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Landgericht Oldenburg Urteil vom 11.07.2008 - 13 S 208/08 - Zum Erledigungsbeitrag bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und anschließendes Bußgeldverfahren
LG Oldenburg v. 11.07.2008: Zum Erledigungsbeitrag bei der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und anschließendes Bußgeldverfahren
Das Landgericht Oldenburg (Urteil vom 11.07.2008 - 13 S 208/08) hat entschieden:
Die zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG entsteht auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Einstellung gemäß § 170 Abs.2 StPO zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit an die zuständige Verwaltungsbehörde abgibt. Gemäß Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG entsteht eine zusätzliche Gebühr, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Für die hier zu entscheidende Rechtsfrage ist maßgeblich, wie der Begriff "Verfahren" zu verstehen ist. Aus einer Gesamtschau unter Berücksichtigung des § 17 Nr.10 RVG und der Vorschriften des Teil 4. und Teil 5. des VV-RVG ergibt sich, dass unter dem Verfahren im Sinne von Ziffer 4141 (1) Nr.1 VV-RVG ausschließlich das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu verstehen ist, nicht aber der gesamte zugrunde liegende Sachverhalt. Das hat zur Folge, dass eine endgültige, nicht nur vorläufige Einstellung vorliegt; denn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist im Gegensatz zum zugrunde liegenden Sachverhalt abgeschlossen.
Anmerkung: Das Urteil wurde aufgehoben durch BGH v. 05.11.2009:
Siehe auch Erledigungsbeitrag und OWi-Gebühren
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Freistellung von einer Restforderung seines Prozessbevollmächtigten, der ihn in einem Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Oldenburg und in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Verkehrsunfalls vertreten hat. Es wird Bezug genommen auf die Ausführungen im Tatbestand des angefochtenen Urteils, § 540 Abs.1 Nr.1 ZPO.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, wogegen sich der Kläger mit seiner Berufung wendet.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Nordenham vom 28.03.2008 (Az. 3 C 18/08 (I)) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der restlichen Forderung des ... in Höhe von 166,60 Euro gemäß Rechnung Nr. 60/07 vom 19.02.2007 freizustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet, § 513 Abs.1 ZPO.
Der Kläger hat aus dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutz-Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Freistellung von der im Tenor bezeichneten Verbindlichkeit, weil die vom Klägervertreter in Rechnung gestellte zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 (1) Nr.1 der Anlage 1 zum RVG (VV-RVG) angefallen ist.
Die Kammer ist der Auffassung, dass die zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG auch dann entsteht, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Einstellung gemäß § 170 Abs.2 StPO zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit an die zuständige Verwaltungsbehörde abgibt.
Gemäß Ziffer 4141 (1) Nr. 1 VV-RVG entsteht eine zusätzliche Gebühr, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Für die hier zu entscheidende Rechtsfrage ist maßgeblich, wie der Begriff "Verfahren" zu verstehen ist. Aus einer Gesamtschau unter Berücksichtigung des § 17 Nr.10 RVG und der Vorschriften des Teil 4. und Teil 5. des VV-RVG ergibt sich, dass unter dem Verfahren im Sinne von Ziffer 4141 (1) Nr.1 VV-RVG ausschließlich das strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu verstehen ist, nicht aber der gesamte zugrunde liegende Sachverhalt. Das hat zur Folge, dass eine endgültige, nicht nur vorläufige Einstellung vorliegt; denn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist im Gegensatz zum zugrunde liegenden Sachverhalt abgeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Berufung spricht allerdings der Wortlaut des § 17 Nr.10 RVG allein nicht für die vorgenommene Auslegung. Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Begriffe "Angelegenheit" und "Verfahren" nicht gleichzusetzen, so dass der Wortlaut des § 17 Nr.10 RVG der vom Amtsgericht vorgenommenen Auslegung nicht entgegensteht. Jedoch wird die in § 17 Nr.10 RVG getroffene Regelung, dass das Ermittlungsverfahren und das sich nach dessen Einstellung daran anschließende Bußgeldverfahren zwei Angelegenheiten darstellen, konsequent in der Ausgestaltung der Gebührentatbestände fortgesetzt. So sind in Teil 4. VV-RVG die in Strafsachen und in Teil 5. VV-RVG die in Bußgeldsachen entstehenden Gebührentatbestände aufgeführt. Der in den jeweiligen Teilen der VV-RVG verwendete Verfahrensbegriff kann sich daher, wenn wie hier weitere Anhaltspunkte fehlen, nur auf das in dem jeweiligen Teil behandelte Verfahren, also das Straf- bzw. Bußgeldverfahren beziehen.
Für diese vorgenommene Auslegung spricht auch zwingend die Kompensationsfunktion, die der zusätzlichen Gebühr nach Ziffer 4141 VV-RVG zukommen soll. Sie soll Ausgleich dafür sein, dass der Rechtsanwalt, der durch seine Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich gemacht hat, die Verfahrensgebühr nach Ziffer 4106 VV-RVG nicht erhält. Dementsprechend fällt die zusätzliche Gebühr auch in der Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr an. Derjenige Rechtsanwalt, der sowohl in der Hauptverhandlung als auch in einem sich anschließenden Bußgeldverfahren tätig wird, würde aber sowohl die Verfahrensgebühr als auch die im Bußgeldverfahren anfallenden Gebühren erhalten. Eine solche gebührenrechtlich ungleiche Bewertung von vergleichbarer anwaltlicher Tätigkeit sollte durch Ziffer 4141 VV-RVG gerade verhindert werden.
Die vom Amtsgericht vertretene Auslegung führt zudem zu einer faktischen Anrechnung von im Strafverfahren angefallenen Gebühren auf ein in der Zukunft durchzuführendes Bußgeldverfahren, die vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist. Ein entsprechender Anrechnungstatbestand findet sich im Gesetz nicht, obwohl der Gesetzgeber die streitgegenständliche Fallkonstellation berücksichtigt hat, wie sich aus Ziffer 5100 (2) VV-RVG ergibt.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Strafverfahren einerseits und im Bußgeldverfahren andererseits auch nicht derart deckungsgleich, dass dies die vom Amtsgericht vorgenommene Auslegung rechtfertigen könnte. Dem Umstand, dass die Tätigkeiten auf demselben Lebenssachverhalt beruhen, ist bereits durch die Anrechnung der im Bußgeldverfahren anfallenden Grundgebühr nach Ziffer 5100 auf die im Strafverfahren entstandene Grundgebühr Rechnung getragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
Es bestand kein Anlass, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anzuordnen, § 156 Abs.1 und Abs.2 Nr.1 ZPO. Die Rüge der Beklagten, in der mündlichen Verhandlung sei es zu mündlichen Erörterungen nicht mehr gekommen, nachdem die Kammer ihre Rechtsauffassung geäußert hatte, ist ausweislich des Protokolls vom 13.06.2008 (Bl.96 d.A.) unzutreffend. Der Klägervertreter hat seine Rechtsauffassung nochmals dargelegt. Soweit der Beklagtenvertreter wegen der von der Kammer geäußerten Rechtsauffassung seinerseits davon Abstand genommen haben sollte, so hatte er nach dem Hinweis der Kammer vom 25.06.2008 (Bl.97 d.A.) dazu hinreichend Gelegenheit.
Die Revision war gemäß § 543 Abs.2 Nr.1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.