Für die Annahme eines Rotlichtverstoßes ist nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie und – wenn diese nicht vorhanden ist – das Einfahren in den von der Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungsbereich ausschlaggebend ist. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung des Verstoßes zu ermöglichen, hat das Tatgericht nähere Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen und dem Ablauf des Rotlichtverstoßes zu treffen. Insbesondere wenn die Feststellungen zum Zeitablauf nicht auf einer technischen Messung mittels eines geeichten Messgerätes beruhen, sind wegen der damit verbundenen zahlreichen Fehlermöglichkeiten klare und erschöpfende Feststellungen zum Zeitablauf sowie zur Entfernung des Fahrzeugs zum Einmündungsbereich, zur Lichtzeichenanlage und zu einer ggf. vorhandenen Haltelinie zu treffen. Das gilt erst recht für die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Iserlohn hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 03. September 2009 wegen fahrlässiger Missachtung des Rotlichtes der Lichtzeichenanlage eine Geldbuße in Höhe von 200,– Euro und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Gegen dieses in Anwesenheit des Betroffenen verkündete und seinem Verteidiger am 01. Oktober 2009 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit am 09. September 2009 eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit weiterem am 02. Oktober 2009 beim Amtsgericht Iserlohn eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag unter näheren Ausführungen begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben.
II.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:„Der gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaften und form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde ist in der Sache ein – zumindest vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen. 1. Soweit mit der Beschwerdebegründung im Hinblick auf die – vermeintlichen – Unterlassungen im Rahmen der Beweisaufnahme durch die Tatrichterin die Aufklärungsrüge erhoben werden soll, erweist sich diese allerdings bereits als unzulässig, weil sie nicht ausreichend gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG begründet ist. In zulässiger Form ist die Aufklärungsrüge nämlich nur erhoben, wenn das Rechtsmittel die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen (vgl. BGHSt 2, 168; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 244 Rdn. 81). Ferner muss angegeben werden, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. m.w.N.; OLG Hamm, NZV 2002, 139). Daran fehlt es hier. Insbesondere wird nicht ausgeführt, welche Tatsache das Gericht zu ermitteln unterlassen hat bzw. welches Ergebnis von der unterbliebenen Vernehmung des Unfallgegners zu erwarten gewesen wäre. In diesem Zusammenhang wird – soweit verständlich – insbesondere nicht in Abrede gestellt, dass der Betroffene tatsächlich Fahrer des Unfallfahrzeuges gewesen ist.Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und zum Gegenstand seiner Entscheidung, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Iserlohn zurückzuverweisen war.
2. Soweit die Rechtsbeschwerdebegründung als Rüge der Verletzung materiellen Rechts ausgelegt werden kann, kann dahinstehen, ob die Ausführungen in der Antragsschrift sich in unzulässigen Angriffen gegen die Feststellungen des Tatgerichts erschöpfen, soweit sie die Beweiswürdigung des Gerichts betreffen (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 12.03.2009 -2 Ss OWi 135/09 und vom 02.08.2004 -2 Ss OWi 472/04 – Meyer-Goßner, a.a.O., § 344 Rdn. 19 m.w.N.). Die auf die im Übrigen in zulässiger Form erhobene allgemeine Sachrüge vorzunehmende Prüfung ergibt nämlich, dass die durch das Amtsgericht Iserlohn getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht tragen.
Der von dem Amtsgericht angenommene qualifizierte Rotlichtverstoß erfordert die Feststellung, dass der Fahrzeugführer das Rotlicht nach einer Rotlichtphase von mehr als einer Sekunde missachtet hat, wobei nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie und – wenn diese nicht vorhanden ist – das Einfahren in den von der Lichtzeichenanlage gesicherten Kreuzungsbereich ausschlaggebend ist. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die rechtliche Überprüfung des Verstoßes zu ermöglichen, hat das Tatgericht nähere Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen und dem Ablauf des Rotlichtverstoßes zu treffen. Insbesondere wenn die Feststellungen zum Zeitablauf nicht auf einer technischen Messung mittels eines geeichten Messgerätes beruhen, sind wegen der damit verbundenen zahlreichen Fehlermöglichkeiten klare und erschöpfende Feststellungen zum Zeitablauf sowie zur Entfernung des Fahrzeugs zum Einmündungsbereich, zur Lichtzeichenanlage und zu einer ggf. vorhandenen Haltelinie zu treffen (vgl. Senatsbeschluss vom 23.10.2003 – 2 Ss OWi 649/03 – m.w.N.; OLG Hamm, Beschlüsse vom 08.11.2007 – 3 Ss OWi 406/07 – und vom 27.11.2001 – 3 Ss OWi 1049/01 –,jeweils m.w.N.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 37 StVO Rdn. 61 m.w.N,). Diesen Anforderungen wird das Amtsgericht nicht gerecht. Zunächst fehlt es an der Mitteilung, ob an der Einmündung eine Haltelinie vorhanden war.
Die Tatrichterin hat darüber hinaus ihre Überzeugung ausschließlich aus den Aussagen des Zeugen K.… gewonnen. Dagegen werden in dem angefochtenen Urteil keinerlei Feststellungen dazu getroffen, auf welchen Zeitraum der Zeuge – im Wege der Schätzung – die Dauer der Rotlichtphase wiedergegeben hat, aus welcher Entfernung er das Geschehen beobachtet hat und in welcher Entfernung man sich mit welcher Geschwindigkeit auf die Lichtzeichenanlage zu bewegt hat, als diese Rotlicht anzeigte. Zwar kann die Überzeugungsbildung der Tatrichterin auch auf Schätzungen von Zeugen beruhen; einer solchen Schätzung kann nicht von vornherein ein Beweiswert abgesprochen werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08.11.2007 – 3 Ss OWi 406/07 –). Es muss aber dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Zeitschätzungen wegen der Ungenauigkeit des menschlichen Zeitgefühls in der Regel mit einem erheblichen Fehlerrisiko behaftet sind (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Infolge dessen bedarf es in einem solchen Fall Ausführungen dazu, auf welcher Grundlage die Schätzung des Zeugen beruht, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung zu ermöglichen, ob die von dem Tatrichter angenommene Rotlichtzeit auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Daran fehlt es hier.
