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BGH Urteil vom 12.02.2008 - VI ZR 154/07 - Zur nachträglichen Anpassung eines Abfindungsvergleichs eines durch einen Verkehrsunfall erblindeten Geschädigten

BGH v. 12.02.2008: Zur nachträglichen Anpassung eines Abfindungsvergleichs eines durch einen Verkehrsunfall erblindeten Geschädigten


Der BGH (Urteil vom 12.02.2008 - VI ZR 154/07) hat entschieden:
  1. Ob und in welchem Umfang der Geschädigte mit eine Abfindungsvergleich das Risiko künftiger Veränderungen übernommen hat, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarung zu ermitteln. Die Auslegung des Abfindungsvergleichs ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden ist, wobei die Auslegung vom Wortlaut auszugehen hat, aber auch der wirkliche Wille der Vertragschließenden zu erforschen und das Gebot einer für beide Seiten interessengerechten Auslegung zu beachten ist.

  2. Die Tatsache, dass das Landesblindengeld in Niedersachsen für das Jahr 2004 von monatlich 510 € auf 409 € reduziert wurde, es dann zwei Jahre nicht bezahlt wurde und seine Zahlung ab Januar 2007 nur noch in Höhe von 220 € monatlich erfolgt, rechtfertigt keine Anpassung eines umfassenden und vorbehaltslosen Abfindungsvergleichs wegen einer Veränderung der Vertragsgrundlage oder einer erheblichen Äquivalenzstörung, wenn der verkehrsunfallbedingt erblindete Geschädigte mit einem Betrag von 750.000 DM abgefunden wurde, nach seiner unfallbedingten Frühpensionierung eine monatliche Pension von 1.400 € bezieht und durch die Aufnahme eines neuen Berufs weitere Einkünfte erzielt.


Siehe auch Abfindungsvergleicherwew und Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall


Tatbestand:

Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagten in vollem Umfang haften, schwere Verletzungen, die zur Erblindung auf beiden Augen führten. Am 8. Dezember 2000 unterzeichnete der Kläger eine Abfindungserklärung, in der er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM "für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar, (...) endgültig und vorbehaltlos abgefunden" zu sein. In dem Formular, welches die Erklärung enthält, ist in einer Aufstellung möglicher unfallbedingter Drittleistungen angekreuzt, dass der Kläger Leistungen der Beihilfe und einer privaten Krankenversicherung sowie Landesblindengeld erhalte. Der Kläger bezog aufgrund des Unfallereignisses Leistungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger im Hinblick auf den Wegfall bzw. die Reduzierung des ihm gewährten Landesblindengeldes trotz der Abfindungserklärung weiteren Schadensersatz verlangen kann. Der Kläger ist der Auffassung, durch die Reduzierung des Landesblindengeldes im Jahr 2004 (von 510,00 € auf 409,00 €), dessen vollständige Streichung ab Januar 2005 sowie die erneute Einführung des Landesblindengeldes in Höhe von 220,00 € ab Januar 2007 sei die Geschäftsgrundlage für den Abfindungsvergleich entfallen. Dazu behauptet er, bei den Verhandlungen über die Abfindungssumme sei von der Beklagten zu 2 immer wieder auf den Bezug des Blindengeldes hingewiesen worden, wobei die Parteien davon ausgegangen seien, dass der Kläger das Blindengeld bis zum Tode beziehen werde; dies sei maßgeblicher Faktor für die Bemessung der Abfindungssumme gewesen. Er verlangt mit der Klage für die Jahre 2004 bis 2006 Zahlung der jeweils ausgefallenen (Differenz-) Beträge und für die Zeit ab 2007 Feststellung der entsprechenden Ersatzpflicht der Beklagten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.


Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2007, 522 f. veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger sei nicht berechtigt, eine Anpassung des Abfindungsvergleichs nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu verlangen. Durch den mit der Erklärung des Klägers vom 8. Dezember 2000 zustande gekommenen Abfindungsvergleich hätten alle Ansprüche des Klägers aus dem Unfall endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollen. Eine Änderung der Geschäftsgrundlage, welche eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheinen lasse, oder eine Äquivalenzstörung, welche für den Geschädigten nach den Gesamtumständen eine ungewöhnliche Härte bedeuten würde, lägen nicht vor.

