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OLG Hamm Urteil vom 14.05.2012 - I-6 U 187/11 - Zur Haftung bei einem Lendenwirbelbruch eines Fahrgastes infolge sorgfaltswidrigen Überfahrens eines Bahnübergangs durch einen Linienbus

OLG Hamm v. 14.05.2012: Zur Haftung bei einem Lendenwirbelbruch eines Fahrgastes infolge sorgfaltswidrigen Überfahrens eines Bahnübergangs durch einen Linienbus


Das OLG Hamm (Urteil vom 14.05.2012 - I-6 U 187/11) hat entschieden:
Wird ein Fahrgast, der den voirhandenen Sicherheitsgurt nicht angelegt hat, beim Überfahren eines Bahnübergangs durch einen Linienbus hochgeschleudert und erleidet dadurch einen Lendenwirbelbruch, so ist eine Haftungsverteilung von 70 zu 30 zu Gunsten des Fahrgastes gerechtfertigt, wenn der Busfahrer beim Überqueren der Bahngleise angesichts der Unebenheit des Bahnübergangs zu schnell gefahren ist.


Siehe auch Bahnübergang - Bahngleisunfall und Sicherheitsgurt und Anschnallpflicht


Gründe:

I.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird gemäß § 540 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Arnsberg Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klägerin 100.000,00 Euro als Schmerzensgeld und 4.480,00 Euro als Ersatz des bis Mai 2011 eingetretenen Haushaltsführungs­schadens zuerkannt. Zum Ausgleich des weiteren Haushaltsführungsschadens ab Juni 2011 hat es die Beklagten zur Zahlung von monatlich 280,00 Euro verurteilt. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet seien, den materiellen und weitergehenden immateriellen Schaden der Klägerin in einem um 30 % Eigenverantwortlichkeit gekürzten Umfang zu ersetzen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, durch das fachradiologische Gutachten des Sachverständigen Dr. Y vom 22.12.2010 sowie die Aussagen des Arztes Dr. N und des Ehemannes der Klägerin, des Zeugen K, sei be­wiesen, dass die Klägerin nach der Busfahrt mit dem Beklagten zu 1) eine frische Lendenwirbelkörperfraktur (LWK 1) aufgewiesen habe und dass diese Verletzung dadurch eingetreten sei, dass der Beklagte zu 1) mit dem Omnibus der Beklagten zu 2) in X2 die doppelten Bahngleise überquert habe, wobei die Klägerin aus ihrem Sitz hochgeschleudert und dann wieder auf den Sitz herabgefallen sei. Gemäß §§ 7, 18 StVG, 3 PflVG a.F. seien die Beklagten der Klägerin daher zum Schadensersatz verpflichtet. Dem Umfang nach sei diese Verpflichtung jedoch um 30 % Eigen­verschulden der Klägerin gekürzt, weil diese zum Schadenseintritt wesentlich dadurch beigetragen habe, dass sie den Sitzgurt nicht angelegt gehabt habe. Die Art der Verletzung und deren gravierende Folgen rechtfertigten unter Mitberücksichtigung des Eigenverschuldens der Klägerin einerseits und des Regulierungsverhaltens der Beklagten andererseits einen Schmerzensgeldkapitalbetrag von 100.000,00 Euro. Der auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin sowie der Aussage ihres Ehemannes zu bemessende Haushaltsführungsschaden betrage 280,00 Euro pro Monat.

Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl die Klägerin als auch die Beklagten mit ihren wechselseitigen Berufungen.

Zur Begründung ihrer Berufung, mit der sie anstrebt, einen höheren Schmerzensgeldbetrag und außerdem Haushaltsführungsschadensersatz in größerem Umfang zu erhalten, führt die Klägerin aus: Das näher dargelegte Ausmaß der Verletzungs­folgen rechtfertige einen Schmerzensgeldbetrag in der Größenordnung von 290.000,00 Euro. Ihr Eigenverschulden habe das Landgericht überbewertet und dürfe allenfalls entsprechend einer Quote von 10 % zu Buche schlagen, zumal die Gurtpflicht in Omnibussen nicht allgemein bekannt sei. Wegen des Regulierungsverhaltens der Beklagten erhöhe sich das angemessene Schmerzensgeld um 30.000,00 Euro.

Als Haushaltsführungsschaden errechnet die Klägerin unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags nunmehr monatlich 1.036,80 Euro ab dem 01.06.2007.

Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und

  1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens insgesamt 290.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.000,00 Euro seit dem 19.11.2008, aus weiteren 25.000,00 Euro seit dem 07.08.2009, aus weiteren 130.000,00 Euro seit dem 27.04.2010 und aus weiteren 110.000,00 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. die Beklagten ferner zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie Schadensersatz zu zahlen in Höhe von insgesamt monatlich 1.036,80 Euro, beginnend ab dem 01.10.2008, endend mit dem Monat Juni 2021, monatlich im Voraus, spätestens bis zum 5. eines jeden Monats, sowie den Rückstand für den Zeitraum Juni 2007 bis September 2008 in Höhe von 16.588,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.11.2008.

Die Beklagten beantragen,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
An ihrer Auffassung festhaltend, die Klage sei insgesamt unbegründet, wenden auch sie sich mit der Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts. Die entscheidende Unfallursache sehen die Beklagten darin, dass die Klägerin gegen die Gurtpflicht verstoßen habe, obwohl sie ebenso wie Fahrgäste in Linienbussen verpflichtet gewesen sei, sich Halt auch gegen unvorhersehbare Bewegungen des Fahrzeugs zu verschaffen. Den Beklagten zu 1) treffe kein Unfallverschulden. Denn es habe kein Grund zu der Annahme bestanden, im Bereich des Bahnüberganges müsse mit einem Reisebus langsamer als mit 38 km/h gefahren werden.

Im Übrigen bestreiten die Beklagten weiterhin eine Verletzung der Klägerin, die über eine Stauchung der Lendenwirbelsäule hinausgegangen ist. Sie meinen, eine unfallbedingte Wirbelfraktur habe das Landgericht jedenfalls ohne ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. I2 nicht feststellen dürfen, da die Gutachten der Sachverständigen Dr. I2 und Dr. Y zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen seien. Darüber hinaus seien die behaupteten Dauerschäden sowie die verletzungsbedingte Immobilität der Klägerin nicht bewiesen. Das Landgericht habe der Klägerin daher jedenfalls ein zu hohes Schmerzensgeld und auch zu viel Haushaltsführungsschadensersatz zuerkannt.

Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Alle Parteien verteidigen das angefochtene Urteil gegen die Berufungsangriffe der jeweiligen Gegenseite.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst An­lagen, Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils einschließlich der darin enthaltenen Bezugnahmen, auf das interdisziplinäre Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Ing. C und Dr. med. I2 vom 26.04.2010, das fachradiologische Gutachten des Sachverständigen Dr. Y vom 22. Dezember 2010, das Ergebnis der schriftlichen Befragung des Zeugen Dr. N vom 23.02.2011, ferner die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 21.04.2009 und vom 10.05.2011 sowie diejenige des Senats vom 15.03.2012.

Die Akte 190 Js 1269/07 der StA Arnsberg hat zu Informationszwecken vorgelegen.


II.

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg, soweit die Klägerin weitergehenden Haushaltsführungsschadensersatz verlangt. Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sich die Beklagten gegen die Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wenden. Im Übrigen sind die wechselseitigen Berufungen im Wesentlichen unbegründet.

1. Zu Recht hat das Landgericht entschieden, dass die Beklagten der Klägerin gemäß §§ 7, 18, 11 StVG, 3 PflVG a.F. wegen des Vorfalls vom 20.05.2007 zum Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet sind. Auch dagegen, dass das Landgericht festgestellt hat, dass die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten dem Umfang nach um lediglich 30 % gekürzt ist, wenden sich die Beklagten erfolglos. Denn die Abwägung der Schadensverursachungsanteile gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB hält sowohl den Berufungsangriffen der Beklagten als auch denjenigen der Klägerin stand.

1.1 Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach resultiert daraus, dass die Klägerin bei dem Betrieb des vom Beklagten zu 1) geführten Reisebusses der Beklagten zu 2) eine Körperverletzung erlitten hat. Als Fahrgast auf der Rücksitzbank des Omnibusses ist sie hochgeworfen worden, als der Bus in X2 den dortigen doppelgleisigen Bahnübergang überquerte, und hat sich, als sie auf ihren Sitz zurückfiel, eine Fraktur eines Lendenwirbelkörpers (LWK 1) zugezogen. Diese vom Landgericht getroffene Feststellung ist gemäß § 529 ZPO auch der Entscheidung im Berufungsverfahren zugrundezulegen. Denn Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Feststellung bestehen nicht.

Dass die Klägerin bei dem Betrieb des Reisebusses verletzt worden ist, also eine Primärverletzung erlitten hat, steht im Berufungsverfahren außer Streit. Denn die Beklagten bestreiten in ihrer Berufungsbegründung eine Verletzung der Klägerin nur noch insoweit, als die Verletzung über eine Stauchung der Wirbelsäule hinausgegangen ist.

Mit den Feststellungen des Landgerichts ist der Entscheidung im Berufungsverfahren gemäß § 529 ZPO aber als Verletzung nicht nur eine Stauchung der Lendenwirbelsäule sondern auch eine Fraktur des LWK 1 zugrundezulegen. Denn diese Fraktur hat das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zutreffend als Unfallfolge festgestellt.

Der Ehemann der Klägerin, der Zeuge K, hat glaubhaft bekundet, dass die Klägerin beim Befahren des Bahnübergangs aus ihrem Sitz hochgeworfen worden ist und unmittelbar danach beim Herabfallen aus der Luft schreiend zusammengesackt ist. Der Beklagte zu 1) hat bestätigt, dass die Klägerin kurz nach dem Überqueren der Bahngleise erklärt hat, soeben verletzt worden zu sein. Die herbeigerufene Notärztin hat schon im Notarztprotokoll notiert, es bestehe der Verdacht einer LWK-Fraktur. Zudem hat das interdisziplinäre Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Ing. C und Dr. med. I2 vom 26.04.2010 ergeben, dass der Reisebus die Bahngleise mit einer Geschwindigkeit von 38 km/h überquert hat und dass bei einem Fahrgast auf dem Rücksitz, auf dem sich die Klägerin befunden hat, eine axiale Stauchungsbelastung aufgetreten sein kann, die eine Wirbelfraktur hat auslösen können. Die Klägerin ist von Rettungssanitätern aus dem Reisebus geborgen und zur stationären Behandlung per Krankenwagen zum N4-hospital X2 transportiert worden. Nach Verlegung in das N3-hospital in X ist sie dort am 30.05.2007 von dem Chefarzt, dem Zeugen Dr. N, operiert worden. Nach den schriftlichen Ausführungen dieses Zeugen vom 23.02.2011 hat der Zeuge bei der Operation eine Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers vorgefunden, die nicht alt sondern frisch war. Durch Lagerung und Spondylodese war eine Frakturaufrichtung möglich, was bei einer älteren Fraktur nicht möglich gewesen wäre.

Berücksichtigt man, dass die Klägerin, soweit ersichtlich, bis zu dem streitgegenständlichen Ereignis nicht über Wirbelsäulenbeschwerden geklagt hat und dass sie in der Zeit zwischen diesem Vorfall und der Operation durch den Zeugen Dr. N keinen gesteigerten Wirbelsäulenbelastungen ausgesetzt gewesen ist, so wird deutlich, dass sich das Landgericht seine Überzeugung davon, dass sich die Klägerin die LWK-Fraktur bei der Fahrt über die Bahngleise und damit bei dem Betrieb des Omnibusses zugezogen hat, ohne Verstoß gegen § 286 ZPO verschafft hat.

Bestätigt wird dies zusätzlich durch das fachradiologische Gutachten des Sachverständigen Dr. Y vom 22.12.2010. Denn nach den Ausführungen dieses Sachverständigen hat es sich nach der Bildgebung, nach der Histologie und nach der Vorgeschichte eindeutig um eine frische Fraktur des LWK 1 gehandelt, die die Klägerin am 20.05.2007 erlitten hat.

Durchgreifende Bedenken gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts ergeben sich nicht aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. I2 im Gutachten vom 26.04.2010. Dieser orthopädische Sachverständige hat zwar angenommen, dass es sich bei der LWK-Fraktur um eine ältere Fraktur gehandelt habe und hat ausgeführt, nach den ihm zur Verfügung gestellten Informationen könne mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass es bei der Klägerin zu einer Verletzung gekommen sei, die über eine Stauchung der Lendenwirbelsäule hinausgehe.

Obwohl das Gutachten des Sachverständigen Dr. I2 vom Ergebnis her mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Y und daher auch mit den Feststellungen des Landgerichts nicht übereinstimmt, erweisen sich die Feststellungen des Landgerichts nicht als unvollständig oder fehlerhaft. Das Landgericht war auch nicht verpflichtet, nach Eingang des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Y dem Antrag der Beklagten auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. I2 stattzugeben. Denn nach ihrem Inhalt widersprechen sich die Gutachten der Sachverständigen Dr. Y und Dr. I2 letztlich nicht. Die Abweichung in den Schlussfolgerungen dieser beiden Sachverständigen resultieren vielmehr, wie die Darlegungen in den Gutachten selbst ohne verbleibenden Aufklärungsbedarf zeigen, daraus, dass der Sachverständige Dr. I2 bei seiner Begutachtung von unvollständigen und teils unzutreffenden Informationen hat ausgehen müssen. So musste der Sachverständige Dr. I2 noch in seine Überlegungen einbeziehen, dass die Klägerin schon vor dem Unfall unter einer Knochenstoffwechselstörung mit entsprechend erhöhter Knochenbrüchigkeit gelitten habe. Anders als der Sachverständige Dr. Y war der Sachverständige Dr. I2 nicht darüber informiert, dass der im Anschluss an eine Untersuchung der Klägerin gefertigte histologische Befund vom 08.06.2007 ergeben hatte, dass die Klägerin keineswegs unter einer Osteoporose gelitten hat.

Ferner beruht das Gutachten des Sachverständigen Dr. Y auf einer Auswertung von Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule vom Unfalltage, die nach den Ausführungen dieses Sachverständigen zeigen, dass eine frische Fraktur vorgelegen hat. In diesem Punkte widersprechen sich die Gutachten nicht. Denn die Röntgenaufnahmen hat der Sachverständige Dr. I2 nicht zur Verfügung gehabt. Er hat sie folglich nicht ausgewertet.

Das Gutachten des Sachverständigen Dr. Y beruht ferner auf der Auswertung einer Computertomographie der Lendenwirbelsäule vom Tage nach dem Unfall, dem 21.05.2007. Auch hier erkennt der Sachverständige Dr. Y eine frische Lendenwirbelkörperfraktur. Ein aufklärungsbedürftiger Widerspruch zum Gutachten des Sachverständigen Dr. I2 liegt nicht vor, weil die Computertomographie vom 21.05.2007 dem Sachverständigen Dr. I2 nicht zugänglich gewesen ist und er auch diese nicht ausgewertet hat.

Weiter stützt sich der Sachverständige Dr. Y auf eine Kernspintomographie vom 24.05.2007 aus dem St. K-Hospital B, die nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Y aus Sicht des Radiologen zwar eindeutig eine frische Fraktur zeigt, wegen eines atypischen Signals jedoch leicht auch fehlerhaft so interpretiert werden konnte wie von dem Sachverständigen Dr. I2. Auch in diesem Punkte verbleibt somit kein unaufgeklärter Widerspruch zwischen dem Gutachten der beiden Sachverständigen.

Und schließlich steht das Gutachten des Sachverständigen Dr. I2 demjenigen des Sachverständigen Dr. Y nicht im Hinblick auf die Auswertung der Computertomographie vom 24.05.2007 entgegen. Denn diesbezüglich hat dem Sachverständigen Dr. I2 nur eine schriftliche Auswertung vom 25.05.2007 vorgelegen, während der Sachverständige Dr. Y diese Computertomographie selbst hat auswerten können. Die unmittelbare Auswertung dieser Computertomographie zeigt nach der sachverständigen Interpretation des Radiologen Dr. Y, dass das Bild einer frischen Fraktur zu sehen ist.

1.2 Gemäß §§ 21 a Abs. 1 StVO, 35 a Abs. 2, 4, 7 StVZO war die Klägerin verpflichtet, den an ihren Sitzplatz vorhandenen Sitzgurt anzulegen. Dass die Klägerin gegen diese Verpflichtung verstoßen und dadurch ursächlich zu ihrer Verletzung beigetragen hat, steht im Berufungsverfahren zwischen den Parteien außer Streit. Gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB muss sich die Klägerin daher anspruchskürzendes Mitverschulden entgegenhalten lassen.

Im Rahmen der Abwägung der Schadensverursachungsanteile steht dem Verstoß der Klägerin gegen die Gurtpflicht auf Seiten der Beklagten die Betriebsgefahr des Reisebusses gegenüber. Diese Betriebsgefahr war zunächst einmal dadurch gesteigert, dass der Beklagte zu 1) beim Überqueren der Bahngleise nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Ein Verstoß gegen § 3 StVO wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt zwar nicht vor. Denn am 20.05.2007 war die zu­lässige Höchstgeschwindigkeit im Bereich des Bahnüberganges noch nicht auf unter 50 km/h reduziert. Der Beklagte zu 1) war aber verpflichtet, seine Fahrweise so einzurichten, dass die Gesundheit der Passagiere im Bus, also auch die Gesundheit der Klägerin, nicht mehr als den Umständen nach vermeidbar gefährdet wurde. Diesen Anforderungen ist der Beklagte zu 1) nicht gerecht geworden. Darüber, dass im Bereich des Bahnüberganges mit besonderer Vorsicht gefahren werden musste, war der Beklagte zu 1) durch das Verkehrszeichen Nr. 112 informiert. Dieses Verkehrs­zeichen, das vor dem Bahnübergang aufgestellt war, wird dann aufgestellt, wenn Unebenheiten bei schneller Fahrt gefährlich werden können. Für den Beklagten zu 1) war auch vorhersehbar, dass die Unebenheit der Fahrbahn Auswirkungen auf die Sitzposition und den Halt der Passagiere im Bus haben konnte. Zudem musste er damit rechnen, dass sich zumindest einige der Fahrgäste nicht unter Verwendung des Sitzgurtes angeschnallt hatten. Vor diesem Hintergrund wäre der Beklagte zu 1) verpflichtet gewesen, im Bereich des Bahnüberganges deutlich langsamer als 38 km/h zu fahren.

Als ein die Betriebsgefahr des Reisebusses erhöhender Umstand war ferner zu berücksichtigen, dass es sich um einen Omnibus gehandelt hat, bei dem die Fahrbahnunebenheit im Bereich des Bahnüberganges zu einer besonders hohen und überraschenden Krafteinwirkung auf die die letzte Sitzbank benutzenden Passagiere führte. Dies haben die Versuchsfahrten gezeigt, die zur Vorbereitung des technischen Gutachtens durchgeführt worden sind.

Bei der Bewertung des Eigenverschuldens der Klägerin war von Bedeutung, dass sie es bewusst unterlassen hat, von der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherung Gebrauch zu machen. Dennoch erachtet der Senat das Maß des Verschuldens auf Seiten der Klägerin ebenso wie auf Seiten des Beklagten zu 1) nur als gering.

Im Übrigen kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 1) bei Fahrtantritt auf die Pflicht zur Benutzung der Sicherheitsgurte hingewiesen hat, wie die Beklagten behaupten, oder ob ein solcher Hinweis unterblieben ist, wie die Klägerin behauptet. Einer Vernehmung der hierzu benannten Zeugen bedarf es nicht. Denn dass es geboten war, sich anzugurten, ist generell bekannt und ergab sich für die Klägerin auch schon aus der Tatsache, dass die Gurte an den Sitzen sichtbar vorhanden waren. Andererseits würde es den Schadensverursachungsbeitrag der Beklagten nicht erhöhen, wenn der Beklagte zu 1. von einem entsprechenden Hinweis an die Businsassen abgesehen haben sollte. Denn dass sich ein solches Unterlassen ggf. ursächlich ausgewirkt hat, würde sich nicht feststellen lassen.

Die Bemessung einer Mithaftungsquote hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. dazu Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 22 Rn. 82; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., StVO, § 21 a Rn. 25). In der vorliegenden Sache trifft weder den Beklagten zu 1. noch die Klägerin ein besonders schwerwiegender Schuldvorwurf. Die spezielle Gefahr, die sich hier zum Schaden der Klägerin ausgewirkt hat, war vielmehr angelegt in der technischen Konstruktion des Omnibusses und der nur begrenzten Eignung dieses Fahrzeugs, die Auswirkungen von Fahrbahnunebenheiten auf die Fahrzeuginsassen zu mildern. Die Nähe dieser Gefahr musste sich weder der Klägerin noch dem Beklagten zu 1. in besonderer Weise aufdrängen. Mit dem Landgericht erachtet der Senat daher eine überwiegende Haftung der Beklagten bei Mithaftung der Klägerin im Umfange von 30 % für sachgerecht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag es deren Verursachungsanteil nicht zu verringern, wenn in Reisebussen oftmals gegen die Gurtpflicht verstoßen wird. Denn auf die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Verstoß gegen die Gurtpflicht zum Schadenseintritt beiträgt, hat dies keinen Einfluss.

Der Senat folgt auch nicht der Ansicht der Beklagten, die meinen, ähnlich wie bei Fahrgästen in Linienbussen sei es in erster Linie Sache der Klägerin gewesen, sich sicheren Halt zu verschaffen, so dass die Klägerin ihren Schaden vollständig oder zumindest überwiegend selbst tragen müsse. Denn die Notwendigkeit, in Linienbussen ständig auf sicheren Halt bedacht zu sein, resultiert primär aus der Häufigkeit des Fahrgastwechsels und der Haltestopps sowie der Notwendigkeit, dass sich Benutzer von Linienbussen während der Fahrt zwischen Tür und Sitzgelegenheit fortbewegen müssen. Sobald Fahrgäste ihren Sitzplatz eingenommen haben, erscheinen sie hingegen weniger stark gefährdet, weil der Kontakt zur Sitzfläche als solcher schon eine gewisse Sicherheit bietet.

2. Als angemessenes Schmerzensgeld steht der Klägerin der vom Landgericht zuerkannte Betrag von 100.000,00 Euro zu.

Im Alter von 60 Jahren hat sich die Klägerin, wie oben erörtert, entsprechend den Feststellungen des Landgerichts eine LWK-Fraktur zugezogen. Gem. § 529 ZPO ist der Entscheidung im Berufungsverfahren auch zugrunde zu legen, was das Landgericht hinsichtlich der Folgen dieser Fraktur für das Leben der Klägerin festgestellt hat. Während die Klägerin vor dem Unfall, wie von ihrem Ehemann glaubhaft bekundet, Urlaubsfahrten und Ausflüge unternommen hat, hat sie durch die LWK-Fraktur und die dadurch erforderlich gewordenen Behandlungsmaßnahmen ihre Mobilität weitgehend eingebüßt. Das Haus kann sie nur noch mittels eines Rollstuhls kurz verlassen, um damit im Hof ein wenig herumzufahren. Innerhalb des Hauses ist sie auf die Benutzung eines Rollators angewiesen, mit dem sie sich einige Schritte selbständig bewegen kann. Um an einem Tisch sitzen zu können, verwendet sie einen Spezialstuhl. Sie ist in der Lage, fernzusehen und auch selbständig zu essen. Ansonsten bedarf sie jedoch der pflegenden Hilfe einer weiteren Person, und zwar auch bei der Körperhygiene.

Bedenken dagegen, dass das Landgericht den Bekundungen des Zeugen K gefolgt ist, bestehen nicht. Auch dagegen, dass das Landgericht den Inhalt der von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. med. O vom 25.05.2010 und des Facharztes für Neurologie Dr. med. P vom 29.04.2010 verwertet hat, bestehen rechtliche Bedenken nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen dieser Fachärzte in ihren Gutachten zu zweifeln. Es fehlen auch Anhaltspunkte dafür, dass diese Gutachten etwa einseitig zum Nachteil der Beklagten ausgefallen sein könnten, um der Krankenversicherung der Klägerin den Regress gegen die Beklagten zu erleichtern. Zwar gehört die Krankenversicherung der Klägerin zum gleichen Versicherungsunternehmen wie die Versicherung, für die die Privat­gutachten erstattet worden sind. Eingeholt worden sind die Gutachten aber von der S... als privater Unfallversicherung der Klägerin. Vor diesem Hintergrund erscheint ausgeschlossen, dass die Privatgutachten einseitig zum Nachteil der be­auftragenden Versicherung verfasst worden sind.

Zur Überprüfung der angemessenen Schmerzensgeldhöhe hat sich der Senat an veröffentlichten Entscheidungen auch anderer Gerichte zu vergleichbaren Verletzungen orientiert, wie sie bei der Klägerin vorliegen. Beträge in der Größenordnung von 290.000,00 Euro, wie von der Klägerin gefordert, werden von der Rechtsprechung nur bei deutlich gravierenderen Verletzungsbildern wie zum Beispiel Querschnittslähmungen zu­erkannt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin vorgelegten Pressebericht über eine Abfindung einer schwer verletzten jungen Frau, die einer Querschnittslähmung knapp entgangen war. Die Klägerin verfügt immerhin noch über die Fähigkeit, sich mit Hilfe eines Rollators ohne fremde Hilfe einige Schritte fortzubewegen. Darm- und Blasenfunktionsstörungen bestehen nicht. Ebenso wie das Landgericht erachtet der Senat die Entscheidung des Landgerichts München I vom 10.04.2003 für gut vergleichbar, mit der einer Person mit folgenreicher Wirbelsäulenverletzung 100.000,00 Euro als Schmerzensgeld zugesprochen worden sind. Unter Berücksichtigung der seit dieser Entscheidung eingetretenen Geldentwertung sowie der Langwierigkeit der Schadensregulierung einerseits und des oben erörterten Eigenverschuldens der Klägerin andererseits sind die 100.000,00 Euro, die das Landgericht der Klägerin als Schmerzensgeld zugesprochen hat, als angemessener Ausgleich für die immateriellen Nachteile, die die Klägerin unfallbedingt hinnehmen muss, anzusehen.

Rechtliche Bedenken dagegen, dass das Landgericht die Langwierigkeit der Schadensregulierung mitberücksichtigt hat, bestehen nicht. Allerdings rechtfertigt dieser Umstand entgegen der Auffassung der Klägerin keine Schmerzensgelderhöhung über den Betrag von 100.000,00 Euro hinaus. Denn dass die Beklagten ihre Einstandspflicht jedenfalls bis zum Eingang des interdisziplinären Gutachtens aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen angezweifelt haben, kann ihnen nicht als unvertretbare Hinauszögerung der Schadensregulierung vorgeworfen werden.

3. Zum Teil Erfolg hat die Berufung der Klägerin, soweit die Klägerin weitergehenden Haushaltsführungsschadensersatz fordert als ihr in erster Instanz zuerkannt worden ist. Überschlägig berechnet hat die Klägerin diesen Schaden in erster Instanz zwar nur unter Zugrundelegung des Aufwandes für eine Ersatzkraft, die pauschal mit 400,00 Euro pro Monat entlohnt wird. Zum Umfang der Hausarbeit der Klägerin vor dem Unfall hat das Landgericht den Zeugen K vernommen, dessen Bekundungen sich die Klägerin zu Eigen gemacht hat. Danach hat die Klägerin den Zwei-Personen-Haushalt vor dem Unfall allein geführt. Auf dieser Grundlage ergibt sich nach den von den Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts, die gem. § 529 ZPO für die Entscheidung im Berufungsverfahren maßgeblich sind, ein verletzungsbedingter Ausfallschaden der Klägerin im Umfang von 20 Stunden pro Woche. Pro Monat folgt daraus bei einem Nettolohn von nur 8,00 Euro ein Haushaltsführungsschaden von (20 Stunden x 4,3 Wochen x 8,00 Euro =) 688,00 Euro. Reduziert um 30 % Eigenverschulden der Klägerin ergibt sich ein Schadensersatzanspruch von monatlich 481,60 Euro. Diesen Betrag haben die Beklagten der Klägerin ab dem 01.06.2007 zu ersetzen. Für den im Berufungsantrag der Klägerin gesondert berücksichtigten Zeitraum von Juni 2007 bis September 2008 errechnet sich somit ein Rückstand in Höhe von (16 Monate x 481,60 Euro =) 7.705,60 Euro. Für die Zeit danach war der Klägerin dieser Schadensersatzanspruch wie beantragt in der Form einer bis zur Vollendung ihres 75. Lebensjahres begrenzten Rente zuzuerkennen.

Obwohl die Klägerin in erster Instanz die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Haushaltsführungsschadensersatz in Höhe von monatlich lediglich 320,00 Euro beantragt hat, konnte ihr im Berufungsverfahren ein höherer Betrag zugesprochen werden. Denn sie hat ihre Klage im Berufungsverfahren erhöht. Da sich der Monatsbetrag von 481,60 Euro schon auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vortrags und der unangefochtenen Feststellung des Landgerichts ergibt, hatte die Klageerweiterung entsprechend § 533 ZPO Erfolg. Ein noch weitergehender Anspruch auf Ersatz von Haushaltsführungsschaden war der Klägerin hingegen nicht zuzusprechen. Es kann dahinstehen, ob der neue Vortrag der Klägerin aus der Berufungsbegründung einen weitergehenden Anspruch schlüssig ergibt. Denn die Beklagten haben diesen Vortrag bestritten, so dass der neue Vortrag gem. § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren keine Beachtung mehr finden darf.

4. Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sich diese gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin wenden. Wie die Erörterungen im Senatstermin ergeben haben, sind diese Kosten von der Rechtsschutzversicherung der Klägerin übernommen worden, so dass der Ersatzanspruch der Klägerin gem. § 86 VVG auf die Rechtsschutzversicherung übergegangen ist und der Klägerin weder ein Zahlungs- noch ein Freistellungsanspruch gegen die Beklagten verblieben ist.

5. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgten aus §§ 92, 543, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.