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Verwaltungsgericht Aachen Urteil vom 25.08.2009 - 2 K 2191/08 - Zum erforderlichen Grad der Behinderung für die Erteilung eines Ausweises für Parkerleichterungen

VG Aachen v. 25.08.2009: Zum erforderlichen Grad der Behinderung für die Erteilung eines Ausweises für Parkerleichterungen


Das Verwaltungsgericht Aachen (Urteil vom 25.08.2009 - 2 K 2191/08) hat entschieden:
Eine Behinderung von mindestens 70% und ein maximaler Aktionsradius von 100 m führen nicht zwingend zur Gewährung einer Parkerleichterung. Wer körperlich noch in der Lage ist, eine Entfernung von bis zu 1000 m zurückzulegen, verfehlt das Merkmal der außergewöhnlichen Gehbehinderung erheblich.


Siehe auch Behindertenparkausweis - Gehbehinderung und Behinderte Verkehrsteilnehmer


Tatbestand:

Der am 30. November 2001 geborene minderjährige Kläger leidet seit seiner Geburt an dem sog. Down-Syndrom. Ihm wurde ab Geburt ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zuerkannt; ferner wurde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen "H" (hilflos), "G" (erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (auf ständige Begleitung bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen) festgestellt.

Mit einem Änderungsantrag vom 28. August 2003 beantragte der Kläger über seine Eltern die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnlich gehbehindert). Diesem Antrag wurde mit Bescheid des (damaligen) Versorgungsamtes Aachen vom 30. September 2003 stattgegeben. Aus den vom Gericht beigezogenen Akten des Versorgungsamtes ergibt sich, dass damals als Begründung für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "aG" eine "weit über das altersübliche Maß durch das Down-Syndrom bedingte Unfähigkeit zu stehen und zu gehen" als nachgewiesen angesehen wurde. Im Zuge einer Nachprüfung von Amts wegen zog das damalige Versorgungsamt Aachen, wie sich aus dem an den Vater des Klägers gerichteten Anhörungsschreiben vom 27. Januar 2006 ergibt, aufgrund der Entwicklungsfortschritte und Besserungstendenzen beim Kläger eine Reduzierung des Grades der Behinderung auf 60 sowie den Wegfall des Merkzeichens "aG" in Erwägung. Die Eltern des Klägers widersprachen dem mit Faxbrief vom 13. Februar 2006. Daraufhin teilte das (damalige) Versorgungsamt Aachen dem Vater des Klägers mit Schreiben vom 30. März 2006 mit, dass nach nochmaliger Überprüfung nunmehr eine Reduzierung des GdB auf 80 für angemessen erachtet, an dem Wegfall des Merkzeichens "aG" jedoch festgehalten werde. Im Rahmen einer erneuten Anhörung wandten sich die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 15. Mai 2006 auch hiergegen.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2006 setzte das (damalige) Versorgungsamt Aachen von Amts wegen den Grad der Behinderung auf 80 herab und stellte ferner fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" nicht mehr gegeben seien. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 18. August 2006 zurückgewiesen. In dem sich hieran anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht Aachen - S 3 SB 121/06 - erstattete der Arzt für Kinderheilkunde und Öffentliches Gesundheitswesen Dr. med. X. T. , Aachen, unter dem 7. Januar 2007 auf der Grundlage einer eigenen Untersuchung des Klägers, durchgeführt am 10. Dezember 2006, sowie in Auswertung der Aktenlage ein Gutachten, das mit folgenden Feststellungen schließt:
"Zu den Fragen des Gerichtes: zu 1.

1. Down-Syndrom mit geistiger Behinderung, schwere Sprachentwicklungsstörung, motorischen Koordinationsstörungen der Fein- und Grobmotorik und dauernde Harn- und Stuhlinkontinenz.

1.b) Seit der Bescheiderteilung am 30.9.2003 hat F. gelernt frei zu stehen und zu gehen.