Wer eine Kapitalabfindung wähle, nehme das Risiko in Kauf, dass maßgebliche Berechnungsfaktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhten. Der Schädiger dürfe sich darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung, die gerade auch zukünftige Entwicklungen einschließen solle, die Sache für ihn ein für allemal erledigt sei. Zu den in Kauf genommenen Risiken, deren Realisierung nicht zu einer Anpassung nach den Prinzipien der Störung der Geschäftsgrundlage führe, gehörten auch Änderungen in Leistungsstrukturen, in die der Geschädigte im Verhältnis zu Dritten (Behörden, Krankenkassen etc.) eingebettet sei. Seien diese Leistungsverhältnisse bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs nur als Positionen gesehen worden, komme es nicht darauf an, ob die Parteien mögliche Änderungen in ihre Vorstellungen mit einbezogen hätten oder nicht. Maßgebend sei vielmehr, ob es sich um Änderungen handele, die so überraschend seien, dass sie von den Parteien bei Vergleichsschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können.

Um derartige Änderungen handele es sich bei Kürzung und Wegfall des Landesblindengeldes nicht. Hierfür spreche vor allem der Charakter des Landesblindengeldes. Es gewähre den Blinden angesichts der mit der Erblindung einhergehenden schweren Belastung unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation und ihrer konkreten krankheitsbedingten Beeinträchtigungen eine pauschale finanzielle Unterstützung. Angesichts der haushaltsrechtlichen Lage des Landes sei es nicht überraschend gewesen, dass der Landesgesetzgeber derartige freiwillige Leistungen überprüfe und deren weitere Gewährung von fiskalischen Erfordernissen abhängig mache. Der mögliche Eintritt solcher fiskalischer Zwänge sei bereits bei Abschluss des Vergleichs im Jahr 2000 voraussehbar gewesen. Deshalb sei es auch aus der damaligen Perspektive nicht als völlig überraschende Entwicklung anzusehen, dass das Landesblindengeld gekürzt bzw. vollständig gestrichen werden würde. Darauf, ob der - bestrittene - Vortrag des Klägers zum Verlauf der Verhandlungen vor Abschluss des Abfindungsvergleichs zutreffe, komme es danach nicht an.

Der offenbar auf § 7 Abs. 3 Nds. LandesblindengeldG gestützte Übergang der Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten auf den für die Zahlung des Blindengeldes zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe sei für die Entscheidung nicht relevant. Aufgrund des Forderungsübergangs habe die Beklagte zu 2 an den zuständigen Landkreis die von dort erbrachten Leistungen erstattet. Dass sie im Umfang der Kürzung bzw. Streichung des Blindengeldes von diesen Zahlungen entlastet werde, sei aber nur ein - unbeabsichtigter - Nebeneffekt der finanzpolitisch motivierten Leistungskürzungen.

Eine erhebliche Äquivalenzstörung, die für den Kläger eine ungewöhnliche Härte bedeute, sei nicht eingetreten. Zwar bedeuteten die Einschränkungen der Leistungen einen spürbaren Einkommensverlust. Die Grenze zur Unzumutbarkeit sei aber angesichts der sonstigen Einnahmen des Klägers (Pension und unstreitige Einkünfte aus Nebenbeschäftigung) noch nicht überschritten.


II.

Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

1. Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger habe eine umfassende Abfindungserklärung abgegeben, indem er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000,00 DM für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar, endgültig und vorbehaltlos abgefunden zu sein. Will der Geschädigte von einem solchen Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen, muss er dartun, dass ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist oder sich geändert hat, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Geschädigten nach den gesamten Umständen des Falls eine ungewöhnliche Härte bedeuten würden (vgl. dazu die Senatsurteile vom 28. Februar 1961 - VI ZR 95/60 - VersR 1961, 382 f.; vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - VersR 1983, 1034, 1035; vom 19. Juni 1990 - VI ZR 255/89 - VersR 1990, 984). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Kläger dafür nicht ausreichend vorgetragen habe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich der Geschädigte nicht mit Erfolg berufen, wenn durch den Abfindungsvergleich seine Schadenersatzansprüche endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollten und wenn sich dies auch auf die der Nachforderung zugrunde liegende Schadensposition bezieht. Soweit der Geschädigte das Risiko in Kauf nimmt, dass die für die Berechnung des Ausgleichsbetrages maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen und sie sich demgemäß unvorhersehbar positiv oder negativ verändern können, ist ihm die Berufung auf eine Veränderung der Vergleichsgrundlage verwehrt (vgl. Senatsurteile aaO; Jahnke, Abfindung von Personenschadenansprüchen, 2. Aufl., § 2 Rn. 359 ff. m.w.N.).

b) Ob und in welchem Umfang der Geschädigte das Risiko künftiger Veränderungen übernommen hat, ist durch Auslegung der getroffenen Vereinbarung zu ermitteln. Die Auslegung des Abfindungsvergleichs ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa wesentliches Auslegungsmaterial unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden ist, wobei die Auslegung vom Wortlaut auszugehen hat, aber auch der wirkliche Wille der Vertragschließenden zu erforschen und das Gebot einer für beide Seiten interessengerechten Auslegung zu beachten ist (Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 230/01 - VersR 2002, 474 m.w.N.).

c) Das Berufungsgericht geht davon aus, der Kläger habe mit der im Streitfall abgegebenen Erklärung auch das Risiko übernommen, dass die bei Abgabe der Erklärung durch Drittleistungsträger erbrachten Leistungen aufgrund einer Änderung der Gesetzeslage künftig gekürzt werden. Dem ist im Ergebnis für die vorliegende Fallgestaltung zuzustimmen.

aa) Gehen die Vertragspartner einer Abfindungsvereinbarung davon aus, eine bestimmte Drittleistung, wie etwa die dem Kläger aufgrund der unfallbedingten Frühpensionierung zustehende Pension, sei Bestandteil der dem Geschädigten unfallbedingt zufließenden Ausgleichsmittel und muss der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer diese Leistungen sogar im Regresswege erstatten, so kann eine Risikoübernahme durch den Geschädigten unter Umständen durchaus fern liegen. Doch ist dies bei Abgabe einer umfassenden und vorbehaltlosen Abfindungserklärung ein Ausnahmefall, der konkreter Darlegung durch den Geschädigten bedarf.

bb) In der Rechtsprechung ist die Frage, welche Auswirkungen eine Änderung des Umfangs von Sozialleistungen im Hinblick auf eine umfassende Abfindungsvereinbarung hat, bisher nicht einheitlich beantwortet worden. Einerseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage bejaht worden, wenn die Vertragspartner eines Abfindungsvergleichs im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses die Frage des Ersatzes der unfallbedingten Heilbehandlungskosten für nicht regelungsbedürftig, weil durch Leistungen des Sozialversicherungsträgers abgedeckt halten, und später diese Kosten aufgrund einer Änderung des Sozialversicherungsrechts nur noch zu 90 % ersetzt werden; in diesem Fall sei der Abfindungsvergleich derart anzupassen, dass der Schädiger und seine Haftpflichtversicherung den Geschädigten von allen unfallbedingten Heilbehandlungskosten freistellen müssten, soweit sie aufgrund der Gesundheitsreform vom Sozialversicherungsträger nicht mehr bezahlt werden (OLG München, ZfS 1992, 263 f.; dazu kritisch Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 9. Aufl., Rn. 846 Fn. 42). Andererseits ist eine Störung der Geschäftsgrundlage verneint worden, soweit der Geschädigte aufgrund des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Gesundheitsreformgesetzes unfallbedingte Heilbehandlungskosten tragen musste, die von der Krankenkasse nicht mehr übernommen wurden (OLG Koblenz, VersR 1996, 232; kritisch dazu Gerner, VersR 1996, 1080). Ähnlich ist entschieden worden, dass eine umfassende Abfindungsvereinbarung sich im Zweifel auch auf Lohnfortzahlungsansprüche in unfallbedingten Krankheitsfällen erstreckt (OLG Saarbrücken, VersR 1985, 298 f.). Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass im Fall einer umfassenden Abfindungserklärung der Wegfall des Landesblindengeldes nicht zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führe, wird auch von anderen Gerichten vertreten (OLG Oldenburg, 6. Zivilsenat, NJW 2006, 3152 und Urteil vom 30. Juni 2006 - 6 U 48/06 - zitiert nach Juris; LG Osnabrück, NdsRpfl 2006, 216 f.). Auch in der Literatur wird angenommen, dass Änderungen in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Leistungsstrukturen, soweit sie nicht völlig überraschend sind, zum Risikokreis der Abfindungsverhandlungen gehören (Jahnke, aaO, § 2 Rn. 394 f.; Staudinger/Peter Marburger, BGB, Bearb. 2002, § 779 Rn. 59, jeweils m.w.N.).

d) Die Annahme des Berufungsgerichts, im Streitfall habe der Kläger mit der Abfindungserklärung das Risiko des Wegfalls oder einer Kürzung des Landesblindengeldes übernommen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass derjenige, der eine umfassende Abfindungserklärung abgibt, nicht das Risiko des Wegfalls von Sozialleistungen und von bestehenden Renten- bzw. Pensionsansprüchen übernimmt, deren grundsätzliches Fortbestehen auch für die Zukunft im Zeitpunkt des Abfindungsvergleichs nicht in Frage gestanden hat.

aa) Indes gehört das Blindengeld demgegenüber zu den staatlichen bzw. sozialrechtlich gewährten Hilfen im Fall einer Erblindung, wie sie gemäß den einschlägigen Gesetzen der Bundesländer (vgl. etwa Art. 1 Abs. 1 BayBlindG, § 1 Abs. 1 BliHiG BW, § 1 Abs. 1 Nds. LandesblindengeldG, § 1 Abs. 1 GHBG, § 1 Abs. 1 sächs. LBlindG, § 1 Abs. 1 Satz 1 ThürBliGG) und subsidiär im Rahmen der Sozialhilfe (jetzt § 72 SGB XII) gewährt werden. Mit den Leistungen der Blindenhilfe soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden; sie dienen vielmehr in erster Linie der Befriedigung laufender blindheitsspezifischer - auch immaterieller - Bedürfnisse, und zwar ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf (vgl. BSG SozR 3-5922 § 1 Nr. 1 S. 4; 4-5921 Art. 1 Nr. 1 S. 3; BVerwGE 32, 89, 91 f.; 51, 281, 284; zuletzt LSG Baden-Württemberg FEVS 58, 389 ff.). Von daher ist die Überlegung des Berufungsgerichts, es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, eine solche zusätzliche staatliche Leistung werde unabhängig von fiskalischen Notwendigkeiten auf Dauer in voller Höhe gewährt werden, nicht zu beanstanden.

bb) Die mögliche Einschränkung einer solchen Leistung gehört zu den Risiken, die in der Regel mit einer umfassenden Abfindungserklärung übernommen werden. Davon, dass es zu schwerwiegenden Veränderungen im System der öffentlichen Leistungen kommen könnte, ist und war auch im Zeitpunkt der Abgabe der Abfindungserklärung, Ende 2000, auszugehen. Davon, dass ein solcher Vorgang geeignet sein könnte, einen umfassenden, vorbehaltslosen Abfindungsvergleich in Frage zu stellen, darf ein Geschädigter vernünftigerweise nicht ausgehen. Eine dahin gehende Annahme widerspräche auch einer Auslegung, die den Interessen der Parteien in ausreichender Weise gerecht wird.

Es liegt im Wesen eines Abfindungsvergleichs, in dem unter anderem die dem Verletzten geschuldete Verdienstausfallrente kapitalisiert wird, dass er in der Regel mehr ist als eine bloße technische Zusammenfassung zukünftig zu erwartender Renten. Wer als Geschädigter eine Kapitalabfindung wählt, nimmt das Risiko in Kauf, dass die für ihre Berechnung maßgebenden Faktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhen. Seine Entscheidung für die Abfindung wird er in der Regel deswegen treffen, weil es ihm aus welchen Gründen auch immer vorteilhafter erscheint, alsbald einen Kapitalbetrag zur Verfügung zu haben. Dafür verzichtet er auf die Berücksichtigung zukünftiger, ungewisser Veränderungen, soweit sie sich zu seinen Gunsten auswirken könnten. Andererseits will und darf sich der Schädiger darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung die Schadensabwicklung für ihn ein für allemal erledigt ist. Dafür nimmt er bei der Berechnung des zu zahlenden Kapitals auch für ihn bestehende Unsicherheiten hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung in Kauf. Das so zwischen den Parteien gefundene Ergebnis kann deshalb nachträglich nicht mehr in Frage gestellt werden, wenn eine der Vergleichsparteien aufgrund künftiger, nicht voraussehbarer Entwicklungen feststellt, dass ihre Beurteilungen und die Einschätzung der möglichen künftigen Änderungen nicht zutreffend waren (Senatsurteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; Staudinger/Peter Marburger, aaO, m.w.N.).

Diese den Interessen beider Parteien dienende Funktion könnten Abfindungsvergleiche nicht erfüllen, wenn jede Veränderung im Gefüge der Sozialleistungen zu einer Störung der Vergleichsgrundlage führte. Zwar setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage ohnehin eine schwerwiegende Veränderung der zur Vertragsgrundlage gewordenen Umstände voraus (vgl. jetzt § 313 Abs. 1 BGB). Auch auf eine schwerwiegende Veränderung kann sich der Geschädigte - ebenso wie auf der anderen Seite der Schädiger - indes nicht berufen, soweit er das Risiko übernommen hat.

2. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, dass der Kläger im vorliegenden Fall das Risiko eines Wegfalls des Landesblindengeldes in Anbetracht des konkreten Verlaufs der Verhandlungen mit dem beklagten Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht übernommen habe. Aus dem Inhalt der Abfindungserklärung ergibt sich dies nicht; in dem Formular ist lediglich der Bezug des Landesblindengeldes erwähnt. Der Kläger macht auch nicht geltend, dass mündlich ein Vorbehalt besprochen worden sei. Doch könnte sich eine Ausklammerung dieses Risikos aus dem Inhalt der Verhandlungen ergeben.

a) Die Revision macht insoweit geltend: Beide Parteien seien bei den Verhandlungen davon ausgegangen, das Landesblindengeld werde dauerhaft gezahlt, wobei die Beklagte zu 2 ihre direkte Leistungspflicht dadurch als geschmälert angesehen habe, dass sie dem Träger des Landesblindengeldes zur Erstattung verpflichtet gewesen sei. Mit seinerzeit 510 € monatlich habe es sich um einen erheblichen Betrag gehandelt, den die Parteien als festen Mindestbetrag ihren Berechnungen und Verhandlungen zugrunde gelegt hätten. Irgendwelche Zweifel, dass das Landesblindengeld auf Dauer gezahlt werde, hätten die Parteien nicht gehegt.

b) Damit ist nicht ausreichend dargetan, dass das Risiko einer Änderung der Vorschriften über den Bezug des Landesblindengeldes von den Vertragsverhandlungen ausgenommen werden sollte. Dem - von der Beklagten zu 2 bestrittenen - Vortrag ist lediglich zu entnehmen, dass die Parteien davon ausgingen, dem Kläger werde die Drittleistung zufließen und der Versicherer habe sie dem Kostenträger zu erstatten, und dass der Versicherer geltend machte, im Hinblick darauf müsse der Abfindungsbetrag niedriger ausfallen. Dies entspricht dem üblichen Ablauf von Abfindungsverhandlungen, bei denen der Bedarf des Geschädigten abgeschätzt, die ihm im Verhandlungszeitpunkt und wohl auch künftig zufließenden Drittleistungen in Rechnung gestellt und der verbleibende Bedarf zur Grundlage des Abfindungsbetrages gemacht werden; ein weiterer ausschlaggebender Faktor ist die Höhe der immateriellen Entschädigung. Für die endgültige Höhe des Abfindungsbetrages spielen dann die von den Parteien geäußerten Betragsvorstellungen eine wesentliche Rolle, wobei man sich durch die Berücksichtigung unsicherer oder streitiger Positionen der zu vereinbarenden Abfindungssumme nähert.

