Nach 15-jähriger Substitutionsbehandlung mit Methadon ist für die Feststellung wiederhergestellter Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten erforderlich; eine ärztliche Bestätigung reicht hierfür nicht aus. Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis trotz Methadonsubstitution sind eine mehr als einjährige Methadonsubstitution, eine psychosoziale stabile Integration, die Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiv wirkender Substanzen einschließlich Alkohol seit mindestens einem Jahr, der Nachweis für Eigenverantwortung sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit.
Gründe:
I.
Am 23.11.2009 wurde der Antragsteller als Fahrer eines Pkw im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle auf der C. Straße in D. überprüft. Da er nach Einschätzung der kontrollierenden Polizeibeamten unter dem Einfluss berauschender Mittel stand, wurde ihm mit seinem Einverständnis eine Blutprobe entnommen, in der anschließend Methadon in einer - als toxisch eingestuften - Konzentration von 1050 ng/ml nachgewiesen wurde (Befundbericht der Laborarztpraxis Dr. E. und Partner, F., vom 30.11.2009). Gegenüber der Polizei gab der Antragsteller seinerzeit an, dass er viele Jahre lang hartdrogenabhängig gewesen sei und inzwischen seit mehreren Jahren nach ärztlicher Verordnung mit Methadon substituiert werde. In der anlässlich des Vorfalls seitens der Polizei am 10.12.2009 erstatteten Strafanzeige heißt es ferner, dass der Antragsteller vor der Verkehrskontrolle mit geringer Geschwindigkeit (30-40 km/h) die C. Straße befahren habe, dann nach links auf einen zu einem Mehrfamilienhaus gehörigen Parkplatz abgebogen und - nachdem er dort gewendet habe - wieder in Richtung Ortsmitte zurückgefahren sei; anschließend sei er nach links auf das Grundstück eines dort befindlichen Landhandels abgebogen und dort kontrolliert worden. Nachdem er von den Polizeibeamten angesprochen und zum Verlassen seines Fahrzeugs aufgefordert worden sei, habe er zunächst den Motor des Fahrzeugs "abgewürgt"; beim anschließenden Vorzeigen seiner Fahrzeugpapiere, des Warndreiecks und des Erste-Hilfe-Materials hätten seine Hände stark gezittert. Im Verlauf der Kontrolle habe seine Stimmung mehrfach zwischen sehr aufgeregt/aufbrausend und ruhig/verhalten gewechselt.
Nachdem die Antragsgegnerin von diesem Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte, hörte sie den Antragsteller im Januar 2010 zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller erklärte daraufhin, dass er in der Vergangenheit - bis zum Jahr 1982 - zwar Drogen konsumiert, anschließend jedoch einen Entzug und eine Therapie absolviert habe; seitdem lebe er drogenfrei. Im Jahr 1995 habe er, weil er sich aufgrund einer persönlichen Krise wieder als drogengefährdet angesehen habe, von sich aus um die Teilnahme an einem Methadonprogramm nachgesucht, wobei diese Methadon-Substitutionsbehandlung bis heute andauere. Im Rahmen dieser Behandlung fänden mehrfach im Jahr unangekündigte Drogenscreenings (unter Einschluss von Alkohol) statt, die bislang, was durch entsprechende ärztliche Bescheinigungen und Befundberichten belegt sei, durchweg negative Ergebnisse erbracht hätten. Aus einer Bescheinigung des ihn derzeit behandelnden Arztes (Dr. G. aus D.) vom 25.01.2010 ergebe sich ferner, dass die seit Jahren bestehende Einstellung mit Methadon zu einer stabilen Lebenssituation mit dauerhafter Abstinenz geführt habe; seine Fahreignung werde durch die Substitutionsbehandlung ebenfalls nicht beeinträchtigt. Auch im Übrigen führe er seit Jahren ein in jeglicher Hinsicht unauffälliges Leben, engagiere sich ehrenamtlich und nehme seit vielen Jahren ohne Beanstandungen am Straßenverkehr teil.