Zu 2.: Im Wesentlichen ist das Leiden durch die geistige Behinderung bestimmt, die bei F. mit hoher Wahrscheinlichkeit als mittelgradige geistige Behinderung anzusprechen ist, d. h. der IQ-Wert liegt bei 50 oder darunter. Das Leiden genetisch fixiert und führt ab der frühsten Säuglingszeit zu schweren Entwicklungs- und Verhaltensproblemen. Die Anhaltspunkte 2004 sehen in Punkt 26.3 auf Seite 46 vor, dass bei Menschen mit hochgradigem Mangel an Selbständigkeit und Bildungsfähigkeit, fehlender Sprachentwicklung, die auf Dauer unabhängig von der Arbeitsmarktlage nur in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt werden können ein GdB von 100 zusteht. Bei F. liegt eindeutig ein hohes Maß an Unselbständigkeit vor, das sich auch auf Dauer nicht oder nur unwesentlich bessern wird. In allen Bereichen des täglichen Lebens ist umfassender Hilfebedarf gegeben, welcher nach den seit September 2006 geltenden Begutachtungsrichtlinien der Spitzenverbände der Pflegeversicherung mit hoher Wahrscheinlichkeit der Pflegestufe 2 zuzuordnen wäre. Der Mangel an Bildungsfähigkeit drückt sich darin aus, dass F. trotz optimaler Bedingungen in der Familie als mittleres Kind und sehr guter Förderung im Kindergarten als Integrationskind im Alter von 5 Jahren den geistigen Entwicklungsstand eines 1,5 bis maximal 2-jährigen Kindes erreicht hat. F1. Sprachentwicklung ist massiv durch einen sehr geringen Wortschatz, Dysgrammatismus und Dyslalie gestört, so dass auch in diesem Bereich die Bedingungen der Anhaltspunkte erfüllt sind.

Bereits jetzt ist für F. mit Sicherheit vorhersehbar, dass er nach Besuch der Schule für Geistigbehinderte nur in einer Werkstatt für Behinderte untergebracht werden kann, wo er möglicherweise einfache motorische Aufgaben erledigen kann.

Das Down-Syndrom mit seinen Auswirkungen bedingt bei F. X1. eindeutig einen GbB von 100.

Zu 3. Es handelt sich um ein genetisch fixiertes, bereits bei Geburt vorliegendes Leiden, das sich bereits im Säuglingsalter durch Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten bemerkbar macht, so dass der GdB seit Geburt anzunehmen ist.

Zu 4. F. ist in seiner Gehfähigkeit motorisch nur dadurch eingeschränkt, dass er rascher ermüdet als gesunde Kinder und sich dann weigert, weiterzugehen und sich auf den Boden setzt. Grundsätzlich ist er jedoch motorisch in der Lage Wege zwischen 500 und 1000 m zurückzulegen. Seine Einschränkungen sind deswegen nicht mit denen eines Doppeltoberschenkelamputierten vergleichbar. Die Voraussetzungen nach Ziffer 31 der AHP zur Gewährung des Nachteilsausgleiches aG werden nicht mehr erfüllt.

Zusammenfassung und Diskussion:

Die ärztlichen Gutachter des Versorgungsamtes Aachen haben die Tatsache, dass F. als Einzelintegrationskind im Regelkindergarten gefördert wird als Beweis für eine Besserung der geistigen Behinderung angesehen, ohne auf die aus den Unterlagen eindeutig ersichtlichen schwerwiegenden Einschränkungen des Kindes und deren Bezug zu den Anhaltspunkten einzugehen. Voraussetzung für die ärztliche Einschätzung einer Behinderung nach dem Schwerbehindertenrecht ist jedoch die Herausarbeitung des tatsächlichen Befundes und dessen Einordnung nach den Vorgaben der Anhaltspunkte und nicht - wie geschehen - danach ob der Behinderte gefördert wird oder nicht. Wären die Gutachter dieser Maxime gefolgt, hätten sie an Hand der vorliegenden Unterlagen feststellen können, dass F1. Weiterentwicklung der Entwicklung eines Kindes mit einer ausgeprägten geistigen Behinderung entspricht und damit im Vergleich zu dem Zustand im Neugeborenen-, Säuglings- und Kleinkinderalter (2002/2003) keine Besserung vorliegt.

Dr. med. X. T. "
In der Folgezeit wurde das sozialgerichtliche Verfahren mit einer Regelung auf der Grundlage dieses Gutachtens - GdB: 100, jedoch keine Zuerkennung von "aG" - beendet.

Daraufhin beantragte der Kläger über seine Eltern - offenbar im August 2008 mündlich, später, unter dem 1. Oktober 2008, auch schriftlich - beim Beklagten die Gewährung einer Parkerleichterung für Schwerbehinderte außerhalb der "aG"-Regelung nach dem Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2001 (Gam - VI B 3-78-12/6-). Zur weiteren Begründung legten die Eltern ein Attest des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Dr. med. J. T1., L. , vom 5. September 2008 vor, in dem es heißt:
"O.g. Kind ist an einem Down-Syndrom erkrankt. Hierdurch besteht 100%ige Schwerbehinderung (G, B, H). Es wird auf unbestimmte Zeit nicht in der Lage sein, sich unbeaufsichtigt und ohne Hilfe in einem Umkreis von mehr als 70 m um ein Fahrzeug selbständig zu bewegen.

gez. Dr. med. J. T1. "
Der Beklagte wandte sich hierauf an seinen ärztlichen Dienst, der die Frage nach der Erfüllung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Parkerleichterungen für schwerbehinderte Menschen außerhalb der "aG"-Regelung unter dem 1. September 2008 sowie - nach Berücksichtigung des kinderärztlichen Attestes vom 5. September 2008 - nochmals unter dem 17. September 2008 verneinte. Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Oktober 2008 den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Parkerleichterung für Schwerbehinderte außerhalb der "aG"-Regelung im Wesentlichen unter Hinweis auf die Stellungnahme der Schwerbehindertenstelle ab.

Am 7. November 2008 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er seinen Antrag weiter verfolgt. Er ist der Auffassung, dass ihm ein Anspruch auf diese Parkerleichterung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG iVm dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung zu-stehe. Er gehöre zur ersten der in dem ministeriellen Erlass vom 4. September 2001 definierten Fallgruppen, da sein Grad der Behinderung mit 100 die dort genannte Mindestgrenze von 70 überschreite, sein maximaler Aktionsradius unter 100 m liege und er bei einer Gesamtwürdigung die Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" im Sinne des Erlasses "nur knapp verfehle". In verfahrensrechtlicher Hinsicht erfülle die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes im Übrigen nicht die Voraussetzungen, die an eine nachvollziehbare und nachprüfbare Äußerung mit medizinischem Hintergrund zu stellen seien.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 22. Oktober 2008 zu verpflichten, ihm einen Parkerleichterung für Schwerbehinderte außerhalb der "aG"-Regelung zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung weist er in erster Linie auf das im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten des Arztes Dr. T. vom 7. Januar 2007 und den darin beschriebenen Aktionsradius des Klägers hin; das Attest des Kinderarztes Dr. T1. vom 5. September 2008 stehe hierzu nur auf den ersten Blick in Widerspruch, da sich die dort beschriebene eingeschränkte Beweglichkeit nur auf den unbeaufsichtigten Aktionsradius erstrecke, nicht jedoch die rein motorischen Fähigkeiten des Klägers betreffe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze, den Verwaltungsvorgang des Beklagten (Beiakte I) sowie die Akte des (früheren) Versorgungsamtes Aachen (nunmehr Versorgungsstelle beim Beklagten - Beiakte II) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

Nach der übereinstimmenden Einschätzung der Beteiligten und des Gerichts kommt ein Erfolg der Klage - vorbehaltlich einer ggf. noch anstehenden Überprüfung der Ermessensausübung - nur in Betracht, wenn der Kläger zu einer der drei Personengruppen gehört, die in dem Erlass des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. September 2001 als "für entsprechende Ausnahmegenehmigungen in Frage kommend" definiert sind. Zu der dort umschriebenen zweiten Personengruppe (Morbus-Crohn-Kranke/Colitis-Ulkerosa-Kranke...") sowie der dritten Personengruppe ("Stoma-Träger...") gehört der Kläger unstreitig nicht. Es geht allein um die Frage, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen der ersten Personengruppe erfüllt, die wie folgt definiert ist:
"Gehbehinderte mit dem Merkzeichen 'G', sofern die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens 'aG' nur knapp verfehlt wurden (anerkannter Grad der Behinderung mind. 70 % und max. Aktionsradius ca. 100 m)".
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt unter diesen Umständen allein von der Frage ab, wie die vorstehend zitierte Beschreibung der ersten Fallgruppe des Erlasses ("... nur knapp verfehlt ...") zu verstehen ist, insbesondere, ob ein anerkannter Grad der Behinderung von mindestens 70 (hier sogar: 100) iVm dem Inhalt der kinderärztlichen Bescheinigung vom 5. September 2008 (Dr. med. J. T1. , L. ) zwingend zu einer positiven Bescheidung des Antrags auf Parkerleichterung - auch bei einer negativen Stellungnahme des (früheren) Versorgungsamtes bzw. des Funktionsnachfolgers - führen muss.

