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BGH Urteil vom 05.10.2010 - VI ZR 186/08 - Zur Erwerbssschadenprognose bei einem jüngeren Kind unter Berücksichtigung der erkennbaren Begabungen und Fähigkeiten
BGH v. 05.10.2010: Zur Erwerbssschadenprognose bei einem jüngeren Kind unter Berücksichtigung der erkennbaren Begabungen und Fähigkeiten und der Familienstellung
Der BGH (Urteil vom 05.10.2010 - VI ZR 186/08) hat entschieden:
- Trifft ein Schadensereignis ein jüngeres Kind, über dessen berufliche Zukunft aufgrund des eigenen Entwicklungsstands zum Schadenszeitpunkt noch keine zuverlässige Aussage möglich ist, so kann es geboten sein, dass der Tatrichter bei der für die Ermittlung des Erwerbsschadens erforderlichen Prognose auch den Beruf sowie die Vor- und Weiterbildung der Eltern, ihre Qualifikation in der Berufstätigkeit, die beruflichen Pläne für das Kind sowie schulische und berufliche Entwicklungen von Geschwistern berücksichtigt.
- Ergeben sich aufgrund der tatsächlichen Entwicklung des Kindes zwischen dem Zeitpunkt der Schädigung und dem Zeitpunkt der Schadensermittlung (weitere) Anhaltspunkte für seine Begabungen und Fähigkeiten und die Art der möglichen Erwerbstätigkeit ohne den Schadensfall, ist auch dies bei der Prognose zu berücksichtigen und von einem dem entsprechenden normalen beruflichen Werdegang auszugehen.
Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall und Prognosebildung bezüglich des hypothetischen Zukunftseinkommens
Tatbestand:
Der am 22. April 1977 geborene Kläger nimmt den beklagten Gynäkologen wegen eines geburtshilflichen Behandlungsfehlers, der bei ihm zu einem schweren Hörschaden geführt hat, auf Ersatz von Verdienstausfall in Anspruch. Der seit dem 16. März 2001 arbeitslose Kläger hat den Realschulabschluss erreicht und eine Ausbildung zum Tischler absolviert. Sein Vater ist Maschinenbautechniker mit Weiterqualifikation zum Berufsschullehrer für EDV, sein Bruder, ein ausgebildeter Kommunikationstechniker, ist als Projektentwickler der Betriebssysteme bei der Firma S. tätig.
Durch Urteil des Landgerichts vom 23. Dezember 1987, rechtskräftig durch Urteil des Berufungsgerichts vom 29. April 1992, ist festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen dessen bei der Geburt erworbener Hörschädigung alle seit dem 15. Januar 1985 entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Auf dieser Grundlage berechnet der Kläger seinen Verdienstausfallschaden nach der Differenz zwischen dem Nettogehalt, das er nach abgeschlossenem Hochschulstudium der Informationstechnologie hätte erzielen können, und dem tatsächlich erzielten Nettoeinkommen als Tischler bzw. dem von ihm nunmehr bezogenen Arbeitslosengeld.
Das Landgericht hat die darauf gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Klägers durch Grund- und Teilurteil den Klageanspruch dem Grunde nach insoweit für gerechtfertigt erklärt, als mit ihm der Verdienstausfallschaden geltend gemacht wird, der sich aus 80 % der Differenz zwischen dem durchschnittlichen Nettoverdienst eines angestellten Tischlergesellen und dem durchschnittlichen Nettoverdienst eines angestellten, nicht akademisch ausgebildeten Kommunikationstechnikers ergibt; die weiter gehende Berufung hat es zurückgewiesen. Dagegen haben beide Parteien die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision eingelegt.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
In dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang sei die Berufung zur Entscheidung reif und der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach gerechtfertigt; für eine Endentscheidung fehle bisher mangels Feststellungen zur Höhe des Verdienstausfalls die Entscheidungsreife, so dass durch Grund- und Teilurteil zu entscheiden sei.
