Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Hamm Beschluss vom 06.08.2008 - 5 Ss OWi 437/08 - Zur unzulässigen Übersendung eines abgekürzten Bußgeldurteils ohne Gründe

OLG Hamm v. 06.08.2008:Zur unzulässigen Übersendung eines abgekürzten Bußgeldurteils ohne Gründe


Das OLG Hamm (Beschluss vom 06.08.2008 - 5 Ss OWi 437/08) hat entschieden:
Die nachträgliche Ergänzung eines Urteils im Bußgeldverfahren ist - außer im Falle einer Verzichtserklärung bezüglich der Rechtsbeschwerde - nicht zulässig, wenn das abgekürzte Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts bereits verlassen hat. Jedoch stellt die unzulässige Übersendung des abgekürzten Urteils einen Fehler im Einzelfall dar, der nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung rechtfertigt.


Siehe auch xxx und Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten


Aus den Entscheidungsgründen:

"I.

Das Amtsgericht Menden hat den Betroffenen mit Urteil vom 7. März 2008 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 130,- € verurteilt. Auf die Verfügung der erkennenden Richterin vom selben Tage ist ein von dieser unterzeichnetes abgekürztes Urteil, bestehend aus dem vollständigen Rubrum und dem Urteilstenor, mit dem Zusatz: „Von einer schriftlichen Begründung des Urteils wird gemäß § 77b OWiG abgesehen“ dem Verteidiger des Betroffenen am 20. März 2008 zugestellt worden. Zuvor hatte der Betroffene bereits mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. März 2008, welcher am 14. März 2008 bei dem Amtsgericht Menden eingegangen war, die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Das Amtsgericht hat daraufhin am 10. April 2008 ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten gebracht, welches auf Veranlassung der Vorsitzenden am 15. April 2008 dem Betroffenen über seinen Verteidiger verbunden mit der Aufforderung zur Rücksendung des abgekürzten Urteils zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 23. April 2008, bei dem Amtsgericht Menden eingegangen am 28. April 2008, hat dieser den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
dem Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu gewähren und den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.

1. Der form- und fristgerecht gemäß §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG, § 341 StPO gestellte Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist, obwohl der Zulassungsantrag entgegen §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 1 StPO nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils begründet worden ist, zulässig, da dem Betroffenen gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 44, 45 Abs. 2 S. 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu gewähren war. Die Frist des § 345 Abs. 1 StPO wurde bereits mit Zustellung des - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 77 Abs. 2 OWiG und damit in unzulässiger Weise - nicht mit Gründen versehenen (abgekürzten) Urteils an den Verteidiger des Betroffenen am 20. März 2008 in Lauf gesetzt (zu vgl. BGH NJW 2004, 3643; OLG Jena NStZ-RR 2003, 273). Demzufolge lief die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen das in Anwesenheit des Betroffenen verkündete Urteil des Amtsgerichts vom 7. März 2008 am Montag, den 21. April 2008 ab. Die vom Verteidiger des Betroffenen unter dem 23. April 2008 verfasste und am 28. April 2008 bei dem Amtsgericht Menden eingegangene Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war damit verspätet.

Allerdings war dem Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil offenkundig ist, dass den Betroffenen selbst an der Versäumung der Begründungsfrist kein Verschulden trifft. Es ist offenkundig, dass der Verteidiger des Betroffenen irrtümlich davon ausgegangen ist, dass die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde bzw. des Antrags auf deren Zulassung erst mit der Zustellung des nachträglich mit Gründen versehenen Urteils an ihn am 15. April 2008 in Lauf gesetzt wurde. Dieser Rechtsirrtum ist dem Betroffenen nicht zuzurechnen und anzulasten. Da die versäumte Handlung, nämlich die formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde und des damit verbundenen Zulassungsantrags, nachgeholt worden ist, liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 StPO für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen vor.

2. In der Sache bleibt der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde jedoch ohne Erfolg. Dass das von der Richterin unterschriebene und auf deren Anordnung am 20. März 2008 dem Verteidiger des Betroffenen zugestellte Urteil ohne Gründe Außenwirkung erlangt hat und deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 77b Abs. 2 OWiG, die hier ersichtlich nicht vorlagen, nachträglich mit Gründen hätte versehen werden dürfen, lässt die Zulassung der Rechtsbeschwerde für sich gesehen noch nicht geboten erscheinen. In solchen Fällen ist aufgrund des Bußgeldbescheides, des Zulassungsantrages, der Rechtsbeschwerdebegründung und sonstiger Umstände (insbesondere auch unter Berücksichtigung der nachgeschobenen Urteilsgründe) zu entscheiden, ob die Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OwiG vorliegen (vgl. BGHSt 42, 187 = NJW 1996, 3157; OLG Hamm, Beschluss vom 30. November 2004 - 1 Ss OWi 764/04 -; VRS 99, 219; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 80 Rdnr. 12, 13).

Danach liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde hier nicht vor.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 22. Juli 2008 u.a. Folgendes ausgeführt:
„Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden (zu vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 80 Rdn. 4 m.w.N.). Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Eine Zulassung unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts kommt nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht (zu vgl. Göhler, a.a.O., § 80 Rdn. 3 m.w.N.).

