Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 13.07.1994 - IV ZR 250/93 - Zum Ersatz der Rettungskosten in der Fahrzeugversicherung bei Ausweichunfall vor kreuzendem Wild

BGH v. 13.07.1994: Zum Ersatz der Rettungskosten in der Fahrzeugversicherung bei Ausweichunfall vor kreuzendem Wild


Der BGH (Urteil vom 13.07.1994 - IV ZR 250/93) hat entschieden:
Ein Anspruch auf Ersatz von Rettungskosten setzt voraus, dass die verlangte Summe zu dem Zweck aufgewandt wurde, das versicherte Risiko nicht eintreten zu lassen. Es genügt nicht, dass die Abwendung des Versicherungsschadens lediglich eine Reflexwirkung der Rettungshandlung war.


Siehe auch Rettungskosten in der Fahrzeugversicherung und Wildschäden


Zum Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte, bei der er sein Kraftfahrzeug haftpflicht- und kaskoteilversichert hat, auf Erstattung von Rettungskosten in Anspruch.

Er fuhr am 7. August 1991 gegen 23.30 Uhr mit dem versicherten Pkw Alfa Romeo auf einer Landstraße. Vor einer Linkskurve kam der Kläger von der Fahrbahn ab. Das Fahrzeug wurde total beschädigt. Anschließend brannte es aus. Die Beklagte zahlte nach Abzug der Selbstbeteiligung für den Glasschaden 1.527,29 DM und für den nach der Zerstörung noch vorhandenen, dann aber durch Brand vernichteten Restwert 1.500 DM. Vor dem Unfall hatte das Fahrzeug einen Wiederbeschaffungswert von 20.100 DM. Die restlichen 17.072,71 DM verlangt der Kläger als Erstattung von Rettungskosten.

Er hat behauptet, mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h gefahren zu sein, als ihm aus einer Linkskurve plötzlich ein auf seiner Fahrbahn fahrender Pkw entgegengekommen sei. Um einen Frontalzusammenstoß und damit Schäden für ihn und seinen Pkw zu vermeiden, habe er sein Fahrzeug nach rechts gezogen. Dabei habe er die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Er sei nach links von der Fahrbahn abgekommen, eine Böschung hinuntergestürzt und gegen einen Baum geprallt. Dann sei das Fahrzeug ausgebrannt. Die Beklagte hat vorgetragen, ein etwaiges Ausweichen des Klägers sei nicht von seinem Willen getragen gewesen, von der Fahrzeugteilversicherung gedeckte Schäden zu verhüten, sondern um Gefahr für Leib und Leben abzuwenden. Auch sei das Ausweichen als Rettungsmaßnahme, etwa um den versicherten Glasbruch zu vermeiden, zu dem drohenden und eingetretenen hohen Schaden unverhältnismäßig. Jedenfalls sei ein etwaiger Anspruch auf die von der Teilkaskoversicherung gedeckten Schäden zu begrenzen, wenn die Vollkaskoversicherung nicht überflüssig werden solle.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen (VersR 1994, 468).

Mit der zugelassenen Revision erstrebte der Kläger erfolglos die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des über den Glasbruch (§ 12 Abs. 2 AKB) bzw. den Brand (§ 12 Abs. 1 I a AKB) hinausgehenden Schadens komme nur unter dem Gesichtspunkt der Erstattung von Rettungskosten in Betracht. Das ist rechtsfehlerfrei und wird auch von der Revision nicht angegriffen.

Die in § 62 Abs. 1 Satz 1 VVG normierte Rettungsobliegenheit des Versicherungsnehmers setzt in der Kaskoteilversicherung nicht voraus, dass der Versicherungsfall bereits eingetreten war. Es genügt vielmehr, dass er unmittelbar bevorstand (Senatsurteil, BGHZ 113, 359 = VersR 1991, 459). Davon geht auch das Berufungsgericht zutreffend aus. Es stellt fest, der Unfall sei die Folge einer Rettungsmaßnahme. Wenn für den Kläger auch die Sorge um Leib und Leben und sein Fahrzeug insgesamt im Vordergrund gestanden habe, so habe die Rettungsmaßnahme objektiv doch ebenfalls dazu gedient, einen Glasbruchschaden abzuwenden. Zwar seien nach § 63 Abs. 1 Satz 1 VVG nur solche Aufwendungen ersatzfähig, die der Versicherungsnehmer den Umständen nach für geboten halten durfte. Diese Voraussetzung liege hier aber vor. Bei einem Frontalzusammenstoß, der ohne Ausweichmanöver unmittelbar gedroht habe, habe höchste Gefahr nicht nur für das Fahrzeug, sondern vor allem auch für den Kläger selbst bestanden. Die mit dem Ausweichen verbundenen Gefahren seien deutlich geringer gewesen. Es komme nicht darauf an, ob das Ausweichmanöver allein zur Abwendung der Gefahr eines versicherten Glasbruchs gerechtfertigt gewesen wäre. Denn die Rettungsmaßnahme des Klägers sei unteilbar gewesen. Sie habe nur als Ganzes ausgeführt werden können. Dagegen wendet sich die Revision nicht.

