Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Weimar Beschluss vom 27.08.2008 - 2 E 626/08 - Zur rechtswidrigen Verwertung von sog. unbestreitbaren Tatsachen, die aus dem Inland stammen

VG Weimar v. 27.08.2008: EU-Fahrerlaubnis - rechtswidrige Verwertung von sog. unbestreitbaren Tatsachen, die aus dem Inland stammen


Das Verwaltungsgericht Weimar (Beschluss vom 27.08.2008 - 2 E 626/08) hat entschieden:
Die Ablehnung der Anerkennung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis ist nur dann möglich, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedsstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs seiner früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedsstaats hatte (im Anschluss an EuGH, Urteile vom 26.06.2008 ([C-334/06, C-335/06 und C-336/06]). Eine Ablehnung der Anerkennung unter Rückgriff auf Unterlagen aus dem Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats ist damit ausgeschlossen.


Siehe auch EU-Führerschein und Scheinwohnsitz und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein


Aus den Entscheidungsgründen:

"Der zulässige Antrag hat Erfolg.

§ 80 Abs. 5 VwGO enthält zwar keine ausdrückliche Regelung, unter welchen Voraussetzungen das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederherstellen kann. Indes ist nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer in derartigen Fällen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und dem Interesse des Betroffenen an einer Wiederherstellung des früheren Zustandes vorzunehmen. Dabei kommt es in aller Regel auf die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfes an. Ist dieser nach den summarischen Erkenntnismöglichkeiten, die dem Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eröffnet sind, offensichtlich begründet, so ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten, weil ein öffentliches Interesse an der Vollziehung ersichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte nicht bestehen kann. Umgekehrt verbietet es das öffentliche Interesse bei offenkundiger Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs, die Vollziehung eines rechtmäßigen Verwaltungsakts zu verhindern. Die danach vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO zugunsten des Antragstellers aus.

Denn vorliegend spricht mehr für die Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides, der - wie hier - bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, hat.

Vorliegend spricht alles dafür, dass der Antragsgegner zum einen entsprechend Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie RL 91/439 / EWG - Führerscheinrichtlinie - zur Anerkennung der tschechischen Fahrerlaubnis des Antragstellers auch in Deutschland verpflichtet ist (1.) und zum anderen zur Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens nicht berechtigt war (2.).

1. Insbesondere ist der Antragsgegner zur Überzeugung des Gerichtes nicht berechtigt, der Fahrerlaubnis des Antragstellers entsprechend Art. 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie die Anerkennung zu verweigern. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners liegen die durch den Europäischen Gerichtshof in seinen Urteilen vom 26.06.2008 (C-334/06, C 335/06 sowie C 336/06) genannten Voraussetzungen, die einen Mitgliedstaat zur Verweigerung der Anerkennung berechtigen, im vorliegenden Falle gerade nicht vor. Aus dem entscheidenden Leitsatz der oben genannten Entscheidung des EuGH ergibt sich, dass eine Ablehnung der Anerkennung nur dann möglich ist, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs seiner früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte. Dies bedeutet, dass der Antragsgegner die Anerkennung der tschechischen Fahrerlaubnis nur dann verweigern kann, wenn sich aus der dem Antragsteller erteilten Fahrerlaubnis vom 23.04.2007 (vgl. Blatt 29 der Verwaltungsakte) oder anderen Unterlagen der tschechischen Behörden ergibt, dass das Wohnsitzerfordernis bei der Erteilung der Fahrerlaubnis nicht hinreichend beachtet wurde. Solche Unterlagen liegen zur Überzeugung der Kammer vorliegend gerade nicht vor:

Aus der dem Antragsteller erteilten Fahrerlaubnis ergibt sich, dass der Aufenthaltsort des Antragstellers - verzeichnet unter Nr. 8 der Angaben zur Fahrerlaubnis („Obec Pobytu“) - mit „D.…“ angegeben wird. Nur jedoch wenn sich aus einem dortigen Eintrag ergeben würde, dass der Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Erteilungszeitpunkt nicht in der Tschechischen Republik gelegen hat (so etwa bei dem Beschluss des OVG Saarland vom 03.07.2008 - 1 B 238/08 - zitiert nach Juris), würde sich aus der Fahrerlaubnis selbst die Nichteinhaltung des Wohnsitzerfordernisses ergeben und eine Verweigerung der Anerkennung wäre möglich.

