Wenn der Fahrer, der ein Fahrzeug verbotswidrig geparkt hat, bekannt ist, ist er in der Regel vor dem Fahrzeughalter vorrangig zu den Kosten des Abschleppens heranzuziehen.Zum Sachverhalt: Am 25. Mai 2007 traten bei der Klägerin, die in der sechsten Woche schwanger war, Unterleibsschmerzen und Blutungen auf. Da sie bereits ein Jahr zuvor nach ähnlichen Symptomen eine Fehlgeburt erlitten hatte, rief ihr Ehemann die Gynäkologin Frau Dr. G.-S. an, deren Praxis sich in der R.-Str. 3 in O. befindet und die an diesem Tag die Vertretung für die eigentliche Frauenärztin der Klägerin wahrnahm. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass erneut eine Fehlgeburt droht, riet man der Klägerin, sich unverzüglich in frauenärztliche Behandlung zu begeben.
Der Ehemann fuhr daraufhin die Klägerin mit deren PKW zur Praxis der Frauenärztin. Da kein anderer Parkplatz in Praxisnähe frei war, parkte der Ehemann den PKW gegen 10:58 Uhr auf einem durch Zeichen 314 (§ 41 StVO) mit Zusatzzeichen 1044.10 (§ 39 StVO) für Schwerbehinderte mit besonderer Gehbehinderung bzw. Blinde reservierten Sonderparkplatz an der Ecke T./ R.-Str.. Er zog aus dem dort aufgestellten Parkscheinautomaten einen Parkschein für eine Stunde. Weder er noch die Klägerin verfügten über einen Berechtigungsausweis für die Benutzung von Behindertenparkplätzen. Der Ehemann begleitete die Klägerin, die nur noch gekrümmt gehen konnte, zur Praxis. Dort wohnte er den ärztlichen Untersuchungen bei, bei denen festgestellt wurde, dass ärztliches Handeln den Verlauf der Dinge nicht beeinflussen kann. Eine Fehlgeburt blieb glücklicherweise aus.
Gegen 12 Uhr bemerkten zwei Verkehrskontrolleurinnen der Beklagten den PKW der Klägerin auf dem Behindertenparkplatz und den im Fahrzeug ausliegenden Parkschein. Aufgrund dieses Sachverhaltes riefen sie um 12:04 Uhr einen Abschleppwagen eines Privatunternehmens. Da sich ein solches Fahrzeug zufällig in der Nähe befand, traf es schon um 12:06 Uhr ein. Noch bevor es zum Abschleppen kam, erschien auch der Ehemann der Klägerin, erläuterte den Sachverhalt und fuhr das Fahrzeug weg.
Am 29. Mai 2007 stellte das Abschleppunternehmen der Beklagten für die Leerfahrt des Abschleppwagens 26 EUR in Rechnung.
Am 31. Juli 2007 erließ die Beklagte gegen den Ehemann der Klägerin einen Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen § 24 StVG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 12, § 12 Abs. 3 Nr. 8e) StVO. Zuvor hatte der Ehemann im Rahmen der Anhörung eingeräumt, dass er derjenige war, der das Fahrzeug auf dem Behindertenparkplatz abgestellt hat.
In dem zeitgleich gegen die Klägerin betriebenen Verwaltungsverfahren zur Festsetzung der Abschleppkosten weigerte sich diese unter Verweis auf ihre Notstandssituation, die Kosten zu erstatten. Daraufhin erließ die Beklagte unter dem 14. November 2007 einen Kostenfestsetzungsbescheid über 69,63 EUR. Diese Kosten setzen sich aus den Auslagen für die Tätigkeit des Abschleppunternehmens (26 EUR), Gebühren in Höhe von 41 EUR nach Nr. 108.5.1 des Kostentarifs zur AllGO sowie Zustellungskosten in Höhe von 2,63 EUR zusammen. Der Bescheid wurde der Klägerin am 17. November 2007 zugestellt.
Am 26. November 2007 überwies die Beklagte die 26 EUR an das Abschleppunternehmen.
Die Klägerin hat am 17. Dezember 2007 Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf die Notstandssituation bei der Benutzung des Behindertenparkplatzes. Deshalb sei der Kostenfestsetzungsbescheid unverhältnismäßig. Auch sei ihr Ehemann inzwischen im Bußgeldverfahren vom Amtsgericht O. freigesprochen worden.
