- Zur ordnungsgemäßen Begründung einer auf die Verletzung des § 261 StPO gerichteten Verfahrensrüge, im Urteil sei ein Schriftstück verwertet worden, das nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei, gehört nicht nur die Behauptung, die Urkunde sei nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass das Schriftstück nicht in sonst zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist, wobei der Umfang des erforderlichen Tatsachenvortrages von den prozessualen Umständen des Einzelfalles abhängt.
- Im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist der Begründungsaufwand für eine entsprechende Verfahrensrüge an den zusätzlichen prozessualen Möglichkeiten für die Einführung von Schriftstücken gemäß § 78 Abs. 2 OWiG zu messen. Schlüssig ist die Rüge hier nur dann erhoben, wenn sie die Unterlassung aller prozessual möglichen Wege der Einführung des Schriftstückes konkret behauptet.
- Die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Rahmen einer Zeugenvernehmung bedarf nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift. Schweigt also das Hauptverhandlungsprotokoll hinsichtlich der Erhebung eines Augenscheinsbeweises, schließt dies nicht aus, dass die entsprechenden Beweismittel im Rahmen der Vernehmung eines Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind.
- Aus § 41 Abs. 2 S. 1 StVO folgt, dass ein Kraftfahrer seine Geschwindigkeit so einzurichten hat, dass er bereits beim Passieren eines die Geschwindigkeit begrenzenden Schildes die von diesem vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten kann.
- Zwar kann ein relativ kurzer Abstand zwischen Geschwindigkeitsbegrenzung und Messstelle Auswirkungen auf die gegen den Betroffenen zu verhängenden Rechtsfolgen haben; dies ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Geschwindigkeitsbegrenzung ein sog. Geschwindigkeitstrichter vorausgeht, durch den sich der Kraftfahrer stufenweise einer verringerten Geschwindigkeit anzupassen hat.
Gründe:
I.
1. Durch Bußgeldbescheid der Kreisverwaltung B. vom 24. März 2010 wurde gegen die Betroffene wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h eine Geldbuße von 105,- Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Nach Einspruch der Betroffenen hat das Amtsgericht Wittlich mit dem angegriffenen Urteil vom 12. Oktober 2010 diese Rechtsfolgen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h festgesetzt.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr die Betroffene am 8. März 2010 gegen 11.05 Uhr mit einem Pkw die Bundesautobahn A 60, Gemarkung A. in Fahrtrichtung S., mit einer Geschwindigkeit von – nach Toleranzabzug - 86 km/h, obwohl durch Vorschriftszeichen 274 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 60 km/h angeordnet war. Der Messstelle ging ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter voraus, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerer nacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabgesetzt wird. Wegen Voreintragungen der Betroffenen im Verkehrszentralregister hat das Amtsgericht die Regelgeldbuße von 80,- Euro um 25,- Euro erhöht und die Voraussetzungen eines Regelfahrverbots gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV als erfüllt angesehen.
Das in Abwesenheit der Betroffenen und ihres Verteidigers verkündete Urteil wurde zunächst am 15. Oktober 2010, rechtswirksam jedoch erst am 6. Januar 2011 zugestellt. 2. Hiergegen hat die Betroffene am 18. Oktober 2010 Rechtsbeschwerde eingelegt und dieses Rechtsmittel unter dem 22. November 2010 näher begründet. Sie rügt die Verletzung von § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 261 StPO, weil das Amtsgericht die Voreintragungen im Verkehrszentralregister berücksichtigt habe, ohne diese in die Beweisaufnahme eingeführt zu haben. Dies gelte auch für Fotografien von der Örtlichkeit der Messstelle sowie den Beschilderungsplan. Darüber hinaus sei auch materielles Recht verletzt, weil das Urteil keine Darlegungen hinsichtlich des Abstandes zwischen Vorschriftszeichen und Messstelle enthalte.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat – entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft – insgesamt keinen Erfolg.
1. Sie ist unzulässig, soweit die Verletzung von § 261 StPO mit der Behauptung gerügt wird, das Gericht habe Beweismittel zum Gegenstand seiner Urteilsfindung gemacht, die nicht ordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien.
