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OLG Brandenburg Urteil vom 25.09.2008 - 12 U 202/07 - Den in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer trifft die Beweislast dafür, dass es sich um einen vorgetäuschten Unfall handelt

OLG Brandenburg v. 25.09.2008: Den in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer trifft die Beweislast dafür, dass es sich um einen vorgetäuschten Unfall handelt


Das OLG Brandenburg (Urteil vom 25.09.2008 - 12 U 202/07) hat entschieden:
Den auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer trifft die Beweislast dafür, dass es sich um einen vorgetäuschten Unfall handelt. Der Nachweis kann auch im Wege des Indizienbeweises erbracht werden. Dieser wird durch die Sammlung von Hilfstatsachen geführt, die den Schluss auf die gesuchte Haupttatsache rechtfertigen. Kann keine der beiden unfallbeteiligten Parteien eine plausible Erklärung für das behauptete Unfallgeschehen abgegeben und ist nicht nachvollziehbar, wie es unter den geschilderten Umständen zu der angegebenen Uhrzeit, unter Berücksichtigung der Straßenverhältnisse und der Verkehrssituation zu dem behaupteten Auffahrunfall hat kommen können, ist aufgrund von Indizien von einer Unfallmanipulation auszugehen.


Siehe auch Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell und Indizienbeweisführung und Unfallbetrug


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die zulässige, insbesondere gemäß den §§ 517 ff ZPO form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG bzw. § 823 Abs. 1 BGB jeweils i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG (a.F.) zu.

1. Es kann dahinstehen, ob der Kläger sein Eigentum an dem geschädigten BMW 323 Ti mit dem amtlichen Kennzeichen … hinreichend dargelegt hat oder zu seinen Gunsten die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB eingreift. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass er zum Zeitpunkt des behaupteten Unfalls Eigentümer des Fahrzeugs gewesen ist, stehen ihm die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Der Senat ist ebenso wie das Landgericht davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass es sich bei dem vom Kläger vorgetragenen Unfall um einen manipulierten Unfall gehandelt hat, der Kläger somit in die Verletzung seines Eigentums eingewilligt hat, so dass ihm aus diesem Grund keine Schadensersatzansprüche zustehen.

a) Grundsätzlich hat der Geschädigte den äußeren Tatbestand der Rechtsgutsverletzung, also die Beschädigung seines Eigentums durch das gegnerische Fahrzeug sowie das Ausmaß des unfallbedingten Schadens darzulegen und zu beweisen. Demgegenüber trifft den auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer die Beweislast dafür, dass es sich um einen vorgetäuschten Unfall handelt. Der Nachweis, dass es sich um einen verabredeten Unfall handelt, kann auch im Wege des Indizienbeweises erbracht werden. Dieser wird geführt durch die Sammlung von Hilfstatsachen, die den Schluss auf die gesuchte Haupttatsache rechtfertigen, wobei die Hilfstatsachen feststehen, also unstreitig oder bewiesen sein müssen (vgl. Lemcke r+s 1993, 121, 123). Dabei sind nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden Umstände zu berücksichtigen. Die Überzeugungsbildung des Gerichts setzt insoweit keine wissenschaftlich lückenlose Gewissheit voraus, es genügt vielmehr der Nachweis einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für ein unredliches Verhalten, wobei die Grundsätze des Anscheinsbeweises auch für die Fälle der Unfallvereinbarung anwendbar sind (vgl. BGH NJW 1978, 2154; BGH VersR 1987, 503; BGH VersR 1988, 683; BGH NJWRR 1989, 983; OLG Köln VersR 2001, 872; KG NZV 2006, 264, 265 jeweils m.w.N.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 7 StVG Rn. 48). Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen, die für eine Manipulation spricht, gestattet eine entsprechende Feststellung gem. § 286 ZPO (vgl. zum Ganzen auch Senatsurteil v. 17.01.2008 – 12 U 123/07, VRS 114, 257).

b) Im Streitfall kann offen bleiben, ob es tatsächlich zu einer Kollision zwischen den Fahrzeugen gekommen ist. Jedenfalls liegen hinreichende Indiztatsachen vor, die bei der gebotenen Gesamtbetrachtung den Schluss zulassen, dass es sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit um einen verabredeten Unfall gehandelt hat. Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Weder rechtfertigen die Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung eine andere Beurteilung, noch hat die vom Senat durchgeführte Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 2. im Termin zur mündlichen Verhandlung die für eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien zu erschüttern vermocht. Im Einzelnen:

