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Kammergericht Berlin Urteil vom 20.10.2005 - 12 U 31/03 - Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Verdienstausfalls eines Studenten
KG Berlin v. 20.10.2005: Zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Verdienstausfalls eines Studenten, dessen Studienabschluss sich unfallbedingt verzögert
Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 20.10.2005 - 12 U 31/03) hat zur Zukunftsprognose eines Studenten entschieden:
Zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Verdienstausfalls eines Studenten, dessen Studienabschluss sich unfallbedingt verzögert (§ 252 BGB, § 287 ZPO).
Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall und Prognosebildung bezüglich des hypothetischen Zukunftseinkommens
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Dem Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Verdienstausfallschadens aus § 3 Nr. 1 PflichtVersG i.V. mit §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB zu. Unter Berücksichtigung der dem Kl. zugute kommenden Beweiserleichterungen gem. §§ 252 BGB, 287 ZPO ist davon auszugehen, dass der KI. ohne die bei dem streitgegenständlichen Unfall vom 20. 10. 1993 entstandenen Verletzungen bereits ein Jahr früher als tatsächlich geschehen, seine Tätigkeit bei der Z. AG aufgenommen hätte, so dass ihm für diesen Zeitraum ein Verdienstausfallschaden in entsprechender Höhe zusteht.
a) Ein Verdienstausfall lässt sich i.d.R. nur mit Hilfe des § 252 Satz 2 BGB und des § 287 ZPO ermitteln. Sowohl § 252 Satz 2 BGB als auch § 287 ZPO, der auch auf die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität angewandt wird (BGH NJW 1987. 705; VersR 1987, 310), gewähren eine Beweiserleichterung gegenüber dem allgemeinen Grundsatz, wonach für die Entstehung des Schadens der volle Beweis erforderlich ist.
Nach § 252 Satz 2 BGB muss der Geschädigte die Umstände darlegen und gegebenenfalls beweisen, aus denen er nach dem gewöhnlichen Verlauf oder nach den besonderen Umständen des Falles seine Gewinnerwartung herleitet. Stehen diese Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts fest, so genügt es, wenn der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (BGHZ 29, 393, 398; BGH WM 1986, 622, 623; BGH NZV 2001, 210, 211; Senat NZV 2003, 191, 192), wobei solche Tatsachen, die selbst zum gewöhnlichen Verlauf der Dinge gehören, nicht bewiesen zu werden brauchen (BGH NJW 1968, 661, 663).
Welche Tatsachen zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehören und welche Tatsachen so wesentlich sind, dass sie vom KI. dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und lässt sich daher nicht ein für alle Male festlegen (BGHZ 54, 45, 56). Es dürfen jedoch keine allzu strengen Anforderungen an das gestellt werden. was der Kl. vorbringen muss, um das Gericht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zu veranlassen (BGHZ 54. 45, 56; BGHZ 100. 50; Palandt-Heinrichs. BGB. 64. Aufl.. § 252 Rdn. 5).
Bei Unfällen vor Eintritt in das Berufsleben ist zu schätzen (§ 287 ZPO), wie der berufliche Weg des Verletzten nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften und den Bedingungen des Arbeitsmarktes voraussichtlich verlaufen wäre (Palandt-Heinrichs a.a.O.. § 252 Rdn. 18 m.w.N.).
Zur Feststellung der Grundlagen für die Prognose über die voraussichtliche Entwicklung der Erwerbstätigkeit des Geschädigten ohne das Unfallereignis ist grundsätzlich nicht nur auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses abzustellen. Die Situation im Unfallzeitpunkt ist lediglich einer der Prognosefaktoren für die künftige Entwicklung. Bei der Prognose müssen als weitere Faktoren regelmäßig auch Erkenntnisse aufgrund von Entwicklungen einbezogen werden, die sich erst nach dem Unfallereignis bis zur letzten mündlichen Verhandlung ergeben haben (BGH NJW 2004, 1945, 1947).
Genaue Tatsachen, die zwingend auf das Bestehen und den Umfang eines Schadens schließen lassen, braucht der Kl. nicht anzugeben (BGH VersR 1968, 888), denn § 252 Satz 2 BGB und § 287 ZPO mindern auch die Darlegungslast (BGH a.a.O.; BAG NJW 1972, 1437, 1438). An sie dürfen nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden wie bei anderen Forderungen. Eine volle Substantiierung kann danach nicht gefordert werden. Es genügt, wenn der Kl. hinreichend Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO liefert (BGH NJW 1988, 3017; NJW 1993, 2673; NJW 1998, 1633, 1635).
Steht fest, dass ein der Höhe nach nicht bestimmbarer aber erheblicher Schaden entstanden ist, ergibt sich i.d.R. aus den Umständen eine hinreichende Grundlage für die Schätzung eines Mindestschadens (BGH NJW RR 1996, 1077).
Wenn es für das freie Ermessen nicht an allen Unterlagen fehlt, muss das Gericht nötigenfalls nach freiem Ermessen entscheiden, ob ein Schaden entstanden ist und in welcher Höhe. Dabei kann und darf das Gericht auch solche Umstände berücksichtigen, die ihm sonst bekannt geworden sind, ohne dass es einer Verhandlung darüber oder einer etwaigen Befragung der Parteien nach § 139 ZPO bedarf ( BGH VersR 1960, 786, 788; BGHZ 29.393, 400). Unzulässig und unmöglich ist eine derartige Entscheidung nur dann, wenn wegen Fehlens hinreichender Anhaltspunkte eine Grundlage für eine Schätzung nicht zu gewinnen wäre und das richterliche Ermessen vollends in der Luft schweben würde (BGHZ 29, 393, 400; BGHZ 54, 45, 55), oder wenn die Ursächlichkeit des haftungsbegründenden Ereignisses für den behaupteten Gewinnentgang nicht wahrscheinlich ist (BGH NJW 1964, 661, 663).
b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze hat der Kl. nachgewiesen, dass er aufgrund des Verkehrsunfalles vom 20. 10. 1993 sein Studium insgesamt 1 Jahr später als nach dem normalen Verlauf zu erwarten gewesen wäre, beendet hat.
