Ein human-biologisches Gutachten stellt kein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren dar. Der Tatrichter muss in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen einschließlich der angewandten Berechnungsmethoden und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben.
Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht Herford hat die Betroffene am 18.02.2008 wegen einer fahrlässigen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 45 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 € verurteilt.
Im Urteil wurden u.a. folgende Feststellungen getroffen:„Die Betroffene befuhr am 20.09.2006 gegen 10.40 Uhr mit einem Pkw der Marke Daimler Chrysler, amtl. Kennzeichen …1, in M. die M1-Straße in Fahrtrichtung M2. In Höhe der Hausnummer 209 hielt sie dabei auf dem innerorts gelegenen Teil der M1-Straße die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nicht ein. Sie fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 95 km/h.“Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde im Urteil dargelegt, dass sich die Betroffene im letzten Termin auf ihr Schweigerecht berufen und zur Sache keine Aussage gemacht, jedoch in einem vorangegangenen Termin eingeräumt habe, sie sei zwar Halterin des Pkw, mache aber zur Fahrereigenschaft keinerlei Angaben. Dabei habe die Betroffene in den Raum gestellt, dass ihre Bekannte, die Zeugin W., gefahren sein könnte. Im Termin vom 18.02.2008 habe die Zeugin W. angegeben, bei dem fraglichen Pkw handele es sich um einen Wagen, der auf den Namen der Betroffenen zugelassen gewesen sei und der sowohl von der Betroffenen als auch von der Zeugin selbst benutzt werde. Die Zeugin könne auf dem vorliegenden Radarmessfoto nicht erkennen, ob sie selbst oder die Betroffene gefahren sei.
Zur Beweiswürdigung hieß es weiter:„Aufgrund dieser Angaben der Zeugin W. kann zunächst einmal festgestellt werden, dass der fragliche Pkw auf den Namen der Betroffenen zugelassen war. Das ergibt sich im Übrigen auch aus dem Aktenverlauf. Bei einer ersten Auswertung des Radarmessfotos wurde nämlich die Betroffene mit Schreiben des Kreises I vom 09.10.2006 als Halterin des Fahrzeuges angeschrieben.Gegen dieses Urteil richtete sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
Aus der festgestellten Haltereigenschaft konnte allerdings nicht zwingend geschlossen werden, dass die Betroffene den Pkw zum Vorfallzeitpunkt auch gefahren hat. Als potentielle Mitfahrerin kam die Zeugin W. in Betracht. Das Gericht hat es deshalb im jetzigen Hauptverhandlungstermin für notwendig erachtet, ein sogenanntes human-biologisches Gutachten durch den Sachverständigen Dr. med. H. von der Universität in E. zur Fahrereigenschaft einzuholen. Der Sachverständige Dr. med. H hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass die Zeugin W. den Pkw geführt hat. Bei einem Vergleich des Lichtbildes der Zeugin W., welches im Termin gemacht wurde, mit dem Frontfoto, welches bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigt wurde, kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass bei der Zeugin W. lediglich Stufe 1 von 9 möglichen Stufen der Wahrscheinlichkeit vorliege. Bei einem Vergleich des Lichtbildes der Betroffenen, welches im Termin aufgenommen wurde, mit dem Frontfoto der Fahrerin aus dem stationären Geschwindigkeitsmessgerät ergab sich für die Ähnlichkeit eine Stufe 7 von 9 möglichen Stufen, wie der Sachverständige im Einzelnen ausführte. Der Sachverständige beurteilte die Qualität des Frontfotos als eher mäßig, und das Frontfoto war deshalb nur eingeschränkt auswertbar. Ingesamt stellte der Sachverständige 25 übereinstimmende Merkmale fest.
Irgendwelche Widersprüche konnte er bei der Auswertung der Vergleichsfotos nicht entdecken. Eine sehr große Übereinstimmung gab es für den Sachverständigen im Bereich der Wange, der Nase und der Nasenspitze sowie im Bereich des Kinns. Das Gericht hielt diese Auswertung der vorliegenden Fotos durch den Sachverständigen für zutreffend und überzeugend. Der Sachverständige machte Ausführungen, die sich mit den Erkenntnissen des Gerichts deckten. Was die Zeugin W. angeht, war hierzu festzustellen, dass es einige Unähnlichkeiten gab, z.B. beim Augenabstand und im Bereich der Augenbrauen sowie im Bereich der Nasenspitze. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen kam deshalb nur die Betroffene als Fahrerin des Pkw in Betracht.