Hinsichtlich der Berücksichtigung von Eintragungen im Verkehrszentralregister führt die Rechtsbeschwerde aus, der entsprechende Verkehrszentralregisterauszug sei weder in der Hauptverhandlung verlesen noch auf andere Weise, „z.B. durch Vorhalt“, in das Verfahren eingeführt worden. Dieser Vortrag genügt nicht den formellen Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 II 2 StPO, wonach bei der Rüge von Verletzungen verfahrensrechtlicher Normen die den Mangel enthaltenen Tatsachen angegeben werden müssen. Zur ordnungsgemäßen Begründung einer auf die Verletzung des § 261 StPO gerichteten Verfahrensrüge, im Urteil sei ein Schriftstück verwertet worden, das nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei, gehört nicht nur die Behauptung, die Urkunde sei nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass das Schriftstück nicht in sonst zulässiger Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist (OLG Koblenz, Beschl. 1 Ss 127/02 v. 16.10.2002; OLG Düsseldorf VRS 85, 452; OLG Köln VRS 73, 136; Kuckein, in: KK-StPO, 6. Aufl. 2008, § 344 Rdnr. 58 mwN), wobei der Umfang des erforderlichen Tatsachenvortrages von den prozessualen Umständen des Einzelfalles abhängt (OLG Koblenz aaO; BGH NStZ 2007, 235, zit. n. juris Rdnr. 7). Während für das Strafverfahren insoweit gefordert werden muss, dass die Verfahrensrüge auch darlegt, das Schriftstück sei auch nicht durch Vorhalt oder im Selbstleseverfahren eingeführt worden, sieht § 78 Abs. 1 OWiG weitere Möglichkeiten der Einführung von Schriftstücken in die Hauptverhandlung vor. § 78 I 1 OWiG erlaubt, dass statt der Verlesung eines Schriftstückes das Gericht dessen wesentlichen Inhalt bekannt gibt, wenn es nicht auf den Wortlaut des Schriftstückes selbst ankommt. Haben der Betroffene, der Verteidiger und der in der Hauptverhandlung anwesende Vertreter der Staatsanwaltschaft von dem Wortlaut des Schriftstückes Kenntnis genommen oder dazu Gelegenheit gehabt, so genügt es sogar, die Feststellung hierüber in das Protokoll aufzunehmen (§ 78 I 2 OWiG). Mit der protokollarischen Feststellung wird zugleich klargestellt, dass das Schriftstück so in die Hauptverhandlung eingeführt ist, als wäre es verlesen worden (Göhler-Seitz, aaO, § 78 Rdnr. 1d). Das Schriftstück ist dann verwertbar, ohne dass sein Inhalt in der Hauptverhandlung erörtert worden ist (Senge, in: KK-OWiG, 3. Aufl. 2006, § 78 Rdnr. 2). An diesen zusätzlichen prozessualen Möglichkeiten der Einführung von Schriftstücken in die Hauptverhandlung im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts ist auch der Begründungsaufwand einer entsprechenden Verfahrensrüge zu messen. Schlüssig ist die Rüge nur dann erhoben, wenn sie die Unterlassung aller hier prozessual möglichen Wege der Einführung des Schriftstückes behauptet. Denn es kann nicht Aufgabe des Senats sein, im Rahmen der pauschal erhobenen Rüge, ein Schriftstück sei nicht ordnungsgemäß eingeführt worden, im Einzelnen und anhand des Protokolls zu prüfen, ob die zusätzlichen Möglichkeiten des § 78 Abs. 1 OWiG ausgeschöpft worden sind.
2. Unzulässig ist auch die Rüge der Verletzung von § 261 StPO mit der Behauptung, weder die Messfotos noch der Beschilderungsplan seien in Augenschein genommen worden. Sie lässt außer Betracht, dass die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Rahmen einer Zeugenvernehmung nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedürfen, ja sogar untunlich sind (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 107). Schweigt also das Hauptverhandlungsprotokoll hinsichtlich der Erhebung eines Augenscheinsbeweises, schließt dies entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde gerade nicht aus, dass die entsprechenden Beweismittel im Rahmen der Vernehmung eines Zeugen, hier im Rahmen der Vernehmungen der Messbeamten, eingeführt worden sind. Schlüssig wäre die Rüge daher nur dann, wenn eine Zeugenvernehmung gar nicht stattgefunden hätte, was aber hier nicht der Fall ist.
Die Rüge ist darüber hinaus aber auch nicht begründet. Das Urteil würde selbst bei Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht auf diesem Verfahrensfehler beruhen, da das Amtsgericht seine Überzeugung von der Schuld der Betroffenen weder auf die Fotos von der Messstelle (Bl. 25 ff. d.A.) noch auf den Beschilderungsplan (Bl. 37 d.A.), sondern - allein tragfähig - auf die Bekundungen der Messbeamten W. und F., das von ihnen gefertigte Feststellungsprotokoll (Bl. 15 d.A.), welches ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls zum Gegen-stand der Beweisaufnahme gemacht wurde, sowie die Einlassung der Betroffenen, sie habe das gemessene Fahrzeug zur Tatzeit geführt, gestützt hat. In welchem Abstand sich die Messstelle zum Vorschriftszeichen mit der Beschränkung der Geschwindigkeit von 60 km/h befand, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht von Bedeutung. Gemäß § 41 II 1 StVO sind Vorschriftszeichen grundsätzlich ab ihrem Standort zu befolgen. Ein Kraftfahrer hat seine Geschwindigkeit daher so einzurichten, dass er bereits beim Passieren eines die Geschwindigkeit begrenzenden Schildes die von diesem vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten kann (vgl. OLG Hamm, Verkehrsrecht aktuell 2008, 191, zit. n. juris Rdnr. 7 mwN). Zwar kann ein relativ kurzer Abstand zwischen Geschwindigkeitsbegrenzung und Messstelle Auswirkungen auf die gegen den Betroffenen zu verhängenden Rechtsfolgen haben (OLG Hamm, aaO); das ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn der Geschwindigkeitsbegrenzung – wie hier – ein Geschwindigkeitstrichter vorausgeht, durch den sich der Kraftfahrer stufenweise einer verringerten Geschwindigkeit anzupassen hat.
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben.
Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung der Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 26 km/h außerhalb geschlossenen Ortschaften aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 24. Februar 2011 genannten Gründen.
Das Urteil leidet auch nicht an einem Darlegungsmangel in Bezug auf die fehlende Mitteilung des Abstandes zwischen dem die Geschwindigkeit beschränkenden Vorschriftszeichen und der Messstelle. Da der Geschwindigkeitsbeschränkung nach den Feststellungen des Amtsgerichts ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter voranging, ist der Abstand zwischen Messstelle und Vorschriftszeichen, wie ausgeführt, ohne Belang.
Auch der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern. Die Verhängung eines Fahrverbots war hier - neben den Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot gemäß § 4 II 2 BKatV - auch wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 I 1 StVG) angezeigt. Geht der Messstelle, wie hier, ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter voraus, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerer nacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabgesetzt wird, so hat der betroffene Verkehrsteilnehmer die gebotene Aufmerksamkeit jedenfalls in grob pflichtwidriger Weise außer acht gelassen (vgl. BGHSt 43, 241 <251>). Mit Blick darauf hätte hier sogar die Annahme vorsätzlicher Begehungsweise nahe gelegen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.