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OLG Koblenz Urteil vom 04.02.2005 - 10 U 1561/0 - Zur Begründung einer Repräsentantenstellung in der Kaskoversicherung
OLG Koblenz v. 04.02.2005: Zu den Anforderungen an die Begründung einer Repräsentantenstellung in der Kaskoversicherung
Das OLG Koblenz (Urteil vom 04.02.2005 - 10 U 1561/03) hat entschieden:
Für eine Repräsentanteneigenschaft und Übernahme einer Risikoverwaltung reicht es nicht aus, dass in dem Antrag auf Abschluss der Kraftfahrtversicherung und in der Schadensanzeige die Tochter des Versicherungsnehmers als Halterin des Fahrzeuges angegeben, das Fahrzeug überwiegend, allerdings nicht ausschließlich von ihr gefahren wird. Aus der bloßen Überlassung der Obhut über das Fahrzeug lässt sich kein Anscheinsbeweis für eine Übernahme der Risikoverwaltung begründen (Senat, 20. November 1998, 10 U 1428/97, NJW-RR 1999, 526 = NVersZ 1999, 482 = VersR 1999, 1231; vgl. für den selbstständigen Handelsvertreter Senat, 22. Dezember 2000, 10 U 508/00, NVersZ 2001, 325 = VersR 2001, 1507 = OLG-Report 2001, 353).
Siehe auch Repräsentantenstellung und Unfallflucht und Kfz-Versicherung
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten aus Vollkaskoversicherung in Anspruch.
Am 22.03.1998 wurde der bei dem Beklagten versicherte PKW VW Polo des Klägers (Versicherungsnehmer) bei einem Unfall total beschädigt, abzüglich Restwert und Selbstbeteiligung vom Wiederbeschaffungswert verblieb ein vom Kläger geltend gemachter Schaden in Höhe von 19.500,00 DM.
Am Abend des 21.03.1998, einem Samstag, war die Tochter des Klägers mit dem PKW zu einer Schlagerparty in O gefahren. Am frühen Sonntagmorgen gegen 04:15 Uhr erhielt die Polizei eine Unfallmeldung und fand an der angegebenen Unfallstelle auf der L … zwischen N und V den schwer beschädigten VW Polo vor, neben dem in Höhe der Beifahrertür die verletzte Tochter des Klägers lag, die vom bereits anwesenden Notarzt versorgt wurde. Auf direktes Befragen der Polizeibeamten gab die Tochter zunächst an, ihr Freund T G habe den PKW gefahren. Nachdem die Polizeibeamten Herrn G aufgesucht und von ihm die Erklärung erhalten hatten, die beiden hätten sich vor ca. 2 Jahren getrennt und seither keinen Kontakt mehr gehabt, und bei Herrn G auch keinerlei Unfallverletzungen festgestellt werden konnten, befragten sie die Tochter des Klägers erneut im Krankenhaus und erhielten nun die Auskunft, sie sei sich sicher, dass ihre Bekannte N R den PKW zum Unfallzeitpunkt gesteuert habe. Auch diese Angabe erwies sich später als nicht zutreffend.
Eine der Tochter des Klägers um 06:25 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Alkoholkonzentration von 1,3 Promille. Eine Rückrechnung auf den mit „4:50 Uhr“ angegebenen Zeitpunkt des Unfalls ergab mindestens 1,45 und höchstens 1,82 Promille.
