Das Verkehrslexikon
BGH Beschluss vom 14.10.2008 - VI ZB 16/08 - Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens zur Unfallursächlichkeit von geltend gemachten Fahrzeugschäden
BGH v. 14.10.2008: Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines vorgerichtlichen Sachverständigengutachtens zur Unfallursächlichkeit von geltend gemachten Fahrzeugschäden
Der BGH (Beschluss vom 14.10.2008 - VI ZB 16/08) hat entschieden:
Ein Anspruch auf Erstattung von Kosten eines vorprozessual beauftragten Privatsachverständigen kann auch dann bestehen, wenn bei Erteilung des Gutachtensauftrags ausreichende Anhaltspunkte für einen versuchten Versicherungsbetrug gegeben waren und das im Einzelnen nicht angegriffene Gutachten aufzeigt, dass Ersatz von Schäden begehrt wurde, die durch den Unfall nicht entstanden sein können.
Siehe auch Gutachterkosten und Zur Kostenerstattung für Privatgutachten, die in das Verfahren eingebracht oder nicht eingebracht wurden
Gründe:
I.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1 sei am 28. April 2006 mit einem Pkw VW Passat (Fahrleistung ca. 199.000 km, annähernd neun Jahre alt) auf den Pkw Mercedes Benz des Klägers aufgefahren. Er hat mit Anwaltsschreiben vom 11. Mai 2006 der Beklagten zu 2, dem Haftpflichtversicherer des vom Beklagten zu 1 gefahrenen Fahrzeugs, die Kopie einer vom Beklagten zu 1 handschriftlich gefertigten Erklärung mit Datum des Unfalltages vorgelegt, mit welcher der Beklagte zu 1 bestätigt hat, den Unfall verursacht zu haben. Die Unfallbeteiligten hatten auf eine polizeiliche Unfallaufnahme verzichtet. Unbeteiligte Zeugen gab es nicht. Die Halterin des VW Passats hatte die Prämie für die etwa 2½ Monate zuvor abgeschlossene Haftpflichtversicherung bis dahin nicht bezahlt.
Auf der Grundlage eines außergerichtlichen Gutachtens begehrte der Kläger Erstattung von Reparaturkosten für den Mercedes Benz in Höhe von 12.306,61 € nebst den Kosten für das Gutachten von 1.042,76 € und einer Auslagenpauschale von 25 €. Mit Anwaltsschreiben vom 1. Juni 2006 verlangte er ferner die Zahlung einer Nutzungsentschädigung von 1.638 €.
Weil die Beklagte zu 2 den Verdacht hegte, es könne ein versuchter Versicherungsbetrug vorliegen, beauftragte sie am 2. Juni 2006 ihrerseits einen Sachverständigen mit der Prüfung, ob die vom Kläger geltend gemachten Beschädigungen an seinem Pkw durch den Unfall verursacht worden sein könnten. In seinem Gutachten vom 25. Juli 2006 kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass ein Auffahren des Passats auf den Mercedes des Klägers nicht ausgeschlossen werden könne. Es sei aber unmöglich, dass sämtliche Schäden, die in dem Gutachten des Klägers als unfallbedingt aufgeführt seien, durch den behaupteten Auffahrunfall verursacht worden seien. Darauf teilte die Beklagte zu 2 dem Kläger mit Schreiben vom 4. August 2006 mit, dass sie die von ihm gestellten Ansprüche zurückweise und außergerichtlich keine Zahlungen leisten werde.
Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2006 erhob der Kläger Klage auf Ersatz seines Schadens zum Landgericht Leipzig. Die Beklagte zu 2 beantragte unter Berufung auf das von ihr eingeholte Privatgutachten Klageabweisung. Im Hinblick auf den von ihm zu erbringenden Kostenvorschuss nahm der Kläger die Klage zurück. Das Landgericht legte dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auf.
Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31. Juli 2007 hat die Rechtspflegerin auch die Kosten des vorprozessual von der Beklagten zu 2 eingeholten Gutachtens in Höhe von 769,34 € gegen den Kläger festgesetzt. Mit seiner sofortigen Beschwerde hat der Kläger eingewendet, die Kosten dieses Gutachtens seien nicht erstattungsfähig, weil die Beklagte zu 2 das Gutachten in Auftrag gegeben und erhalten habe, bevor eine Klage auch nur angedroht gewesen sei. Das Gutachten sei nicht prozessbezogen, seine Richtigkeit habe die Beklagte zu 2 nicht bewiesen. Der Sachverständige habe nicht ausschließen können, dass die Beschädigungen durch den Unfall verursacht worden seien. Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Das Beschwerdegericht, dem der Einzelrichter die Sache zur Entscheidung übertragen hat, hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Ansicht, die Sachverständigenkosten seien im Kostenfestsetzungsverfahren in voller Höhe festzusetzen, im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger müsse nach Rücknahme der Klage die dem Gegner erwachsenen Kosten des Rechtsstreits erstatten. Zwar könnten die Kosten vorprozessual erstatteter Privatgutachten nur dann ausnahmsweise Kosten des Rechtsstreits sein, wenn das Gutachten prozessbezogen eingeholt worden sei. Eine derartige Prozessbezogenheit sei anzunehmen, wenn der an der Rechtmäßigkeit eines Schadensersatzverlangens zweifelnde Haftpflichtversicherer sein Gutachten zu einem Zeitpunkt in Auftrag gegeben habe, zu dem die Klage bereits angedroht gewesen sei oder wenn das Gutachten nach Klageandrohung erstattet worden sei. Ausnahmsweise seien die Kosten eines Gutachtens auch unabhängig von einer ausdrücklichen Klageandrohung dann zu erstatten, wenn sich der Verdacht auf einen Versicherungsbetrug aufgedrängt habe. Dem in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer bleibe, wenn andere Erkenntnismöglichkeiten fehlten, nur ein Gutachten zur Überprüfung der Plausibilität des behaupteten Unfallhergangs und der dadurch angeblich verursachten Schäden, um einen Rechtsstreit zu vermeiden. Der Auftrag an den Sachverständigen sei notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gewesen, weil eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Maßnahme ex ante als sachdienlich habe ansehen dürfen. Die Beklagte zu 2 habe aufgrund des Vortrags des Klägers berechtigte Zweifel an dem geschilderten Unfallablauf und an der Höhe des geltend gemachten Schadens gehabt und keine ausreichende Sachkenntnis besessen, um eine Verursachung der Schäden durch den Unfall auszuschließen. Es sei daher zweckmäßig gewesen, sich beraten zu lassen. Darauf, ob das Gutachten den Verdacht bestätigt habe, komme es nicht an. Entscheidend sei die objektive Erforderlichkeit und Eignung aus der Sicht der Partei, die hier anzunehmen seien. Zudem habe der Sachverständige festgestellt, dass jedenfalls ein Großteil der Schäden nicht durch den behaupteten Unfall verursacht worden sei.
2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist zwar statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 104 Abs. 3, 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§§ 575, 551 Abs. 2 Satz 5, 577 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BGHZ 153, 235 ff.; Beschlüsse vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05 - VersR 2006, 1236 f. und vom 4. März 2008 - VI ZB 72/06 - VersR 2008, 801 f.) können die Kosten für ein vorprozessual erstattetes Privatgutachten nur ausnahmsweise als "Kosten des Rechtsstreits" im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO angesehen werden. Insoweit genügt es nicht, wenn das Gutachten irgendwann in einem Rechtsstreit verwendet wird, sondern das Gutachten muss sich auf den konkreten Rechtsstreit beziehen und gerade mit Rücksicht auf den konkreten Prozess in Auftrag gegeben worden sein. Deshalb sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor der Rechtsstreit sich einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig.
