, der im Unfallzeitpunkt nicht in einem festen Arbeitsverhältnis stand, sich seinen Lebensunterhalt vielmehr in wechselnden, auch vorübergehenden Beschäftigungsverhältnissen zu sichern suchte oder in Bemühungen um eine Weiterbildung befand und ebenfalls mit der Schwierigkeit belastet ist, eine einigermaßen verlässliche Prognose für die Fortentwicklung seines zur Zeit des Schadensereignisses noch wenig strukturierten Erwerbslebens zu ermöglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei einem Verletzten, der in der Zeit vor dem Unfall zwar keine kontinuierliche Berufstätigkeit aufzuweisen, jedoch immer wieder Arbeit gefunden hatte, aus der er seinen Lebensbedarf zu bestreiten vermochte, durchaus naheliegt, dass er ohne das Schadensereignis in absehbarer Zeit Arbeit aufgenommen hätte, selbst wenn er im Unfallzeitpunkt ohne sichere Beschäftigung gewesen ist (vgl. Senat, NZV 1990, 185 = VersR 1990, 284).

c) Nach den vom BerGer. getroffenen Feststellungen hat der Kl. 1975 eine Ausbildung zum Verkäufer für Eisenwaren und Werkzeuge erfolgreich abgeschlossen und war hernach drei Jahre lang in diesem Beruf tätig. In der anschließenden Zeit bis zum Unfall wechselten sich Tätigkeiten als Mietwagenfahrer, Ableistung von Wehrdienst bei der Bundeswehr und Abschnitte ohne feste Beschäftigung sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit ab, wobei dem Unfall unmittelbar eine Aushilfstätigkeit beim Taxiunternehmen Theo H voranging. Bei dieser beruflichen Vorgeschichte des KI. hätte sich das BerGer. näher damit auseinandersetzen müssen, ob für den Kl., wäre seine Arbeitsfähigkeit nicht durch den Unfall beeinträchtigt worden, nach Beendigung der genannten Aushilfstätigkeit etwa anderweitig eine Beschäftigung als Taxi- oder Mietwagenfahrer zu erwarten gewesen wäre. In die Betrachtung wäre auch die Möglichkeit miteinzubeziehen gewesen, dass der Kl., hätten sich ihm im Taxigeschäft keine entsprechenden Chancen eröffnet, in seinen erlernten Beruf hätte zurückkehren können.

Entgegen der Auffassung des BerGer. hatte der zeitliche Ausgangspunkt für die zu prognostizierende Entwicklung nicht der Januar 1991, sondern der Unfallzeitpunkt zu sein; hätte der Kl. in der Zeit ab Januar 1982 Arbeitsmöglichkeiten ohne die Unfallbeeinträchtigung wahrgenommen, so hätte sich seine Erwerbssituation im Jahre 1991 ganz anders und wesentlich günstiger darstellen können als wenn er sich erst nunmehr um eine neue Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu bemühen hatte. Jedenfalls rechtfertigt der Umstand, dass der Kl. in den Jahren zwischen 1978 und 1981 wechselnden Beschäftigungen nachgegangen ist und zeitweise arbeitslos war; nicht ohne weiteres den Schluss, dass er, wäre es nicht zum Unfall gekommen, im hier relevanten Zeitraum gar keine Erwerbseinkünfte erzielt hätte. Dabei kann auch nicht außer Betracht gelassen werden, dass der Kl. im Unfallzeitpunkt erst 23 Jahre alt war.

d) Das BerGer. war einer derartigen näheren Prüfung der beruflichen Aussichten des KI. auch nicht deswegen enthoben, weil dieser zu möglichen Beschäftigungen außerhalb des Unternehmens Theo H nichts Konkretes vorgetragen hat. Der Kl. ist seiner Substantiierungspflicht hinreichend dadurch nachgekommen, dass er eine im Unfallzeitpunkt in Aussicht stehende Festanstellung als Taxifahrer bei einem bestimmten Unternehmen dargelegt und unter Beweis gestellt hat. Konnte sich das BerGer. nach durchgeführter Beweisaufnahme von dieser - in den Tatsacheninstanzen gänzlich im Vordergrund stehenden - Erwerbsaussicht des KI. nicht hinreichend überzeugen, fehlten ihm andererseits erforderliche Anknüpfungspunkte für die Prognostizierung einer anderweiten beruflichen Entwicklung des Kl., so hatte er diesem unter entsprechendem richterlichem Hinweis Gelegenheit zu geben, zu möglichen Verdienstaussichten außerhalb des Unternehmens Theo H noch ergänzend vorzutragen. Insoweit kam auch eine persönliche Anhörung des Kl. in Betracht. Hingegen konnte das BerGer. nicht rechtsfehlerfrei ohne weitere Aufklärung jeglichen Verdienstausfall des Kl. für den hier relevanten Zeitraum verneinen, nachdem es die konkret vorgetragene Festanstellung nicht als zu seiner Überzeugung nachgewiesen erachtet hatte.

III.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das BerGer. zurückzuverweisen. Sollte das BerGer. unter Berücksichtigung der dargestellten rechtlichen Überlegungen zu der Überzeugung gelangen, dass der Kl. ohne das Unfallereignis seinen Lebensunterhalt aus anderweiter beruflicher Tätigkeit hätte bestreiten können, reichen aber die Ergebnisse weiterer Aufklärung nicht dazu aus, der Höhe nach die entgangenen Einkünfte konkret zu ermitteln, so ist es im Rahmen der erforderlichen Schadensschätzung nach § 287 I ZPO unzulässig, durchschnittliche Verdienstmöglichkeiten der in Frage kommenden beruflichen Tätigkeiten als Ausgangspunkte heranzuziehen und von diesen die im Hinblick auf die Unsicherheiten der beruflichen Entwicklung des Kl. geboten erscheinenden (gegebenenfalls prozentualen) Abzüge vorzunehmen. ..."







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