Keine der beiden unfallbeteiligten Parteien hat eine plausible Erklärung für das behauptete Unfallgeschehen abzugeben vermocht. Es ist nicht nachvollziehbar, wie es unter den von den Beteiligten geschilderten Umständen zu der angegebenen Uhrzeit, unter Berücksichtigung der Straßenverhältnisse und der Verkehrssituation zu dem von dem Kläger behaupteten Auffahrunfall hat kommen können. Nach den Angaben der Beklagten zu 2. war diese bereits über einen Zeitraum von ca. 10 – 15 min. hinter dem Fahrzeug des Klägers mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 – 80 km/h hergefahren. Sie hatte somit das vor ihr fahrende Fahrzeug des Klägers bereits seit geraumer Zeit im Blick. Die Beklagte zu 2. hat zudem angegeben, nicht in einem dichten Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug des Klägers gefahren zu sein. Unter diesen Umständen erschließt es sich jedoch für den Senat nicht, warum es für die Beklagte zu 2. nicht möglich gewesen sein soll, auf das Abbremsen des vor ihr fahrenden Fahrzeuges des Klägers rechtzeitig zu reagieren. Ein derart starkes Abbremsen i.S.d. § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, wodurch möglicherweise die Beklagte zu 2. nur verzögert hätte reagieren können, wird von ihr nicht geschildert. Ebenso ist nicht ersichtlich, warum die Beklagte zu 2. nicht zumindest ein Ausweichen ihres Fahrzeuges versucht hat, obwohl zum fraglichen Zeitpunkt offenbar Gegenverkehr nicht vorhanden war. Schließlich hat die Beklagte zu 2. ihre angebliche Unaufmerksamkeit auch nicht plausibel zu erklären vermocht. Es wird lediglich vorgetragen, sie sei infolge kurzzeitiger Unaufmerksamkeit aufgefahren (Bl. 103 GA). Weshalb sie unaufmerksam war und aus welchen Gründen sie sich von dem Verkehrsgeschehen vor ihr hat ablenken lassen, obwohl sie gemäß ihren Angaben bereits über einen längeren Zeitraum hinter dem Kläger hergefahren ist, ist von ihr nicht nachvollziehbar erläutert worden. Im Rahmen der informatorischen Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist dieses widersprüchliche Unfallverhalten von der Beklagten zu 2. ebenfalls nicht plausibel erläutert oder gar aufgeklärt worden. Soweit sie angegeben hat, sie habe nach möglicherweise die Fahrbahn kreuzendem Wild Ausschau gehalten, da es sich bei der Bundesstraße, auf der sich der Unfall ereignet haben soll, um einen im Hinblick auf Wildunfälle besonders gefahrträchtigen Straßenabschnitt gehandelt habe, vermag dies den behaupteten Unfall ebenfalls nicht zu erklären, da ein solches Verhalten der Beklagten zu 2. eher eine gesteigerte Aufmerksamkeit voraussetzt, so dass erst recht nicht erklärlich ist, warum die Beklagte zu 2. den Abbiegevorgang des vor ihr fahrenden Fahrzeuges des Klägers nicht gesehen haben will.

Die Angaben des Klägers sind, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, ebenfalls nicht plausibel. Einen nachvollziehbaren Grund für die Einleitung eines Abbiegemanövers hat er nicht angeben können. Mit dem Landgericht hält auch der Senat seine Behauptung, er sei nach rechts in den Plattenweg eingebogen, weil er habe „austreten“ müssen, im Hinblick darauf, dass die Unfallstelle nur knapp 4 km von seinem Wohnort entfernt liegt und der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt hat, dass er nach dem Unfall kein Wasser mehr habe lassen müssen, für eine Schutzbehauptung. Auch im Übrigen sind die Angaben des Klägers zum Unfallgeschehen vage und detailarm geblieben, da er sich wiederholt darauf berufen hat, zu Einzelheiten nichts mehr sagen zu können.

Ein weiterer Umstand, der erhebliche Zweifel an der von dem Kläger und der Beklagten zu 2. vorgetragenen Unfallschilderung weckt, ist die Tatsache, dass die von dem Kläger geltend gemachten Unfallschäden mit der Unfallschilderung der Beteiligten nicht in Einklang zu bringen sind. Nach den Angaben des Klägers hatte er den Abbiegevorgang bereits fast vollständig abgeschlossen, als es zum Unfall gekommen ist (vgl. Bl. 125 GA). Träfe dies zu, wäre zu erwarten, dass lediglich der rechte Heckbereich des klägerischen Fahrzeuges durch den Unfall in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Nach dem vorgelegten Gutachten des Kfz-Sachverständigen L. ist jedoch der gesamte Heckbereich einschließlich des Längsträgers, der Beleuchtung und der Seitenwand hinten links beschädigt. Die geltend gemachten Beschädigungen an der linken Fahrzeugseite sind jedoch mit der von dem Kläger geschilderten Kollision, wie sie auch in der Verkehrsunfallanzeige aufgenommen worden ist, nicht kompatibel.

Darüber hinaus liegen weitere, bereits vom Landgericht festgestellte Indizien für eine Unfallverabredung vor. So hat sich der Unfall nachts auf unbelebter Straße ereignet, unabhängige Unfallzeugen sind ebenso wie Brems- und Ausweichspuren nicht vorhanden und der herbeigerufenen Polizei wird eine vermeintlich klare Haftungslage präsentiert. Unstreitig wies das Fahrzeug des Klägers, bei dem es sich um ein gehobenes Mittelklassemodell handelt, Vorschäden im Heckbereich auf, der durch den behaupteten Unfall wiederum betroffen sein soll. Bei dem Schädigerfahrzeug handelt es sich hingegen ausweislich der Angaben in der beigezogenen Akte des Amtsgerichts Königs Wusterhausen, Az.: 20 C 191/07, um einen zu dem angeblichen Unfallzeitpunkt 11 Jahre alten Audi A 6 mit einer Laufleistung von knapp 100 000 km, für den eine Vollkaskoversicherung bestand. Typisch für manipulierte Unfälle ist darüber hinaus, dass die Eigentumsverhältnisse an dem beschädigten Fahrzeug – wie hier – unklar sind und der Kläger nicht in der Lage ist, aus welchen Gründen auch immer aussagekräftige Unterlagen über den Erwerb des Eigentums an dem Fahrzeug vorzulegen. Zwar hat das Landgericht im Rahmen der Würdigung der für eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien es fehlerhaft zulasten des Klägers gewertet, dass er fiktive Reparaturkosten geltend mache, während er tatsächlich vorgetragen hat, dass das Fahrzeug in der Werkstatt des Herrn F. repariert worden sei. Diesem Umstand kommt jedoch hinsichtlich der Frage, ob es sich vorliegend um einen manipulierten Unfall handelt, keine ausschlaggebende Bedeutung zu, zumal die Rechnung der Fa.F. vom 26.04.2006 (Bl. 5 ff GA) sowohl hinsichtlich des Arbeitslohnes als auch hinsichtlich der Materialkosten bis auf den letzten Cent mit der Reparaturkostenkalkulation des Sachverständigen L. in seinem Gutachten vom 12.01.2006 übereinstimmt. Das Gleiche gilt hinsichtlich des Umstandes, dass der Kläger eine Nachbesichtigung des Fahrzeuges nicht vereitelt hat, da sowohl der von dem Beklagten zu 1. beauftragte Sachverständige M. als auch der Sachverständige G. den Pkw des Klägers vor dessen Weiterveräußerung haben begutachten können.

Schließlich ergeben sich auch aus der beigezogenen Akte des Polizeipräsidiums … keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass sich das Unfallgeschehen tatsächlich so wie vom Kläger behauptet abgespielt hat, da die den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten bei dem Unfall selbst nicht zugegen gewesen sind, sondern die Verkehrsunfallanzeige nur nach den Angaben der Beteiligten gefertigt haben.

2. Besteht nach alledem kein Anspruch gegen den Beklagten zu 1., so war auch die gegen die Beklagten zu 2. und 3. als Fahrerin und Halter gerichtete Klage abzuweisen. Zwar handelt es sich bei den Beklagten um einfache Streitgenossen mit der Folge, dass die einzelnen Rechtsstreite grundsätzlich einen unterschiedlichen Verlauf nehmen können. Auch haben die Beklagten zu 2. und 3. die Kollision der Fahrzeuge nicht in Abrede gestellt und bestritten, dass es sich bei dem Unfall um ein zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2. verabredetes Ereignis gehandelt hat, so dass der entgegenstehende Vortrag des Beklagten zu 1. als Streithelfer in Widerspruch zu dem Vortrag der unterstützten Hauptpartei steht und damit gem. § 67 ZPO unbeachtlich ist. Die Rechtskrafterstreckung des § 3 Nr. 8 PflVG, wonach die rechtskräftige Abweisung der Klage gegen den Versicherer zugleich auch zugunsten des Versicherungsnehmers und des mitversicherten Fahrers wirkt, führt jedoch im Streitfall dazu, dass aufgrund der infolge der Nichtzulassung der Revision unanfechtbaren Klageabweisung gegenüber dem Beklagten zu 1. selbst dann, wenn – wie hier – Versicherer und Versicherungsnehmer nicht in getrennten Prozessen, sondern als einfache Streitgenossen in ein und demselben Rechtsstreit in Anspruch genommen werden, die Klage auch gegen die Beklagten zu 2. und 3. abzuweisen ist (vgl. BGH VersR 1981, 1156, 1157; BGH VersR 1981, 1158, 1159; BGH VersR 2003, 1121; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 3 Nr. 8 PflVG Rn. 2; Lemcke a.a.O.S. 161). ..."



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