Auch aus anderen Unterlagen der tschechischen Behörden ergibt sich nicht die fehlende Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses. Zwar ergibt sich - worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist - aus der entsprechend vorgelegten Meldebescheinigung des Antragstellers (vgl. Blatt 30 der Verwaltungsakte) vom 13.09.2006 nicht hinreichend, dass der Antragsteller dem Wohnsitzerfordernis Genüge getan hat. Denn aus dem entsprechenden Antwortschreiben des Magistrats der Stadt D.… (vom 03.03.2008, Übersetzung Blatt 80 bis 82 der Verwaltungsakte) ergeben sich durchaus Zweifel an der hinreichenden Beachtung des Wohnsitzerfordernisses, sodass die tschechischen Behörden mitteilen, die Erteilung der Fahrerlaubnis einer nachträglichen Prüfung unterziehen zu wollen. Diese Zweifel sind jedoch - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - nicht ausreichend, um die Anerkennung der erteilten Fahrerlaubnis zu verweigern. Die vom Europäischen Gerichtshof in der oben genannten Entscheidung gezogenen Grenzen für die Möglichkeit einer Nichtanerkennung einer erteilten Fahrerlaubnis sind streng und eindeutig. Danach muss feststehen, dass dem Wohnsitzerfordernis nicht Genüge getan wurde und dies sich entweder aus der Fahrerlaubnis selbst oder aus anderen Unterlagen der tschechischen Behörden ergeben. Dies bedeutet, dass der Umstand, dass der Antragsteller nach Mitteilung des Einwohnermeldeamtes der VG „F.…“ vom 28.01.2008 durchgängig in T.… bzw. T.… seinen Wohnsitz hatte, gerade kein taugliches Erkenntnismittel darstellt, um die Verletzung des Wohnsitzprinzips als feststehend zu qualifizieren. Denn es ist grundsätzlich Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates (also hier der Tschechischen Republik) zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine verbietet es, dass ein Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins mit der Begründung abgelehnt, dass der Inhaber dieses Führerscheins nach vom Aufnahmemitgliedstaat (also hier des Antragsgegners) stammenden Informationen zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins die Voraussetzungen für dessen Erlangung nicht erfüllt hat (EuGH, a.a.O. unter Hinweis auf das so genannte „Kapper-Urteil“ des EuGH vom 29.04.2004, - C-476/05 -). Die in der Akte befindliche Meldebescheinigung der VG „F.…“ ist daher von vorneherein nicht geeignet, die Einhaltung des Wohnsitzprinzips in Frage zu stellen, weil diese nach der oben genannten Entscheidung des EuGH kein taugliches Mittel zum Beleg des Nichteinhaltens der Wohnsitzvoraussetzungen darstellen kann.

2. Aus der oben genannten Entscheidung des EuGH vom 26.06.2008 ergibt sich zudem, dass der Antragsgegner nicht berechtigt ist, mögliche Zweifel an der Fahrgeeignetheit des Antragstellers zur Grundlage einer Gutachtenaufforderung entsprechend § 11 Fahrerlaubnisverordnung - FeV - zu machen, wenn diese Umstände zeitlich vor der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis liegen. War dementsprechend die Gutachteneinholung nicht rechtmäßig, durfte der Antragsgegner aufgrund des nicht beigebrachten Gutachtens nicht i.S.v. § 11 Abs. 8 FeV auf die Ungeeignetheit des Antragstellers schließen.

Es spricht daher alles dafür, dass die Entziehung der tschechischen Fahrerlaubnis rechtswidrig ist, sodass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen diese Entziehung wiederherzustellen war. ..."