Das Verkehrslexikon

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VGH München Beschluss vom 20.03.2009 - 11 CE 08.3308 - Zur Unzulässigkeit einer MPU-Anordnung bei 1,34 ‰ nachmittags

VGH München v. 20.03.2009: Zur unzulässigen Anordnung einer MPU bei einer einmaligen Alkoholfahrt mit 1,34 ‰ am Nachmittag


Der VGH München (Beschluss vom 20.03.2009 - 11 CE 08.3308) hat entschieden:
Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 13 Nr. 2 FeV gezeigt, dass der Alkoholgenuss - auch in schädlich großen Mengen - solange er nicht in wenigstens mittelbarem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, die Fahreignung nicht ausschließt. Aus den Regelungen der § 13 Nr. 2b und c FeV folgt, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers ein einmaliges Fahren unter Alkoholeinfluss erst dann die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt, wenn dabei eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wurde. Der Regelungen in § 13 Nr. 2b und c FeV hätte es nicht bedurft, wenn über den Umweg des § 13 Nr. 2a FeV die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch schon bei einmaligen Alkoholfahrten mit niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen zu rechtfertigen wäre. Das gilt auch bei 1,34 ‰ um 16:45 Uhr.


Siehe auch Alkohol und Fahrerlaubnisentzug und -erteilung im Verwaltungsverfahren und MPU und Alkoholproblematik


Gründe:

I.

Rechtsschutzziel des 1953 geborenen Antragstellers ist die vorläufige Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, C1E sowie der darin enthaltenen Klassen im Wege der einstweiligen Anordnung.

Am 31. Januar 2008 um 16.45 Uhr fiel er bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle wegen seiner Alkoholfahne auf. Eine Blutentnahme wurde angeordnet und um 17.10 Uhr durchgeführt, da eine Atemalkoholmessung scheiterte. Das Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 6. Februar 2008 ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,34 Promille. Die Trunkenheitsfahrt wurde strafrechtlich gemäß § 316 StGB geahndet und dem Antragsteller unter Verhängung einer Sperre für die Wiedererteilung gemäß §§ 69, 69a StGB bis November 2008 die Fahrerlaubnis entzogen.

Am 15. August 2008 beantragte der Antragsteller die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1 und C1E. Er legte eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Lehrgang, aber weder eine Sehtestbescheinigung noch ein augenärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung vor.

Die Fahrerlaubnisbehörde forderte mit Schreiben vom 4. September 2008 vom Antragsteller die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu der Frage, ob er trotz der Hinweise auf Alkoholmissbrauch ein Kraftfahrzeug sicher führen könne und ob nicht zu erwarten sei, dass er ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. September 2008 teilte der Antragsteller mit, dass er nicht bereit sei, das geforderte Gutachten beizubringen, da er hierzu nicht verpflichtet sei. Mit Bescheid vom 16. Oktober 2008 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde den Antrag des Antragstellers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ab. Das MPU-Gutachten sei gemäß § 20 Abs. 1, § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV zu Recht angeordnet worden, da Tatsachen vorlägen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründeten. Der Antragsteller habe bereits um 16.45 Uhr eine BAK von mehr als 1,3 Promille aufgewiesen, kaum Ausfallerscheinungen gezeigt und zunächst seinen Alkoholkonsum verharmlost.

Der Antragsteller erhob Verpflichtungsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach und stellte zugleich den Antrag nach § 123 VwGO, seinem Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig stattzugeben. Er trug vor, auch ein durchschnittlicher Gelegenheitstrinker könne im Ausnahmefall bereits um 16.45 Uhr eine BAK von gut 1,3 Promille erreichen. Er sei seit dem Vorfall abstinent. Ferner legte der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung vom 3. November 2008 vor, wonach er wegen der schlechten Verkehrsanbindung seines Wohnortes dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei. Derzeit sei er arbeitsunfähig erkrankt und benötige die Fahrerlaubnis, um mit dem Auto zum Arzt fahren zu können. Nach seiner Genesung benötige er sein Kfz für die Fahrt zur Arbeit.

Den Antrag nach § 123 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 19. November 2008 ab. Es ließ das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dahinstehen und verneinte das Bestehen eines Anordnungsanspruchs. Die Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 FeV, § 2 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 4 StVG für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis seien nicht gegeben. Jeder Hinweis auf möglichen Alkoholmissbrauch im Sinne von Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV sei grundsätzlich geeignet, Fahreignungszweifel zu begründen. Nach § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV habe dann die Fahrerlaubnisbehörde Aufklärungsmaßnahmen zu treffen. Werde ein zu Recht gefordertes Fahreignungsgutachten nicht beigebracht, dürfe die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Die Anordnung eines MPU-Gutachtens im vorliegenden Fall sei zweifelsfrei zu Recht erfolgt. Zwar seien die Voraussetzungen von § 13 Satz 1 Nrn. 2b und c FeV nicht gegeben. Jedoch sei der Tatbestand von § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV erfüllt, denn es lägen zusätzliche Tatsachen vor, die die Annahme eines Alkoholmissbrauchs begründeten. Der Umstand, dass der Antragsteller bereits am Nachmittag eine so hohe BAK erreicht habe, ohne nennenswerte Ausfallerscheinungen zu zeigen, spreche dafür, dass es sich bei ihm nicht nur um einen „Geselligkeitstrinker“ handle. Sein fehlendes Vermögen, Alkoholkonsum und Fahren zu trennen, spiegle sich in dem Vorfall vom 31. Januar 2008 wieder; dies sei nicht lediglich als Ausnahmefall zu werten.

Mit seiner Beschwerde gegen diesen Beschluss macht der Antragsteller geltend, es bestehe ein Anordnungsanspruch. Die Anordnung der medizinisch-psychologischen Begutachtung sei rechtswidrig erfolgt. § 13 Satz 1 Nrn. 2b und c FeV würden leerlaufen, wenn bereits eine einzige Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 Promille eine solche Anordnung rechtfertigen könnte. Zusatztatsachen, die eine medizinischpsychologische Begutachtung wegen der begründeten Annahme des Alkoholmissbrauchs gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Die konkreten Umstände des Vorfalls am 31. Januar 2008 seien damit zu erklären, dass ein Umtrunk im Kollegenkreis stattgefunden habe. Sonst trinke er sehr wenig Alkohol. Dass er dennoch keine gravierenden Ausfallerscheinungen gezeigt habe, sei auf seine individuelle Konstitution und nicht auf Alkoholgewöhnung zurückzuführen. Zum Anordnungsgrund wird auf die Glaubhaftmachung im erstinstanzlichen Verfahren Bezug genommen.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten sowie wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.


II.

Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.

Das Bestehen eines Anordnungsanspruches scheitert daran, dass nicht alle gemäß § 20 Abs. 1, § 11 Abs. 9, § 12 Abs. 2 und 6 FeV für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der beantragten Klassen erforderlichen Unterlagen vorliegen. Nach § 11 Abs. 9 i.V.m. Anlage 5 zur FeV, § 12 Abs. 6 FeV i.V.m. Nrn. 2.1 / Nr. 2.2 der Anlage 6 zur FeV müssen Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse C1 eine ärztliche Bescheinigung über eine Eignungsuntersuchung sowie eine Bescheinigung über ihr Sehvermögen vorlegen. Bewerber um eine Fahrerlaubnis der Klasse A1 haben sich gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 FeV einem Sehtest zu unterziehen. Die genannten Bescheinigungen befinden sich nicht bei der Fahrerlaubnisakte. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass sie vom Antragsteller bislang nicht vorgelegt wurden. Ein Anordnungsanspruch ist damit nicht glaubhaft gemacht.

Gemäß § 20 Abs. 1 § 13 Satz 1 Nr. 2a FeV kann hingegen nicht die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom Antragsteller gefordert und deshalb auch nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Fahrungeeignetheit geschlossen werden. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für die Anordnung der medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers. Der von der Fahrerlaubnisbehörde und dem Verwaltungsgericht Ansbach als einschlägig betrachtete § 13 Nr. 2a FeV bestimmt, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Auslegung von § 13 Nr. 2a FeV hat sich am Gesamtzusammenhang der Vorschrift des § 13 Nr. 2 FeV zu orientieren. Weder die Systematik noch der Sinn und Zweck dieser Bestimmung lässt den Schluss zu, dass § 13 Nr. 2a FeV die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens grundsätzlich in allen Fallkonstellationen erlauben würde, die von den Buchstaben b bis e nicht erfasst werden. Vielmehr ist § 13 Nr. 2 FeV so zu verstehen, dass er in seinen Buchstaben a bis e grundsätzlich voneinander unabhängige Fälle normiert, in denen wegen ähnlich gewichtiger Hinweise auf eine alkoholbedingte Straßenverkehrsgefährdung die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens als erforderlich anzusehen ist (vgl. BayVGH vom 11.6.2007 Az. 11 CS 06.3023).

Der Gesetzgeber hat nach der Auffassung des Senats mit den Regelungen in § 13 Nr. 2 FeV gezeigt, dass der Alkoholgenuss - auch in schädlich großen Mengen - solange er nicht in wenigstens mittelbarem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, die Fahreignung nicht ausschließt ( BayVGH vom 4.1.2006 Az. 11 CS 05.1878; vom 4.4.2006 Az. 11 CS 05.2439). Aus den Regelungen der § 13 Nr. 2b und c FeV folgt, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers ein einmaliges Fahren unter Alkoholeinfluss erst dann die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt, wenn dabei eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr nachgewiesen wurde. Der Regelungen in § 13 Nr. 2b und c FeV hätte es nicht bedurft, wenn über den Umweg des § 13 Nr. 2a FeV die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch schon bei einmaligen Alkoholfahrten mit niedrigeren Blutalkoholkonzentrationen zu rechtfertigen wäre (BayVGH vom 11.6.2007, a.a.O.). Nach der zitierten Entscheidung des Senats vom 11. Juni 2007 (a.a.O.) gilt dies im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren, für das § 46 Abs. 3 FeV auf die §§ 11 bis 14 FeV verweist. Dem Antragsteller könnte hiernach wegen der Trunkenheitsfahrt mit 1,34 Promille behördlicherseits kein MPU-Gutachten auferlegt und aus der Nichtvorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV auch nicht auf seine Fahrungeeignetheit geschlossen werden. Es ist aus der gesetzlichen Systematik heraus nicht zu rechtfertigen, ihn in dem Verfahren auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis anders zu behandeln. Der Verordnungsgeber hat mit den Bestimmungen in §§ 11, 20 und 46 FeV gezeigt, dass er es für geboten hält, in Ersterteilungs-, Neuerteilungs- und Fahrerlaubnisentziehungsverfahren die gleichen Anforderungen an den Nachweis der Fahreignung zu stellen (vgl. BayVGH vom 9.2.2009 Az. 11 CE 08.3028 ).

Nichts anderes ergibt sich im vorliegenden Fall aus den Umständen des Vorfalls vom 31. Januar 2008. Die Uhrzeit, zu der der Antragsteller alkoholisiert angetroffen wurde, begründet ebenso wenig die Annahme des Alkoholmissbrauchs im straßenverkehrsrechtlichen Sinn (fehlende Trennung zwischen Trinken und Fahren) wie der Umstand, dass der Antragsteller nach den ärztlichen Feststellungen bei der Blutentnahme nur leichte Anzeichen der Alkoholisierung (insbesondere verwaschene Sprache) aufwies. Der Antragsteller hat im Übrigen auch eine plausible Erklärung dafür gegeben, warum er am 31. Januar 2008 eine so große Menge Alkohol zu sich genommen hatte. Dass er bei der Polizeikontrolle zunächst versucht hat, die Trinkmenge zu verharmlosen, stellt kein Indiz dafür dar, dass es ihm über den bekannten Vorfall hinaus am Trennungsvermögen fehlen würde.

Nach Vorlage der Bescheinigungen gemäß § 11 Abs. 9 und § 12 Abs. 2 und 6 FeV wäre somit ein Anspruch des Antragstellers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1 und C1E zu bejahen. Auf die Möglichkeit einer Änderung des vorliegenden Beschlusses in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO wird hingewiesen. Einen Anordnungsgrund hat der Antragsteller im Übrigen mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 3. November 2008 ausreichend glaubhaft gemacht (§ 123 VwGO, § 294 ZPO). Der entscheidende Senat ist davon überzeugt, dass die Verkehrsanbindung des Weilers, in dem der Antragsteller lebt, so schlecht ist, dass er in seiner speziellen persönlichen Situation auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Nach allem war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG und den Empfehlungen in den Abschnitten II. 1.5 Satz 1, 46.2, 46.5 und 46.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 f.).



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