Der die Gerichte zur alsbaldigen Bearbeitung verpflichtende Beschleunigungsgrundsatz gilt auch im OWi-Verfahren. Bei der Beurteilung von Verfahrensverzögerungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist wegen der im Vergleich zur staatlichen Strafe geringeren Eingriffsintensität aber ein milderer Maßstab anzulegen ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz legt hier Auswirkungen auf den Rechtsfolgenausspruch erst dann nahe, wenn die durch die Justizbehörden verschuldete Verfahrensverzögerung ein Vielfaches der normalen Verjährungsfrist erreicht.Entscheidungsgründe:
"I.
Gegen die Betroffene ist durch das angefochtenen Urteil wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr eine Geldbuße von 250 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2a StVG verhängt worden.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
II.
Die Rechtsbeschwerde war entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Anlass zur ergänzenden Erörterung besteht hinsichtlich folgender Punkte:
1. Eine Einstellung des Verfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung hat der Senat geprüft, sie kam aber nicht in Betracht.
Für den der Betroffenen zur Last gelegten Verstoß gegen § 24a Abs. 1 StVG gilt angesichts der für eine fahrlässige Begehung einer solchen Tat gemäß § 24a Abs. 4 StVG i.V.m. § 17 Abs. 2 OWiG angedrohten Höchstgeldbuße von 750, - Euro nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG eine Verfolgungsverjährungsfrist von 6 Monaten. Verjährung hinsichtlich der Verfolgung der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Ordnungswidrigkeit wäre hier nur eingetreten, wenn die Betroffene zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides an sie unter der Adresse „L 5, … N“ am 03.08.2006 unter dieser Anschrift nicht mehr wohnhaft war. In diesem Fall wäre die Zustellung des Bußgeldbescheides am 03.08.2006 gemäß § 3 Abs 2 LZG NRW i.V.m. § 180 ZPO durch Einwurf in den zu der vorgenannten Wohnung gehörigen Briefkasten unwirksam gewesen und hätte die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt. Die fehlerhafte Zustellung wäre allerdings am 04.08.2006 dadurch gemäß § 8 LZG NRW geheilt worden, dass die Betroffene, wie sie selbst vorgetragen hat, das zuzustellende Schriftstück am 04.08.2006 tatsächlich erhalten hat. Der gegen den Bußgeldbescheid gerichtete Einspruch der Betroffenen vom 18.08.2006, der am selben Tag bei der Verwaltungsbehörde eingegangen ist, wäre dann rechtzeitig gewesen und hätte den Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheides, mit der auch die Verfolgungsverjährung geendet hätte, verhindert. Die Verfolgungsverjährung wäre in diesem Fall gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 025.08.2008 zwar rechtzeitig unterbrochen worden, als nächste Unterbrechung wäre aber erst der Eingang der Akten beim Amtsgericht Minden gemäß § 69 Abs. 3 OWiG am 025.05.2007 in Betracht gekommen. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine am 02.08.2008 erneut in Gang gesetzte sechsmonatige Verjährungsfrist aber bereits abgelaufen gewesen.
Der Umstand, dass der Betroffenen durch Beschluss des Amtsgerichts Minden vom 28.03.2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gewährt worden ist, hätte einer solchen rechtlichen Beurteilung nicht entgegen gestanden. Denn durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird dann keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt, wenn die Verfolgungsverjährung schon vor dem Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses eingetreten war (vgl. OLG Braunschweig NJW 1973, 2119; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 14.11.2005 - 1 Ss 194/05 -, veröffentlicht unter juris.de). Dies wäre dann aber der Fall gewesen.
Nach der Überzeugung des Senats ist aber die durch die Zustellungsurkunde begründete beweiskräftige Indizwirkung, dass der Zustellungsempfänger unter der Zustellanschrift wohnt (vgl. BGH Beschluss vom 12.02.2002 - AnwZ (B) 48/01, veröffentlicht unter www.caselaw,) hier also, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides am 03.08.2006 unter der Adresse „L 5, … N“ ihre Wohnung hatte, nicht durch das Vorbringen der Betroffenen, ihr Lebensmittelpunkt befinde sich seit Anfang Juni 2006 in der Wohnung ihres Lebensgefährten I. in …2 Q, X 48, entkräftet worden.
