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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil vom 09.02.2010 - 14 K 2291/09 - Zur Bindung des Gerichts an tatsächliche Feststellungen der Versorgungsverwaltung bei der Erteilung von Parkausnahmen für Schwerbehinderte
VG Gelsenkirchen v. 09.02.2010: Zur Bindung des Gerichts an tatsächliche Feststellungen der Versorgungsverwaltung bei der Erteilung von Parkausnahmen für Schwerbehinderte
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Urteil vom 09.02.2010 - 14 K 2291/09) hat entschieden:
Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 StVO ist auch das Gericht an die tatsächlichen Feststellungen der Versorgungsverwaltung gebunden.
Siehe auch Behindertenparkausweis - Gehbehinderung und Behinderte Verkehrsteilnehmer
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO in Gestalt einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen außerhalb der aG – Regelung.
Dem 1939 geborenen Kläger wurde ein Grad der Behinderung von 70 sowie nach einer vergleichsweisen Regelung im sozialgerichtlichen Klageverfahren mit Bescheid vom 11. Februar 2009 das Merkzeichen „G“ zuerkannt.
Am 17. Februar 2009 stellte er beim Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Parkerleichterung.
Mit Schreiben vom selben Tage forderte der Beklagte unter Bezugnahme auf den Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2001 das gemeinsame Versorgungsamt der Städte E., C. und I. zu einer Stellungnahme über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Parkerleichterung auf. Dieses kam nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen und teilte dies dem Beklagten mit Schreiben vom 6. März 2009 mit. Aus einem handschriftlichen Vermerk vom 26.02.2009 ergibt sich, dass bei Abgabe dieser Einschätzung die Prozesshandakten des sozialgerichtlichen Verfahrens, welches zur Zuerkennung des Merkzeichens „G“ führte, der Versorgungsverwaltung nicht vorlagen.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da nach der Mitteilung des Versorgungsamtes die Voraussetzungen für die Erteilung einer Parkerleichterung nicht vorlägen.
Auf den gerichtlichen Hinweis vom 6. Juli 2009 bat der Beklagte das Versorgungsamt um eine erneute Stellungnahme unter Berücksichtigung auch der Prozesshandakten des sozialgerichtlichen Klageverfahrens.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 7. September 2009 teilte das gemeinsame Versorgungsamt dem Beklagten mit, dass auch die nochmalige Prüfung der Angelegenheit unter Beteiligung einer ärztlichen Beraterin ergeben habe, dass die Voraussetzungen für Parkerleichterungen außerhalb der aG – Regelung nicht vorliegen. Der Beklagte teilte dieses Ergebnis dem Gericht und dem Kläger mit Schriftsatz vom 11. September 2009 mit.
Der Kläger hat am 26. Mai 2009 Klage erhoben.
Zur Begründung führt er aus, er habe aufgrund seiner erheblichen orthopädischen Probleme, die durch diverse Gutachten im vorangegangenen Verfahren vor dem Sozialgericht E. bestätigt worden seien, einen Anspruch darauf, als schwerbehinderter Mensch mit Parkerleichterungen gleichgestellt zu werden. Er befinde sich in ärztlicher Behandlung und erhalte permanent facettengesteuerte Spritzen mit Cortison für den Wirbelkanal. Aufgrund eingeklemmter Nerven falle es ihm schwer, sich überhaupt fortzubewegen. Er regte an, zum Beweis dafür, fass er die medizinischen Voraussetzungen zur Erteilung einer Parkerleichterung erfülle, einen entsprechenden Befundbericht des behandelnden Arztes und ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Er beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Mai 2009 zu verpflichten, ihm eine Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auch die nochmalige Überprüfung, auch unter Einbeziehung des Gutachtens des Oberarztes der orthopädischen Klinik des Knappschaftskrankenhauses E. vom 21. August 2009 unter Zugrundelegung des aktuellen Erlasses des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2009 habe ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Parkerleichterung nicht vorliegen. Er sei an die Stellungnahme des Versorgungsamtes gebunden, so dass keine andere Entscheidung möglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des gemeinsamen Versorgungsamtes der Städte E., C. und I. (Beiakten Hefte 1 – 2).
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden ( § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
Die auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 der Straßenverkehrsordnung – StVO – gerichtete zulässige Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO ist nicht begründet.
Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 5. Mai 2009 in der Gestalt, die er durch den Schriftsatz des Beklagten vom 11. September 2009 erhalten hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten ( § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO ). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm erstrebte Ausnahmegenehmigung.
Nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen von den Verboten und Beschränkungen, die durch Vorschrift- und Richtzeichen, Verkehrseinrichtungen oder Anordnungen erlassen sind. Das in § 46 Abs. 1 Satz 1 StVO enthaltene Merkmal der Ausnahmesituation ist nicht als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung verselbständigt, sondern Bestandteil der der Behörde obliegenden Ermessensentscheidung. Dem Kläger steht insoweit ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde zu, der sich dahingehend verdichten kann, dass ein Anspruch auf Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts besteht, weil allein eine Entscheidung im Sinne des Antragsbegehrens die ermessensfehlerfreie ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null).
Als Ermessensentscheidung ist die Ablehnung der erstrebten Ausnahmegenehmigung gemäß § 114 VwGO nur einer eingeschränkten richterlichen Überprüfung zugänglich. Das Gericht prüft ausschließlich, ob die Behörde in der Erkenntnis des ihr eingeräumten Ermessens alle den Rechtsstreit kennzeichnenden Belange in ihre Erwägung eingestellt hat, dabei von richtigen und vollständigen Tatsachen ausgegangen ist, die Gewichtung dieser Belange der Sache angemessen erfolgt ist und das Abwägungsergebnis zu vertreten ist, insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht verstößt.
Derartige Ermessensfehler des Beklagten sind vorliegend nicht ersichtlich, so dass ein Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung seines Antrags und auch auf eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung nicht (mehr) besteht.
Die als Voraussetzung einer Befreiung von den verkehrsrechtlichen Beschränkungen gebotene Feststellung, ob ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, der ein Abweichen von der regelmäßig zu verlangenden Beachtung der in der Vorschrift genannten Regelungen rechtfertigt, setzt den gewichteten Vergleich der Umstände des konkreten Falles mit dem typischen der generellen verkehrsrechtlichen Regelung zugrundeliegenden Regelfall voraus. Die zweckentsprechende Umsetzung der Ermessensermächtigung in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO setzt danach grundsätzlich voraus, dass die Straßenverkehrsbehörde den mit der Bestimmung verfolgten öffentlichen Interessen die besonderen Belange des Einzelnen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegenüberstellt. Die Genehmigung einer Ausnahme kommt in Betracht, um besonderen Situationen Rechnung zu tragen, die bei strikter Anwendung der Bestimmungen nicht hinreichend berücksichtigt werden können. Die behördliche Ermessensentscheidung hat einerseits zu beachten, ob die Auswirkungen einer Ausnahmegenehmigung den Zielen der Rechtsnorm nicht zuwider laufen, andererseits hat sie eine geltend gemachte und bestehende Ausnahmesituation in diesem Lichte zu gewichten. Dabei wird das Ermessen durch die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung im Sinne einer gleichmäßigen, am Gesetzeszweck orientierten Anwendung gesteuert.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. März 1997 – 3 C 5.97 und 3 C 2.97 –, BVerwGE 104, 154; OVG NRW, Urteil vom 14. März 2000 – 8 A 5467/98 –, Städte- und Gemeinderat 2000, 29f; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 12. Mai 2000 – 8 A 2698/99 – zu § 70 Abs. 1 StVO m.w.N, www.nrwe.de.
Im Rahmen der hier anhängigen Verpflichtungsklage ist bei dieser Überprüfung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
Maßgebliche Rechtsgrundlage für die begehrte Ausnahmegenehmigung ist daher deshalb nicht mehr § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz (GG) und dem zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblichen Runderlass des (früheren) Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2001 (VI B 3-78-12/6).
Der Erlass vom 4. September 2001 ist durch das nunmehr zuständige Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen durch einen an die Bezirksregierungen des Landes gerichteten Erlass vom 2. Juli 2009 – III.7-78-12/6 – aufgehoben und durch neue, den Änderungen der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift zur StVO durch die Verwaltungsvorschrift zur Änderung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 4. Juni 2009 (BAnz 2009, Nr. 84 S. 2050) Rechnung tragende Vorgaben ersetzt worden.
Aus Gründen einer einheitlichen Ermessenshandhabung wird in diesem Erlass u.a. ausgeführt, dass durch die neuen bundeseinheitlichen Parkerleichterungen für besondere Personengruppen eine weitestgehende, aber keine 1: 1-Deckungsgleichheit mit den in den Erlassen vom 4. September 2001 – und 12.02.2002 – VI B 3-78-12/6 privilegierten schwerbehinderten Menschen erzielt werde. Ausnahmegenehmigung und Parkausweise seien künftig nur noch nach den neuen bundeseinheitlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erteilen.
Eine Fortwirkung der alten Rechtslage und der daraus folgenden Verwaltungspraxis auf das Begehren des Klägers ist weder aufgrund einer möglicherweise eingetretenen Selbstbindung der Verwaltung, noch aus Gründen des Vertrauensschutzes geboten. Der Beklagte ist im laufenden Verfahren nicht daran gehindert, seiner Entscheidung die geänderte Ermessensrichtlinien der Verwaltungsvorschrift zur StVO und die aktuelle Erlasslage zugrunde zu legen. Eine Änderung der Verwaltungspraxis aus sachlichen Gründen ist – allgemein anerkannt – stets gerechtfertigt. Ein solcher sachlicher Grund für die Änderung der Erlasslage ist vorliegend in der Änderung der bundesweit geltenden Verwaltungsvorschrift zur StVO zu sehen, der in dem nunmehr gültigen Erlass vom 2. Juli 2009 Rechnung getragen wird. Die Neufassung der Verwaltungsvorschrift zur StVO enthält nunmehr konkrete Vorgaben für die Gewährung einer Parkerleichterung für Menschen mit Behinderung, welchen das Merkzeichen „aG“ (noch) nicht zuerkannt wurde.
In diesem Zusammenhang kann deshalb offen gelassen werden, ob der Kläger die Voraussetzungen des Erlasses vom 4. September 2001 erfüllt hätte, was angesichts der Stellungnahmen der Versorgungsverwaltung zweifelhaft erscheint.
Nach der deshalb nunmehr einschlägigen bundesrechtlichen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO in der Fassung der Änderung vom 4. Juni 2009 können Parkerleichterungen im Wege von Ausnahmegenehmigungen „für Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sowie für Blinde“ erteilt werden.
Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind danach solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen:
Querschnittsgelähmte, doppeloberschenkelamputierte, doppelunterschenkelamputierte, hüftexartikulierte und einseitig oberschenkelamputierte Menschen, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Bei Erfüllung dieser Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Eintragung des Merkzeichens „aG“ in den Schwerbehindertenausweis.
Vgl. zur Erfüllung der Anforderungen der straßenverkehrs-rechtlichen Verwaltungsvorschrift als Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ durch das (frühere) Versorgungsamt, BSG, Urteil vom 10. Dezember 2002, a.a.O.
Zu dieser Personengruppe gehört der Kläger nach den Feststellungen des Versorgungsamtes und auch nach dem Ausgang des sozialgerichtlichen Klageverfahrens nicht, da ihm lediglich das Merkzeichen „G“ zuerkannt wurde.
Nach der zum jetzigen, entscheidungserheblichen, Zeitpunkt geltenden Fassung der Verwaltungsvorschrift zur StVO, sind die vorstehend dargestellten Regelungen zur Erteilung einer Parkerleichterung im Wege einer Ausnahmegenehmigung sinngemäß auch auf schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen „G“ und „B“ und einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 80 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) sowie auf schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen „G“ und „B“ und einem GdB von wenigstens 70 allein für Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken) und gleichzeitig einem GdB von wenigstens 50 für Funktionsstörungen des Herzens oder der Atmungsorgane anzuwenden.
Zweck dieser Ermessensrichtlinie ist es, atypische Sachverhalte zu erfassen, in denen zwar die Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung des Merkmals „aG“ (noch) nicht erreicht werden, aber dennoch aufgrund der Behinderung Beeinträchtigungen bestehen, die eine Gleichstellung insoweit erfordern, dass eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann, um unbillige Härten im Einzelfall zu vermeiden. Sie soll für den potentiell betroffenen Personenkreis aus Gründen der Sicherstellung eines einheitlichen Verwaltungshandelns, also im Sinne einer gebotenen Gleichbehandlung, ohne weiteres zu überprüfende Kriterien festlegen, um trotz Fehlens einer in einem Schwerbehindertenausweis ausgewiesenen „außergewöhnlichen Gehbehinderung“ ausnahmsweise gleichwohl die Erteilung einer Erlaubnis i.S.d. § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO ermöglichen zu können.
Die Feststellung, ob diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, obliegt nach dem Erlass vom 2. Juli 2009 den für die Versorgung zuständigen Behörden, die in Amtshilfe tätig werden und eine Stellungnahme nach Aktenlage abgeben.
Dies ist aus Gründen der Gleichbehandlung und wegen des fehlenden Fachwissens der Straßenverkehrsämter in diesem Bereich sachlich gerechtfertigt und auch in anderen Bereichen des Schwerbehindertenrechts nicht anders.
Vgl. VG Köln, Urteil vom 24. September 2004 – 11 K 4727/03 –, m.w.N., Juris
Auch für die in der Verwaltungsvorschrift zur StVO für die Gewährung einer Parkerleichterung vorgegebenen Kriterien, die zwar erheblich konkreter gefasst sind als die in dem aufgehobenen Erlass vom 4. September 2001 enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen, ist es geboten das Fachwissen der Versorgungsverwaltung heranzuziehen. Für den medizinischen Laien ist es nicht immer ohne weiteres zu erkennen, aufgrund welcher Gewichtung der bestehenden Beeinträchtigungen ein Grad der Behinderung oder ein Merkzeichen zuerkannt wird. Dies gilt insbesondere für Fälle wie den vorliegenden, in denen sich die Einstufung oder die Zuerkennung eines Merkzeichens auf einen gerichtlichen Vergleich begründet.
Die Formulierung des Erlasses („nach Aktenlage“) macht deutlich, dass im Rahmen des Verfahrens auf Erteilung einer Ausnahme nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO nicht außerhalb der dafür zuständigen Versorgungsverwaltung eine gesonderte oder erneute Prüfung des Grades der Behinderung oder der Voraussetzungen für die Zuerteilung von Merkzeichen erfolgen soll. Die Straßenverkehrsbehörde soll sich vielmehr der – besonders sach- und fachkundigen – Versorgungsverwaltung bedienen, die ihre Feststellung nach Maßgabe der vorhandenen Unterlagen ohne weitere Sachverhaltsermittlung trifft. Auch dort soll nicht außerhalb des im SGB IX vorgesehen Verfahrens ein „paralleles“ Verwaltungsverfahren durchgeführt sondern allein nach Aktenlage auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisse entschieden und nicht etwa von Amts wegen eine weitere Aufklärung ggfls. in Form der Einholung weiterer Gutachten getätigt werden.
Diese Beschränkung der Prüfung durch die Versorgungsverwaltung auf die zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegende Aktenlage stellt sich nicht als Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze dar. In Fällen der vorliegenden Art ist eine weitergehende Sachverhaltsermittlung bereits deshalb weder geboten noch erforderlich, weil sich aus den der Versorgungsverwaltung vorliegenden Akten regelmäßig ergibt, an welchen Gebrechen der jeweilige Antragsteller leidet und warum es zu der Zuerkennung des Merkmals „aG“ nicht gekommen ist. Wie bereits ausgeführt, kann und soll das Verwaltungsverfahren über die Erteilung einer Ausnahme nach § 46 StVO nicht dazu dienen, Entscheidungen nach dem SGB IX einer tatsächlichen Überprüfung zu unterziehen.
Allein auf der so vorgegebenen Tatsachengrundlage findet eine nochmalige eingehende Prüfung durch das Versorgungsamt statt, die allerdings in der Stellungnahme an die Straßenverkehrsbehörde mit Rücksicht auf die zu schützenden Sozialdaten des Betroffenen – bewusst – keinen Niederschlag findet.