Die Verpflichtung des Beklagten, den dem Kläger aufgrund der bei seiner Geburt erworbenen Hörschädigung entstandenen Verdienstausfallschaden zu ersetzen, stehe rechtskräftig fest. Nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme sei der Senat nach dem Beweismaß des § 287 ZPO davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund des Hörschadens in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang einen Verdienstausfallschaden erlitten habe. Die Prognose der beruflichen Entwicklung des Klägers ohne das Schadensereignis lasse es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen, dass der Kläger ohne die Hörschädigung einen dem Beruf eines nicht akademisch ausgebildeten Kommunikationstechnikers entsprechenden Beruf mit höherer Bezahlung als in dem tatsächlich ausgeübten Tischlerberuf ergriffen und ausgeübt hätte. Bei dem Kläger sei ein ausreichendes Begabungspotenzial vorhanden gewesen. Insoweit könnten die familiären Umstände, nämlich der berufliche Erfolg der Eltern und Geschwister, herangezogen werden. Dem stünden die vorliegenden Sachverständigengutachten nicht entgegen, soweit ihnen zu entnehmen sei, dass die berufliche und ausbildungsbezogene Familienanamnese allein keinen sicheren Rückschluss auf den einen oder anderen Lebensweg einer Person zulasse. Hier gehe es nicht um eine mit wissenschaftlicher Exaktheit zu beantwortende Frage, sondern um eine Schätzung im Gesamtkontext. Die Sachverständige Dr. W. habe ausgeführt, dass der Lernerfolg sich im Spannungsfeld zwischen natürlicher Begabung und Umweltgegebenheiten abspiele.
Das Fehlen so genannter Schlüsselqualifikationen (Motivation, Fleiß, Anpassungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit usw.) bei dem Kläger führe nicht zu der Annahme, er hätte auch ohne die Hörschädigung keinen besseren Schulerfolg erzielt, weil bei ihm seit der Geburt eine Halbseitenstörung (motorische Steuerungsbeeinträchtigung der linken Körperhälfte) vorliege, aufgrund derer er in der Entwicklung der Schlüsselqualifikationen erheblich eingeschränkt gewesen sei. Die von dem Beklagten zu vertretende Hörschädigung bleibe mitursächlich für den eingetretenen Schaden, da ihm die Halbseitenstörung in den entscheidenden Jahren die Möglichkeit genommen habe, wie andere Gehörlose oder schwer Hörgeschädigte die Außenkontakte zu intensivieren und auf diese Weise Schlüsselqualifikationen auszuprägen.
Ein Mitverschulden des Klägers und seiner Eltern bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung sei, soweit vom Beklagten ausreichend dargelegt, nicht festzustellen.
Die Klage sei unbegründet, soweit der Kläger auf den höheren Verdienst eines Hochschulinformatikers abstelle und Einnahmeausfälle infolge seiner Arbeitslosigkeit verlange.
II.
Die dagegen gerichteten Revisionen beider Parteien haben keinen Erfolg.
1. Die Parteien rügen nicht, dass das Berufungsgericht durch Grund- und Teilurteil entschieden hat. Das ist auch nicht zu beanstanden.
a) Durch das rechtskräftige Urteil des Berufungsgerichts vom 29. April 1992 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts vom 23. Dezember 1987 ist lediglich festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger den Verdienstausfallschaden zu ersetzen hat, der diesem wegen der bei seiner Geburt erlittenen Hörschädigung entstanden ist. Weitere Vorgaben zur Beurteilung der haftungsausfüllenden Kausalität ergeben sich daraus nicht.