Die dieses Vorbringen bestätigende eidesstattliche Versicherung des Lebensgefährten der Betroffenen vom 19.01.2007 reicht dazu nicht aus, und zwar aus folgenden Gründen:
Die Betroffene wurde nach dem hier in Rede stehenden Vorfall am 22.07.2006 von der Polizei angehalten. Bei der Angabe ihrer Personalien in der polizeilichen Anzeige der ihr vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit ist die Adresse „L 5, … N“ aufgeführt. Noch gewichtiger ist, dass die gleiche Adresse in dem Schreiben des Verteidigers der Betroffenen vom 18.08.2008 angegeben ist, mit dem die Verteidigung der Betroffenen angezeigt worden war. Warum die Betroffene gegenüber ihrem Verteidiger eine Adresse angeben sollte, unter der sie nicht mehr wohnhaft war und obwohl sie nach ihren eigenen Angaben von der Anschrift ihres Lebensgefährten aus seit Ende Juni 2006 ihren Post- und Geschäftsverkehr geregelt haben will, ist nicht nachvollziehbar.
Der Verteidiger der Betroffenen hat mit Schriftsatz vom 05.09.2006 ausdrücklich ausgeführt, der Bußgeldbescheid sei in den Briefkasten der Wohnung seiner Mandantin eingelegt worden. Sie habe sich aber berufsbedingt nicht in N. aufgehalten. Am 04.08.2006 sei sie nach dorthin zurückgekehrt und habe den Bußgeldbescheid im Briefkasten vorgefunden. Geltend gemacht wurde sowohl mit Schriftsatz vom 05.09.2006 als auch mit Schriftsatz vom 15.09.2006, die Zustellung des Bußgeldbescheides sei deshalb nicht ordnungsgemäß erfolgt, da sich die erhaltene Sendung in einem weißen und nicht - wie bei Zustellungen sonst üblich - in einem leicht gelblichen Umschlag befunden habe und dieser zudem keinen Zustellungsvermerk aufgewiesen habe. Letzteres wurde auch noch mit Schriftsatz vom 14.11.2006 behauptet. Erst nachdem das hierauf gestützte Wiedereinsetzungsgesuch durch die Verwaltungsbehörde am 28.09.2006 verworfen worden war, und der zuständige Amtsrichter auf den daraufhin gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Verfügung vom 01.11.1006 unter Bezugnahme auf einen Vermerk der Verwaltungsbehörde die Rücknahme dieses Antrages empfohlen hatte sowie, nachdem der Postzusteller schriftlich angehört und die Verwaltungsbehörde darauf hingewiesen hatte, dass es dem Postzusteller nur bei Verwendung der dafür vorgesehenen gelben Umschläge möglich sei, die Postzustellungsurkunde zu entnehmen und zurückzusenden, wie es hier geschehen sei, wurde erstmals mit Schriftsatz des Verteidigers vom 16.01.2007 - also mehr als 6 Monate nach der angeblichen Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Betroffenen - behauptet, diese lebe bereits seit Ende Juni 2006 in der Wohnung ihres Lebensgefährten I, von dort aus regele sie auch den Post- und sonstigen Geschäftsverkehr. Wenn die Betroffene tatsächlich ihren Lebensmittelpunkt zu dem angegebenen Zeitpunkt (Ende Juni 2006) gewechselt hätte und sie sich als gelernte Bankangestellte - wie der Verteidiger ausgeführt hat - mit den Formalitäten von Zustellungen auskannte, hätte es aber mehr als nahe gelegen, dass sie sofort bei der Beauftragung des Verteidigers darauf hingewiesen hätte, dass sie unter der Zustellanschrift zum Zustellungszeitpunkt nicht mehr gewohnt habe, diesen Umstand aber zumindest spätestens erwähnt hätte, als Streit darüber entstanden war, ob der Einspruch rechtzeitig eingelegt worden war. Dass statt dieses Einwandes mehr als 6 Monate lang wiederholt andere Gründe, für die behauptete Unwirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides geltend gemacht wurden sowie eine Anhörung des Postzustellers angeregt und abgewartet wurde, spricht dagegen, dass tatsächlich eine vollständige Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Betroffene nach Q. bereits zum Zustellungszeitpunkt stattgefunden hatte.
Der auf dem vorgelegten Kontoauszug enthaltene Aufdruck:„Frau I. c/o. T C. X 48, …2 Q“,rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er ergibt keinen Sinn, da es sich bei der vorgenannten Wohnung um diejenige des I. handelt. Nicht belegt wird durch diesen Vermerk, dass die Betroffene ihre Post damals über die Anschrift ihres Lebensgefährten laufen ließ.