Nach den Feststellungen des Versorgungsamtes, die nunmehr auf einer vollständigen Würdigung der Verwaltungsvorgänge auch unter Einbeziehung des sozialgerichtlichen Klageverfahrens, welches zur Zuerkennung des Merkzeichens „G“ geführt hat, beruhen, erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für eine Parkerleichterung außerhalb der aG – Regelung nicht.
Die Kammer hat in Fällen der vorliegenden Art zu der zuvor geltenden Erlasslage, die hinsichtlich der Amtshilfe der Versorgungsämter jedoch gleichlautend war, bereits mehrfach entschieden, dass die einzuholenden Stellungnahmen der Versorgungsverwaltung (früher Versorgungsämter) für den Beklagten und das Gericht grundsätzlich verbindlich sind und diesen eine Überprüfung der versorgungsamtlichen Stellungnahmen in der Sache grundsätzlich ebenso verwehrt ist, wie es hinsichtlich der Eintragung des die Art der Behinderung festlegenden Merkzeichens („aG“ bzw. „G“) bzw. des anerkannten Grades der Behinderung im Schwerbehindertenausweis der Fall ist
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 9. Juni 2009 – 14 K 3637/07 –, www.nrwe.de , Beschlüsse vom 18. März 2004 – 14 L 317/04 – und vom 29. März 2004 – 14 K 4497/03 –, www.nrwe.de, unter Anlehnung an die zur Bindungswirkung der Eintragungen in den Schwerbehindertenausweisen ergangene Rechtsprechung: OVG NRW, Beschluss vom 22. August 1996 – 25 A 5167/94 – und BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 1982 – 7 C 11.81 –, DÖV 1983, 509 sowie vom 27. Februar 1992 – 5 C 48.88 –, BVerwGE 66, 315.
Anlass zu weiteren gerichtlichen Überprüfungen kann nur dann bestehen, wenn sich Anhaltspunkte ergeben, die darauf hindeuten, dass die allein streitgegenständliche Ermessensentscheidung des Beklagten an Fehlern leidet, weil sie auf einer falschen Tatsachengrundlage beruht. Dies kann unter anderem dann der Fall sein, wenn die Stellungnahme der Versorgungsverwaltung offensichtlich auf einer unvollständigen Erfassung oder aber einer willkürlichen und deshalb nicht mehr nachzuvollziehenden Bewertung der vorhandenen Aktenlage beruht.
Auch in dieser Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung liegt kein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze.
Wenn – wie bereits dargelegt – den Straßenverkehrsbehörden bewusst eine eigene Überprüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen versagt bleiben soll, kann für das gerichtliche Verfahren, das die auf dieser Grundlage zu treffende Ermessensentscheidung des Straßenverkehrsamtes auf Fehler zu überprüfen hat, nichts anderes gelten.
Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck sowohl des § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO als auch der ihn für die Behörde hinsichtlich der Ermessensausübung verbindlich ausfüllenden Verwaltungsvorschrift zur StVO sowie des Erlasses vom 2. Juli 2009. Würden die einschlägigen Bewertungen der Versorgungsämter im Verfahren auf Erteilung einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahme einer vollen verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung bis hin zu einer Beweiserhebung über den Gesundheitszustand des jeweiligen Antragstellers – hier des Klägers –, etwa über seinen aktuellen Grad der Behinderung und/oder über die Grundlagen, welche zur Zuerkennung dieses Grades oder des Merkzeichens geführt haben, würde nicht nur die in der vorzitierten Rechtsprechung herausgearbeitete alleinige Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung zur Feststellung der in Rede stehenden gesundheitlichen Merkmale negiert. Eine sachliche Überprüfungsmöglichkeit bzw. -verpflichtung würde auch dazu führen, dass im Ergebnis über die Qualität der gesundheitlichen Beeinträchtigungen in zwei verschiedenen Gerichtsbarkeiten, nämlich der Sozial- und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, mit der nicht auszuschließenden Möglichkeit divergierender Ergebnisse entschieden werden könnte bzw. müsste. Ein solches Verständnis dürfte weder dem § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO noch (erst Recht) der dazu ergangenen Verwaltungsvorschrift und dem diese weiter konkretisierenden Erlass vom 2. Juli 2009 beigemessen werden können.