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist, ob der Kläger ohne den vom Beklagten zu vertretenden Behandlungsfehler einen höher qualifizierten und dotierten Beruf ergriffen hätte und welcher Erwerbsschadensbetrag sich gegebenenfalls daraus ergibt. Beide Fragen betreffen die haftungsausfüllende Kausalität. Sie bedürfen aber selbstständiger tatsächlicher Feststellungen. Ist die erste Frage zu verneinen, kommt es auf die zweite Frage nicht mehr an. Bei einer derartigen Sachlage, die bei der Geltendmachung von Erwerbsschäden häufig vorkommt, kann der Erlass eines Grundurteils dazu dienen, die vorrangige Frage durch die Instanzen abschließend zu klären, bevor in eine möglicherweise aufwändige Beweisaufnahme zu der nachrangigen Frage eingetreten wird. Die Voraussetzungen des § 304 ZPO stehen einer solchen Verfahrensweise nicht entgegen. Danach kann das Gericht über den Grund vorab entscheiden, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist. Die Vorschrift entspringt prozesswirtschaftlichen Gründen. Bei ihrer Anwendung und Auslegung ist vor allem den Erfordernissen der Prozessökonomie Rechnung zu tragen. Der Erlass eines Grundurteils ist daher unzulässig, wenn dies nicht zu einer echten Vorentscheidung des Prozesses führt. Dieses Kriterium und nicht dogmatische Erwägungen sind deshalb maßgebend dafür, ob in einem Grundurteil nur der materiell-rechtliche Haftungsgrund oder auch die haftungsausfüllende Kausalität - ganz oder zum Teil - abzuhandeln ist; ob deren Einbeziehung in das Grundurteil prozessökonomisch vertretbar oder gar geboten ist, hängt wesentlich von der Natur des geltend gemachten Anspruchs ab (vgl. Senatsurteile vom 13. Mai 1980 - VI ZR 276/78, VersR 1980, 867, 868 und vom 10. Januar 1989 - VI ZR 43/88, VersR 1989, 603; OLG Köln, VersR 1998, 1247).
Sowohl die haftungsbegründende als auch die haftungsausfüllende Kausalität - hier die für die Schadenshöhe maßgebende Prognose der hypothetischen Entwicklung ohne das schädigende Ereignis - gehören zum Grund des Anspruchs, auch wenn Fragen der haftungsausfüllenden Kausalität notwendiger- oder zweckmäßigerweise oft erst im Betragsverfahren geprüft werden. Es spricht deshalb nichts dagegen, ein Grundurteil aus prozessökonomischen Gründen auch dann zu erlassen, wenn zwar über die grundsätzliche Haftungsfrage bereits durch Feststellungsurteil entschieden ist, die Parteien aber in einem weiteren Rechtsstreit im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität darüber streiten, ob dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden ist und wenn ja, in welcher Höhe (vgl. auch Senatsurteil vom 7. Juni 1983 - VI ZR 171/81, VersR 1983, 735, 736; BGH, Urteil vom 5. März 1993 - V ZR 87/91, VersR 1993, 1279, 1280; OLG Köln, aaO).
b) Dem Berufungsurteil ist auch mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, inwieweit der Klageanspruch gerechtfertigt und insoweit durch das Grundurteil beschieden und inwieweit die Klage durch das Teilurteil abgewiesen ist. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens nur in Höhe von 80 % der Differenz zwischen dem ohne den Schadensfall erzielbaren und dem tatsächlich erzielten Verdienst zu. Damit ist der Forderung Genüge getan, dass ein Grund- und Teilurteil nur in der Form ergehen darf, dass jeweils ein quantitativer, zahlenmäßig oder auf sonstige Weise bestimmter Teil des - teilbaren - Streitgegenstandes dem abschließend beschiedenen Teil des Klageanspruchs und der Zwischenentscheidung über den Grund zugeordnet wird (dazu BGH, Urteil vom 12. Juli 1989 - VIII ZR 286/88, BGHZ 108, 256, 260; Senatsurteil vom 10. Januar 1989 - VI ZR 43/88, aaO). Eine Bezifferung des abgewiesenen Teils der Klage ist in der gegebenen Verfahrenssituation weder nötig noch möglich. Der durch das Berufungsurteil für gerechtfertigt erklärte Teil der Klage könnte ebenso wie der abgewiesene Teil Gegenstand einer Teil- (Feststellungs-) Klage sein; auf Zahlung einer Geldsumme gerichtete Ansprüche sind, unabhängig davon, ob es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt, grundsätzlich teilbar (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03, VersR 2004, 1334, 1335).
2. Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das Berufungsgericht nimmt an, es lägen auch unter dem erleichterten Beweismaßstab des § 287 ZPO keine ausreichenden Indizien dafür vor, dass der Kläger ohne die Hörschädigung einen Hochschulabschluss erreicht hätte. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Eine vom Tatrichter gemäß § 287 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen vorzunehmende Schadensschätzung unterliegt nur der beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahin, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 10. Juli 1984 - VI ZR 262/82, BGHZ 92, 85, 86 f. = VersR 1984, 966; vom 8. Dezember 1987 - VI ZR 53/87, BGHZ 102, 322, 330 = VersR 1989, 299, 301; vom 24. Januar 1995 - VI ZR 354/93, VersR 1995, 469, 470; vom 9. Dezember 2008 - VI ZR 173/07, VersR 2009, 408, 409). Derartige Fehler zu Lasten des Klägers liegen hier nicht vor.
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht den hier streitigen Verdienstausfallschaden unter Heranziehung von § 252 Satz 2 BGB und § 287 ZPO ermittelt. Ist die voraussichtliche berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen, muss der Geschädigte nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zwar soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun. Doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Senatsurteile vom 31. März 1992 - VI ZR 143/91, VersR 1992, 973; vom 6. Juli 1993 - VI ZR 228/92, VersR 1993, 1284, 1285; vom 17. Januar 1995 - VI ZR 62/94, VersR 1995, 422, 424; vom 24. Januar 1995 - VI ZR 354/93, VersR 1995, 469, 470; vom 17. Februar 1998 - VI ZR 342/96, VersR 1998, 770, 772; vom 20. April 1999 - VI ZR 65/98, VersR 2000, 233), insbesondere dann, wenn das haftungsauslösende Ereignis den Geschädigten zu einem Zeitpunkt getroffen hat, als er noch in der Ausbildung oder am Anfang seiner beruflichen Entwicklung stand und deshalb noch keine Erfolge in der von ihm angestrebten Tätigkeit nachweisen konnte (Senatsurteil vom 6. Juni 2000 - VI ZR 172/99, VersR 2000, 1521, 1522; vgl. ferner KG, VersR 2006, 794).
Trifft das Schadensereignis ein jüngeres Kind, über dessen berufliche Zukunft aufgrund des eigenen Entwicklungsstands zum Schadenszeitpunkt noch keine zuverlässige Aussage möglich ist, darf es dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereichen, dass die Beurteilung des hypothetischen Verlaufs mit nicht zu beseitigenden erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Denn es liegt in der Verantwortlichkeit des Schädigers, dass der Geschädigte in einem sehr frühen Zeitpunkt seiner Entwicklung aus der Bahn geworfen wurde und dass sich daraus die besondere Schwierigkeit ergibt, eine Prognose über deren Verlauf anzustellen. Daher darf sich der Tatrichter in derartigen Fällen seiner Aufgabe, auf der Grundlage von § 252 BGB und § 287 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen, nicht vorschnell unter Hinweis auf die Unsicherheit möglicher Prognosen entziehen (Senatsurteil vom 17. Februar 1998 - VI ZR 342/96, aaO).
Zutreffend werden deshalb in solchen Fällen auch der Beruf, die Vor- und Weiterbildung der Eltern, ihre Qualifikation in der Berufstätigkeit, die beruflichen Pläne für das Kind sowie schulische und berufliche Entwicklungen von Geschwistern herangezogen (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1989, 48; OLG Karlsruhe, VersR 1989, 1101, 1102; OLG Schleswig, OLGR 2009, 305, 308). Ergeben sich aufgrund der tatsächlichen Entwicklung des Kindes zwischen dem Zeitpunkt der Schädigung und dem Zeitpunkt der Schadensermittlung (weitere) Anhaltspunkte für seine Begabungen und Fähigkeiten und die Art der möglichen Erwerbstätigkeit ohne den Schadensfall, ist auch dies bei der Prognose zu berücksichtigen und von einem dem entsprechenden normalen beruflichen Werdegang auszugehen (vgl. OLG Karlsruhe, aaO). Besteht zwischen den Parteien Streit darüber, welche geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Geschädigten der Prognose zugrunde gelegt werden können, wird in der Regel nicht ohne sachverständigen Rat entschieden werden können.