Im Zuge des gegen die Tochter des Klägers eingeleiteten Ermittlungsverfahrens - 4 Js 2987.8/98- StA Limburg - wegen Trunkenheitsfahrt wurde vom Verteidiger ein Schreiben des Dr. A vom 14.05.1998 vorgelegt (GA 48 f.), in dem die Unfallverletzungen der Tochter des Klägers im Einzelnen beschrieben sind und weiter vermerkt ist, dass wegen der Frage einer möglichen Gurtverletzung eine besondere Untersuchung stattgefunden habe und an der rechten Halsseite eine schräg von rechts oben nach links unten verlaufende streifenförmige Prellmarke festgestellt worden sei, die genau der Gurtbreite entspreche; die knöchernen Verletzungen der Querfortsätze des 1. und 2. Brustwirbelkörpers sowie der laterale Schlüsselbeinbruch sprächen aus ärztlicher Sicht zweifelsfrei dafür, dass die Patientin Beifahrerin gewesen sei. Im von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten vom 31.07.1998 (GA 57 ff ) kam dagegen der Sachverständige Dipl.-Ing. G nach technischer Untersuchung des wahrscheinlichen Unfallablaufs und insbesondere des Beifahrergurts zu dem Ergebnis, dass am Beifahrergurt keinerlei Benutzungsspuren feststellbar seien, solche aber in Anbetracht der erlittenen Verletzungen hätten vorliegen müssen. Die Schlussfolgerung aus dem Arztbericht, dass die Tochter des Klägers mit dem Beifahrergurt angeschnallt gewesen sei, könne also nicht bestätigt werden. Nachdem der Verteidiger das Gutachten Herrn Dr. A zur Stellungnahme zugeleitet hatte, führte dieser im Schreiben vom 07.09.1998 (GA 109 f.) aus, dass nach dem klinischen Bild ohne genauere Kenntnis des Unfallherganges und Dokumentation des Fahrzeugzustandes davon ausgegangen worden sei, dass die Prellmarke vom Beifahrergurt stamme; da laut Gutachten wohl einwandfrei feststehe, dass der Beifahrergurt nicht benutzt worden sei und der technische Sachverständige eine gravierende Rotationsphase des Fahrzeugs schildere, bei der der Fahrer zur Beifahrerseite hin geschleudert worden sei, sei das Verletzungsmuster im Bereich der Prellmarken der rechten Halsseite möglicherweise auf einen Zusammenprall der rechten Körperseite mit der Beifahrerlehne zu erklären. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Weilburg wurden unter anderem auch die Herren Dipl.-Ing. G und Dr. A vernommen. Die Tochter des Klägers wurde schließlich vom Vorwurf der Trunkenheitsfahrt freigesprochen. Im Urteil (GA 158 f.) wird zur Begründung ausgeführt, dass „zwischen den beiden Sachverständigen ... derartige Unterschiede“ beständen, die nicht aufklärbar gewesen seien und deshalb zu Gunsten der Angeklagten davon auszugehen sei, dass nicht sie, sondern eine unbekannt gebliebene dritte Person den PKW im Unfallzeitpunkt gesteuert habe. Im Übrigen sei die Angeklagte durch das Strafverfahren und die erlittenen Verletzungen schon hinreichend gemaßregelt, so dass auch für den Fall, dass sie den PKW doch selbst gefahren hätte, eine weitere Maßregel entbehrlich wäre.
Der Kläger hat vorgetragen, seine Tochter könne sich auf Grund einer Amnesie im Zusammenhang mit den beim Unfall erlittenen Verletzungen an die Zeit unmittelbar vor dem Unfall nicht erinnern. Es sei aber insbesondere wegen der festgestellten Prellmarke davon auszugehen, dass sie selbst als angeschnallte Beifahrerin im Auto gesessen habe, als der Unfall passiert sei. Das technische Gutachten sei keinesfalls überzeugend. Jedenfalls könne nicht unterstellt werden, dass die Tochter des Klägers in alkoholisiertem Zustand den PKW gefahren habe.
Im Verhandlungstermin vom 30.05.00 erschien für den Beklagten niemand. Auf Antrag des Klägers erging Versäumnisurteil, in dem der Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger 19.500,00 DM nebst Zinsen zu zahlen. Gegen das Versäumnisurteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten mit der Maßgabe, dass Zahlung in Euro verlangt werde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, ihre Leistungsfreiheit folge bereits aus dem Umstand, dass die Tochter des Klägers als dessen Repräsentantin bewusst falsche Angaben dazu gemacht habe, welche Person den PKW im Unfallzeitpunkt gesteuert habe. Jedenfalls stehe aber nach den Feststellungen des technischen Sachverständigen fest, dass der Beifahrergurt nicht benutzt worden sei und die Tochter in Anbetracht der erlittenen Verletzungen selbst unangeschnallte Fahrerin des PKW gewesen sein müsse, die durch die Rotationsbewegung des PKW’s nach der Kollision mit dem Baum herausgeschleudert worden sei. Der Unfall sei somit allein auf den infolge der festgestellten Alkoholisierung verkehrsuntüchtigen Zustand der Fahrerin des klägerischen PKW zurückzuführen.
Das Landgericht hat nach umfangreicher Beweisaufnahme unter Aufhebung des zuvor ergangenen Versäumnisurteils die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung, weil der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt worden sei (§ 61 VVG). Zwar könne man der Tochter als Repräsentantin des Klägers keine Obliegenheitsverletzung wegen bewusster Falschangaben vorwerfen, da aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. S nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei der Tochter des Klägers infolge des Unfallereignisses eine Gehirnerschütterung mit relativ langer retrograder und anterograder Amnesie nach kurzeitiger Bewusstlosigkeit vorgelegen habe. Zudem sei die Tochter zum Unfallzeitpunkt erheblich alkoholisiert gewesen. Jedoch stehe nach Durchführung der Beweisaufnahme fest, dass die Tochter des Klägers den PKW VW Polo unmittelbar vor dem Unfall selbst gefahren habe, obwohl sie in Folge übermäßigen Alkoholkonsums nicht mehr verkehrstüchtig gewesen sei, und dass der Unfall durch Abkommen von einer geraden Straße ohne erkennbare Fremdeinwirkung auf diese Fahruntüchtigkeit zurückzuführen sei. Dies habe die vom Gutachter durchgeführte MADYMO-Simulation (Simulationsprogramm für Mehrkörpersysteme) ergeben.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Er trägt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens vor, seine Tochter habe den PKW zum Unfallzeitpunkt nicht gefahren.
Der Vorsitzende des Senats hat mit prozessleitender Verfügung vom 23.03.2004 darauf hingewiesen, dass Anlass bestehe, zur Frage der Repräsentantenhaftung vorzutragen. Der Kläger hat darauf hin hierzu ergänzend vorgetragen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
unter Abänderung des angegriffenen Urteils das Versäumnisurteil des Landgerichts Mainz vom 30.5.2000 aufrechtzuerhalten, mit der Maßgabe, dass Zahlung in Euro zu zahlen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das angefochtene Urteil zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die angegriffene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Die Tochter des Klägers sei zum Zeitpunkt der Kollision erheblich alkoholisiert gewesen und habe das Fahrzeug selbst gefahren. Es sei deshalb Leistungsbefreiung wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls eingetreten. Die Tochter des Klägers sei als Fahrzeughalterin als dessen Repräsentantin anzusehen.
II.
Die Berufung ist begründet.
Das Landgericht hat zu Unrecht die Klage unter Aufhebung des zuvor ergangenen Versäumnisurteils abgewiesen. Der Beklagte ist nicht gemäß § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei geworden. Da der Kläger unstreitig das Fahrzeug selbst nicht geführt hat, kommt eine Einstandspflicht für ein etwaiges Fehlverhalten seiner Tochter nur in Betracht, wenn diese dessen Repräsentantin war.
Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Die bloße Überlassung der Obhut über die versicherte Sache allein reicht hierfür grundsätzlich nicht aus. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). Es braucht nicht noch hinzutreten, dass der Dritte auch Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen hat. Übt der Dritte aber aufgrund eines Vertrags- oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des Versicherungsvertrages eigenverantwortlich aus, kann dies unabhängig von einer Übergabe der versicherten Sache für seine Repräsentantenstellung sprechen (in Anknüpfung an BGHZ 122, 250,252 ff. = VersR 1993, 828 ,829; BGH VersR 1996, 1229,1230 = NJW 1996, 2935,2936; Senatsurteile vom 20. November 1998 - 10 U 1428/97 - NJW-RR 1999, 536 = NVersZ 1999, 482 = VersR 1999, 1231 und vom 22.12.2000 – 10 U 508/00 - NVersZ 2001, 325 = OLGR 2001, 353 = VersR 2001, 1507; vom 12. März 2004 - 10 U 550/03 - r+s 2004, 279 = zfS 2004, 367 = OLGR 2004, 560).
Der Versicherer ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, aus denen auf eine Übernahme der Risikoverwaltung seitens der Tochter geschlossen werden kann. Es gibt zunächst keinen Anscheinsbeweis dafür, dass der Tochter des Klägers allein aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses die Risikoverwaltung für das versicherte Fahrzeug übertragen worden ist. Auch lässt sich aus der bloßen Überlassung der Obhut über das Fahrzeug kein Anscheinsbeweis für eine Übernahme der Risikoverwaltung begründen (Senatsurteil NJW-RR 1999, 536 = NVersZ 1999, 482 = VersR 1999, 1231; vgl. für den selbständigen Handelsvertreter z.B. Senatsurteil NVersZ 2001, 325 = VersR 2001, 1507 = OLGR 2001, 353).
Der Kläger hat auf die prozessleitende Verfügung des Vorsitzenden hinsichtlich der Frage der Repräsentantenhaftung ergänzend ausgeführt, seine Tochter sei nicht Repräsentantin gewesen. Halter und Eigentümer des unfallbeteiligten Fahrzeuges sei er, der Kläger, selbst gewesen. Der PKW sei noch während der Ausbildungszeit der Tochter des Klägers angeschafft und dieser lediglich zur Nutzung überlassen worden. Das Fahrzeug sei auch nicht ausschließlich durch seine Tochter, sondern auch durch dessen Ehefrau mit benutzt worden. Er habe das Fahrzeug für sich selbst bei dem Beklagten versichert und auch die Versicherungsbeiträge gezahlt. Er habe die notwendigen Reparaturen und Service-Maßnahmen (Inspektion, Ölwechsel, pp.) bezahlt. Er habe ferner das Fahrzeug saisonbedingt mit der dafür notwendigen Bereifung bestückt und seine Tochter auch mit Geldleistungen unterstützt, damit diese das Fahrzeug habe betanken können.
Der Beklagte hat diese Angaben lediglich bestritten, ohne ihrerseits hinreichend darzulegen und zu beweisen, woraus sich die Repräsentanteneigenschaft der Tochter des Klägers ergeben soll. Dass das Fahrzeug ausschließlich der Risikoverwaltung der Tochter zugeordnet war, lässt sich dem Vortrag des Beklagten nicht entnehmen. Soweit der Beklagte sich darauf stützt, dass in dem Antrag auf Abschluss der Kraftfahrtversicherung vom 7.10.1997 (GA 467) und in der Schadensanzeige vom 25.3.1998 (GA 460) als Halterin des Fahrzeuges die Tochter angeben sei, reicht dies für die Begründung einer Repräsentantenhaftung allein nicht aus, auch wenn sich aus dem Antrag zusätzlich ergibt, dass das Fahrzeug überwiegend von der Tochter gefahren wird. Der Schadensanzeige lässt sich auch entnehmen, dass der Kläger im Besitz des Kfz-Briefes ist, was dafür spricht, dass er Eigentümer des Fahrzeugs ist und die Risikoverwaltung für das Fahrzeug hatte.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Repräsentantenstellung der Tochter des Klägers in erster Instanz nicht unstreitig gewesen. Vielmehr ist aufgrund des Akteninhalts davon auszugehen, dass die Problematik der Repräsentantenhaftung in erster Instanz nicht gesehen wurde.
Auf die Berufung war das angegriffene Urteil abzuändern und das ursprüngliche Versäumnisurteil gegen den Beklagten wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 9.970,19 € (19.500 DM) festgesetzt.