Unstreitig war der Kl. aufgrund der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen vom 20. 10. 1993 bis jedenfalls zum 10. 12. 1993 zu 100% in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt. Es liegt daher auf der Hand, dass er in dieser Zeit sein Studium nicht fortsetzen konnte. Jedenfalls für den fraglichen Zeitraum war ihm auch nicht zuzumuten. an Vorlesungen teilzunehmen. Im Hinblick auf die lange Dauer, in der ein vollständiger Ausschluss der Erwerbsfähigkeit des Kl. vorlag, sieht es das Gericht als erwiesen an. dass der KI. jedenfalls das Wintersemester 1993/1994 wiederholen musste. Den im Zeitraum vom 20. 10. 1993 bis jedenfalls 10. 12. 1993 versäumten Stoff konnte er in der verbleibenden Zeit des Semesters nicht mehr aufholen. Durch die als Anlage zum Schriftsatz vom 6. 7. 2005 eingereichte Bescheinigung der T. U. B. vom 3. 7. 2005 hat der Kl. darüber hinaus bewiesen, dass er durch den Verlust des Wintersemesters 1993/1994 auch gehindert war, das Studium im Sommersemester 1994 sinnvollerweise fortzusetzen. Denn nach der vorgelegten Bescheinigung sind die Veranstaltungen über mehrere Semester fachlich so aufgeteilt. dass sie inhaltlich und für die Erbringung der Leistungsnachweise aufeinander aufbauen. Die einzelnen Veranstaltungen werden jeweils nur im Wintersemester oder im Sommersemester angeboten. Für den Studenten bedeutet daher der Ausfall eines Semesters, dass er die entsprechende Veranstaltung und den Leistungsnachweis erst im übernächsten Semester nachholen kann.
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c) Es kann dahinstehen, ob es dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch des Kl. - etwa unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Mitverschuldens (§ 252 Abs. 2 BGB) - entgegenstehen würde, wenn der Kl., wovon das LG aufgrund des erstinstanzlich unterbreiteten Sachverhalts zutreffend ausgegangen ist, das Ingenieursstudium bereits am 22. 1. 1999 beendet hätte, so dass es ihm grundsätzlich möglich gewesen wäre, im Mai 1999 eine Tätigkeit bei der Z. AG aufzunehmen.
Denn in II. Instanz ist unstreitig geworden, dass das Datum 22. 1. 1999 auf dem Zeugnis des Kl. lediglich den Tag bezeichnet, an dem die Diplomarbeit abgegeben worden ist. Dies hat die Bekl. mit Schriftsatz vom 16. 7. 2003 ausdrücklich zugestanden. Dieser Vortrag ist daher zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 161, 138). Dann ist es aber plausibel, dass der KI. die endgültige Beurteilung seiner Diplomarbeit erst im September 1999 erhalten hat, denn es ist allgemein bekannt, dass die Korrektur von Diplomarbeiten regelmäßig mehrere Monate in Anspruch nimmt. Zudem belegt auch das vom KI. überreichte Schreiben des Professors Dr. C. vom 29. 10. 1999. dass noch Ende Oktober 1999 weitere Arbeiten durch den Kl. an seiner Diplomarbeit erforderlich waren.
Ob der Vortrag der Bekl. zutrifft, wonach der Kl. binnen 4 - 6 Wochen nach Abgabe der Diplomarbeit zumindest hätte erfahren können, ob die Arbeit mit Ausreichend bewertet wird, kann dahinstehen. Denn der Kl. war nicht verpflichtet, das reguläre Prüfungsverfahren durch einen solchen Schritt zu verkürzen, um damit die von der Bekl. zu vertretende Verzögerung des Berufseintritts des Kl. zu verringern. Es kommt hinzu, dass der Kl. das Studium im Bauingenieurwesen unstreitig mit der Note l.3 abgeschlossen hat. Es liegt auf der Hand, dass diese gute Note seine Aussichten. eine Anstellung zu erhalten, deutlich verbessert hat.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Umstände sieht es das Gericht auf der Grundlage der Beweiserleichterung gem. §§ 252 Abs. 2 BGB. 287 ZPO als erwiesen an, dass der Kl. ohne die bei dem streitgegenständlichen Unfall erlittenen Verletzungen sich im Mai 1999 bei der Z. AG hätte bewerben können. Dass eine solche Bewerbung erfolgreich gewesen wäre, ergibt sich aus der in 1. Instanz mit Schriftsatz vom 14. 8. 2001 vorgelegten Bescheinigung der Z. AG vom 11.7. 2001.
d) Die Höhe des für 1 Jahr entstandenen Verdienstausfallschadens hat der Kl. durch die in L Instanz mit Schriftsatz vom 20. 12. 2001 vorgelegten Gehaltsbescheinigungen nachgewiesen. Substantiierte Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Bescheinigungen hat die Bekl. nicht erhoben. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn der Kl. für ersparte berufsbedingte Aufwendungen einen Abzug von 5% vorgenommen hat. Es wäre Sache der Bekl. als Schädiger gewesen, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die tatsächlich ersparten Aufwendungen höher sind (vgl. Senat, NZV 2003, 191 ff.; Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Aufl., vor § 249 Rdn. 123 m.w.N.). Insoweit fehlt es sowohl an einem konkreten Vortrag als auch an einem Beweisantritt. ..."