Ergeben sich keine Anhaltspunkte, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, dann liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen und auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen und den Schaden gemäß § 287 ZPO zu schätzen; verbleibenden Risiken kann durch gewisse Abschläge Rechnung getragen werden (Senatsurteile vom 17. Februar 1998 - VI ZR 342/96, aaO; vom 20. April 1999 - VI ZR 65/98, aaO; vom 6. Juni 2000 - VI ZR 172/99, aaO).
b) Nach diesem Maßstab lassen die Ausführungen im Berufungsurteil keinen den Kläger belastenden Rechtsfehler erkennen.
Das Berufungsgericht hat den Sachverständigen J., den Direktor einer Schule für Hörgeschädigte, dazu gehört, ob der Kläger auch ohne die Hörschädigung beruflich nicht mehr erreicht hätte, als er es tatsächlich hat, ob wegen fehlender Schlüsselqualifikationen ein von dem Hörschaden unabhängiger Misserfolg wahrscheinlich war und inwieweit sich das familiäre Umfeld und das Elternhaus auf den Lernerfolg ausgewirkt haben könnten. Dem Sachverständigen haben dabei u.a. die Schulakte des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte in B. sowie der Schülerbogen der Stadt H. betreffend den Kläger vorgelegen. Auch hat der Kläger bereits erstinstanzlich sämtliche vorhandenen Zeugnisse, verschiedene Lohnabrechnungen sowie Zeugnisse seiner Geschwister zur Akte gereicht, die von dem Sachverständigen ausgewertet worden sind. Das Berufungsgericht entnimmt den Ausführungen des Sachverständigen, es sei zwar nicht sicher, aber jedenfalls wahrscheinlicher, dass Kinder einen ähnlichen beruflichen Erfolg wie Eltern und Geschwister erreichten. Es schließt sodann aus den familiären Gegebenheiten und einem beim Kläger als Kind ermittelten IQ von 118, dass ihm ohne die Hörschädigung das Erreichen einer höheren, mit der seines Vaters und Bruders vergleichbaren beruflichen Qualifikation, jedoch nicht eines Hochschulabschlusses möglich gewesen wäre, wobei ein berufliches Fortkommen des Klägers ähnlich demjenigen seines Bruders nicht hinreichend wahrscheinlich sei, weil der Aufstieg des Bruders nicht ausschließbar auch auf individueller Chancennutzung beruhen dürfte. Diese Schlussfolgerung hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens. Die von der Revision geforderte Schätzung eines höheren Mindestschadens ist bei dieser Sachlage aus Rechtsgründen nicht geboten.
c) Die Revision des Klägers bleibt im Ergebnis auch ohne Erfolg, soweit sie meint, es sei rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht eventuelle Arbeitsplatzrisiken mit einem Abschlag von 20 % bewertet und zudem die tatsächliche Arbeitslosigkeit des Klägers nicht als Schadensfolge berücksichtigt habe.
Dabei kann dahin stehen, inwieweit dem Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, es sei eine reine Differenzbetrachtung ohne Berücksichtigung des Arbeitsplatzrisikos sowohl für den fiktiven als auch für den tatsächlich erlernten Beruf anzustellen, gefolgt werden kann. Im Rahmen der Prognoseentscheidung kann durchaus danach zu fragen sein, inwieweit der Geschädigte den von ihm mit Wahrscheinlichkeit ohne die Schädigung ergriffenen Beruf auch tatsächlich hätte ausüben und somit ein entsprechendes Einkommen erzielen können (vgl. Senatsurteile vom 14. Januar 1997 - VI ZR 366/95, VersR 1997, 366, 367; vom 20. April 1999 - VI ZR 65/98, aaO). Der Revision des Klägers sind jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen ausreichenden Vortrag dazu zu entnehmen, dass der Kläger in der Kommunikationsbranche auf keinen Fall von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen wäre. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher von seinem Schätzungsermessen gedeckt.