Damit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dabei entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein grundsätzlich nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen.
b) Der erkennende Senat hat bisher die umstrittene Frage offen gelassen, ob für die Annahme der Prozessbezogenheit schon ein sachlicher Zusammenhang zwischen Gutachten und Rechtsstreit ausreichend ist (vgl. OLG Frankfurt/Main OLGR 2000, 11 f.; OLG Hamburg MDR 1992, 194 f.), ob zusätzlich ein enger zeitlicher Zusammenhang erforderlich ist (vgl. OLG Hamburg JurBüro 1988, 761 f.; JurBüro 1990, 1468, 1469; JurBüro 1991, 1105, 1106; OLG Hamm OLGR 1994, 142 f.; Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl., § 91 Rn. 59; ablehnend Mümmler JurBüro 1988, 762) oder ein langer zeitlicher Zwischenraum sogar ein Indiz für das Fehlen eines sachlichen Zusammenhangs (vgl. OLG München JurBüro 1992, 172 f.; OLG Koblenz VersR 2007, 1100, 1101) ist. Die Frage ist auch jetzt nicht zu entscheiden.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats und der Oberlandesgerichte wird nämlich eine die Erstattungsfähigkeit auslösende Prozessbezogenheit trotz Fehlens eines engen zeitlichen Zusammenhangs in den Fällen bejaht, in denen sich der Verdacht eines Versicherungsbetrugs aufdrängt, weil sich der Versicherer dann von vornherein auf einen Deckungsprozess einstellen muss (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02 - VersR 2003, 481, 482; KG JurBüro 1989, 813; OLG Brandenburg VersR 2006, 287, 288; OLG Frankfurt VersR 1996, 122; OLG Karlsruhe VersR 2004, 931, 932; OLG Köln VersR 2004, 803; OLG Hamburg JurBüro 1989, 819 und JurBüro 1991, 1105, 1106; OLG Hamm zfs 2003, 145; OLG Koblenz VersR 2004, 933 und JurBüro 2006, 543 f., sowie die oben genannten Stimmen in der Literatur; a.A. OLG Karlsruhe JurBüro 2005, 656). Sind ausreichende Anhaltspunkte für den Versuch eines Versicherungsbetrugs vorhanden, ist von Anfang an damit zu rechnen, dass es zum Prozess kommen wird, weil der Täter bei Ablehnung der Einstandspflicht versuchen wird, sein Ziel einer nicht gerechtfertigten Schadensregulierung auch durch einen Rechtsstreit zu erreichen. In einem solchen Fall ist das Privatgutachten - unabhängig von einer ausreichenden zeitlichen Nähe zum Rechtsstreit - regelmäßig als prozessbezogen anzusehen. Die Kosten hierfür sind daher im Rahmen der Bestimmungen auch dann erstattungsfähig, wenn ein Verlust von Beweismitteln nicht zu besorgen ist. Der Versicherer besitzt nämlich in der Regel selbst nicht die erforderliche Sachkenntnis, um eine Verursachung der Schäden durch eine Straftat mit hinreichender Überzeugungskraft und Sicherheit auszuschließen. Er kann deshalb billigerweise nicht darauf verwiesen werden, zunächst die Einholung eines Gutachtens durch das Gericht abzuwarten. Vielmehr ist es in einem solchen Fall zweckmäßig und prozessökonomisch, wenn die Partei sich sachkundig beraten lässt, ehe sie vorträgt.
Im hier zu entscheidenden Fall hat das eingeholte Gutachten den Versuch eines Versicherungsbetrugs bestätigt. Der Kläger hat nämlich auch Schadenspositionen als unfallbedingt abgerechnet, die durch den behaupteten Unfallhergang nicht entstanden sein können. Der Kläger hat sich zwar gegen dieses Gutachten gewendet, es aber nicht mit Einwendungen im Einzelnen entkräftet, sondern "aus Kostengründen" die Klage zurückgenommen.
3. Nach allem ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen mit der Kostenfolge aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.