Das Verkehrslexikon
Landgericht Stuttgart Urteil vom 13.01.2006 - 22 0 362.05 - Gefahrerhöhrung und Reifenprofiltiefe
LG Stuttgart v. 13.01.2006: Gefahrerhöhrung und Reifenprofiltiefe
Das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 13.01.2006 - 22 0 362.05) hat entschieden:
- Eine Gefahrerhöhung liegt dann vor, wenn ein Kfz benutzt wird, dessen Reifen nicht die erforderliche Mindestprofiltiefe von 1,6 mm aufweisen. Dies führt aber nur dann zur Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn der Versicherungsnehmer Kenntnis von den die Gefahrerhöhung begründenden Umständen hat.
- Einem Fahrzeugnutzer ist die geringe Abweichung der Reifen von der Mindestprofiltiefe insbesondere auch dann nicht vorzuwerfen, wenn der Verschleißfortschritt zur Innenschulter hin zu nimmt.
Siehe auch Reifen und Räder und Reifenverlust - Loslösen von Reifen während der Fahrt - Reifenplatzer
Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt aus einer bei der Bekl. genommenen Kaskoversicherung Entschädigung wegen des durch einen Unfall vom 19. 4. 2005 am versicherten Fahrzeug entstandenen Schadens. Er beantragt, die Bekl. zur Zahlung von Euro 17.008.82 nebst Zinsen zu verurteilen. Die Bekl. beantragt, die Klage abzuweisen. Sie macht im Wesentlichen ihre Leistungsfreiheit geltend, weil der Eintritt des Versicherungsfalls auf einer Gefahrerhöhung durch den Kl. beruhe, nämlich der laufenden Benutzung des Fahrzeugs mit abgefahrenen Reifen, von deren Ursächlichkeit auch im Falle des vom Kl. aus Grund seines Abkommens von der Fahrbahn in Betracht gezogenen Aquaplaning auszugehen sei.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Klage ist begründet, weil eine willentliche Herbeiführung der Gefahrerhöhung durch den Kl. nicht festzustellen ist und auch nicht eine grobe fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls.
1. Nach den Feststellungen des Sachverständigen haben die Reifen der Hinterräder nicht mehr die erforderliche Mindestprofiltiefe von 1,6 mm aufgewiesen, sondern stellen-weise nur noch 1,4 mm bzw. 1,5 mm, an anderen Stellen hin-gegen noch 1,9 mm. Nach dem vom Sachverständigen erhobenen und im schriftlichen Gutachten im Einzelnen wieder-gegebenen Befund war der Bereifungszustand daher als verkehrsunsicher einzustufen. Die daraus resultierende Gefahrerhöhung hätte aber nur zur Leistungsfreiheit der Bekl. geführt, wenn der Kl. Kenntnis von den die Gefahrerhöhung begründenden Umständen gehabt hätte. Davon kann aber nach seinem unwiderlegt gebliebenen Vorbringen nicht aus-gegangen werden, auch nicht davon, dass er sich arglistig der Kenntnis vom erreichten Reifenzustand entzogen hätte.
2. Prima facie mag davon auszugehen sein, dass der Versicherungsfall wegen der unzulänglichen Bereifung des Fahrzeugs eingetreten ist, so dass sich der Kl. die schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Gebrauch des nicht verkehrssicheren Fahrzeugs vorwerfen lassen muss. Dieses Fehlverhalten scheint indessen nicht so gravierend, dass es als grobe Fahrlässigkeit gewürdigt werden müsste. Schon objektiv ist dem Kl. zugute zu halten, dass der zulässige Abnutzungsgrad nur geringfügig überschritten gewesen war. Einem nicht sachkundigen Fahrzeugnutzer musste sich dies auch nicht ohne weiteres Aufdrängen, zumal der Verschleißfortschritt zur Innenschulter hin zunahm. Auch wenn nicht nachvollziehbar erscheint, inwiefern der Kl. - „soweit wie möglich” die Reifen regelmäßig auf eine ausreichende Profiltiefe untersucht haben will, kann bei dieser Sachlage - anders als bei völlig glatt gefahrenen Reifen - von der objektiven Pflichtverletzung nicht auf ein in subjektiver Hinsicht das gewöhnliche Maß erheblich überschreitendes Fehlverhalten geschlossen werden. ..."