Angesichts dieser Einlassung sah die Antragsgegnerin von der angekündigten Entziehung der Fahrerlaubnis zunächst ab, forderte den Antragsteller am 01.03.2010 allerdings zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Begründet wurde diese Anordnung damit, dass aufgrund der früheren Hartdrogenabhängigkeit des Antragstellers, seiner anschließenden mehrjährigen Substitution mit Methadon, der in seiner Blutprobe nachgewiesenen toxischen Methadonkonzentration und seiner von der Polizei bei der Verkehrskontrolle am 23.11.2009 festgestellten Verhaltensauffälligkeiten Zweifel an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden, die eine medizinisch-psychologische Begutachtung erforderlich machten. Für diese Anordnung wurden Verwaltungskosten in Höhe von 23,13 € festgesetzt. Der Antragsteller teilte daraufhin mit, dass er der Gutachtenanordnung nicht Folge leisten werde, weil diese rechtswidrig sei. Die durch die geforderte Begutachtung zu klärenden Fragen seien bereits dahingehend geklärt, dass er seit Jahren außer dem ärztlich verordneten Methadon keinerlei Drogen oder Alkohol konsumiere und ihm ärztlicherseits eine stabile Lebenssituation bescheinigt worden sei. Bezüglich der in seiner Blutprobe festgestellten Methadonkonzentration sei darauf hinzuweisen, dass er bereits seit Jahren aufgrund entsprechender ärztlicher Verordnung mit einer Dosierung von 500 ml pro Woche substituiert werde, ohne dass diese Dosierung bei ihm toxische oder anderweitige, seine Fahreignung beeinträchtigende Nebenwirkungen auslöse; dies sei in den Bescheinigungen seines behandelnden Arztes vom 25.01. und 10.03.2010 ausführlich dargelegt worden. Soweit es die in der polizeilichen Strafanzeige festgehaltenen Fahr- bzw. Verhaltensauffälligkeiten betreffe, stünden diese im Widerspruch zu den nachfolgenden ärztlichen Feststellungen anlässlich der Blutprobenentnahme. Das von der Polizei erwähnte Händezittern sei darauf zurückzuführen, dass er sich seinerzeit sehr darüber aufgeregt habe, von der Polizei ohne Grund mit dem Vorwurf des Drogenmissbrauchs überzogen worden zu sein.
Mit Bescheid vom 06.05.2010 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller daraufhin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis (u.a. der Klasse B). Zur Begründung führte sie aus, dass aus den in der Gutachtenanordnung vom 01.03.2010 genannten Gründen Bedenken an der Kraftfahreignung des Antragstellers bestünden, die bislang nicht ausgeräumt worden seien. Aufgrund der Weigerung des Antragstellers, sich der geforderten Begutachtung zu unterziehen, sei vielmehr auf dessen Nichteignung zu schließen, so dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen sei.
Der Antragsteller hat hiergegen Klage erhoben (6 A 97/10) und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er macht unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens geltend, dass Zweifel an seiner Kraftfahreignung nicht bestünden; daher seien sowohl der angefochtene Entziehungsbescheid als auch die zugrunde liegende Gutachtenanordnung rechtswidrig. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er dringend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei, um die erforderlichen Versorgungsfahrten für seinen 87-jährigen, allein lebenden Vater durchführen zu können. Außerdem habe die Antragsgegnerin zwischenzeitlich die Zwangsvollstreckung bezüglich der für die Gutachtenanordnung erhobenen, von ihm bislang nicht gezahlten Verwaltungskosten (zzgl. Vollstreckungskosten) eingeleitet, so dass auch insoweit vorläufiger Rechtsschutz erforderlich sei.
Der Antragsteller beantragt,die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.05.2010 wiederherzustellen und die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenbescheid vom 01.03.2010 einstweilen einzustellen.Die Antragsgegnerin beantragt unter Vertiefung der Gründe des angefochtenen Bescheides,den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung die Behörde - wie hier - gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung bedarf es einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts andererseits, bei der insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Diese Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen.
Gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die fehlende Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn dieser sich weigert, sich einer nach den maßgeblichen verkehrsrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Eignungsuntersuchung zu unterziehen und die Anordnung einer solchen Untersuchung ihrerseits rechtmäßig war (vgl. dazu BVerwG, U. v. 5.07.2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier aller Voraussicht nach erfüllt.
Nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV ist, ohne dass der Behörde insoweit Ermessen eingeräumt ist, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet in diesem Sinne ist gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere derjenige, bei dem Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen; von letzterem dürfte im Fall des Antragstellers zum jetzigen Zeitpunkt auszugehen sein. Nach seinem eigenen Vorbringen war der Antragsteller in der - allerdings schon lange zurückliegenden - Vergangenheit von Hartdrogen abhängig und hat sich deshalb im Jahre 1995 einer Methadon-Behandlung unterzogen, die bis heute andauert. Da es sich auch bei Methadon um ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes handelt (vgl. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG), schließt dessen Einnahme die Kraftfahreignung des Antragstellers gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 ebenfalls grundsätzlich aus, weil es demjenigen, der als Drogenabhängiger mit Methadon substituiert wird, regelmäßig an der im Straßenverkehr erforderlichen hinreichend beständigen Anpassungs- und Leistungsfähigkeit fehlt (vgl. Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 6. Aufl., Leitsätze zu Nr. 3.12.1, S.44) und trotz der Methadon-Behandlung die Opiatabhängigkeit des Betroffenen zumindest auf psychischer Ebene weiter bestehen bleibt (vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, 2. Aufl., Kap. 3.12.1, S. 173); auf die Frage, ob der Betroffene unter dem Einfluss dieses Betäubungsmittels ggf. ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat, kommt es dabei nicht an (vgl. VGH München, B. v. 22.03.2007 - 11 CS 06.3306 -, juris; OVG Saarlouis, B. v. 27.03.2006 - 1 W 12/06 -, NJW 2006, 2651; OVG Bremen, B. v. 16.03.2005 - 1 S 58/05 -, NordÖR 2005, 263; Hentschel/ König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 2 StVG Rn. 17 k).
