Steht fest, dass dem Rechtsanwalt mindestens eine rechtsgeschäftliche Vollmacht zur Verteidigung in einer Bußgeldsache erteilt worden ist, dann ist die Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger wirksam. Auf die Frage, ob unabhängig davon eine Vollmacht ohne den Namen des Betroffenen (Blankovollmacht) ausreichend ist, kommt dann nicht an.
Gründe:
I.
Der Zentraldienst der Polizei, Zentrale Bußgeldstelle, des Landes Brandenburg ermittelte gegen die Betroffene wegen des Vorwurfs einer am 13. Mai 2008 begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Bundesautobahn 13 um 44 km/h. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2006 meldete sich Rechtsanwalt S. für die Betroffene und zeigte „unter versicherter Bevollmächtigung“ an, dass die Betroffene ihn in der Ermittlungssache mit ihrer Interessenvertretung beauftragt habe. Die Betroffene werde sich derzeit nur über ihn äußern. Er bat weiter darum, jede weitere Korrespondenz in dieser Angelegenheit ausschließlich über seine Kanzlei zu führen und beantragte Akteneinsicht. Weiterhin beantragte er, das Verfahren gegen die Betroffene einzustellen und machte Ausführungen zu deren Verteidigung.
Dem vorgenannten Schriftsatz beigefügt war eine von der Betroffenen unter dem 25. Juni 2008 unterzeichnete Vollmacht, mit der unter Angabe des Aktenzeichens der Bußgeldbehörde und des Datums der ihr vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit Vollmacht zu ihrer „außergerichtlichen Vertretung“ erteilt wird. Im Text der Vollmacht wird unter anderem zu „außergerichtlichen Verhandlungen aller Art“ … „und zur Entgegennahme von Schriftstücken“ ermächtigt. Im Kopf der Vollmacht steht in Großbuchstaben fettgedruckt und in einem Kästchen eingefasst die folgende Zeile:„Zustellungen werden nur an den/die Bevollmächtigte(n) erbeten!“Ein Vollmachtsnehmer ist in der Vollmachtsurkunde jedoch nicht bezeichnet. Der Teil im Kopf der Vollmacht, in dem die Benennung des Bevollmächtigten zu erwarten wäre, ist leer.
Am 27. August 2008 erließ die Bußgeldbehörde gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid, der am 29. August 2008 Rechtsanwalt S. zugestellt wurde; eine Zustellung an die Betroffene erfolgte nicht.
Auf den dagegen rechtzeitig eingelegten Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht sie mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 100,00 € verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat gegen sie angeordnet. Hiergegen richtet sich die in jeweils zulässiger Weise eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt und den Eintritt der Verfolgungsverjährung geltend macht, weil die an Rechtsanwalt S. bewirkte Zustellung des Bußgeldbescheids unwirksam gewesen sei.
II.
Das Rechtsmittel der Betroffenen hat keinen Erfolg.
1. Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob das Verfahrenshindernis der Verjährung eingetreten ist. Dies ist nicht der Fall. Erörterungsbedürftig ist insoweit lediglich die Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheids am 29. August 2008 an Rechtsanwalt S., die nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG Voraussetzung für den Eintritt der Unterbrechung der Verfolgungsverjährung durch den Erlass des Bußgeldbescheides war.
a) Die Wirksamkeit der Zustellung kann aus der gesetzlich fingierten Zustellungsvollmacht des Verteidigers gemäß § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG folgen. Nach dieser Vorschrift gelten der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen. Folge dieser gesetzlichen Fiktion ist es, dass es unerheblich ist, ob sich in der vom Wahlverteidiger zu den Akten gereichten Vollmachtsurkunde eine ausdrückliche Ermächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen befindet oder nicht; diese kraft Gesetzes bestehende Zustellungsvollmacht kann auch nicht unter Aufrechterhaltung der Verteidigervollmacht im Übrigen durch den Betroffenen ausgeschlossen werden (Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 51 Rn 44a mwN).
Ob eine Verteidigervollmacht besteht, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Die Bevollmächtigung bedarf dabei keiner bestimmten Formulierung. Es kann deshalb – auch unabhängig von der ausdrücklichen Formulierung der „Verteidigung“ – aus den äußeren Umständen, insbesondere aus der Willensbekundung, den Betroffenen zu vertreten, auf ein Verteidigerverhältnis geschlossen werden ( Senat vom 4.10.2007 – 2 Ss (OWi) 142B/07 – VRS 113, 434f).
Vorliegend spricht alles dafür, dass Rechtsanwalt S. schon vor Zustellung des Bußgeldbescheids an ihn als Verteidiger der Betroffenen aufgetreten ist. Er hat sich mit Schriftsatz vom 30. Juni 2008 für die Betroffene gemeldet und „unter versicherter Bevollmächtigung“ angezeigt, dass die Betroffene ihn „in obiger Ermittlungssache mit ihrer Interessenvertretung beauftragt“ habe. Die Betroffene werde sich nur über ihn als Prozessbevollmächtigten äußern. Zum damaligen Verfahrensstand war die Betroffene von der Verwaltungsbehörde zum Vorwurf der fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 44 km/h angehört worden; ihr drohte der Erlass eines Bußgeldbescheids mit der Verhängung eines Fahrverbots. Mit dem vorgenannten Meldungsschreiben vom 25. Juni 2008 beantragte Rechtsanwalt S., das Verfahren gegen seine Mandantin einzustellen. Zur Begründung führte er aus, dass auch andere Personen als Fahrzeugführer in Betracht gekommen wären, die Betroffene keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet oder polizeiliche Maßnahmen verhindert habe, sie insofern auch kein Verschulden treffe und eine Ermessensentscheidung geboten sei. Aus diesem Zusammenhang ist eindeutig zu entnehmen, dass Rechtsanwalt S. die Betroffene zum damaligen Zeitpunkt im Bußgeldverfahren als Verteidiger vertreten sollte und auch wollte. Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsanwalt S. andere Interessen der Betroffenen als gerade deren Verteidigung wahrnehmen wollte, sind nicht ersichtlich.
Nach den Entscheidungen des OLG Stuttgart vom 21. Februar 2000 – 3 Ss 87/00 – und des KG Berlin vom 16. Juni 2008 – 3 Ws (B) 13/08 –, beide zitiert nach juris, sei jedoch die Zustellung eines Bußgeldbescheids an einen – wie hier – per „Blankovollmacht“ – bestellten Verteidiger nicht wirksam. Eine derartige Blankovollmacht sei nicht geeignet, die vom Gesetz gewollte förmliche Sicherheit bei Zustellungsadressaten zu gewährleisten. Denn bereits nach allgemeinen Grundsätzen müsse sich – neben dem Gegenstand der Bevollmächtigung und dem Vollmachtgeber – auch die Person des Bevollmächtigten aus dem Inhalt der Vollmachtsurkunde selbst einwandfrei ergeben. Den Voraussetzungen des § 145a Abs. 1 StPO (Anm. des Einzelrichters: im Bußgeldverfahren § 51 Abs. 3 OWiG) genüge es auch nicht, dass sich ein Rechtsanwalt, der die Vollmacht vorlegt, in einem begleitenden Schriftsatz auf die angeheftete Urkunde beruft. Denn damit behaupte allein der Vollmachtnehmer seine Bevollmächtigung; an der Unvollständigkeit der Vollmachtsurkunde selbst vermöge dies nichts zu ändern. Die besondere Stellung des Verteidigers im Straf- bzw. Bußgeldverfahren bedinge höhere Anforderungen an die förmliche Sicherheit beim Zustellungsadressaten als in anderen Verfahrensordnungen.
Ob dieser Ansicht zu folgen ist, ist zweifelhaft. Dass einem Rechtsanwalt, der die Vertretung des Betroffenen anzeigt und dazu eine von diesem unterzeichnete Vollmacht vorlegt, die darin stillschweigend enthaltene Erklärung, dass die Vollmacht auch gerade ihm, dem Rechtsanwalt, und keiner anderen Person erteilt worden ist, nicht geglaubt werden soll, nur weil die Vollmacht selbst ihn nicht als Vollmachtsnehmer ausweist, ist nicht einsichtig. Ein derart generalisiertes Misstrauen gegenüber der Redlichkeit des Rechtsanwalts vereinbart sich nicht mit dessen Stellung als Organ der Rechtspflege im Straf- und Bußgeldverfahren. Zudem ist kein vernünftiges Motiv ersichtlich, warum ein Rechtsanwalt sich durch Vorlage einer nicht für ihn ausgestellten Vollmacht die Verteidigung eines Betroffenen im Bußgeldverfahren erschleichen sollte. Eine Bezahlung könnte der Rechtsanwalt für die erschlichene Verteidigung nicht erwarten; würde er dennoch betrügerisch versuchen, nicht bestehende Honoraransprüche durchzusetzen, müsste er seine eigene strafrechtliche Verfolgung befürchten.
Soweit das OLG Stuttgart sich zur Begründung seiner Entscheidung auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24.10.1995 – 1 StR 474/95 –, BGHSt 41, 303f, beruft, ist festzustellen, dass diese BGH-Entscheidung sich zur Frage einer Blankovollmacht des Verteidigers nicht verhält, sondern lediglich klarstellt, dass das bloße Auftreten für den Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht ausreicht, um die gesetzlich fingierte Zustellungsvollmacht des Verteidigers zu begründen; insoweit tritt der Bundesgerichtshof dort nur einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 145a Abs. 1 StPO im Wege der Analogie entgegen. Soweit das OLG Stuttgart auf „allgemeine Grundsätze“ verweist (gemeint sind wegen des Hinweises auf Kommentierungen zu § 172 BGB wohl zivilrechtliche Grundsätze), ist festzustellen, dass nach § 167 Abs. 2 BGB die Vollmacht keiner besonderen Form bedarf, mithin sogar mündlich erteilt werden kann, und der Vollmachtsgeber eine Blanketturkunde gerade gegen sich gelten lassen muss (vgl. Palandt, BGB, 67. Aufl., § 172 Rn. 5 m.w.N.). Das Kammergericht hat sich mit seiner o.g. Entscheidung der Rechtsmeinung des OLG Stuttgart angeschlossen, ohne ein weiteres Begründungselement hinzuzufügen.
b) Ob vorliegend die Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheids an Rechtsanwalt S. aus § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG folgt, obwohl die von ihm übersandte Vollmacht ihn nicht als Vollmachtsnehmer auswies, kann aber offenbleiben, weil ihm jedenfalls eine wirksame rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt war. Unabhängig von der gesetzlich fingierten Zustellungsvollmacht des § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG kann dem als Verteidiger auftretenden Rechtsanwalt, dem nicht als Verteidiger auftretenden Rechtsanwalt oder auch einer sonstigen Person Zustellungsvollmacht erteilt werden. Diese ist – wie bereits erwähnt – nicht an eine besondere Form gebunden (§ 167 Abs. 2 BGB). Für die Wirksamkeit einer Zustellung an den kraft Rechtsgeschäft Bevollmächtigten kommt es im Grundsatz nur darauf an, ob die Vollmacht tatsächlich besteht, das heißt, ob sie vom Vollmachtsgeber tatsächlich erteilt worden ist.
Dies gilt auch bei Zustellungen an den Verteidiger. Aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz der Betroffenen wird allerdings zu fordern sein, dass das Vorliegen einer derartigen rechtsgeschäftlichen Vollmacht urkundlich feststeht ( BGH NStZ 1996, 97; BayOblG NJW 2004, 1263 f.). Ausreichend ist es insoweit aber sogar, wenn die rechtsgeschäftliche Vollmacht später vorgelegt wird, im Rahmen des Empfangsnachweises durch eigenhändige Unterschrift bestätigt oder auf besondere Anfrage anwaltlich versichert wird und darüber ein Aktenvermerk vorliegt (BayOblG a.a.O.).
Ausgehend von den letztgenannten Grundsätzen steht fest, dass Rechtsanwalt S. bei Zustellung des Bußgeldbescheids an ihn von der Betroffenen zu dessen Entgegennahme bevollmächtigt war. Ob dies so war, ist vom Rechtsbeschwerdegericht im Freibeweisverfahren zu ermitteln. Der Inhalt der von der Betroffenen unterzeichneten Vollmachtsurkunde ist insoweit eindeutig. Mit der Erklärung, dass Zustellungen nur an den Bevollmächtigten erbeten werden, hat die Betroffene klar zum Ausdruck gebracht, dass sie Zustellungen nur an den Bevollmächtigten wünscht, mithin diesem Zustellungsvollmacht erteilt; hinzu kommt, dass im Text der Vollmacht der Bevollmächtigte auch zur Entgegennahme von Schriftstücken ermächtigt worden ist. Dass diese Vollmacht von der Betroffenen gerade für Rechtsanwalt S. erteilt worden ist, steht zweifelsfrei fest, weil sie gerade von diesem mit Schriftsatz vom 30. Juni 2008 an die Bußgeldbehörde übersandt worden ist und Rechtsanwalt S. zusätzlich seine Bevollmächtigung versichert hat. Auch in der Rechtsbeschwerdebegründung hat Rechtsanwalt S. daran festgehalten, dass diese Vollmacht ihm erteilt worden sei; in der Vollmacht sei lediglich „versehentlich (fehlender,ergänzender Stempelabdruck o.ä.) kein konkreter Bevollmächtigter benannt“ worden. Vor diesem Hintergrund vermag der Umstand, dass die Vollmachtsurkunde selbst den Vollmachtsnehmer nicht erkennen lässt, keine vernünftigen Zweifel daran zu begründen, dass die Zustellungsvollmacht von der Betroffenen für Rechtsanwalt S. erteilt worden ist.
c) Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß §§ 121 Abs. 2 GVG, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG im Hinblick auf die oben genannten Entscheidungen des OLG Stuttgart vom 21. Februar 2000 und des KG Berlin vom 16. Juni 2008 ist nicht veranlasst, weil sich diese ausschließlich zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit der gesetzlich fingierten Zustellungsvollmacht des Verteidigers nach § 51 Abs. 3 S. 1 OWiG (KG Berlin), bzw. § 145a Abs. 1 StPO (OLG Stuttgart) verhalten; die Frage einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht wird in beiden Entscheidungen nicht diskutiert.
2. Die auf die mit Ausnahme der Verjährungsfrage nicht weiter ausgeführte Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keine materiell-rechtlichen Fehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.