Hierzu weist die Kammer auf Folgendes hin:

Bereits der Wortlaut des ministeriellen Erlasses vom 4. September 2001 lässt erkennen, dass zwischen den vom Kläger hervorgehobenen Voraussetzungen (GdB mind. 70 % - max. Aktionsradius ca. 100 m -) und einer positiven Bescheidung eines Antrags auf Gewährung der Parkerleichterung kein Automatismus besteht. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Erlasses "..Personengruppen, die .. in Frage kommen..". Der ministerielle Erlass vom 4. September 2001, dessen Auslegung im Streitfalle allein dem zuständigen Verwaltungsgericht obliegt, sieht darüber hinaus nicht ohne Grund zwingend eine Einschaltung des (früher zuständigen) Versorgungsamtes bzw. derjenigen Behörde, die nunmehr als Rechtsnachfolger fungiert, vor mit dem Ziel, zu einem solchen Antrag auf Parkerleichterung eine Stellungnahme abzugeben. Dabei ist nicht vorgeschrieben, dass eine solche Stellungnahme wiederum mit einer detaillierten Begründung versehen sein muss. Wenn das Versorgungsamt sich in seiner verwaltungsinternen Stellungnahme auf die Bejahung oder Verneinung der gestellten Frage beschränkt, liegt hierin noch kein rechtlicher Mangel des Verwaltungsverfahrens, zumal den Betroffenen die Möglichkeit der Nachprüfung ggf. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren offen steht.

Darüber hinaus sieht die Kammer Veranlassung, im Hinblick auf das schwere Schicksal, dass den Kläger (und seine Eltern) seit seiner Geburt begleitet, ausdrücklich hervorzuheben, dass das Gericht in diesem Verfahren nicht die Frage zu beantworten hat, ob die streitbefangene Parkerleichterung für den Kläger und seine Eltern hilfreich und damit wünschenswert wäre. Es geht vielmehr allein um die Rechtsfrage, ob sich aus dem allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Erlass vom 4. September 2001 und der dort formulierten ersten Alternative (= Personengruppe) ein Anspruch des Klägers auf die Parkerleichterung ergibt. Angesichts der zahlreichen aktenkundigen ärztlichen und fachärztlichen Stellungnahmen betr. das Krankheitsbild des Klägers und den Umfang seiner Mobilität handelt es sich hierbei in der Tat (nur noch) um eine Rechtsfrage; die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens stellt sich nach Auffassung der Kammer hier nicht.

Ausschlaggebend für die nach Auffassung der Kammer sachgerechte Auslegung der streitbefangenen Passage in dem ministeriellen Erlass vom 4. September 2001 (".. nur knapp verfehlt..") ist der Vergleich derjenigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die dem Kläger bescheinigt sind (u. a. zum Merkzeichen "G"), mit den Voraussetzungen, die nach den im Schwerbehindertenrecht geltenden Kriterien für die Zuerkennung des Merkmals der außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen "aG") maßgebend sind. Dazu verhalten sich die Abschnitte 30 und 31 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)". Der Abschnitt 31 über "außergewöhnliche Gehbehinderung" hat - vollständig zitiert - folgenden Wortlaut:
"(1) Für die Gewährung von Parkerleichterungen für schwerbehinderte Menschen nach dem StVG in Verbindung mit der VwV-StVO (siehe Nummer 27) ist die Frage zu beurteilen, ob eine außergewöhnliche Gehbehinderung vorliegt.

Auch bei Säuglingen und Kleinkindern ist die gutachtliche Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung erforderlich. Für die Beurteilung sind dieselben Kriterien wie bei Erwachsenen mit gleichen Gesundheitsstörungen maßgebend. Es ist nicht zu prüfen, ob tatsächlich diesbezügliche behinderungsbedingte Nachteile vorliegen oder behinderungsbedingte Mehraufwendungen entstehen.

(2) Als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können.

(3) Hierzu zählen nach der VwV-StVO Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind.