Die Beklagte meinte, die Abschleppmaßnahme sei recht- und insbesondere verhältnismäßig gewesen. Insofern verwies die Beklagte auf den angefochtenen Bescheid. Da es vorliegend allein um gefahrenabwehrrechtlichen Kostenersatz gehe und nicht um eine Sanktionierung vorwerfbaren Verhaltens, könne die notstandsähnliche Situation zu keiner anderen Beurteilung führen. Hier sei allein entscheidend, dass objektiv eine Gefahr vorgelegen habe, die die Ordnungsbehörde zum Einschreiten berechtigte. Das ergebe sich auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts. Ferner habe der Parkvorgang nicht nur kurz, sondern über eine Stunde gedauert. Der Ehemann der Klägerin hätte das Fahrzeug nach der Aufnahme der Klägerin bei der Ärztin schon früher wieder entfernen können. Es entspreche der ständigen Praxis der Beklagten, die Abschleppkosten vom Fahrzeughalter zu verlangen, auch wenn das Bußgeldverfahren gegen den Fahrer betrieben werde.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 14. November 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dabei kann dahin stehen, wie sich der unvermeidbare Erlaubnistatbestandsirrtum, in dem sich der Ehemann der Klägerin nach den Feststellungen des Amtsgerichts Oldenburg (Urteil vom 29. Februar 2008 - 29 OWi 767 Js 51864/07 (547/07) -, V.n.b.) beim Abstellen des Fahrzeuges auf dem Behindertenparkplatz befand, auf die verwaltungsrechtliche Kostenfestsetzung auswirkt und ob insofern zwischen der Situation beim Abstellen des Fahrzeuges um 10:58 Uhr und der Situation, als das Fahrzeug um 12:04 Uhr immer noch auf dem Parkplatz stand, differenziert werden muss. Denn der angefochtene Bescheid ist jedenfalls aus anderen Gründen rechtswidrig.
Die Beklagte hat ihr Ermessen hinsichtlich der Frage, ob sie die Klägerin als Halterin oder deren Ehemann als Fahrer zu den Kosten heranzieht, nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
Bei der Abschleppmaßnahme handelte es sich um eine Ersatzvornahme nach § 66 Nds. SOG, mit der die Verpflichtung zum Entfernen des Fahrzeuges von dem Behindertenparkplatz vollstreckt werden sollte (st. Rspr. des VG Oldenburg, vgl.z.B. Urteil vom 29. September 2004 - 2 A 4485/00 -, V.n.B.). Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG ist die Ersatzvornahme auf Kosten des Pflichtigen durchzuführen, das heißt grundsätzlich auf Kosten desjenigen, der nach § 6 oder § 7 Nds. SOG für die abgewendete Gefahr verantwortlich ist (vgl. Böhrenz/ Unger/ Siefken, Nds. SOG, 8. Aufl., § 66 Rn. 4). Hier waren sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann „Veranwortliche“ im Sinne des Nds. SOG. Die Klägerin war als Halterin des Fahrzeuges gemäß § 7 Abs. 1, 2 Nds. SOG Zustandsverantwortliche, ihr Ehemann war als derjenige, der das Fahrzeug auf dem Behindertenparkplatz geparkt hatte, Verhaltensverantwortlicher nach § 6 Abs. 1 Nds. SOG. Beide kommen somit grundsätzlich als Schuldner der Ersatzvornahmekosten in Betracht.
Bei der Auswahl, welchen von zwei Verantwortlichen sie zu den Ersatzvornahmekosten heranziehen will, steht der Beklagten ein Ermessen zu (vgl. § 5 Abs. 1 Nds. SOG; vgl. auch Loeser/ Bartel, NVwKostG (Stand: Juli 2005), § 5 Rn. 5.2). Für den Fall des Abschleppens von Kraftfahrzeugen ist allerdings in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass der Fahrer jedenfalls dann, wenn er der Behörde im Zeitpunkt der Kostenfestsetzung positiv mit Name und Anschrift bekannt ist, vorrangig vor dem Halter heranzuziehen ist (so bspw. VG Köln, Urteil vom 28. August 2008 - 20 K 3320/07 -, juris Rn. 17; VG Hamburg, Urteil vom 1. April 1997 - 16 VG 183/97 -, juris Rn. 28 f.; BayVGH, Beschluss vom 1. Juli 1986 - 21 B 85 A. 3336 - NVwZ 1987, 912 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Januar 1990 - 1 S 36664/88 - juris Rn. 34; VG München, Urteil vom 5. April 2001 - M 17 K 00.3768 -, juris Rn. 19; Sailer, in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl., Abschnitt M Rn. 92). Nur wenn der Fahrer unbekannt ist oder von ihm aus anderen Gründen keine Befriedigung erlangt werden kann - etwa, weil er zahlungsunfähig ist - darf die Behörde den Halter heranziehen (vgl. VG Köln, aaO.; VG Hamburg,aaO.; BayVGH, aaO., unter Aufgabe seiner früheren Rspr., die eine Heranziehung des Halters grundsätzlich ausschloss; VGH Baden-Württemberg, aaO.; VG München, aaO.). Umstritten ist ferner, welche Schritte die Behörde im Vorfeld der Kostenfestsetzung unternehmen muss, um einen ihr unbekannten Fahrer festzustellen (vgl. VG Köln, aaO.; BayVGH, aaO.; VGH Baden-Württemberg, aaO.: Halter ist zunächst nach Personalien des Fahrers zu befragen; erst wenn er sie nicht mitteilt, kann er selbst herangezogen werden; a.A. VG Hamburg, aaO.: wenn die Behörde Name und Anschrift des Fahrers nicht kennt, kann sie den Halter ohne vorherige Nachfrage heranziehen).
Im vorliegenden Fall war der Beklagten bei Erlass des angefochtenen Bescheides positiv bekannt, dass das Fahrzeug nicht von der Klägerin, sondern von deren Ehemann auf dem Behindertenparkplatz abgestellt worden war. Dies hatte der Ehemann sowohl vor Ort gegenüber den Verkehrskontrolleurinnen als auch in dem später von der Beklagten gegen ihn durchgeführten Bußgeldverfahren zugegeben. Dass die Beklagte dieser Einlassung Glauben schenkte, ergibt sich aus der Tatsache, dass sie am 31. Juli 2007 einen Bußgeldbescheid gegen den Ehemann erließ. Auch die Personalien des Fahrers waren der Beklagten vollständig bekannt. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme der beiden Verkehrskontrolleurinnen vom 24. August 2007 (Bl. 21 der Beiakte A), wonach noch vor Ort die Personalien des Ehemannes aufgenommen wurden. Auf die umstrittene Frage, welche Schritte die Beklagte unternehmen muss, um die Personalien eines unbekannten Fahrers zu ermitteln, kommt es hier daher nicht an.
In einer Konstellation, in der sie positiv weiß, dass der Halter das Fahrzeug nicht selbst auf dem Behindertenparkplatz abgestellt hat, und in der sie Name und Anschrift des Fahrers kennt, hätte die Beklagte nach den oben dargelegten Grundsätzen vorrangig den Ehemann als Fahrer zu den Abschleppkosten heranziehen müssen. Nur wenn von ihm - beispielsweise etwa wegen Zahlungsunfähigkeit - Befriedigung schwerer zu erlangen gewesen wäre als von der Klägerin, hätte diese als Halterin herangezogen werden dürfen. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich.
Wenn die Vertreter der Beklagten sich in der mündlichen Verhandlung ohne weitergehende Begründung erklären, dass die Beklagte bei Abschleppmaßnahmen immer den Halter zu den Kosten heranziehe, auch wenn ihr der Fahrer aus dem Bußgeldverfahren positiv ist, so wird dadurch verdeutlicht, dass die Beklagte in ständiger Verwaltungspraxis bei Abschleppfällen kein Ermessen hinsichtlich der Schuldnerauswahl ausübt. Es ist daher mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, dass auch im vorliegenden Fall ein solcher Ermessensausfall im Hinblick auf die Schuldnerauswahl vorliegt. Damit war aber auch eine Ergänzung der Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren von vornherein ausgeschlossen, da aufgrund dieser Vorschrift nur unvollständige Ermessenserwägungen ergänzt werden können, nicht aber das Ermessen ganz oder in wesentlichen Teilen erstmals ausgeübt werden kann (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 114 Rn. 50 m.w.N.). ..."