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"Der Verwaltungsgerichtshof sieht den maßgeblichen Grund dafür, dass nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung nur die regelmäßige und (beim Hinzutreten weiterer Umstände) die gelegentliche, nicht aber die einmalige Einnahme von Cannabis den Wegfall der Fahreignung nach sich zieht, darin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis ausschließlich der Verhinderung künftiger Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs, nicht aber der Ahndung eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens im Umgang mit Betäubungsmitteln dient (vgl. BayVGH vom 25.1.2006 Az. 11 CS 05.1453, Seite 13 des Beschlussumdrucks). Belässt es jemand tatsächlich bei einem einmaligen, experimentellen Gebrauch dieser Droge, so ergibt sich daraus keine Notwendigkeit, ihm zwecks Vermeidung künftiger Ordnungsstörungen die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung der Ausklammerung der einmaligen Cannabiseinnnahme aus den Tatbeständen, die im Regelfall den Verlust der Fahreignung nach sich ziehen, steht es der Bejahung eines einmaligen Gebrauchs dieses Betäubungsmittels nicht entgegen, wenn jemand seinem Körper in so engem zeitlichem Zusammenhang mehrere Konsumeinheiten dieser Droge zugeführt hat, dass von einem einheitlichen Lebensvorgang gesprochen werden muss (ebenso OVG Bbg vom 13.12.2004 Blutalkohol 2006, 161/163 für den Fall, dass im Verlauf einer mehrstündigen Feier mehrere cannabishaltige Zigaretten geraucht wurden). Denn zum Wesen des Probierkonsums gehört es nachgerade, dass der Handelnde ausloten will, wie sich Cannabis auf seine Befindlichkeit auswirkt. Zeitigt die Einnahme einer kleineren Menge dieses Stoffes entweder keine oder nicht die erwartete Wirkung, so liegt es in der inneren Logik eines Verhaltens, das der Gewinnung von Erfahrung in Bezug auf Haschisch oder Marihuana dienen soll, dass der Experimentierende sich eine höhere Dosis dieses Betäubungsmittel zuführt (vgl. zur Möglichkeit der mehrfachen Wiederholung einer inhalativen Einzelaufnahme von Cannabis im Rahmen ein und derselben Session auch bei Erstkonsumenten Aderjan, Gutachten vom 29.8.2005, Seite 8). Nicht mehr als Bestandteil erstmaligen Probierens angesehen werden kann es demgegenüber, wenn jemand nach bereits einmal gewonnener Erfahrung mit Cannabis dazu ansetzt, sich ein von Grund auf 'neues Rauscherlebnis' (im Gegensatz zur bloßen Intensivierung oder Perpetuierung eines bereits bestehenden Rauschzustandes) zu verschaffen. Denn wer, nachdem seine erste Rauscherfahrung mit Cannabis abgeklungen ist, erneut zu dieser Droge greift, bringt damit zum Ausdruck, dass er es nicht bei einem einmaligen Experimentieren mit diesem Betäubungsmittel belassen will. Demgegenüber bewegt sich noch im Rahmen des Probiervorgangs, wer 'im Zuge' der erstmaligen Einnahme von Haschisch oder Marihuana – sei es auch aufgrund eines nach Konsumbeginn gefassten neuen Entschlusses – seine Rauscherfahrung dadurch zu steigern oder zu verlängern sucht, dass er sich zeitnah weitere Einheiten dieser Drogen zuführt.
Die Abgrenzung, ob eine oder mehrere Einnahmen von Cannabis vorliegen, kann nach alledem nicht anhand des Handlungsbegriffs des materiellen Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts erfolgen. Das hätte nämlich selbst unter Heranziehung der Rechtsfigur der 'natürlichen Handlungseinheit' zur Folge, dass u. U. bereits das Rauchen ein und derselben Cannabiszigarette dann als wiederholter Konsumvorgang gewertet werden müsste, wenn z. B. der Rauchvorgang für eine gewisse Zeit unterbrochen werden muss, da es alsdann an dem für die Bejahung einer natürlichen Handlungseinheit erforderlichen 'engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang' (vgl. BGH vom 28.10.2004 Az. 4 StR 268/04, zit. nach Juris) fehlen kann. Sofern dem Rechtsanwender im Fahrerlaubnisrecht nicht genügend Informationen darüber zur Verfügung stehen, ob ein Verhalten als zusammengehöriger Vorgang eines einheitlichen 'Sich-Berauschens' anzusehen ist oder ob der Betroffene durch das zu beurteilende Handeln sich ein neues, selbständiges Rauscherlebnis verschaffen wollte, kommt in Betracht, die Abgrenzungskriterien heranzuziehen, nach denen sich beurteilt, ob ein und dieselbe 'Tat' im strafprozessualen Sinne vorliegt oder nicht. Denn auch insoweit kommt es darauf an, ob ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang inmitten steht, in dessen Rahmen die einzelnen Sachverhalte innerlich so miteinander verknüpft sind, dass sie nach der Lebensauffassung eine Einheit bilden und ihre getrennte Behandlung als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde, wobei insbesondere ein großer zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Vorkommnissen die Einheit des geschichtlichen Vorgangs beseitigen kann (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. 1987, RdNrn. 4 f. zu § 264). Da die Voraussetzungen des strafprozessualen Tatbegriffs – anders als diejenigen der Handlung im Sinne des materiellen Strafrechts – im Wesentlichen unstrittig sind und sie durch eine umfangreiche Rechtsprechung konkretisiert wurden (vgl. Gollwitzer, a.a.O., Fn. 15 zu § 264), steht in der Gestalt dieser Rechtsfigur ein hinreichend scharf konturiertes Abgrenzungskriterium zur Verfügung, auf das nach dem Vorgesagten allerdings nur hilfsweise zurückzugreifen sein wird, wenn sich nicht feststellen lässt, ob ein einheitlicher oder mehrere selbständige Vorgänge des 'Sich-Berauschens' inmitten stehen."
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