Hinzu kommt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Minden vom 28.0.3.2007 der Betroffenen ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde am 011.04.2007 unter der Adresse „L 5, … N“ zugestellt werden konnte, und zwar durch Übergabe an einen dort angetroffenen erwachsenen ständigen Mitbewohner. Hierbei handelte es sich nach der Postzustellungsurkunde um I, also um den Lebensgefährten der Betroffenen, der offensichtlich nicht darauf verwiesen hat, die Betroffene wohne dort nicht mehr. Der Lebensgefährte der Betroffenen und damit sicherlich auch die Betroffene hatten daher zu der Wohnung in N. noch 10 Monate nach der angeblichen Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes nach Q. Zutritt. Weiterhin war damals offensichtlich in Bezug auf die Wohnung in N. noch eine Klingelvorrichtung und ein Briefkasten mit dem Namen der Betroffenen vorhanden.
Unter diesen Umständen ist nach der Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Betroffene zum Zeitpunkt der Bußgeldzustellung ihren Lebensmittelpunkt jedenfalls noch nicht vollständig nach Q. verlagert hatte, vielmehr die Wohnung in N. noch die Hauptwohnung, zumindest aber eine Zweitwohnung darstellte, unter deren Anschrift ebenfalls Zustellungen erfolgen konnten. Die Zustellung des Bußgeldbescheides am 03.08.2006 war daher wirksam, die Einspruchseinlegung am 18.08.2006 verspätet. Ob unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen durch Beschluss vom 28.03.2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht gewährt worden ist, ist durch den Senat nicht zu überprüfen, da er an diese Entscheidung des Amtsgerichts gebunden ist.
2. Soweit die Betroffene mit der Rechtsbeschwerdebegründung geltend macht, es sei in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen worden, dass die Betroffene als Mitarbeiterin der Firma L. mit N2-Fahrzeugen im gesamten Umkreis von L2 vornehmen müsse, sie könne diese Fahrten nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchführen, es werde die Benutzung von N2-Fahrzeugen erwartet, findet dieses Vorbringen in den Urteilsgründen keine Stütze und kann daher im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden. Es ist Aufgabe des Tatrichters, den Inhalt einer mündlichen in der Hauptverhandlung vorgetragenen Einlassung festzustellen, sie in den Urteilsgründen wiederzugeben und im erforderlichen Umfang zu würdigen. Damit ist aber eine Kontrolle der Richtigkeit der Wiedergabe dieser Einlassung durch das Rechtsbeschwerdegericht wegen des Verbots der Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht möglich (vgl. BGH NStZ 2004, 163, betreffend das Revisionsverfahren).
3. Festzustellen ist allerdings, dass das auch im Ordnungswidrigkeitserfahren geltende Beschleunigungsgebot in der Rechtsbeschwerdeinstanz dadurch verletzt worden ist, dass eine Entscheidung in der die Sache erst ca. 8 Monate nach Ablauf der Stellungnahmefrist gemäß § 349 Abs. 3 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG für den Verwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 08.04.2008 ergangen ist, wodurch sich das Verfahren unter Berücksichtigung der im vorliegenden Verfahren zu prüfenden Rechtsfragen um ca. 4 ½ Monate verzögert hat.
Bei der Beurteilung von Verfahrensverzögerungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist wegen der im Vergleich zur staatlichen Strafe geringeren Eingriffsintensität aber ein milderer Maßstab anzulegen ist. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz legt hier Auswirkungen auf den Rechtsfolgenausspruch erst dann nahe, wenn die durch die Justizbehörden verschuldete Verfahrensverzögerung ein Vielfaches der normalen Verjährungsfrist erreicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2003, 2 BvR 273/03 für den Fall einer viereinhalbjährigen Verfahrensdauer in der Rechtsbeschwerde; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.02.2008 - IV- 5 Ss (OWi) 33/07 - (OWi) 9/08 I, veröffentlicht unter juris.de). Dies trifft hier nicht zu, wobei anzumerken ist, dass bei der hier vorzunehmenden Prüfung lediglich der Zeitraum ab Erlass des angefochtenen Urteils heranzuziehen ist. Eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes ist grundsätzlich nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin zu überprüfen. Nur für Verzögerungen nach Urteilserlass kann ein Eingreifen des Rechtsmittelgerichts von Amts wegen geboten sein, wenn diese nicht frist- und formgerecht gerügt werden konnten, weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2007 - 2 StR 493/06 -). Die hier im Rechtsbeschwerdeverfahren eingetretene Verfahrensverzögerung und die damit verbundene Belastung für die Betroffene wiegen auch noch nicht derart schwer, dass eine über die Feststellung des Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz hinausgehende Kompensation hier geboten wäre. ..."