Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Frankfurt am Main Urteil vom 29.03.2012 - 12 U 163/10 - Zur Haftung beim Unfall zwischen einem Wendenden und einem Überholer

OLG Frankfurt am Main v. 29.03.2012: Zur Haftung beim Unfall zwischen einem Wendenden und einem Überholer


Das OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.03.2012 - 12 U 163/10) hat entschieden:
  1. Kommt es zu einem Unfall zwischen einem Motorradfahrer, der einen bereits zur Mittellinie und links blinkenden wendewilligen Kfz-Führer noch links überholen will, ist eine Haftungsverteilung von 75:25 zu Lasten des überholenden Kradfahrers gerechtfertigt.

  2. Die Pauschale für die Akteneinsicht von 12 € gehört ebenfalls zu den schadensbedingten Aufwendungen.

Siehe auch Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle und Unfälle zwischen Überholer und vorausfahrendem Linksabbieger


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall, der sich am ... Mai 2008 ereignet hat, auf materiellen Schadensersatz in Anspruch.

Der Beklagte zu 1) befuhr an diesem Tage mit dem PKW ... , amtliches Kennzeichen …, der im Eigentum des Beklagten zu 2) steht und bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist, die B ... in Höhe des ...-...sees in westlicher Richtung. Die Ehefrau des Beklagten zu 1) saß auf dem Beifahrersitz, ihre Tochter im Vorschulalter auf dem Rücksitz.

Der Beklagte zu 1) beabsichtigte zu wenden, um zum Parkplatz am ...-...see zurückzufahren und der Tochter dort ein Eis zu kaufen. Etwa in Höhe Kilometer 1,6 ordnete er sich auf seiner Richtungsfahrbahn scharf links ein, setzte den Blinker und hielt an. Jede Richtungsfahrbahn hat an dieser Stelle eine Breite von 3,90 m. Der Beklagte zu 1) wollte seine Fahrtrichtung über die Gegenfahrbahn hinweg umkehren und unter Ausnutzung einer Einfahrt in einen Wirtschaftsweg, dessen Befahren durch Zeichen 260 untersagt ist, wenden. Die Fahrbahn der B ... ist an der Einfahrt zum Wirtschaftsweg durch Zeichen 295 durchgehend begrenzt.

In diesem Moment näherte sich der Kläger mit seinem Kraftrad …, amtliches Kennzeichen …, von hinten dem Fahrzeug der Beklagten. Als der Beklagte anfuhr, um sein Wendemanöver durchzuführen, prallte der Kläger auf die hintere linke Ecke des Pkw ... . Der Kläger wurde vom Kraftrad geschleudert, welches nach links abgewiesen wurde und massiv beschädigt auf dem Grünstreifen neben der Fahrbahn zu liegen kam.

Das Kraftrad hatte laut Gutachten X und Y vom 2. Juni 2008 einen Wiederbeschaffungswert (regelbesteuert) von 13.000 € bei einem Restwert einschließlich Umsatzsteuer von 3500 €. Die Reparaturkosten beliefen sich auf geschätzt 21.008,40 € zuzüglich Umsatzsteuer.

Der Kläger veräußerte das Kraftrad am 19. April 2011 für 3560 €. Eine Ersatzbeschaffung führte er nicht durch. Vorgerichtlich ließ der Kläger die Beklagten durch seinen Prozessbevollmächtigten erfolglos zur Regulierung eines Sachschadens in Höhe von 9475 € auffordern.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 1) habe seine Geschwindigkeit plötzlich herabgesetzt. Als er sich unmittelbar hinter dem Pkw ... befunden und bereits zum Überholen angesetzt habe, sei dieser unvermittelt nach links abgebogen. Der Zusammenprall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Beklagte zu 1) vor dem Linksabbiegen seiner doppelten Rückschaupflicht nachgekommen wäre, was er unterlassen habe.

Der Kläger hat beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5505,67 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 14. Januar 2009 zu zahlen.

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn nicht anrechenbare außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 775,64 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 7. April 2009 sowie 12 € Akteneinsichtsgebühr zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1) habe rechtzeitig verlangsamt und durch Rückschau den nachfolgenden Verkehr beobachtet. Beim Anfahren aus dem Stand heraus habe der Beklagte noch einmal durch Rückschau vergewissert, dass dieses möglich sei; der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt als Überholer nicht wahrzunehmen gewesen. Vor dem Kläger seien andere Fahrzeuge rechts an dem links eingeordneten Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren. Sie haben daher die Auffassung vertreten, der Unfall stelle sich für sie als unabwendbares Ereignis dar.

Das Landgericht hat in dem Rechtsstreit, der durch das Amtsgericht Michelstadt mit Beschluss vom 20. April 2009 nach dort verwiesen wurde, gemäß Beweisbeschluss vom 17. August 2009 Beweis über den Unfallhergang erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen Z1 und Z2 sowie der Zeugen Z3, Z4, Z5 und Z6. Aufgrund weiteren Beweisbeschlusses vom 7. Dezember 2009 hat das Landgericht ein Rekonstruktionsgutachten des Sachverständigen C eingeholt.

Sodann hat das Landgericht die Klage durch Urteil vom 4. Oktober 2010, auf das gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Unfall alleine vom Kläger verursacht und verschuldet worden sei, weil er das wendende Fahrzeug nicht hinreichend beachtet habe. Dies ergebe sich aus den Bekundungen der Zeugin Z1, denen das Landgericht uneingeschränkt gefolgt ist. Nach seiner Auffassung ergeben sich aus dem Sachverständigengutachten keine Anhaltspunkte für ein Verschulden des Beklagten zu 1). Der Kläger habe vielmehr mit Parkplatzsuchern rechnen, langsamer fahren und das Überholen des ... unterlassen müssen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung und macht geltend, das Landgericht habe das Ergebnis der Begutachtung außer Betracht gelassen, wonach der Kläger für den Beklagten zu 1) bei doppelter Rückschau unmittelbar vor dem abbiegen erkennbar gewesen sei. Bei der Würdigung der Aussage der Zeugin Z1 habe das Landgericht außer Betracht gelassen, dass diese mit dem Beklagten zu 1) verheiratet und deswegen nicht glaubwürdig sei. Die Aussage der Zeugin Z7 sei von dem Landgericht überhaupt nicht gewürdigt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 22. November 2010 Bezug genommen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nach Rücknahme der Berufung im Übrigen,
  1. die Beklagten unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 4. Oktober 2010 (Aktenzeichen 1 O 160/09) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 4121,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 14. Januar 2009 zu zahlen;

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn nicht anrechenbare außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 77 5,64 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 7. April 2009 sowie 12 € Akteneinsichtsgebühr zu zahlen.
Die Beklagten und Berufungsbeklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger verbotswidrig entgegen § 5 Abs. 7 StVO überholt habe. Sie meinen, das Unfallereignis sei für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen. Ergänzend wird auf den Schriftsatz vom 15. Februar 2011 verwiesen.


II.

Die unbedenklich zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet.

Die erneute, gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erforderliche Beweisaufnahme durch das Berufungsgericht hat ergeben, dass der Unfall nicht auf höherer Gewalt beruhte. Vielmehr hat auch der Beklagte zu 1) schuldhaft gegen Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr verstoßen, was eine quotale Mithaftung für die Unfallfolgen nach sich zieht. Angesichts der schuldhaften Mitverursachung durch den Beklagten zu 1) konnte die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs nicht als zurücktretend angesehen werden.

1. Die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten sind teilweise begründet, §§ 7 Abs. 1 und Abs. 2, 17, 18 StVG.

a) Den Beklagten zu 1) trifft eine Mithaftung für den Sachschaden aus dem Unfallereignis aus § 18 Abs. 1 StVG, weil er das Fahrzeug geführt hat und nicht beweisen konnte, dass ihn an dem Unfall keinerlei Verschulden trifft. Er hat vielmehr gegen die besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO verstoßen, indem er sich bei dem Wendemanöver nicht so verhalten hat, dass kein Dritter gefährdet wurde. Äußerste Sorgfalt im Sinne von § 9 Abs. 5 StVO erfordert regelmäßig Umblick, Rückschau nicht nur durch den Rückspiegel und ständige Beobachtung nach beiden Richtungen (vgl. Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 21. Aufl. 2011 § 9 StVO Rn. 50).