Die hiervon zu trennende Frage, ob die Arbeitslosigkeit des Klägers in seinem erlernten Beruf auf der Hörschädigung beruht und der Beklagte dem Kläger deshalb die Differenz zwischen dem derzeit bezogenen Arbeitslosengeld und seinem früheren Lohn als Tischler zu ersetzen hat, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint. Denn weder ist ersichtlich, dass der Kläger mit Wahrscheinlichkeit seinen Arbeitsplatz wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung verloren hätte, noch ergibt sich aus den von dem Kläger vorgelegten, auf seine Bewerbungen hin erhaltenen Absageschreiben, dass er gerade wegen seiner Hörschädigung keinen neuen Arbeitsplatz gefunden hat.
3. Auch die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die vom Berufungsgericht unter Beachtung von § 287 ZPO, § 252 BGB vorgenommene Prognose, für die die oben (unter 2) dargestellten Grundsätze gelten, lässt auch keinen den Beklagten belastenden Rechtsfehler erkennen.
a) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe bei seiner Vergleichsbetrachtung auf einen Beruf abgestellt, von dem der Kläger selbst nicht behauptet habe, er hätte ihn ohne das Schadensereignis ergriffen. Selbst wenn - was zweifelhaft ist - der Kläger stets nur auf die Ergreifung eines akademischen Berufes abgestellt hat, war es dem Berufungsgericht nicht aus Rechtsgründen verwehrt, im Rahmen seiner Prognose - gleichsam als Minus zu dem von dem Kläger angestrebten Klageziel - davon auszugehen, dass der Kläger ohne die Schädigung einen Beruf der gleichen Fachrichtung mit niedrigerem Ausbildungs- und Gehaltsniveau, aber höherer Entlohnung als im Tischlerberuf ergriffen hätte. Dem entsprechend bezeichnet es das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen auch lediglich als wahrscheinlich, dass der Kläger einen dem Beruf eines nicht akademisch ausgebildeten Kommunikationstechnikers "entsprechenden" Beruf mit "entsprechend" höherer Bezahlung ergriffen und ausgeübt hätte.
b) Ohne Erfolg bleiben auch die Ausführungen, mit denen sich die Revision des Beklagten dagegen wendet, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung eine beim Kläger vorliegende Halbseitensymptomatik berücksichtigt hat.
aa) Keinen Bedenken begegnet aus revisionsrechtlicher Sicht der Umstand, dass das Berufungsgericht die Problematik der Halbseitenstörung überhaupt in seine Prognoseentscheidung mit einbezogen hat. Liegt bei dem Kläger nämlich neben dem streitgegenständlichen Hörschaden eine weitere gesundheitliche Beeinträchtigung in Form der Halbseitenstörung vor, die für seine berufliche Entwicklung und einen damit verbundenen Erwerbsschaden von Relevanz ist, kann dies bei der Prognoseentscheidung nicht unbeachtet bleiben. Insbesondere steht dem nicht die Einrede der Verjährung entgegen, denn es handelt sich nicht um einen der Verjährung unterliegenden Anspruch (vgl. § 194 Abs. 1 BGB) und entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht um einen (zusätzlichen) Klagegrund, sondern lediglich um ein einzelnes Element der Kausalitätsbetrachtung.
bb) Auch die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zur Kausalität der Halbseitenstörung für die Erwerbsmöglichkeiten des Klägers ist frei von Rechtsfehlern.
(1) Das Berufungsgericht stellt zur Kausalität der Halbseitenstörung für das berufliche Fortkommen des Klägers auf den Umstand ab, dass bei ihm seit der Geburt eine solche Störung vorliege. Davon hat sich das Berufungsgericht - sachverständig beraten durch die Sachverständigen Prof. Dr. M. und Dr. S. - in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise selbst überzeugt. Ob es mangels entsprechender Rechtskraftwirkung des vorausgegangenen Feststellungsurteils aus dem Vorprozess folgern durfte, der Kläger sei unter Asphyxie geboren worden und die Behandlung sei grob fehlerhaft gewesen, kann dahin stehen, da die Entscheidung darauf nicht beruht.
(2) Die Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Auswirkungen der Halbseitenstörung auf den Erwerb so genannter Schlüsselqualifikationen durch den Kläger sind nicht rechtsfehlerhaft.
Das Berufungsgericht stellt fest, nach den Ausführungen des Sachverständigen J. sei davon auszugehen, dass durchschnittliche Gehörlose die Möglichkeit hätten, ihre im Vergleich zu Hörenden geringeren Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten zum Erwerb der Schlüsselqualifikationen (Fähigkeiten wie Fleiß, Anpassungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Arbeitsplatzmanagement) zumindest im schulischen Umfeld zu kompensieren. Eine solche Möglichkeit habe beim Kläger aber in der entscheidenden Phase der Entwicklung aufgrund der bei ihm bestehenden Halbseitensymptomatik nicht bestanden. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass der Sachverständige Prof. Dr. M. ausgeführt hat, aus einer Halbseitensymptomatik sei eine wesentliche Beeinträchtigung des Erlernens des Lippenlesens oder der Gebärdensprache nicht ableitbar, Auswirkungen der Halbseitenproblematik auf etwaige Schlüsselqualifikationen seien nicht gegeben. Es meint aber, auf diese Fragestellung komme es nicht an. Entscheidend für die Erschwerung des Erlernens der Lautsprache und des Lippenlesens durch das gehörlose Kind sei nicht das Vorliegen der Halbseitensymptomatik als solche, sondern die aus dieser im entscheidenden Alter hervorgehende fein- und grobmotorische Beeinträchtigung. Die Entwicklungsmöglichkeit von Schlüsselqualifikationen sei bei dem Kläger infolge der durch die Hörschädigung reduzierten Kontakte und Anregungen herabgesetzt gewesen. Wegen der durch die Halbseitensymptomatik eingeschränkten Möglichkeit des Erlernens der Lautsprache und des Lippenablesens habe der Kläger dies nicht mit der Folge verbesserter und vermehrter Außenkontakte kompensieren können. Dabei stützt sich das Berufungsgericht auf die Ausführungen des HNO-Sachverständigen Prof. Dr. L. und des hörpädagogischen Sachverständigen J. Die Sachverständige Dr. S. habe mit Zustimmung des anwesenden Sachverständigen Prof. Dr. M. dessen Antwort auf die Frage nach den Auswirkungen der Halbseitensymptomatik dahin ergänzt, dass es auf Hinweise für motorische Defizite ankomme. Diese hätten aber nach dem Bericht des Jugendärztlichen Dienstes der Stadt B. vom 9. Juni 1989 vor Januar 1988 sowie nach dem Bericht des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte vom 22. September 1983, wonach der Kläger durch Koordinationsstörungen im fein- und grobmotorischen Bereich aufgefallen sei und Artikulationserfolge sich trotz intensiven Trainings infolge der Beeinträchtigung der motorischen Leistungsfähigkeit nur sehr schwer erzielen bzw. stabilisieren ließen, vorgelegen.
Das Berufungsgericht konnte seine Überzeugung danach auf eine ausreichende sachverständige Bewertung der Sachlage stützen. Es hat ersichtlich die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. im Hinblick auf die Ausführungen der anderen Sachverständigen und die vorliegenden Unterlagen als für die Beurteilung nicht einschlägig betrachtet. Unter diesen Umständen war es nicht verfahrensfehlerhaft, den Sachverständigen Prof. Dr. M., der die Befragung der Sachverständigen Dr. S. zustimmend begleitet hat, nicht noch einmal erneut zu befragen.
c) Schließlich erweisen sich auch die Angriffe des Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, soweit sie ein Mitverschulden des Klägers an seiner gegebenen beruflichen Situation betrifft, als unbegründet.
Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, dass der Beklagte konkrete Versäumnisse, die kausal zu einer Beeinträchtigung des Lernerfolgs geführt haben, nicht substantiiert dargelegt habe. Den Vortrag zur verspäteten Einschulung hat das Berufungsgericht angesichts des konkreten Gegenvortrags des Klägers mit Recht nicht für ausreichend gehalten. Für die Behauptung des Beklagten, die Eltern des Klägers hätten schuldhaft Fördermöglichkeiten nicht ausgeschöpft, hat das Berufungsgericht in möglicher tatrichterlicher Würdigung aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen J. keine Anhaltspunkte gesehen. Den Vorwurf, der Kläger bzw. seine Eltern hätten schuldhaft den Einsatz eines Cochlear-Implantats versäumt, hat das Berufungsgericht aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Dr. L. und J. ohne Rechtsfehler als widerlegt angesehen.
Auch soweit der Beklagte dem Kläger vorwirft, nicht das Berufsbildungszentrum für Hörgeschädigte in E. besucht zu haben, was ihm eine akademische Ausbildung ermöglicht hätte, sowie keine Fortbildung zum Tischlermeister absolviert zu haben, sind seine Einwendungen ohne hinreichende Substanz.
d) Die Revision des Beklagten ist auch unbegründet, soweit das Grundurteil keine zeitliche Beschränkung des Anspruchs des Klägers ausspricht. Richtig ist allerdings, dass der Anspruch eines abhängig Beschäftigten auf Ersatz des Erwerbsschadens auf die voraussichtliche Lebensarbeitszeit zu begrenzen ist (vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 1995 - VI ZR 165/94, VersR 1995, 1321; vom 26. September 1995 - VI ZR 245/94, VersR 1995, 1447, 1448; vom 27. Januar 2004 - VI ZR 342/02, VersR 2004, 653 = r+s 2004, 342 m. Anm. Lemcke). Der Antrag des 1977 geborenen Klägers, ihm eine Verdienstausfallrente "zunächst einmal bis zum Jahre 2054" zuzuerkennen, ist deshalb nicht nachvollziehbar. Ohne Erfolg verweist die Revisionserwiderung des Klägers darauf, mit dieser Antragstellung werde einem zu erwartenden Rentenschaden des Klägers Rechnung getragen. Ein Rentenverkürzungsschaden ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage. Seine Ersatzfähigkeit und Berechnung richtet sich auch nicht nach den für den Erwerbsschaden geltenden Maßstäben. Auch wenn der Kläger aktivlegitimiert sein sollte, weil das Schadensereignis vor dem 1. Juli 1983 lag (vgl. §§ 119, 120 Abs. 1 SGB X), kommt der Ersatz eines Rentenverkürzungsschadens nur unter den vom erkennenden Senat entwickelten Voraussetzungen in Betracht (vgl. etwa Urteile vom 12. April 1983 - VI ZR 126/81, BGHZ 87, 181 = VersR 1983, 663 und vom 19. Oktober 1993 - VI ZR 56/93, VersR 1994, 186 f. m.w.N.).
Der erkennende Senat entnimmt dem Berufungsurteil indes nicht, dass es eine Entscheidung über die Laufzeit der noch zu berechnenden Verdienstausfallrente enthält. Das Berufungsgericht hat ausweislich des Berufungsurteils ein Grund- und Teilurteil erlassen, weil "mangels Feststellungen zur Höhe des Verdienstausfalls" insoweit die Entscheidungsreife fehle. Da das Grund- und Teilurteil ausschließlich die Frage betrifft, welcher Beruf, den der Kläger hypothetisch hätte ergreifen können, der Schadensberechnung zugrunde zu legen ist, ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht auch die Entscheidung über die Laufzeit der Schadensrente dem Betragsverfahren vorbehalten hat. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn die Laufzeit bestimmt die Höhe des zu ersetzenden Schadens.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO.