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Amtsgericht Nördlingen Urteil vom 30.11.2005 - 5 C 29/05 - Zum Ersatz der Rettungskosten in der Fahrzeugversicherung bei Ausweichunfall vor kreuzendem Wild
AG Nördlingen v. 30.11.2005: Zum Ersatz der Rettungskosten in der Fahrzeugversicherung bei Ausweichunfall vor kreuzendem Wild
Das Amtsgericht Nördlingen (Urteil vom 30.11.2005 - 5 C 29/05) hat entschieden:
Der Kraftfahrer, der bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h vor einem Biber auf die Gegenfahrbahn ausweicht und dabei von der Fahrbahn abkommt, hat gegen den Teilkaskoversicherer einen Anspruch auf Ersatz der Rettungskosten.
Siehe auch Rettungskosten in der Fahrzeugversicherung und Wildschäden
Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um Erstattungsansprüche aus einem Versicherungsverhältnis. Der Kl. hatte bei der Bekl. für seinen Pkw eine Kraftfahrzeughaftpflicht- und Teilkaskoversicherung abgeschlossen. Am 28. 10. 2004 gegen 6:15 Uhr fuhr M mit dem genannten Pkw des KI. auf der Staatsstraße von L Richtung E. Dabei geriet er bei km 13,4 ins Schleudern und prallte mit dem Fahrzeug gegen einen Baum. Der Fahrzeugschaden belief sich abzüglich des verbleibenden Restwerts des verunfallten Fahrzeugs auf 2000,- EUR. Die Bekl. hat an den Kl. einen Betrag von 674,01 EUR bezahlt.
Der Kl. trägt vor, der Fahrer seines Fahrzeugs habe deswegen die Kontrolle über dieses verloren, da er einem Biber, der mit einem Maisbüschel von rechts über die Straße gelaufen sei, und den er zunächst für einen Menschen gehalten habe, ausgewichen sei. Der Kl. stützt seine Ersatzansprüche auf § 12 I d der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung bzw. auf § 63 VVG.
Die Bekl. ist der Ansicht, dass eine Ersatzpflicht gemäß § 12 I d AKB nicht vorliege, da es sich bei einem Biber nicht um Haarwild im Sinne des § 2 BJagdG handele. Auch eine Ersatzpflicht_ gemäß §§ 62, 63 VVG scheide aus, da der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs grob fahrlässig gehandelt habe. Zum einen sei ein Biber nicht mit einem Menschen zu verwechseln, zum anderen rechtfertige ein Biber nicht, diesem Hindernis auszuweichen. Darüber hinaus sei der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs mit überhöhter Geschwindigkeit von deutlich mehr als 100 km/h gefahren.
Das AG hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme des Zeugen M und durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. A. und dem Kl. die eingeklagten 1.325,99 EUR zugesprochen.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Wenn auch ein Ersatzanspruch nach § 12 AKB ausscheidet, weil dieser auf § 2 BJagdG Bezug nimmt und ein Biber in der enumerativen Aufzählung des § 2 BJagdG nicht enthalten ist, so hat der Kl. doch gegen die Bekl. Anspruch auf Zahlung weiterer 1325,99 EUR gemäß § 63 VVG.
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass der streitgegenständliche Unfall geschah, als der Fahrer des klägerischen Pkw, der Zeuge M, einem Biber auswich, der sich auf der Straße befand. Der Zeuge hat berichtet, dass er, mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h fahrend, auf der Straße auf seiner Fahrbahnhälfte ein Hindernis wahrgenommen habe, welches er nicht näher definieren konnte, welches sich aber leicht bewegt habe. Er sei auf die Gegenfahrbahn gewechselt, in der Meinung, so das Hindernis gefahrlos passieren zu können, im Vorbeifahren jedoch ins Schleudern geraten. Das Gericht schenkte den Angaben des Zeugen Glauben. Er hat in der mündlichen Verhandlung einen sachlichen Eindruck hinterlassen. Insbesondere wurde durch die Aussage des Zeugen auch nicht die zu Zweifeln Anlass gebende Schilderung des Kl. wiederholt, wonach ein laufender Biber mit einem gebückt laufenden Menschen verwechselt worden sein soll. Vielmehr sprach der Zeuge neutral von einem nicht näher definierbaren größeren Hindernis. Von einem Tier sei er erst im Nachhinein ausgegangen. Angesichts des in der polizeilichen Unfallakte dokumentierten Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem fraglichen Hindernis um einen Biber handelte, der Maispflanzen mitschleppte. Dies ergibt sich aus der festgestellten Spurenlage, nämlich Fraßspuren, herumliegenden Maispflanzen und einem durch ein Zaunloch führenden Pfad Richtung Weiher.
Die vom Zeugen vorgenommene Rettungshandlung in Form eines Wechsels auf die Gegenfahrbahn war objektiv geboten, um einen drohenden Schaden vom versicherten Fahrzeug abzuwenden und durfte von ihm als Handelnden auch ohne grobe Fahrlässigkeit für geboten gehalten werden. Beim Überfahren eines Hindernisses in Gestalt eines Bibers, droht dem Fahrzeug auf Grund Größe und Masse des Tieres ein erheblicher Sachschaden. Deshalb durfte der Zeuge diesem Hindernis ausweichen. Zum einen stellt ein Biber ein Hindernis dar, welches auf Grund seiner wesentlich größeren Masse nicht mit einem Hasen oder Fuchs vergleichbar ist, für welche die Rechtsprechung das Gebotensein eines Rettungsversuchs angesichts des wesentlich höheren Risikos, welches in dem Rettungsversuch selbst liegt, verneint. Auch wenn ein Biber keinesfalls die Größe eines Reh's erreicht, so ist sein Gewicht doch zumindest mit dem eines kleineren Reh's vergleichbar. Aus diesem Grund ist das Gericht der Überzeugung, dass ein verständiger Kraftfahrer im Rahmen der Risikoabwägung bei einem solchen Hindernis ein Ausweichen für geboten halten darf. Des weiteren handelte es sich im konkreten Fall auch nicht um ein ruckartiges Ausweichmanöver, bei dem das Risikopotenzial wegen der dann zweifelhaften Beherrschbarkeit des Pkw's erheblich höher läge, sondern der Zeuge hat glaubhaft geschildert, dass er bereits in einiger Entfernung zum Hindernis von seiner Fahrspur auf die Gegenfahrspur, welche frei gewesen sei, gewechselt habe. Hierbei handelt es sich um einen vergleichsweise gemächlichen Vorgang, der nur ein geringes Risikopotenzial aufweist.
Die Bekl. ist den ihr damit obliegenden Gegenbeweis dafür, dass den Zeugen wegen überhöhter Geschwindigkeit doch eine grobe Fahrlässigkeit treffe, schuldig geblieben. ..."