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Amtsgericht Wolfenbüttel Urteil vom 02.03.2007 - 17 C 85/06 - Zur Alleinhaftung des die Linkskurve schneidenden Wartepflichtigen an einer Rechts-vor-Links-Einmündung
AG Wolfenbüttel v. 02.03.2007: Zur Alleinhaftung des die Linkskurve schneidenden Wartepflichtigen an einer Rechts-vor-Links-Einmündung
Das Amtsgericht Wolfenbüttel (Urteil vom 02.03.2007 - 17 C 85/06) hat entschieden:
- Wer beim Linksabbiegen trotz Vorfahrt eine Kurve schneidet, verstößt gegen das Rechtsfahrgebot nach § 3 Abs. 2 StVO.
- Der Führer eines Vorfahrt gewährenden Fahrzeugs an einer "Rechts-vor-Links-Einmündung" darf darauf vertrauen, dass ein linksabbiegender Vorfahrtsberechtigter nicht die Fahrbahn schneidet.
Siehe auch Schneiden von Kurven und Rechtsfahrgebot
Tatbestand:
Der Kläger und die Beklagte zu 1) machen wechselseitig Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.
Der Verkehrsunfall ereignete sich am 17.11.2005 in W.
An dem Unfall beteiligt war ein Fahrzeug des Klägers, welches zum Unfallzeitpunkt von der Drittwiderbeklagten zu 2) gefahren wurde und welches zum Unfallzeitpunkt bei der Drittwiderbeklagten zu 3) pflichtversichert war.
Das weitere unfallbeteiligte Fahrzeug gehört Herrn ... . Zum Unfallzeitpunkt wurde es gefahren von der Beklagten zu 1) und war versichert bei der Beklagten zu 2).
Herr ... hat alle Ansprüche aus dem Unfall an die Beklagte zu 1) abgetreten, die die Abtretung angenommen hat.
Der Unfall ereignete sich wie folgt:
Die Drittwiderbeklagte zu 2) fuhr die Straße "A" entlang. Sie näherte sich einer Rechts-vor-Links-Einmündung. Vor dieser Einmündung befindet sich eine größere Hecke, die die Sicht einschränkt. Aus ihrer Sicht von rechts kam die Beklagte zu 1), die beim Linksabbiegen nicht die rechte Spur hielt, es kam zur Kollision der Fahrzeuge. Das klägerische Fahrzeug war zum Kollisionszeitpunkt noch in Bewegung. Die Kollision ereignete sich nicht im Einmündungsbereich. Die Beklagte zu 1) fuhr vor der Kollision ca. 25 km/h, die Drittwiderbeklagte zu 2) ca. 20 km/h.
Der Kläger verlangt Reparaturkosten, eine Auslagenpauschale, Fahrtkosten und Rechtsanwaltskosten zu 100 % erstattet.
Die Beklagte zu 2) zahlte vorprozessual 50 % auf die Reparaturkosten und die Auslagenpauschale (1.303,05 Euro) und 181,54 Euro Rechtsanwaltskosten.
Die Begleichung von Fahrtkosten lehnte sie ab.
Die Beklagte zu 1) verlangt aus abgetretenem Recht Reparaturkosten, Auslagenpauschale und Mietwagenkosten zu 50 % erstattet.
Der Kläger ist der Auffassung, der Unfall sei für die Drittwiderbeklagte zu 2) unabwendbar gewesen.
Der Kläger beantragt zuletzt unter Teilrücknahme im Übrigen,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.389,44 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit dem 29.11.2005 zu zahlen und
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen die außergerichtlichen Kosten des Klägers in Höhe von 63,34 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie sind der Auffassung, eine Haftungsquote von 50 % sei angemessen.
Die Beklagte zu 1) beantragt deshalb widerklagend,
den Widerbeklagten und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Beklagte zu 1) und Widerklägerin 2.271,29 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2006 zu zahlen.
Der Kläger und die Drittwiderbeklagten beantragen,
die Widerklage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 08.09.2006 (Bl. 152 d. A.).
Auf das Gutachten vom 16.11.2006 (Bl. 169 ff d. A.) und die Anhörung des Sachverständigen vom 06.02.2007 (Bl. 196 ff d. A.) wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist in ausgeurteilter Höhe begründet, im Übrigen unbegründet.
Die Widerklage ist unbegründet.
Der Kläger kann von den Beklagten aus den §§ 823 I BGB, 18 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz 100 % des erstattungsfähigen Schadens ersetzt verlangen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall allein von der Beklagten zu 1) verschuldet und verursacht wurde und darüber hinaus der Unfall für die Drittwiderbeklagte zu 2) unabwendbar war.
Die Beklagte zu 1) hat sich fahrlässig verhalten, indem sie gegen das Rechtsfahrgebot verstieß, § 3 II StVO.
Die Beklagte zu 1) handelte besonders pflichtwidrig, da sie die Kurve an einer unübersichtlichen Kreuzung beim Linksabbiegen schnitt.
Die Drittwiderbeklagte zu 2) hat sich hingegen nicht fahrlässig verhalten.
Nach dem unstreitig gestellten Vortrag der Parteien missachtete die Drittwiderbeklagte zu 2) nicht die Vorfahrt der Beklagten zu 1). Der Unfall ereignete sich unstreitig nicht im Einmündungsbereich der Kreuzung. Von daher kann ein Vorfahrtsverstoß nicht angenommen werden.
Die Drittwiderbeklagte zu 2) verhielt sich auch nicht dadurch pflichtwidrig, dass sie zu schnell fuhr.
Nach dem unstreitig gestellten Vortrag hat sie sich der Kreuzung mit ca. 20 km/h angenähert.
Der Sachverständige, dessen Ausführungen sich das Gericht nach eigener Überzeugung anschließt, hat die von den beteiligten Fahrerinnen angegebenen Geschwindigkeiten als plausibel und nachvollziehbar bezeichnet, insbesondere im Hinblick auf die Unfallspuren.
Danach steht fest, dass die Drittwiderbeklagte zu 2) mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfuhr.
Dabei musste sie auch nicht damit rechnen, dass sich ein entgegenkommendes Fahrzeug (mit einer ins Gewicht fallenden Geschwindigkeit) verkehrswidrig auf sie zu bewegen würde (Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Auflage, § 3 Rnd.-Nr. 14). Es ist anerkannt, dass der Wartepflichtige auch darauf vertrauen darf, dass ihn ein linksabbiegender Berechtigter nicht auf seiner Fahrbahn schneidet (aaO, § 8, Rnd. Nr. 54 a).
Es ist auch festgestellt, dass durch das Bremsmanöver der Drittwiderbeklagten zu 2) der Unfall hätte vermieden werden können, wenn die Beklagte zu 1) sich nicht grob verkehrswidrig verhalten hätte. Nach dem Sachverständigengutachten steht auch fest, dass die Drittwiderbeklagte zu 2) angemessen reagiert hat in dem Moment, als das Fahrzeug der Beklagten zu 1) erstmals überhaupt sichtbar war.
Der Drittwiderbeklagten zu 2) ist daher kein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen.
Aus dieser – auf Seiten der Drittwiderbeklagten zu 2) nicht zu beanstandenden – Fahrweise war der Unfall für die Drittwiderbeklagte zu 2) auch unvermeidbar.
Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt daher zurück.
Der Kläger kann daher Ersatz des ihm entstandenen Schadens in voller Höhe verlangen, jedoch nur, soweit der Schaden erstattungsfähig ist.
Dem Kläger waren daher die restlichen 50 % der unstreitigen Reparaturkosten und der Auslagenpauschale zuzusprechen.
Hinsichtlich der weiter geltend gemachten Fahrtkosten war die Klage allerdings abzuweisen, da der Kläger bereits unstreitig eine Auslagenpauschale erhalten hat.
Mit der Auslagenpauschale sind aber auch Fahrtkosten abgegolten (Palandt – Heinrichs, BGB, § 249 Rnd.-Nr. 43).
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind erstattungsfähig aus §§ 280, 286 BGB, die Zinsen aus §§ 280, 286, 288 BGB.
Ansprüche der Beklagten zu 1) aus abgetretenem Recht aus §§ 823 I BGB, 7, 18 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz bestehen nicht aus den vorgenannte Gründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO. Der bezüglich der Widerklage vorgenommene Parteiwechsel hat sich kostenmäßig nicht ausgewirkt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Für den Gegenstandswert waren die Werte von Klage und Widerklage zu addieren.