Das bloße Unterhalten einer E-Mail-Adresse führt nicht zur Tragung der Missbrauchsgefahr. Aus dem Umstand, dass jemand über eine passwortgeschützte Mailadresse verfügt, folgt kein Anscheinsbeweis dafür, dass der Inhaber auch der Versender der Mail ist. Auch eine Beweislastumkehr findet nicht statt.
Zum Sachverhalt: In der Zeit vom 10. bis 17. August 2000 wurde von der Firma I-T. eine Internetauktion über eine goldenen Herrenarmbanduhr veranstaltet. Die Abgabe von Geboten erfolgte per E-Mail über bei dem Internetanbieter G. eingerichtete Adresse. Der Beklagte unterhielt bei dieser Firma zum damaligen Zeitpunkt zwei E-Mail-Konten: ein privates Konto mit Benutzernamen "k." und ein dienstliches Konto mit Benutzernamen "a.". Beide Konten hatte er als (geheimes) Passwort die Zahlenkombination seines Geburtsdatums gewählt.
Die Herrenarmbanduhr wurde in der Auktion von einem Benutzer unter dem Namen "b.T." angeboten. Das Einstiegsgebot sollte mindestens 18.000,00 DM betragen. Am 14. August 2000 wurde um 18:55 Uhr auf die Uhr ein Gebot über 18.000,00 DM abgegeben. Als Bieter vermerkte das EDV-System des Auktionsveranstalters den Auktionsteilnehmer "". Nach dem dieses das einzige Gebot blieb, teilte G. dem Kläger am 24. August 2000 mit, dass Gebot sei von einer E-Mail-Adresse abgegeben worden, zu der als "Kontaktinformation" Name, Anschrift und private E-Mail-Anschrift des Beklagten gespeichert seien.
Als der Kläger dem Beklagten daraufhin zur Bezahlung und Abnahme der Uhr aufforderte, lehnte dieser unter anderem mit E-Mail vom 31. August 2000 ab. Er machte geltend, dass Gebot sei von einem unbefugten Dritten abgegeben worden.
Mit Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen mit der Begründung, es stehe nicht fest, dass der Beklagte das Gebot vom 14.08.2000 abgegeben habe.
Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Berufung rügte der Kläger vorrangig, das Landgericht habe ihn zu Unrecht für den Umstand, dass der Beklagte das Gebot abgegeben habe, für beweisbelastet gehalten. Jedenfalls hätte es einen Anscheinsbeweis zu Lasten des Beklagten annehmen müssen, den der Beklagte nicht erschüttert. Selbst wenn man dies ablehne, haftet der Beklagte nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht.
Die Berufung blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat mit sehr ausführlicher, alle Probleme ansprechender und zutreffender bewertender Begründung die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Begründung des angefochtenen Urteils, der er sich vollinhaltlich anschließt, Bezug (zustimmend ebenfalls Wiebe, MMR 2002, 257; Boere, TR 2002, 295; in einem gleichgelagerten Fall hat das AG Erfurt ebenso entschieden, MMR 2002, 127).
Die gegen das Urteil geäußerten Einwendungen des Klägers im Berufungsverfahrens rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.
1. Entgegen der Ansicht des Klägers trägt der Beklagte nicht allein deshalb, weil er bei G. ein E-Mail-Konto mit einem bestimmten Pseudonym und Passwort unterhalten hat, dass Missbrauchsrisiko mit der Folge einer Beweislastumkehr nach Gefahrenkreisen. Das bloße unterhalten einer E-Mail-Adresse führt ebenso wenig zu Tragung der Missbrauchsgefahr wie der bloße Besitz einer Kreditkarte zu einer Haftung des Inhabers führt im Falle der missbräuchlichen Angabe seiner (geheimen) Kreditkartennummer durch einen unbefugten Dritten z. B. im Mailorderverfahren (siehe hierzu BGH NJW 2002, 2234 unter Hinweis auf Langenbucher, Die Risikozuweisung im bargeldlosen Zahlungsverkehr, S. 259).
2. Auch ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Beklagten ist nicht gegeben. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht den für die Annahme des Anscheinsbeweises typischen Geschehensablaufs abgelehnt. Der Sicherheitsstandard im Internet ist - wie jedem, der sich mit dem Datenverkehr befasst, bekannt ist - derzeit nicht ausreichend, um aus der Verwendung eines geheimen Passworts auf denjenigen als Verwender zu schließen, dem dieses Passwort ursprünglich zugeteilt worden ist. Auch die vom Kläger dargestellten Probleme einer "Entschlüsselung" des Passworts kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Ein Missbrauch setzt nämlich eine vorherige Entschlüsselung gar nicht voraus. Vielmehr kann jemand, der mit Abläufen im Netz ausreichend vertraut ist, was heute schon bei einer Vielzahl der Jugendlichen gegeben ist, ohne allzu großen Aufwand das Passwort "lesen". Von einer für einen Anscheinsbeweis ausreichenden Typizität wird man möglicherweise bei der Verwendung einer elektronischen Signatur ausgehen können, nicht aber bei einem ungeschützten Passwort.
3. Eine Haftung des Beklagten ist auch nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht nicht gegeben. Von einer Anscheinsvollmacht ist auszugehen, wenn der Vertretende das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, er es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere Teil annehmen durfte, der Vertretende dulde und billige das handeln des Vertreters; es handelt sich um einen Fall der Zurechnung eines schuldhaft verursachten Rechtsscheins. Hier mangelt es bereits daran, dass der Beklagte am Abend des 14.08.2000 gar nicht die Möglichkeit hatte, das vollmachtlose Handeln des Unbefugten voraus zusehen. Am 14.08.2000 wusste der Beklagte zwar, dass sein E-Mailzugang gesperrt war; selbst bei größtmöglicher Sorgfalt musste er aber daraus nicht schließen, dass jemand in seinem Namen, d. h. unter Verwendung seines geheimen Passwortes Verträge im Internet abschloss.
Zudem fehlt es aber auch auf Seiten des Klägers auch an dem für die Annahme einer Rechtscheinshaftung erforderlichen schützenswerten Vertrauen, wie das Landgericht ausführlich und zutreffend begründet hat. Ebenso wenig wie derjenige, bei dem telefonisch unter Namen und Anschrift einer existenten Person missbräuchlich etwas bestellt wird, und wie derjenige, bei dem Mailorderverfahren jemand etwas unter Verwendung einer fremden Kreditkartennummer bestellt, ist der Anbieter bei einer Internetauktion in seinem Vertrauen darauf geschützt, dass der Bieter mit dem Inhaber der E-Mail-Adresse identisch ist.
III.
Die Revision wird zugelassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Angesichts der wachsenden Zahl von Vertragsabschlüssen im Internet ist das Auftreten der klärungsbedürftigen Frage dieses Rechtsstreits, ob dem Anbietenden bzgl. der Person seines Vertragspartners eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterungen zu Gute kommen kann, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten. Diese Frage bedarf daher höchstrichterlicher Klärung. ..."