Besondere Umstände, die Anlass zu einer Abweichung von der in Ziff. 9.1 aufgestellten Regelvermutung geben könnten (vgl. insoweit Nr. 3 der Vorbemerkung zu Anlage 4), sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar ist in Fällen der Methadonsubstitution in seltenen Ausnahmefällen eine positive Eignungsbeurteilung möglich, wenn dies durch besondere Umstände des Einzelfalles gerechtfertigt ist. Dazu gehören u.a. eine mehr als einjährige Methadonsubstitution, eine psychosoziale stabile Integration, die - durch geeignete, regelmäßige und zufällige Kontrollen während der Therapie nachgewiesene - Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiv wirkender Substanzen einschließlich Alkohol seit mindestens einem Jahr, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit, wobei gerade den Persönlichkeits- und Leistungs- sowie den verhaltens- und sozialpsychologischen Befunden erhebliche Bedeutung für die Begründung einer positiven Regelausnahme zukommt (vgl. Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Leitsätze zu Nr. 3.12.1, S. 44). Dieser Fragenkomplex kann regelmäßig nur auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Begutachtung beantwortet werden (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 03.04.2000 - 12 M 1216/00 -, www.dbovg.niedersachsen.de; OVG Saarlouis, aaO; OVG Hamburg, B. v. 06.12.1996 - Bs VI 104/96 -, juris), so dass gegen die diesbezügliche Gutachtenanordnung der Antragsgegnerin vom 01.03.2010 keine durchgreifenden Bedenken bestehen. Gegenstand einer solchen Begutachtung haben dabei im vorliegenden Fall insbesondere auch die von der Antragsgegnerin konkret aufgeworfenen Fragen zu sein, ob die mittlerweile rd. 15-jährige und seit vielen Jahren mit einer - auch nach Mitteilung des behandelnden Arztes des Antragstellers - im Vergleich zu anderen Patienten sehr hohen Dosierung durchgeführte Methadonbehandlung als solche Beeinträchtigungen der Fahreignung bzw. der allgemeinen Leistungsfähigkeit zur Folge, möglicherweise sogar toxische Wirkungen hat und ob die in der Strafanzeige der Polizei vom 10.12.2009 vermerkten Verhaltensauffälligkeiten und Stimmungsschwankungen - wie der Antragsteller geltend macht - allein durch die konkrete Situation bedingt waren oder ihre Ursache ggf. in der langjährigen, hoch dosierten Methadonbehandlung haben. Da sich der Antragsteller einer medizinisch-psychologischen Begutachtung bislang (während der gesamten Dauer seiner Methadonbehandlung) nicht unterzogen hat, kann eine Ausnahme von der o.g. Regelvermutung ungeachtet dessen, dass im Laufe des vorliegenden Verfahrens zumindest eine mehr als einjährige Methadonsubstitution sowie eine entsprechend lange Freiheit von Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen als Methadon nachgewiesen worden ist, derzeit nicht bejaht werden. Die vorgelegten Stellungnahmen seines behandelnden Arztes vom 25.01. und 10.03.2010 ersetzen - wie dieser letztlich selbst einräumt - eine medizinisch-psychologische Begutachtung durch dafür zugelassene Gutachter nicht; daher muss im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben, dass der Arzt des Antragstellers offenbar über eine verkehrsmedizinische Qualifikation sowie über hinreichende Erfahrungen im Bereich der Methadonsubstitution verfügt und in seinen Stellungnahmen negative Auswirkungen der Methadoneinnahme auf die Fahreignung des Antragstellers ausdrücklich verneint hat.
Hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis mithin voraussichtlich zu Recht entzogen, ist es nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch nicht zu beanstanden, dass sie die sofortige Vollziehung der Entziehungsverfügung angeordnet hat. Das persönliche Interesse des Antragstellers, einstweilen weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können, hat daher hinter dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurückzutreten.