Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Beschluss vom 28.03.2012 - 32 Ss 36/12 - Zur Feststellung der Tatidentität zwischen Anklage und Urteil

OLG Celle v. 28.03.2012: Zur Feststellung der Tatidentität zwischen Anklage und Urteil beim Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und zur Einstellung des Verfahrens durch das Revisionsgericht


Das OLG Celle (Beschluss vom 28.03.2012 - 32 Ss 36/12) hat entschieden:
In den Urteilsgründen muss das Tatgericht die festgestellte Tat nach Ort, Zeit und Art der Begehung so konkret bezeichnen, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Identität zwischen der angeklagten und der abgeurteilten Tat ermöglicht wird.

Wird die Tat in den Urteilsgründen nicht ausreichend konkret individualisiert, ist das Verfahren wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Prozesshindernisses einzustellen und gegebenenfalls über die noch nicht abgeurteilten Vorwurf aus der Anklageschrift neu zu verhandeln.


Siehe auch Fahren ohne Fahrerlaubnis und Urteilsanforderungen im Strafverfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - hatte den Angeklagten wegen eines am 26.01.2010 begangenen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen bei einem Tagessatz von 10 € verurteilt. Zudem hatte das Amtsgericht dem Angeklagten ein Fahrverbot von einem Monat auferlegt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die Kammer verworfen.

Nach den Feststellungen der Kammer war der Angeklagte am 16.04.2009 vom Amtsgericht Hameln wegen versuchter Nötigung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen und zu einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt worden. Das Fahrverbot wurde am 07.12.2009 wirksam. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Hannover vom 18.12.2009 wurde der Angeklagte darauf hingewiesen, dass das Fahrverbot seit diesem Tag wirksam sei. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass er für die Dauer des Fahrverbots kein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum führen dürfe und sich in einem solchen Fall wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar mache. Ihm wurde auch erläutert, dass die Verbotsfrist erst von dem Tag an gerechnet werde, an dem der Führerschein bei der Vollstreckungsbehörde in amtliche Verwahrung gegeben werde. Er wurde schließlich darauf hingewiesen, dass der Führerschein rechtzeitig zum Ablauf des Fahrverbots an ihn zurückgesandt werde.

Auf dieses Schreiben gab der Angeklagte noch vor Weihnachten 2009 in der Kanzlei seines Verteidigers den Führerschein zwecks Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft Hannover ab. Obwohl dem Angeklagten die unverzügliche Weiterleitung zugesagt wurde, übersandte der Verteidiger den Führerschein erst am 28.12.2009, er ging am 29.12.2009 bei der Staatsanwaltschaft Hannover ein. Darauf teilte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten am 04.01.2010 mit, dass das Fahrverbot am 28.01.2010, 24:00 Uhr, enden werde.

Mit Schreiben vom 22.01.2010 sandte die Staatsanwaltschaft den Führerschein an den Angeklagten zurück. In diesem Schreiben wies die Staatsanwaltschaft den Angeklagten darauf hin, dass das Fahrverbot am 28.01.2010 um 24:00 Uhr ende und er vor diesem Zeitpunkt kein Kraftfahrzeug führen dürfe. Dieses Schreiben wurde samt Führerschein am 26.01.2010 von der Ehefrau des Angeklagten in Empfang genommen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Angeklagte nicht zu Hause und wurde daher von seiner Ehefrau telefonisch über das Eintreffen des Führerscheins in Kenntnis gesetzt.

Noch während des laufenden Fahrverbots wurde der Angeklagte als Führer eines Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen xxx angetroffen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Hameln deshalb am 10.06.2010 einen Strafbefehl, der dem Angeklagten zur Last legte, in H. am 26.01.2010 vorsätzlich ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl ihm das Führen nach § 44 des Strafgesetzbuches verboten war. Er habe mit dem Personenkraftwagen xxx die F. Straße befahren, obwohl ihm das Führen (eines Kraftfahrzeuges) seit dem 07.12.2009 untersagt gewesen sei. Auf seinen Einspruch gegen den Strafbefehl verurteilte das Amtsgericht Hameln den Angeklagten am 27.07.2010 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und stellte fest, er habe am 26.01.2010 in H. mit dem PKW xxx u. a. die F. Straße befahren, obwohl er hätte wissen müssen, dass ihm das Fahren von Kraftfahrzeugen noch verboten war.

Nach den Feststellungen des Landgerichts in dem mit der Revision angefochtenen Berufungsurteil wurde der Angeklagte am 27.01.2010 beim Führen des Kleintransporters xxx von der Polizei angehalten. Der Angeklagte habe das Fahrzeug nach H. zurückführen wollen. Zu einem Befahren der F. Straße in H. verhält sich das Urteil nicht.

Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er mit der allgemeinen Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts Hannover mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückzuverweisen.


II.

Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte vom Landgericht wegen eines fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 27.01.2010 verurteilt wurde. Im Übrigen war die Sache an das Landgericht zurückzugeben, weil über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 27.07.2010 noch zu entschieden ist.

1. Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsverkündung allein die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Wenn sich das Urteil nicht auf die Tat erstreckt, die Gegenstand der Anklage gewesen ist, so führt dies zu einem absoluten Verfahrenshindernis, das vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 139 m. w. N.).

Dies ist hier der Fall. Es fehlt an der Identität der Tat, die Gegenstand des angefochtenen Urteils war, mit derjenigen, die durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hameln vom 10.06.2010 und dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 27.07.2010 bezeichnet ist. Im Strafbefehl wird der Tatort mit „H.“ und die Tatzeit mit dem 26.01.2010 angegeben, im Berufungsurteil bleibt der Tatort offen („der Angeklagte wollte das Fahrzeug nach H. zurückführen“), die Tatzeit wird auf den 27.01.2010 datiert.

Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen damit nicht erkennen, ob es sich bei der dort festgestellten Tat um diejenige handelt, die Gegenstand des Strafbefehls und des erstinstanzlichen Urteils war. Zwar kann im Einzelfall auch bei einer Abweichung der Angaben von Anklageschrift und Urteil zur Tatzeit und/oder zum Tatort die prozessuale Tat noch hinreichend individualisiert werden, dies setzt aber voraus, dass jedenfalls bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen und trotz der Abweichungen deutlich wird, dass es sich um dasselbe Geschehen handelt (vgl. BGH NStZ 2002, 659, Rdnr. 6 nach juris; Senat, Urteil vom 12.06.1997, 22 Ss 110/97, NStZ-RR 1997, 367). Jedoch liefern die Feststellungen des angefochtenen Urteils abgesehen vom Tattag, dem Kennzeichen des Kleintransporters sowie der Tatsache, dass der Angeklagte beim Führen dieses Fahrzeugs von der Polizei angehalten wurde, keine weiteren Details. Weder teilt das Urteil mit, ob das Fahrzeug die F. Straße in H. befahren hat, noch, an welcher Stelle der Angeklagte angehalten wurde, als er das Fahrzeug nach H. zurückführen wollte.

Somit bleibt es allein bei dem Kennzeichen des benutzten Fahrzeuges als übereinstimmende Angabe zur Tat im Strafbefehl, im erstinstanzlichen Urteil und im Berufungsurteil. Aus der Angabe dieses Kennzeichens lässt sich unter den konkreten Umständen die Tat aber nicht hinreichend individualisieren. Der Angeklagte ist tätig als Auslieferungsfahrer und bei dieser Gelegenheit soll er die ihm vorgeworfene Tat begangen haben. Ohne nähere Feststellungen liegt deshalb die Annahme fern, er habe das Tatfahrzeug nur ein einziges Mal, nämlich bei der konkreten Tat, benutzt.

2. Mangels Tatidentität zwischen dem Vorwurf im Strafbefehl und den Feststellungen des angefochtenen Urteils besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis. Insoweit war das Urteil der Strafkammer aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206 a StPO einzustellen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., Einl. Rn. 143 a).

Über die dem Angeklagten im Strafbefehl vorgeworfene Fahrt vom 26.01.2010, wie sie das Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 27.07.2010 festgestellt hat, steht eine Entscheidung dagegen noch aus. Gemäß § 354 Abs. 2 StPO war die Sache nach Aufhebung des Berufungsurteils an eine andere kleine Strafkammer zurückzuverweisen.

3. Für die weitere Durchführung des Berufungsverfahrens weist der Senat darauf hin, dass die vorgeworfene Tat auf den 26. oder 27. 01.2010 datiert, zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils also nicht erst zehn Monate, sondern bereits ein Jahr zehn Monate zurücklag.

Im Übrigen wird eine Entscheidung über die Kosten der Revision nicht mehr veranlasst sein, weil darüber bereits im Rahmen der Verfahrenseinstellung entschieden worden ist.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.