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OLG Bamberg Beschluss vom 21.04.2008 - 2 Ss OWi 499/08 - Zu den Grenzen der freien Beweiswürdigung bei der Identifizierung eines Betroffenen an Hand eines Messfotos

OLG Bamberg v. 21.04.2008: Zu den Grenzen der freien Beweiswürdigung bei der Identifizierung eines Betroffenen an Hand eines Messfotos


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 21.04.2008 - 2 Ss OWi 499/08) hat entschieden:
Bei der Identifizierung eines Betroffenen anhand von Lichtbildern sind der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter Grenzen gesetzt. Je nach Qualität und Inhalt der Beweisfotos können sich ein Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betroffenen in einem solchen Fall trotzdem aufgrund der Beweisfotos als überführt an, ist dies rechtsfehlerhaft und das Urteil kann insoweit im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden. Deshalb müssen die Urteilsgründe so gefasst werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob die Beweisfotos überhaupt zur Identifizierung einer Person geeignet sind.


Siehe auch Lichtbildqualität - Radarfoto und Lichtbildbeweis - Radarfoto - Videoaufzeichnung - Passfotovergleich - Wahllichtbildvorlage


Aus den Entscheidungsgründen:

"I.

Das Amtsgericht Landsberg am Lech sprach den Betroffenen am 06.02.2008 schuldig, als Kraftfahrzeugführer fahrlässig bei einer Geschwindigkeit von 142 km/h einen Abstand von weniger als 2/10 des halben Tachowertes eingehalten zu haben, und verurteilte ihn zu 200 EUR Geldbuße sowie 2 Monaten Fahrverbot. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde; er rügt das Verfahren und die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge zumindest vorläufigen Erfolg, weil die Urteilsgründe lückenhaft sind (§§ 267 Abs. 1, 337 StPO i.V.m. §§ 71 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

1. Zur Fahreridentität enthält das angefochtene Urteil folgende Feststellungen und beweiswürdigenden Erwägungen (EU Seite 3/4):
„Der Betroffene hat sich nicht zur Sache eingelassen. Er ist jedoch überführt durch die glaubhaften Angaben des Zeugen POK K. … und die in Augenschein genommenen Bilder und beim Messvorgang erstellten Videoaufnahmen.

Der Zeuge K. hat anhand des ihm vorgehaltenen Messprotokolls vom 15.06.2007 (Bl. 8 d.A.), der erstellten Auszüge (Bl. 9 d.A.) und des in Augenschein genommenen Videobandes den Messvorgang bezüglich des angeführten Audi (mit dem amtlichen Kennzeichen XXX) erörtert, als dessen Halter der Betroffene ermittelt worden sei.



Die Aufzeichnungen auf dem Videoband sind von guter Qualität. Das Gericht hat den Betroffenen, der auch Halter des Tatfahrzeugs ist, als Fahrer wiedererkannt. Dem Beweisantrag des Verteidigers, ein „biometrisch-anthropologisches“ Gutachten einzuholen, hat es nicht stattgegeben, weil angesichts der Qualität der Aufnahmen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht mehr erforderlich war.“
2. Diese Urteilsausführungen genügen den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung an die tatrichterlichen Feststellungen zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer mittels Tatfotos nicht.

a) Für die Identifizierung eines Betroffenen anhand bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit gefertigter Lichtbilder gilt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich folgendes (BGH St 41, 376f; BGH, Urteil vom 15.02.2005, Az. 1 StR 91/04):

Ob ein Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betroffene der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat - zunächst - allein der Tatrichter zu entscheiden. Es kann daher mit der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nicht mit Erfolg beanstandet werden, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem Tatortfoto abgebildeten Person identisch. Die Überprüfung dieser tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht prinzipiell versagt.

Auch bei der Identifizierung eines Betroffenen anhand von Lichtbildern - mit oder ohne sachverständige Beratung - sind aber der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter Grenzen gesetzt. Je nach Qualität und Inhalt der verfügbaren Beweisfotos können sich ein Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betroffenen in einem solchen Fall trotzdem aufgrund der Beweisfotos als überführt an, ist dies rechtsfehlerhaft und das Urteil kann insoweit im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden. Deshalb müssen die Urteilsgründe so gefasst werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob die Beweisfotos überhaupt zur Identifizierung einer Person geeignet sind.

Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf die in den Akten befindlichen Beweisfotos gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Durch die Bezugnahme, die deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein muss, werden die Lichtbilder Bestandteil der Urteilsgründe. Es bedarf dann - jedenfalls in der Regel - keiner näheren Ausführungen hierzu, weil das Rechtsbeschwerdegericht die Lichtbilder aus eigener Anschauung würdigen und beurteilen kann.

Verzichtet der Tatrichter hingegen auf diese die Abfassung der Urteilsgründe wesentlich erleichternde Verweisung, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, vor allem zur Bildschärfe, und zum Bildinhalt enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung der Fotos die Prüfung von deren Ergiebigkeit ermöglicht wird.

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

Der Tatrichter hat hier nicht in rechtswirksamer Weise von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch gemacht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine solche Bezugnahme deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden. Der bloße Hinweis auf „in Augenschein genommene Bilder“ bzw. ein „in Augenschein genommenes, beim Messvorgang erstelltes Videoband“ (EU Seite 3 Ziffer III) genügt hierfür nicht (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 267 Rn. 8 m.w.N.). Mit einem solchen Hinweis wird nämlich nur der Beweiserhebungsvorgang beschrieben, aufgrund dessen sich der Tatrichter seine Überzeugung zur Fahreridentität gebildet hat. Hinzukommen muss, dass - durch den Urteilsfeststellungen „deutlich und zweifelsfrei“ zu entnehmende Bezugnahme gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG - das im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Lichtbild bzw. Videoband in die Urteilsurkunde als deren Bestandteil aufgenommen wird, und folglich müssen auch diese „externen Bestandteile“ der eigentlichen Urteilsurkunde dem Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 347 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG mit vorgelegt werden.

Hier fehlt es schon an einer prozessordnungsgemäßen Bezugnahme - auch hinsichtlich der auf Bl. 9 d.A. enthaltenen Auszüge aus dem Tatvideoband (Nr. 20059 vom 15.6.2007); außerdem befindet sich das Videoband, das nach den Urteilsausführungen auf Seite 4 unter Abschnitt III Nr. 2 maßgebliche Grundlage der Überzeugungsbildung des Tatrichters zur Fahreridentität war, nicht bei den Beschwerdeakten.

Der Tatrichter hätte deshalb den auf dem Videoband bzw. sonstigen Aufnahmen zum Tathergang abgebildeten Fahrzeugführer im Einzelnen beschreiben müssen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob das in Augenschein genommene Videoband bzw. sonstige Tatfoto für die Identifizierung geeignet ist. Solche konkreten Angaben zur Qualität der Beweisbilder und zu deren genauem Inhalt fehlen in den Urteilsgründen jedoch völlig. Die Urteilsfeststellungen ermöglichen deshalb keine hinreichende Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrüge hin, ob die Überzeugungsbildung des Tatrichters bezüglich der Fahreridentität frei ist von Rechtsfehlern.

Schon deshalb kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

3. Im Übrigen sind auch die Feststellungen zu dem auf der Messstrecke eingehaltenen Fahrzeugabstand und zur Geschwindigkeit des Tatfahrzeugs lückenhaft.

Es fehlen die konkreten Durchfahrtszeiten des Tatfahrzeugs und des diesem vorausgefahrenen Fahrzeugs an der jeweiligen Messlinie, anhand derer einerseits das Amtsgericht die Geschwindigkeit des Tatfahrzeugs und dessen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug ermittelte und andererseits die Richtigkeit dieser Feststellungen des Amtsgerichts durch das Rechtsbeschwerdegericht überprüft werden kann.

Auch insoweit genügt die bloße Mitteilung des Ergebnisses der Überzeugungsbildung des Tatrichters nicht (§ 267 Abs. 1 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG).

4. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war das angefochtene Urteil deshalb mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Nach § 79 Abs. 6 OWiG war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Erstgericht zurückzuverweisen. ..."