Zu beanstanden ist außerdem, dass die Tatrichterin bei der Feststellung der Dauer der Rotlichtzeit darauf abgestellt hat, wann der Betroffene die Lichtzeichenanlage passiert hat. Denn nach inzwischen einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung ist für die Berechnung des Rotlichts von mehr als einer Sekunde der Zeitpunkt maßgeblich, in dem das betreffende Fahrzeug die Haltelinie passiert (vgl. OLG Hamm, a,a.O.).
Die bloße Feststellung, dass für den Querverkehr „Grün“ gegolten hat, lässt den Schluss auf einen Rotlichtverstoß – erst recht auf einen qualifizierten Rotlichtverstoß – ebenfalls nicht zu (vgl. OLG Hamm, DAR 1999, 417).
3. Auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Hinblick auf die Feststellungen zur Verhängung eines Fahrverbots von einem Monat.
Dabei kann dahinstehen, ob die Feststellungen der Tatrichterin geeignet sind, neben der im Falle eines qualifizierten Rotlichtverstoßes grundsätzlich vorliegenden objektiven groben Pflichtverletzung auch das subjektive Vorliegen einer solchen Pflichtwidrigkeit zu belegen (vgl. hierzu Thüringer OLG, Beschluss vom 23.08.2005 – 1 Ss 227/05 –; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 25 StVG Rdnrn. 14, 22, jew. m.w.N.). Zu beanstanden ist nämlich, dass die Tatrichterin sich bei der Begründung der Verhängung des Fahrverbots nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob nicht von dieser bei gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße abgesehen werden konnte, weil bei diesem Betroffenen der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch auf diese Weise erreicht werden kann. Zwar ist das Gericht bei Vorliegen eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung, wenn keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind, von der Verpflichtung enthoben, die grundsätzliche Angemessenheit der Verhängung eines Fahrverbots besonders zu begründen. Der Tatrichter muss sich jedoch der Möglichkeit, von der Verhängung eines Fahrverbots unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße ggf. absehen zu können, bewusst gewesen sein und dies in den Entscheidungsgründen grundsätzlich erkennen lassen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.10.2003 – 2 Ss OWi 649/03 -‚ vom 18.08.2003 – 2 Ss OWi 390/03 – und vom 09.11.1999 – 2 Ss OWi 1078/99 -‚ jew. m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 29.06.2004 – 3 Ss OWi 348/04 - Hentschel/ König/Dauer, a.a.O. Rdnr. 19 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Den Ausführungen des Amtsgerichts zum Rechtsfolgenausspruch lässt sich auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass sich die Tatrichterin der Möglichkeit bewusst gewesen ist, trotz Annahme eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung von der Verhängung eines Fahrverbotes und der Erhöhung der Geldbuße absehen zu können. Aus den Formulierungen der Urteilsgründe drängt sich eher der Eindruck auf, die Tatrichterin habe das Regel-/Ausnahmeverhältnis verkannt und sei davon ausgegangen, dass das Einfahren in eine Einmündung bei Rotlicht stets eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers darstelle, die zwingend das Fahrverbot nach sich zu ziehen hat. Auch ist einer solcher Fall nicht gegeben, dass es eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot dann nicht bedarf, wenn der Begründung im Übrigen eindeutig zu entnehmen ist, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße bei gleichzeitigem Wegfall des Fahrverbots nicht (mehr) erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 09.11.1999 – 2 Ss OWi 1078/99 -m.w.N.). Dies gilt hier um so mehr, als der Betroffene bisher verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und die Feststellungen im Urteil zum objektiven und subjektiven Grad der Pflichtwidrigkeit sowie zum konkret angerichteten Schaden keine näheren Angaben enthalten.“
Ergänzend merkt der Senat folgendes an:
Der Senat hält – auch in Kenntnis der Rechtsprechung des 3. und des 5. Senates für Bußgeldsachen des OLG Hamm (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2009, 5 Ss OWi 442/09) – an seiner Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Februar 2004, 2 Ss OWi 12/04, VRS 106, 474 f.; vom 23. Oktober 2003, 2 Ss OWi 649/03, NJW 2004, 172; vom 24. Oktober 2001, 2 Ss OWi 916/01, DAR 2002, 85; vom 09. November 1999, 2 Ss OWi 1078/09, NZV 2000, 136, und vom 29. November 1996, 2 Ss OWi 1314/96, DAR 1997, 117 f.) fest, dass sich den Urteilsgründen grundsätzlich entnehmen lassen muss, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit eines Absehens vom Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße bewusst gewesen ist (vgl. auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 25 StVG Rn. 19 m.w.N.). Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass ungeachtet des zwischenzeitlich erfolgten Zeitablaufs seit Erlass der Bußgeldkatalogverordnung nicht davon ausgegangen werden kann, dass sämtlichen Tatrichtern, die Bußgeldsachen bearbeiten, diese Möglichkeit bewusst ist.
In Anbetracht der erneuten Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass im Falle der (erneuten) Verhängung eines Fahrverbotes die Einräumung der sogenannten „Vier-Monatsfrist“ gemäß § 25 Abs. 2a StVG zu berücksichtigen sein wird, da nach den bisherigen Feststellungen der Betroffene verkehrsrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist.