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OLG Brandenburg Urteil vom 04.11.2010 - 12 U 87/10 - Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei leichten Verletzungen und zur Höhe der Geschäftsgebühr bei der Unfallschadenregulierung

OLG Brandenburg v. 04.11.2010: Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei leichten Verletzungen und zur Höhe der Geschäftsgebühr bei der Unfallschadenregulierung


Das OLG Brandenburg (Urteil vom 04.11.2010 - 12 U 87/10) hat entschieden:

  1.  Das Zusammentreffen mehrerer leichter alltäglicher Verletzungen (hier: eine Schädelprellung, ein HWS-Schleudertrauma, eine Prellung der Lendenwirbelsäule und Stauchungen, Prellungen und Schürfungen des linken Unterarms) rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 500,00 €.

  2.  Zu den Voraussetzungen eines überdurchschnittlichen Aufwands bei der Abwicklung eines Verkehrsunfalls (hier verneint).


Siehe auch
Schmerzensgeldbemessung bei diversen Schleudertraumen der Wirbelsäule
und
Geschäftsgebühr (Nr. 2400 RVG-VV) und gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV)


Gründe:


Die Berufung des Klägers ist zulässig. Demgegenüber erweist sich die Anschlussberufung der Beklagten als unzulässig, da sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO beim Berufungsgericht eingegangen ist. Den Beklagten wurde mit Verfügung vom 05.07.2010 eine Frist zur Erwiderung auf die Berufung bis zum 06.08.2010 gesetzt. Die Zustellung der Berufungserwiderung nebst Fristsetzung erfolgte unter dem 21.07.2010. Auf Antrag der Beklagten wurde die Frist zur Berufungserwiderung bis zum 16.08.2010 verlängert. Innerhalb dieser Frist ging auch eine Berufungserwiderung bei Gericht ein. Demgegenüber ging die Anschlussberufungsschrift vom 01.10.2010 erst drei Tage vor dem Termin am 04.10.2010 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht ein und damit weit außerhalb der gesetzten Berufungserwiderungsfrist.




Die Berufung ist nur zum Teil begründet.

Soweit der Kläger über die bereits zuerkannten 200,00 € ein weiteres Schmerzensgeld von 1.000,00 € begehrt, ist ein weiteres Schmerzensgeld nur in Höhe von 300,00 € angemessen, so dass dem Kläger insgesamt ein Schmerzensgeld in Höhe von 500,00 € zusteht. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger durch den Unfall eine Schädelprellung, ein HWS-Schleudertrauma, eine Prellung der Lendenwirbelsäule und Stauchungen, Prellungen und Schürfungen des linken Unterarms erlitten und war bis zum 16.03.2007 arbeitsunfähig, mithin etwa zwei Wochen. Der Kläger hatte sich nach dem Unfall in die Notaufnahme eines Krankenhauses begeben und dort wurden die Prellungen und Schürfungen festgestellt, wobei es keine neurologischen Defizite gab, sondern es wurden geringe Kopfschmerzen angegeben. Zwei Tage nach dem Unfall begab sich der Kläger zum Arzt und beklagte dort Schmerzen im LWS-Bereich. In dem vom Kläger vorgelegten ärztlichen Bericht ist darüber hinaus festgehalten, dass eine schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der LWS vorlag, eine Myogelose der Rückenstrecker, aber keine neurologischen Defizite. Erwähnt wurden noch Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Eine Röntgenaufnahme der LWS vom 07.03.2007 ergab einen unauffälligen Befund. Insgesamt sind damit die Verletzungen des Klägers als leicht einzustufen. Dennoch erscheint das vom Landgericht für angemessen erachtete Schmerzensgeld von lediglich 200,00 € zu gering. Immerhin hat der Kläger Prellungen in verschiedenen Bereichen erlitten und darüber hinaus auch Schürfungen und schließlich ein HWS-Schleudertrauma. Dieses Zusammentreffen mehrerer leichter alltäglicher Verletzungen rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 500,00 € (vgl. dazu auch Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle, 5. Aufl., S. 586 f; dort sind zahlreiche Entscheidungen aufgeführt, bei denen der Geschädigte Prellungen sowie ein HWS-Schleudertrauma erlitten hat). Demgegenüber wurden Schmerzensgelder in einer Größenordnung von lediglich 200,00 € bei geringeren Beeinträchtigungen festgesetzt und überwiegend sind die hierzu getroffenen Entscheidungen deutlich älteren Datums, so dass vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich erfolgten Geldentwertung ebenfalls eine Anhebung gerechtfertigt ist. Vielfach lag den Entscheidungen mit Schmerzensgeldern von lediglich 200,00 € auch eine Mithaftung des Geschädigten zugrunde. Dies ist hier nicht der Fall. Das Landgericht ist von einer vollen Haftung der Beklagten ausgegangen und dies wurde im Berufungsverfahren auch zunächst nicht in Frage gestellt. Mit der Berufungserwiderung wurde auf die diesbezüglichen Feststellungen des Landgerichts nicht eingegangen, sondern stattdessen wurde die Feststellung getroffen, dass das Landgericht „zu Recht“ dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von nur 200,00 € zugesprochen habe, weil ein solches angesichts der von ihm erlittenen Verletzungen angemessen sei. Damit wurden die Feststellungen des Landgerichts zum Unfallhergang und zum Alleinverschulden aufseiten der Beklagten ausdrücklich zugestanden. Soweit dies nunmehr mit der Anschlussberufungsbegründung in Frage gestellt wird, ist dies nicht zu berücksichtigen. Wie ausgeführt, ist die Anschlussberufung unzulässig und die zur Anschlussberufung gegebene Begründung, aus der sich die Unrichtigkeit der landgerichtlichen Feststellungen ergeben soll, ist zunächst einmal nur Bestandteil der Anschlussberufung, auf deren Inhalt es aber angesichts deren Unzulässigkeit nicht ankommt. Angesichts der eher geringen wirtschaftlichen Bedeutung der Berufung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagten ihr Vorbringen aus der Anschlussberufung hinsichtlich des Unfallhergangs auch zum Bestandteil ihrer Rechtsverteidigung gegen die Berufung haben machen wollen, zumal sie mit der Anschlussberufung eine weitere Aufklärung durch Einholung eines Obergutachtens beantragen. Selbst wenn man insoweit das Vorgehen der Beklagten anders auslegen würde, wäre ihr Vorbringen in der Anschlussberufung vor dem Hintergrund der §§ 530, 521 Abs. 2, 296 Abs. 1 ZPO nicht mehr zuzulassen, da der Schriftsatz der Beklagten erst drei Tage vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingegangen ist und es deshalb im Falle der begehrten weiteren Sachaufklärung in jedem Fall zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits kommen würde.

Soweit der Kläger seine Schmerzensgeldbemessung auf eine Entscheidung des Landgerichts Neubrandenburg vom 22.06.2001 stützt, das ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.300,00 DM für angemessen erachtet hat in einem Fall, in dem (nicht einmal sicher feststellbare) Prellungen der Brust- und Lendenwirbelsäule mit 17-tägiger Arbeitsunfähigkeit vorlagen, fällt diese Entscheidung aus dem zuvor dargestellten Rahmen der üblicherweise hierzu ergangenen Rechtsprechung und ist deshalb nicht zu berücksichtigen. Die geringen Verletzungen rechtfertigen ein Schmerzensgeld in dieser Höhe nicht. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 07.09.2010 unter Hinweis auf eine nicht näher angeführte Rechtsprechung des Kammergerichts meint, dass bereits allein für eine Arbeitsunfähigkeit von zwei Wochen ein Schmerzensgeld von 500,00 € zu veranschlagen sei, vermag sich der Senat einer solchen Betrachtungsweise unter Anwendung von Pauschalbeträgen für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit nicht anzuschließen.


Hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten bestimmt sich die Geschäftsgebühr nach VV 2004 zum RVG unter Berücksichtigung der im Jahre 2007 noch gültigen Rechtslage. Der zugrunde zu legende Gebührensatz beträgt 0,5 - 2,5. Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Bei diesem Gebührentatbestand handelt es sich um eine Rahmengebühr i.S.d. § 14 RVG. Im vorliegenden Fall erforderte die Erledigung der Angelegenheit entgegen der Auffassung des Klägers nur einen durchschnittlichen Aufwand. Für die Abwicklung eines Verkehrsunfalls ohne Besonderheiten ist eine 1,3-fache Geschäftsgebühr in der Regel angemessen (BGH NJW 2008, 3641 f.; OLG Saarbrücken OLGR 2009, 549 f.). Dass für die Abwicklung des hier maßgeblichen Verkehrsunfalls ein überdurchschnittlicher Aufwand erforderlich war, haben der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter nicht hinreichend plausibel dargelegt. Insbesondere die Einschätzung, dass jeder Personenschaden der Bewertung der Sache einen überdurchschnittlichen Charakter gibt, erscheint verfehlt. Der Kläger hat hier leichte Verletzungen erlitten, die in einem ärztlichen Bericht niedergelegt waren und die seitens des Prozessbevollmächtigten lediglich noch einmal wiederholend dargestellt werden mussten. Es ist bei einem Verkehrsunfall nichts ungewöhnliches, das neben materiellen Schäden auch Körperschäden eintreten. Allein dieser Gesichtspunkt rechtfertigt eine Erhöhung des Gebührensatzes nicht. Liegen dagegen schwere Verletzungen vor oder wurde der Geschädigte bei dem Unfall gar getötet, ergeben sich ganz andere Erschwernisse, die neben der in solchen Fällen oft auch schwierigen Bemessung des Schmerzensgeldes insbesondere Haushaltsführungsschäden oder Unterhaltsschäden umfassen, deren Darstellung in der Regel schwierig und umfangreich ist. Von alledem kann hier keine Rede sein, denn die anwaltliche Tätigkeit in Bezug auf den Personenschaden beschränkte sich auf die Entgegennahme der ärztlichen Bescheinigung, die der Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich noch vorzulegen brauchte.



Auch die Geltendmachung der materiellen Schäden war nicht überdurchschnittlich anspruchsvoll. Vielmehr wurden die „klassischen“ Schadenspositionen geltend gemacht wie Fahrzeugschaden, Erstattung der Sachverständigenkosten, Kostenpauschale sowie Kosten der Ab- und Neuanmeldung sowie eine Nutzungsausfallentschädigung. Zuzugeben ist dem Kläger, dass hier eine gewisse Besonderheit dadurch bestand, dass es sich bei dem beschädigten Fahrzeug nicht um ein handelsübliches Modell handelte, sondern es gab nach Darstellung des Klägers im Gebrauchtwagenhandel auf dem Markt kein Fahrzeug, das mit derselben Sonderausstattung verkauft wird. Dass dadurch aber aus anwaltlicher Sicht ein erheblicher Mehraufwand gegenüber einer sonstigen Abrechnung eines Fahrzeugschadens erforderlich wurde, hat der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt. Letztlich hat er sich insoweit auf das von ihm mit der Klageschrift vorgelegte Gutachten des Dipl.-Ing. D. gestützt und dieses zur Grundlage seiner Anspruchsberechnung gemacht. Damit unterscheidet sich die Angelegenheit nicht grundlegend von einem durchschnittlichen Verkehrsunfall. Die erfolgte Erhöhung des Schmerzensgeldes erhöht die Vergütung der Anwaltskosten nicht, da sich der Gegenstandswert dadurch nicht in einem Umfang erhöht, der zu einem so genannten Gebührensprung führt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

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