Stellt der untersuchende Arzt nach einer Alkoholfahrt mit 1,33 ‰ am Nachmittag keine Ausfallerscheinungen fest und macht der Betroffene wechselnde Angaben darüber, wie es zu dieser Alkoholkonzentration kommen konnte, dann ist von Alkoholgewöhnung auszugehen und eine darauf fußende MPU-Anordung rechtmäßig.
Gründe:
Der sinngemäß gestellte Antrag,den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Wiedererteilungsantrag im Klageverfahren 7 K 5140/10 zu erteilen,hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nicht dazu führen darf, dass - wenn auch nur beschränkte Zeit und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens - die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird. Für eine wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG - ausnahmsweise denkbare Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist allenfalls dann Raum, wenn der Antragsteller nach Lage des Falles wirksamen Rechtsschutz im Klageverfahren nicht erlangen kann und ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung in schwerer und unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde. Eine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung kann allerdings nur dann gegeben sein, wenn hinsichtlich des geltend gemachten Anordnungsanspruchs ganz überwiegende Erfolgsaussichten bestehen.Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 16. Auflage, § 123 Rdnr. 13 ff - mit weiteren Nachweisen.Im vorliegenden Fall ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller Anspruch auf Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis hat, ohne dass er sich zuvor - mit einem für ihn günstigen Ergebnis - der angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) unterzogen hat. Vielmehr muss offen bleiben, ob die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners über den Wiedererteilungsantrag des Antragstellers vom 4. November 2010 rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
Dabei ist zunächst klarzustellen, dass die Anordnung der MPU durch den Antragsgegner mit Schreiben vom 14. September 2010, wie auch der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung bereits angemerkt hat, nicht auf § 13 Satz 1 Nr. 2c der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) - nunmehr in der insoweit wortgleichen Fassung vom 13. Dezember 2010 - gestützt werden kann, da beim Antragsteller die dort genannte Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,6 Promille nicht festgestellt worden ist. Ohne bzw. ohne verwertbare Angaben des Antragstellers oder ohne zusätzliche Erkenntnisse liegen deshalb die Voraussetzungen der Anordnung einer MPU gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2c FeV wie auch aller anderen Alternativen des § 13 Satz 1 FeV nicht vor. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob die MPU-Anordnung wegen der falschen Normbezeichnung im Sinne § 11 Abs. 8 FeV nicht verwertbar ist, da ein Anordnungsanspruch daraus nicht ableitbar wäre.
Da der Antragsteller aber Angaben zu seinem Trinkverhalten vor der Alkoholfahrt gemacht hat, bestehen auf Grund dieser allerdings erheblich differierenden Angaben Anhaltspunkte dafür, dass von Alkoholmissbrauch gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2a (2. Alternative) bzw. Nr. 2e FeV auszugehen ist, so dass die dadurch bedingten Eignungszweifel vor Erteilung einer Fahrerlaubnis durch Vorlage einer MPU ausgeräumt werden müssten.
Dies dürfte zunächst dann gelten, wenn man - wie der Antragsgegner - die Angaben des Antragstellers am Tattag gegenüber der Polizei zu Grunde legt. Es ist zwar denkbar oder sogar wahrscheinlich, dass der Antragsteller in dieser Situation nicht in jeder Hinsicht, insbesondere zu den getrunkenen Alkoholmengen und Trinkzeiten die Wahrheit gesagt hat, dass er aber auch in allen übrigen Punkten falsche Angaben gemacht haben soll, ist ebenso unwahrscheinlich. So machen die - wie er nunmehr behauptet sämtlich falschen - Angaben, zuvor bei den Eltern (statt bei einem Freund) gewesen zu sein, dort ein Putenschnitzel gegessen und ein Weizenbier aus einem Weizenbierglas (nunmehr eine polnische Biersorte aus der Flasche) getrunken zu haben, keinen erkennbaren, ihn in der konkreten Situation entlastenden Sinn; warum sollten dann auch diese Details falsch sein. Darüber hinaus muss sich der Antragsteller entgegenhalten lassen, dass er sogar noch in seiner "Eidesstattlichen Versicherung" (ohne Datum, Blatt 27 der Gerichtsakte 7 K 5140/10) bestätigt hat, mehrere Flaschen Weizenbier getrunken zu haben.
Sodann können auch seine jetzt im Erörterungstermin gemachten Angaben nicht in jeder Hinsicht überzeugen. So ist wenig wahrscheinlich, dass jemand, der am Montag nach der Arbeit nachmittags bei einem Freund mehrere Flaschen Bier trinkt und offenbar größere Mengen Alkohol gewöhnt ist (s.u.), ausgerechnet an einem Sonntagabend zu Hause keinen Alkohol getrunken haben will. Weiter ist fraglich, ob die jetzige Angabe, zwischen ca. 15 und ca. 17 Uhr gut drei Flaschen Bier á 0,5 Liter (also ca. 1,7 bis 1,8 Liter) getrunken zu haben, zu der um 17:40 Uhr gemessenen BAK von 1,33 Promille geführt haben kann. Auch erscheint zweifelhaft, ob die Angabe, die 4. Bierflasche nicht ausgetrunken zu haben, weil er gemerkt habe, dass es zu viel wurde, zutrifft. Denn der Antragsteller ist offenbar gewohnt, erhebliche Mengen Alkohol zu trinken, da nur Personen mit längerfristigem und erheblichem "Alkoholtraining" in der Lage sind, Promillewerte von über 1,3 zu erreichen und dann auch noch sich in der Lage fühlen, ein Kraftfahrzeug zu führen. Auch hat der Antragsteller nach dem ärztlichen Bericht bei der Blutabnahme so gut wie keine Ausfallerscheinungen gezeigt, so dass er nur als "leicht" alkoholisiert angesehen wurde; dies spricht ebenfalls für eine erhebliche Alkoholtoleranz.
Aus alledem folgt, dass nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts nicht auszuschließen ist, dass die feststehende Tatsache einer BAK von 1,33 Promille am Nachmittag eines normalen Arbeitstages im Zusammenhang mit den verschiedenen, nicht in sich stimmigen Erklärungen des Antragstellers den Verdacht des Alkoholmissbrauchs im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2a und 2e FeV begründen kann, so dass die erfolgte Anordnung einer MPU jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Deshalb ist der erforderliche Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Eine weitere Klärung der Sach- und Rechtslage muss dem Klageverfahren vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren, vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -, nrwe.de.