(4) Nach der Rechtsprechung darf die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn Gehbehinderte einen Rollstuhl benutzen: Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet wurde; der Betroffene muss vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil er sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen kann.

Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen, sind beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkung der Lungenfunktion schweren Grades (siehe Nummer 26.8) anzusehen."
Die Kammer verkennt nach dem Studium der über den Kläger erstellten Versorgungsamtsakten und nach Auswertung der weiteren ärztlichen Bescheinigungen nicht, dass dieser unter schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen leidet, was in der Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 seinen Ausdruck gefunden hat. Ferner sind dem Kläger - seit Geburt ohne Unterbrechung - die Merkzeichen "G" (= erhebliche Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr - vgl. Abschnitt 30 der genannten "Anhaltspunkte"), ferner "H" und "B" zugebilligt.

Vergleicht man nun die dem Kläger attestierten Gesundheitsbeeinträchtigungen, insbesondere die Aussagen zu seiner Mobilität, auch unter Einbeziehung des kinderärztlichen Attestes vom 5. September 2008 (Dr. T1. , L. ) mit den Anforderungen, die im Versorgungsrecht an die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" gestellt werden, so wird nach Auffassung der Kammer deutlich, dass der Kläger den Grad der Bewegungseinschränkungen des in Abschnitt 31 der "Anhaltspunkte"... beschriebenen Personenkreises eben nicht "nur knapp" verfehlt. Zwischen dem Ergebnis des im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten ausführlichen Gutachtens vom 7. Januar 2007 und dem kinderärztlichen Attest vom 5 . September 2008 sieht die Kammer keinen signifikanten Widerspruch. Danach ist der Kläger - trotz frühzeitiger einsetzender Ermüdung - grundsätzlich motorisch in der Lage, Wegestrecken zwischen 500 und 1000 m zurückzulegen. Das kinderärztliche Attest vom 5. September 2008 stellt in diesem Zusammenhang - nachvollziehbar - klar, dass der Aktionsradius des mittlerweile im achten Lebensjahr stehenden Klägers sich "unbeaufsichtigt und ohne Hilfe" nur auf einen eng begrenzten - im wahrsten Sinne des Wortes überschaubaren und vor allem einsehbaren - Bereich erstreckt, der deutlich unterhalb der im Erlass vom 4. September 2001 genannten 100 m-Grenze liegt.

Für die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen in der im Erlass vom 4 . September 2001 beschriebenen ersten Fallgruppe ist jedoch nach der Rechtsauffassung der Kammer, die sich auf einen Vergleich der Abschnitte 30 und 31 der "Anhaltspunkte" stützt, auf die Mobilität als solche abzustellen.

Der von der Klägerseite angestellte Vergleich mit einem Rollstuhlfahrer, der bei ausreichend trainierten Oberarmen motorisch in der Lage ist, sich mehr als 100 m weit zu bewegen, führt nach der Überzeugung der Kammer nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass es um eine Parkerleichterung geht und dass ein Rollstuhlfahrer, der ständig (!) auf den Rollstuhl angewiesen ist, deshalb in der Regel das Merkzeichen "aG" zuerkannt bekommt, damit das ihn transportierende Fahrzeug in eine günstige - bevorrechtigte - Parkposition manövriert werden kann. Eine vergleichbare Situation ist beim Kläger nicht gegeben. Er kann das Fahrzeug unter Aufsicht und mit Hilfe verlassen und in Begleitung - motorisch - eine weit über 100 m hinausreichende Strecke zu Fuß zurücklegen.

Unter diesem Umständen hält die Kammer die negative Stellungnahme des (früheren) Versorgungsamtes Aachen (jetzt: Versorgungsstelle innerhalb der Kreisverwaltung Düren) trotz fehlender Begründung für plausibel. Der ministerielle Erlass vom 4. September 2001 ist in seiner Grundkonstruktion so angelegt, dass für die Auslegung des Merkmals "...knapp verfehlt ..." auf den besonderen Sachverstand und das Einschätzungsvermögen der im Versorgungsrecht tätigen Ärzte zurückgegriffen werden soll. Dies führt zwar nicht zu einer strikten rechtlichen Bindung des Gerichts an die versorgungsamtliche Stellungnahme; ergibt jedoch eine Plausibilitätskontrolle, dass die Verneinung des Merkmals "... knapp verfehlt..." - wie hier - nachvollziehbar ist, bedarf es keiner Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.