Solche Rechtsfragen werden aber von dem Betroffenen nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere wirft die Rüge der Verletzung des § 77b OWiG klärungsbedürftige Rechtsfragen nicht auf.

Zwar ist das Amtsgericht Menden offensichtlich irrtümlich davon ausgegangen, die Voraussetzungen des § 77b OWiG lägen vor. Das traf jedoch nicht zu. Dennoch hat es ein gemäß § 77b OWiG abgekürztes Urteil zugestellt. Nachdem der Betroffene unter dem 13.03.2008 die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt hatte, hat das Amtsgericht eine diesmal mit Gründen versehene Urteilsurkunde erstellt und eine Ausfertigung davon dem Verteidiger zugestellt. Zwar dürfen die Urteilsgründe innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch geändert und ergänzt werden, bevor das schriftliche Urteil aus dem internen Dienstbetrieb des Gerichtes herausgegeben wird. Ist die Urteilsurkunde aber nach außen bekannt gemacht worden, so ist eine nachträgliche Anfertigung der Urteilsgründe unzulässig, wenn nicht ein Fall des - hier nicht gegebenen - § 77b Abs. 2 OWiG vorliegt. Eine entsprechende Anwendung des § 77b Abs. 2 OWiG scheidet aus, wenn wegen irrtümlicher Annahme der Rechtskraft des Urteils von dessen schriftlicher Begründung abgesehen wurde ( BayObLG, NStZ 1992, 136; OLG Celle, NStZ-RR 2000, 180; OLG Jena, NStZ-RR 2003, 273, 274; OLG Hamm, Beschlüsse vom 14.12.2000 - 3 Ss 1185/00 OLG Hamm -‚ vom 23.06.2005 - 1 Ss OWi 427/05 OLG Hamm -‚ vom 06.05.1999 - 4 Ss OWi 442/99 - und vom 30.06.2003, VRS 105, 363), Maßgebend ist insoweit allein das abgekürzte Urteil, während die später innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist erstellte vollständige Urteilsfassung außer Betracht zu bleiben hat. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung und gibt keinen Anlass, rechtsfortbildend zu den Voraussetzungen des § 77b OWiG Stellung zu nehmen. Da es sich bei der unzulässigen Übersendung des abgekürzten Urteils um einen Fehler im Einzelfall handelt, gebietet auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht. Auch hinsichtlich der weiter erhobenen Rügen der Verletzung des § 77 OWiG und der Verletzung materiellen Rechts liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG nicht vor.“
Diesen Ausführungen in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat an und macht sie zur Grundlage der eigenen Entscheidung. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat Folgendes:

In Anknüpfung an die in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zitierte Rechtsprechung hat der Senat selbst zuletzt mit Beschluss vom 30. Juni 2008 - 5 Ss OWi 446/0 - 8 entschieden, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils im Bußgeldverfahren außerhalb des Anwendungsbereichs des § 77b Abs. 2 OWiG nicht zulässig ist, wenn das (abgekürzte) Urteil aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben wurde.

Soweit der Betroffene die Fehlerhaftigkeit des Messprotokolls rügt, stellen seine Ausführungen einen unzulässigen Angriff gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung dar, denn es werden weder Widersprüche, Lücken, Unklarheiten oder Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze innerhalb der - in den nachgeschobenen Urteilsgründen dargelegten - Beweiswürdigung des Tatrichters aufgezeigt. Abgesehen davon, dass in Bezug auf die erhobene Verfahrensrüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung der Ehefrau des Betroffenen die Zulassungsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 OWiG nicht erfüllt sind, ist diese Verfahrensrüge auch unbegründet. Die Ablehnung dieses Beweisantrages war von § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gedeckt. Die beantragte Beweisaufnahme drängte sich, wie in den nachgeschobenen Urteilsgründen zutreffend ausgeführt ist, nicht auf, da zu der Frage der gefahrenen Geschwindigkeit bereits die zwei eingesetzten Messbeamten zeugenschaftlich vernommen worden waren und von der Aussage der Ehefrau des Betroffenen als Beifahrerin angesichts ihrer persönlichen Nähebeziehung zu diesem eine zur weiteren Sachaufklärung geeignete Aussage nicht unbedingt zu erwarten war (zu vgl. Göhler, a.a.O., § 77 Rdnr. 15 m.w.N.), zumal auch nicht dargelegt worden war, aufgrund welcher konkreten Beobachtungen diese überhaupt in der Lage gewesen sein soll, zuverlässige Angaben zur Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit zu machen.

Aus den genannten Gründen stellt die Ablehnung des Beweisantrags keine Versagung des rechtlichen Gehörs i.S.d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG dar. Im Übrigen wird der Anspruch eines Betroffenen auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung eines Beweisantrags auch nur dann verletzt, wenn die Ablehnung ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung erfolgt und die Zurückweisung des Beweisantrags somit aus verfassungsrechtlicher bzw. grundrechtlicher Sicht nicht mehr verständlich, sondern objektiv willkürlich erscheint (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; OLG Celle VRS 84, 232; OLG NZV 1998, 476; OLG Hamm, Beschluss vom 7. April 2003 - 4 Ss OWi 292/03 -; Beschluss vom 8. Juli 2004 - 1 Ss OWi 369/04 - ). Davon kann vorliegend nicht die Rede sein.