Diese Beschränkung führt auch nicht dazu, dass dem Betroffenen kein ausreichender Rechtsschutz im Sinne des Art 19 Abs. 4 GG zur Verfügung stünde. Im Gegenteil würde ein „paralleles“ Prüfungsverfahren außerhalb des im SGB IX geregelten Verfahrens erst recht zu Rechtsschutzlücken führen. Denn mit ihrer Stellungnahme zu der Frage, ob die in der Verwaltungsvorschrift aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Sozialverwaltung nicht auf Antrag des Betroffenen im Rahmen des SGB IX tätig, so dass eine sachliche und rechtliche Überprüfung des Ergebnisses der Aktenprüfung durch die Sozialgerichtsbarkeit nicht erfolgen kann. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gegen die Straßenverkehrsbehörde kann aber eine unmittelbare inhaltliche Überprüfung der Feststellungen der Versorgungsverwaltung schon deshalb nicht erfolgen, weil der Verwaltungsrechtsweg gegen Entscheidungen der Versorgungsverwaltung nicht eröffnet ist. Eine „Inzidentkontrolle“ der Feststellungen der Versorgungsverwaltung würde zu dem oben bereits angeführten „Parallelverfahren“ und der unter Rechtsstaatsgesichtspunkten unerwünschten Gefahr divergierender Entscheidungen führen.
Vorliegend wurden die ursprünglich aufgrund der bei Abfassung der Bewertung der Versorgungsverwaltung unvollständigen Aktenlage bestehenden Zweifel an deren Plausibilität, durch die ergänzende Stellungnahme der Versorgungsverwaltung im laufenden Klageverfahren beseitigt. Es bestehen keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass die Versorgungsverwaltung bei der Bewertung der eingereichten Unterlagen nunmehr von einer unzutreffenden oder unvollständigen Tatsachengrundlage ausgegangen ist oder diese willkürlich fehlerhaft gewürdigt hat.
Das Gericht musste vorliegend auch den Beweisanregungen des Klägers nicht nachgehen. Wie bereits ausgeführt, soll das Verfahren zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO kein „Ersatz-" oder „Zweitverfahren“ für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nach dem SGB IX sein. Daraus folgt die Beschränkung der tatsächlichen Prüfung der Versorgungsverwaltung auf die „Aktenlage“. Ärztliche Befunde, welche bislang nicht Gegenstand eines Verfahrens nach dem SGB IX gewesen sind, können zwar im Verfahren auf Erteilung einer straßenverkehrsrechtlichen Ausnahmegenehmigung dazu dienen, die von der Versorgungsverwaltung bislang getroffenen Feststellungen zu ergänzen oder zu erläutern. Eine Abänderung der maßgeblichen Merkmale, wie etwa des Grades der Behinderung oder der Merkzeichen ist in diesem Verfahren jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht möglich. Zwar ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der Gesundheitszustand und die Qualität der Schwerbehinderung naturgemäß einem ständigen Wandel unterliegen können und (wiederholte) Anträge von Menschen mit Behinderung gegenüber der Versorgungsverwaltung auf Festsetzung eines höheren Grades der Behinderung bzw. eines anderen „gewichtigeren“ Merkzeichens mit – bei abschlägiger Bescheidung – nachfolgendem sozialgerichtlichen Verfahren geradezu typisch sind. Unter Würdigung der in der vorzitierten obergerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten alleinigen Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung zur Feststellung der in Rede stehenden gesundheitlichen Merkmale und zur Vermeidung divergierender Entscheidungen in der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit sind, wie die Kammer in ihrer oben zitierten Rechtsprechung im Einzelnen dargelegt hat, die betroffenen Kläger allerdings darauf zu verweisen, bei einer erheblichen Veränderung ihres Gesundheitszustandes die Zuerkennung des Merkmals „aG“, gegebenenfalls auf dem Klageweg vor dem Sozialgericht, zu erreichen.
Die Kostenentscheidung der nach alledem abzuweisenden Klage beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. mit den §§ 708, 711 der Zivilprozessordnung.