In der gesamten Beweisaufnahme haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass außer der Betroffenen und außer der Zeugin W. noch andere Personen den Pkw gefahren haben könnten. Bei der Entscheidung, wer gefahren haben könnte, gab es somit nur die Wahlmöglichkeit zwischen der Betroffenen und der Zeugin W. Diese Wahlmöglichkeit ging eindeutig zu Lasten der Betroffenen, weil hier eine sehr große Ähnlichkeit festgestellt werden konnte, während bei der Zeugin W. die Fahrereigenschaft eher unwahrscheinlich war. Bei dieser Beweissituation ist es dann aber unerheblich, dass das Frontfoto eher eine mäßige Qualität hatte und nicht vollständig ausgewertet werden konnte.
Insgesamt ist das Gericht also zu der Überzeugung gelangt, dass die Betroffene den Pkw zum Vorfallszeitpunkt gefahren hat.“
Das Rechtsmittel hatte - vorläufigen - Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die zulässige und gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat auf die Sachrüge hin - zumindest vorläufig - Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Die Gründe des angefochtenen Urteils sind lückenhaft und ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei die Feststellung getroffen wurde, dass die Betroffene zum Vorfallszeitpunkt Fahrerin des maßgeblichen Pkw war.
Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft der Betroffenen auf das Ergebnis eines human-biologischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. H. von der Universität in E.
Die Human-Biologie stellt ein Teilgebiet der naturwissenschaftlichen Anthropologie - der Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung in natur- und geisteswissenschaftlicher Hinsicht - dar und beschäftigt sich insbesondere mit der Entstehung der menschlichen Rassen. Bei einem human-biologischen, somit anthropologischen Gutachten werden anhand von Lichtbildern der Raumüberwachungskamera eine bestimmte Zahl deskriptiver morphologischer Merkmale (z.B. Nasenfurche, Nasenkrümmung etc.) oder von Körpermaßen des Täters herausgearbeitet und mit den entsprechenden Merkmalen des Tatverdächtigen verglichen (BGH, Urteil vom 27.10.1999, NJW 2000, S. 1350; BGH, NStZ 1991, S. 596). Ein solches Gutachten stellt kein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie beispielsweise das daktyloskopische Gutachten dar (BGH, Urteil vom 27.10.1999, NJW 2000, S. 1350, 1351; OLG Hamm, Beschluss vom 26.05.2008, 3 SsOWi 793/07; OLG Hamm, Beschluss vom 27.05.2004, 1 SsOWi 281/04).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er von der Sachkunde des Sachverständigen überzeugt ist und sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 27.10.1999 in NJW 2000, S. 1350; BGHSt 12, 311, 314 in NJW 1959, S. 780; BGH, NStZ 1991, S. 596). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGHSt 39, 291, 296 f. in NJW 1993, S. 381).
Eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung kann nur ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie das daktyloskopische Gutachten, die Blutalkoholanalyse oder die Bestimmung von Blutgruppen handelt (BGHSt 39, 291, 297 ff. in NJW 1993, S. 3081).
Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des nicht standardisierten human-biologischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. H. im amtsgerichtlichen Urteil nicht. Dieses teilt lediglich mit, dass das Gutachten im Ergebnis bei der ebenfalls als Tatverdächtigen in Betracht kommenden Zeugin W. zu einer Wahrscheinlichkeitsstufe 1 von 9 möglichen Stufen und bei der Betroffenen zu einer Wahrscheinlichkeitsstufe 7 von 9 möglichen Stufen gelangt, dass die Qualität des dabei zum Vergleich herangezogenen Frontfotos „eher mäßig“, es daher nur eingeschränkt auswertbar gewesen sei, und dass der Sachverständige - wohl bei der Betroffenen - 25 übereinstimmende Merkmale festgestellt habe, insbesondere eine sehr große Übereinstimmung im Bereich der Wange, der Nase, der Nasenspitze und des Kinns, wogegen bei der Zeugin einige Unähnlichkeiten, z.B. beim Augenabstand und im Bereich der Augenbrauen sowie der Nasenspitze festgestellt worden seien.
Diese Angaben genügen jedoch nicht, um die Bewertung der Beweisbedeutung des Gutachtens durch den Sachverständigen nachvollziehen zu können und dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Schlüssigkeit des human-biologischen Gutachtens zu ermöglichen. Dazu hätte zunächst dargelegt werden müssen, und zwar nicht nur beispielhaft, auf welche übereinstimmenden metrischen Körpermerkmale der Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat. Auch fehlen Ausführungen im Urteil dazu, aufgrund welcher Berechnungen der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Betroffene auf einer Wahrscheinlichkeitsstufe 7 von 9 möglichen Stufen und die Zeugin W. auf einer Wahrscheinlichkeitsstufe 1 von 9 möglichen Stufen Täterin der Geschwindigkeitsüberschreitung ist. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, auf welches biostatistische Vergleichsmaterial sich die Wahrscheinlichkeitsberechnung im Hinblick auf die Betroffene und - zum Ausschluss einer möglichen Täterschaft der Zeugin - im Hinblick auf die Zeugin stützt, d.h. ob dieses Vergleichsmaterial im Hinblick auf die Bevölkerungsabgrenzung, die Größe des Probandenkreises und des Alters der Untersuchung repräsentativ ist und das Vorkommen des einzelnen Merkmals in der weiblichen Bevölkerung zur Tatzeit zutreffend wiederspiegelt oder ob es sich nur um mehr oder weniger genaue, den Beweiswert der Wahrscheinlichkeitsaussage relativierende Anhaltswerte handelt.
Zudem müssen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Lichtbilder, die für ein anthropologisches Identitätsgutachten als Identifizierungsgrundlage dienen, eine gewisse Qualität aufweisen, um überhaupt als Grundlage einer Identifizierung geeignet zu sein (BGH, Urteil vom 15.02.2005, NStZ 2005, S. 458, 459; BGH NStZ 1991, S. 596).
Im Falle mangelhafter Qualität der zugrunde zu legenden Bilder ist die Erkennbarkeit von Merkmalen beeinträchtigt und damit ein Gutachten nicht aussagekräftig. Das Gericht wird in solchen Fällen zunächst selbst beurteilen, ob die Tataufnahmen als Anknüpfungstatsachen für eine Begutachtung geeignet sind und gegebenenfalls bei Verneinung einer Eignung keinen Anlass für eine Begutachtung sehen (BGH, Urteil vom 15.02.2005, NStZ 2005, S. 458, 459).
Hier hat gemäß Urteilsfeststellungen der Sachverständige, dessen Auswertung das Gericht für zutreffend und überzeugend hielt, die Qualität des Frontfotos „als eher mäßig“ und deshalb „nur eingeschränkt auswertbar“ beurteilt und der Richter am Amtsgericht diese Beschaffenheit des Frontfotos als unerheblich erachtet, da es bei der Entscheidung, wer gefahren sein könnte, nur die Wahlmöglichkeit zwischen der Betroffenen und der Zeugin W. gegeben habe. Andererseits hat das Gericht jedoch auf der Grundlage eines Vergleichs des Lichtbildes der Zeugin W. mit dem Frontfoto die Fahrereigenschaft der Zeugin als eher unwahrscheinlich eingeschätzt.
Soweit das Urteil daher dahingehend zu verstehen ist, dass Grundlage für die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch die für die Erstellung des Vergleichsgutachtens erforderliche Inaugenscheinnahme des - eine mäßige Qualität aufweisenden und daher nur eingeschränkt auswertbaren - Beweisfotos war, fehlt es insoweit schon an einer wirksamen Bezugnahme auf das Messfoto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG. Da die Bezugnahme deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein muss (BGH St 41, 377, 382), genügt das Urteil den Anforderungen an eine Bezugnahme nicht mit der Folge, dass das betreffende Frontfoto nicht Bestandteil der Urteilsgründe ist. Dem Senat ist es daher verwehrt, die Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen, um zu beurteilen, ob das Beweisfoto als Grundlage einer Identifizierung der Betroffenen bzw. eines Ausschlusses der ebenfalls als Tatverdächtigen in Betracht kommenden Zeugin W. tauglich ist.
Neben dem Hinweis, dass das Frontfoto von eher mäßiger Qualität ist, sind konkrete Identifizierungsmerkmale, die sich anhand des Fotos ergeben, in dem angefochtenen Urteil nicht beschrieben. Wenn jedoch eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf das Beweisfoto nicht erfolgt ist, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person, jedenfalls aber mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale, so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos eine Prüfung dahingehend ermöglicht wird, ob das Foto zur Identifizierung generell geeignet ist (BGH St 41, 376 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 17.07.2002, MZV 2002, S. 472, 473) und hier zudem, ob das Foto zum Ausschluss einer bestimmten anderen verdächtigen Person geeignet ist.
Dies ist jedoch anhand der Urteilsgründe nicht möglich, so dass das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen kann, ob das vom Tatrichter in Augenschein genommene und vom Gutachter ausgewertete Lichtbild für eine Überzeugungsbildung überhaupt ergiebig ist oder ob nach Qualität und Inhalt des Bildes ein Vergleich mit der Betroffenen und der Zeugin sowie der Schluss auf die Täterschaft bzw. den Ausschluss der Täterschaft einer dieser Personen von vornherein schlechterdings unmöglich und willkürlich erscheint (zu einem solchen Fall BGH St 31, 376, 382).
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Gütersloh zurückzuverweisen. ..."