Ist dieser Betrag gefunden und vereinbart, spielen die in die Verhandlung eingeflossenen Positionen keine Rolle mehr. Darauf, ob die Parteien ihre künftige positive oder negative Veränderung in ihre Vorstellungen einbezogen haben, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, ob es sich um Änderungen handelt, die so überraschend sind, dass sie bei Vergleichsabschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können (Senatsurteil vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO). Eine derartige Änderung hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler verneint.

c) Der Ansicht der Revision, der Abfindungsvergleich sei ergänzend auszulegen, weil eine unbewusste Regelungslücke vorliege, ist nicht zu folgen. Gegenstand des Vergleichs ist die endgültige Abfindung des Klägers unter dessen Verzicht auf Nachforderungen bei einer Änderung der in sein Risiko fallenden Verhältnisse. Insoweit ist alles geregelt, was die Parteien regeln wollten. Das Fehlen einer Vereinbarung in einem regelungsbedürftigen Punkt, welches für eine ergänzende Vertragsauslegung erforderlich ist (BGHZ 84, 1, 7), liegt nicht vor.

3. Ohne Erfolg beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht eine erhebliche Äquivalenzstörung verneint hat. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass die Einschränkungen bei der Leistung der Landesblindenhilfe einen spürbaren Einkommensverlust des Klägers zur Folge haben. Es geht aber zutreffend davon aus, dass die Grenze zur Unzumutbarkeit nicht überschritten und eine Anpassung des Abfindungsvergleichs deshalb nicht angezeigt ist. Soweit die eingetretenen Veränderungen in den Risikobereich fallen, für den der Geschädigte sich als abgefunden erklärt hat, muss dieser grundsätzlich auch bei erheblichen Opfern, die sich später herausstellen, die Folgen tragen (Senatsurteile vom 12. Juli 1983 - VI ZR 176/81 - aaO; vom 19. Juni 1990 - VI ZR 255/89 - aaO).

Ohne Rechtsfehler stellt das Berufungsgericht insoweit u.a. darauf ab, dass der Kläger eine Pension bezieht, die die Revision mit 1.400 € beziffert. Der Kläger, dem der nicht unerhebliche Kapitalbetrag von 750.000 DM zugeflossen ist, ist also nicht ohne laufendes Einkommen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht insoweit auch darauf verwiesen hat, dass es dem Kläger gelungen ist, wieder beruflich tätig zu werden. Der Vortrag der Revision, diese Einnahmen beliefen sich auf lediglich 613,50 € netto, wovon noch die Kosten eines häuslichen Büros zu zahlen seien, stellt die Wertung des Berufungsgerichts nicht in Frage. Es geht hier lediglich darum, ob eine erhebliche Äquivalenzstörung vorliegt, die eine Anpassung des Vergleichs erfordert. Insoweit muss die weitere berufliche Entwicklung des Geschädigten entgegen der Ansicht der Revision nicht außer Betracht bleiben. Darauf, ob - wie die Revisionserwiderung geltend macht - die neue berufliche Tätigkeit dem Kläger nur aufgrund einer Umschulung möglich ist, für die die Beklagte zu 2 mit 25.000 € in Regress genommen wurde, kommt es dabei nicht an. Für die Gesamtabwägung ist allerdings noch zu berücksichtigen, dass das Landesblindengeld letztlich nicht vollständig weggefallen ist, es vielmehr für ein Jahr von monatlich 510 € auf 409 € reduziert wurde, es dann zwei Jahre nicht bezahlt wurde und seine Zahlung nunmehr in Höhe von 220 € monatlich erfolgt. Bei Berücksichtigung all dieser Umstände ist eine erhebliche Äquivalenzstörung im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu verneinen.


III.

Die Revision muss danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.