Dem Betroffenen, der als Angehöriger einer Freiwilligen Feuerwehr nach Auslösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus fährt, stehen grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zu. Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeit ihres Gebrauchs nur im Ausnahmefall nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit freigesprochen.
Es hat festgestellt, dass der Betroffene am 18. April 2001 um 18.20 Uhr in auf der B auf Höhe der Ausfahrt ... als Führer des Pkw der Marke ... mit dem amtlichen Kennzeichen ..., an dessen Frontscheibe er vorübergehend ein Kunststoffschild angebracht hatte, wonach er als Feuerangehöriger im Einsatz sei, die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritten habe. Seine gemessene Geschwindigkeit habe abzüglich der Toleranz 161 km/h betragen. Der Betroffene sei aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr der Gemeinde ..., eines nur wenige Kilometer entfernt liegenden Nachbarortes der Stadt ..., in welcher er beanstandet worden sei. Um 18.13 Uhr sei er über Funk im Rahmen eines Vollalarms wegen einer Brandmeldung im Gebäude der Firma ... in ... alarmiert worden und habe, wie ihm geheißen, auf dem schnellsten Wege das Feuerwehrhaus der Freiwilligen Feuerwehr in ... erreichen wollen, um von dort aus eingesetzt zu werden. Um 18.24 Uhr sei eine entwarnende Rückmeldung erfolgt, weil Betriebsmitarbeiter die Sache selbst unter Kontrolle gebracht hätten. Andere Verkehrsteilnehmer seien durch die Fahrweise des Betroffenen auf der Bundesstraße in keiner Weise tangiert worden. Es handle sich um eine vierspurige, mit Mittelleitplanken und langen geraden Streckenabschnitten versehene Schnellstraße ohne jede angrenzende Bebauung, welche ... direkt mit ... verbinde. In einer Entfernung von mehreren hundert Metern nach der Messstelle seien, ohne dass sich die baulichen Gegebenheiten der Straße geändert hätten, sämtliche Streckenverbote ganz aufgehoben.
Dem Betroffenen sei auf Schulungen der Feuerwehr wiederholt – u.a. auch anhand von schriftlichen Unterlagen des Verkehrsdienstes der Polizeidirektion ... – erklärt worden, er könne im Alarmfalle gegebenenfalls für sich Sonderrechte in Anspruch nehmen, wenn er niemanden hierdurch gefährde.
Gegen dieses freisprechende Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem Rechtsmittel, das sich nicht gegen die getroffenen Feststellungen wendet, sondern lediglich eine Aufhebung und Zurückverweisung im Rechtsfolgenausspruch begehrt, eine grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage, ob einem Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr im Alarmfall bei der Fahrt in seinem Privatfahrzeug zum Feuerwehrstützpunkt die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zustehen. Hierin ist die Rüge der Verletzung materiellen Rechts zu sehen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet, da das Amtsgericht den Betroffenen im Ergebnis zu Recht freigesprochen hat.
Dem Betroffenen, der als Angehöriger einer Freiwilligen Feuerwehr nach Auslösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus fährt, stehen grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zu. Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeit ihres Gebrauchs nur im Ausnahmefall nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten (vgl. Hartung NJW 1956, 1625) unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist (§ 35 Abs. 1, 8 StVO).
Zur Begründung dieser Rechtsansicht wird auf den in einem ähnlich gelagerten Fall ergangenen Beschluss des Senats vom heutigen Tag - 4 Ss 71/2002 - Bezug genommen.
Mit einem privaten Pkw, der keine Signaleinrichtungen wie ein Feuerwehrfahrzeug aufweist, sind daher, soweit es um die Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (§ 3 StVO) geht, allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer statthaft.
Ob dies angesichts der Zeit, zu der der Betroffene nach ... fuhr, und der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung noch der Fall ist, was fraglich erscheint, kann ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob sein Verhalten zumindest subjektiv unter § 16 OWiG einzuordnen ist. Der Betroffene hat sich jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 11 Abs. 2 OWiG befunden.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war er durch die Schulungen der Feuerwehr und aufgrund schriftlicher Unterlagen der Polizei der Auffassung, er könne bei seiner Fahrt Sonderrechte nach § 35 Abs. 1 StVO in Anspruch nehmen, wenn er niemanden gefährde. Es fehlte ihm damit die Einsicht, etwas Unerlaubtes zu tun. Dafür spricht auch, dass er an der Frontscheibe seines Wagens vorübergehend ein Kunststoffschild angebracht hatte, wonach er als Feuerwehrangehöriger im Einsatz sei. Da seine Ansicht auf der Auskunft kompetenter Stellen beruhte, war sein Irrtum nicht vermeidbar.