2. Die Revision greift aber die Auffassung des Berufungsgerichts an, der Kläger habe nur Anspruch auf Erstattung des Anteils seiner Rettungskosten, der dem Verhältnis des abzuwendenden versicherten Schadens zu dem abzuwendenden nicht versicherten Fahrzeugschaden entspreche. Gemäß diesem Verteilungsmaßstab kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger nur Anspruch auf Ersatz des Glasschadens in Höhe von 1.827,29 DM abzüglich einer Selbstbeteiligung von 300 DM habe, also auf den Betrag, den die Beklagte bereits gezahlt hat. Der weitere Fahrzeugwert von 18.572,71 DM entspreche dem nichtversicherten Interesse, wobei in der Sachversicherung der hier abgewendete Personenschaden außer Betracht zu bleiben habe.

Die Revision hält die Auffassung des Berufungsgerichts für unzutreffend, weil danach allein dem Versicherungsnehmer das volle Risiko für die durch den Rettungszusammenhang verursachten zusätzlichen Aufwendungen auferlegt würden. § 62 Abs. 1 VVG verpflichte den Versicherungsnehmer, nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen. In den Fällen, in denen die Rettungsmaßnahme nur einheitlich versicherte und unversicherte Sachen erfasse, müsse der Versicherungsnehmer in Erfüllung seiner Rettungspflicht auch diejenigen Aufwendungen erbringen, die für die Rettung der nicht versicherten Sachen anfielen. Stehe dem Versicherer aber Rettung auch durch unteilbare Maßnahmen ohne Rücksicht darauf zu, welche Aufwendungen für den Versicherungsnehmer dabei durch Mitrettung von Sachen entstünden, auf die sich das Rettungsinteresse des Versicherers nicht erstrecke, so müsse er gemäß § 63 VVG auch die dafür notwendigen Aufwendungen erstatten. Diese Angriffe der Revision führen nicht zum Erfolg. Vielmehr ist der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung im Ergebnis zu folgen.

3. Für die vom Berufungsgericht vorgenommene Aufteilung spricht, dass auch im Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag, das mit heranzuziehen ist, solche Aufwendungen in ähnlichen Fällen aufgeteilt werden. Zu § 683 BGB ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass Kosten nach dem Maß der Verantwortlichkeit und dem Interesse der Beteiligten aufzuteilen sind, wenn Fremd- und Eigengeschäftsführung zusammentreffen und die Aufwendungen gegenständlich nicht abgegrenzt werden können (BGHZ 98, 235, 242; 16, 12, 16f.). Ebenso können auch im Versicherungsrecht Aufwendungen des Versicherungsnehmers entsprechend dem Verhältnis der betroffenen Interessen aufgeteilt werden (vgl. Voit in Prölss/Martin, 25. Aufl. § 63 VVG Anm. 1; Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. W II Rdn. 6; Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 63 Anm. 22, 27). Dies kann hier aber offenbleiben.

Voraussetzung für einen Anspruch des Klägers auf Ersatz von Rettungskosten ist, dass die verlangte Summe überhaupt zu dem Zweck aufgewandt wurde, den versicherten Teil des Fahrzeugs, also die Verglasung, vor Schaden zu bewahren. Zwar reicht es aus, wenn die Rettungshandlung objektiv auf die Abwendung des Schadens abzielte. Dann kommt es nicht darauf an, ob dieser Erfolg auch subjektiv bezweckt war. Es genügt aber nicht, dass die Abwendung des Versicherungsschadens lediglich Reflexwirkung einer Handlung des Versicherungsnehmers war. Dazu gehört besonders der mit dem Schutz des Hauptinteresses verbundene Schutz des versicherten Nebeninteresses, das in seinem Schicksal von dem Hauptinteresse abhängig ist, so dass die Rettung des Hauptinteresses die Rettung des Nebeninteresses als Reflexwirkung notwendig nach sich zieht (Woesner, ZVersWiss 49. Band, 1960, 421f.).

So liegt der Fall hier. Der Kläger wich dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug vor allem deshalb aus, weil er sich selbst vor Schaden an Leib und Leben bewahren wollte. Diesem Hauptziel gegenüber tritt das Interesse zurück, auch sein Fahrzeug nicht zu Schaden kommen zu lassen. Jedenfalls ist die damit notwendig verbundene Rettung der Fahrzeugverglasung ein so geringfügiges Nebeninteresse, dass dessen Rettung nur als Reflexwirkung angesehen werden kann. Die Versicherung gegen Glasbruch führt deshalb nicht zu einem Anspruch auf Ersatz von Rettungskosten.

4. Die Revision meint ferner, der gesamte Schaden sei dem Kläger zu ersetzen, weil die Teilversicherung auch das Risiko des Brandes und der Explosion einschließe und es auf der Hand liege, dass auch die Verwirklichung dieser Risiken ebenso wie der Glasbruch unmittelbar bevorgestanden hätte.

Das ist nicht richtig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt der Ersatz von Rettungskosten in der Sachversicherung nicht davon ab, dass der Versicherungsfall bereits eingetreten ist. Es genügt, wenn der Eintritt des Versicherungsfalls unmittelbar bevorsteht (Senatsurteil, BGHZ 113, 359 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Versicherungsfall stehe bei einem erst durch den Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug vermittelten nachfolgenden Brand nicht unmittelbar bevor. Dem kann nicht beigetreten werden. Der Begriff der Unmittelbarkeit muss je nach Art und Umfang des bevorstehenden Schadens und je nach Versicherungsart unterschiedlich beurteilt werden. Der Begriff dient der Abgrenzung zwischen Sacherhaltungskosten, die der Versicherungsnehmer selbst zu tragen hat, und den nach § 63 VVG vom Versicherer zu erstattenden Rettungskosten. Generell ist mit "unmittelbar" gemeint, dass der Versicherungsfall in kurzer Zeit und mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne die Rettungsmaßnahme eintreten wird (vgl. Voit in Prölss/Martin aaO § 62 Anm. 1 A a; Martin, Sachversicherungsrecht aaO W II Rdn. 35). Für den genannten Abgrenzungszweck kann es nicht darauf ankommen, ob der Versicherungsfall "Brand" erst nach einer weiteren Ursache - hier dem Zusammenstoß - eintritt.

Hier liegt - im Gegensatz zur Auffassung der Revision - aber nicht auf der Hand, dass ohne das Ausweichmanöver des Klägers sein Fahrzeug durch den Zusammenstoß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Brand geraten oder explodiert wäre. Die Revision zeigt auch nicht auf, dass der Kläger dargelegt und unter Beweis gestellt hätte, besondere Umstände hätten die Annahme eines Brandes oder einer Explosion besonders nahegelegt.

5. Die Revision vermisst Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, dass der Kläger mit dem Ausweichmanöver auch einen Versicherungsfall aus der Haftpflichtversicherung vermieden habe und ihm deshalb auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt Ersatz für Rettungskosten zustünde. Bei der vorhandenen Ausweichmöglichkeit hätte der Kläger nicht beweisen können, dass der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG gewesen wäre. Die ihm als Halter auferlegte Betriebsgefahr des Fahrzeugs hätte bei einem Zusammenstoß für die Beklagte einen haftpflichtrechtlichen Versicherungsfall begründet.

Das Berufungsgericht hatte keinen Anlass, sich mit dieser Frage zu befassen. Der Senat hat mit seinem Urteil vom 20. Februar 1991 (BGHZ 113, 359) offengelassen, ob auch in der Haftpflichtversicherung die Rettungsobliegenheit schon beginnt, wenn der Versicherungsfall unmittelbar bevorsteht (vgl. aber auch BGH, Urteil vom 18. Januar 1965 - II ZR 135/62 - VersR 1965, 325, wonach in der Haftpflichtversicherung die Rettungsobliegenheit erst bei Eintritt des Versicherungsfalls beginnt). Auch für den vorliegenden Fall braucht die Frage nicht entschieden zu werden. Ein Zusammenstoß auf der eigenen Fahrbahnseite mit einem in der Kurve entgegenkommenden Fahrzeug ist ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 32. Aufl. § 7 StVG Rdn. 32 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung), so dass eine Ersatzpflicht des Klägers ausgeschlossen wäre. Jedenfalls hätte der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs wegen seines grob verkehrswidrigen Verhaltens nach einer Abwägung gemäß § 17 StVG keinen Anspruch auf einen Ausgleich seines Schadens (vgl. Jagusch/Hentschel aaO, § 17 StVG Rdn. 16). Haftpflichtansprüche kommen mithin nicht in Betracht. ..."