Der Beklagte zu 1) hat beim Wenden auf der belebten Bundesstraße nicht diese besondere Sorgfalt walten lassen und sich insbesondere vor dem Anfahren aus der Warteposition an der Mittellinie nicht hinreichend vergewissert, dass von hinten kein Fahrzeug herannahte. Nach den Feststellungen des Sachverständigen C in seinem Gutachten vom 30. April 2010 (dort Seite 27) sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht war der sich von hinten nähernde Kläger für den Beklagten zu 1) aus dessen Warteposition heraus erkennbar (Seite 9 der Sitzungsniederschrift); dabei kann offen bleiben, ob der Kläger sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Überholer auf der Gegenfahrbahn befand. Jedenfalls hätte die Annäherungsgeschwindigkeit des Klägers von 50-70 km/h an das stehende Beklagtenfahrzeug für den Beklagten zu 1) Veranlassung sein müssen, im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO von dem beabsichtigten Wendemanöver Abstand zu nehmen.

Die den Beklagte zu 1) entlastende Aussage der Zeugin Z1 vor dem Berufungsgericht, ihr Ehemann habe vor dem Anfahren aus der Warteposition heraus noch einmal sorgfältig Rückschau gehalten, ist mit den Feststellungen des Sachverständigen C nicht in Einklang zu bringen. Dieser hat dem Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert (Seite 8 der Sitzungsniederschrift), dass der von der Zeugin geschilderte „Schulterblick“ nicht ausreichend war, um sich von hinten nähernde Fahrzeuge erkennen zu können. Hierzu hätte es vielmehr eines erneuten Blicks in den Rückspiegel vor dem Anfahren bedurft, den die Zeugen nicht geschildert hat.

Darüber hinaus hat das Berufungsgericht erhebliche Zweifel an der Aussage der Zeugin Z1 zur sorgfältigen Umschau des Fahrers beim Einordnen nach links sowie vor dem Anfahren aus der Warteposition heraus. Diese Zweifel speisen sich daraus, dass die Zeugin eingangs ihrer Vernehmung erhebliche Erinnerungslücken in Bezug auf den Unfallverlauf angegeben hat und auch Befragen durch die Prozessbeteiligten mehrfach erklärt hat, sich nicht mehr genau erinnern zu können, den ihren Ehemann maßgeblich entlastenden Vorgang der zweifachen sorgfältigen Umschau jedoch nahezu lehrbuchmäßig und mit einer Diktion, die sich deutlich nach oben von ihren sonstigen Ausdrucksvermögen abhob, wiedergegeben hat. Auf der Grundlage dieser Aussage ist der notwendige Entlastungsbeweis für mangelndes Verschulden des Fahrers beim Anfahren aus der Warteposition heraus nicht geführt, § 18 Abs. 1 S. 2 StVG.

b) Den Beklagten zu 2) trifft eine Mithaftung für den Sachschaden aus dem Unfallereignis aus § 7 Abs. 1 StVG, weil der Unfall nicht auf höherer Gewalt i.S. von § 7 Abs. 2 StVG beruht. Höhere Gewalt in diesem Sinne ist nur ein betriebsfremdes, von außen durch Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar und auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann (vgl. Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 24. Aufl. 2009, Kapitel 1 Rn. 35). Diese Voraussetzung liegt aus den unter II. 1. a) genannten Gründen nicht vor, weil der Beklagte zu 1) nicht die ihm mögliche äußerste Sorgfalt hat walten lassen.

c) Die Haftung der Beklagten zu 3) für die materiellen Folgen des Verkehrsunfalls folgt aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, da der Unfall auch auf einem Verschulden des berechtigten Fahrers beruht sowie der gegen das Haftpflichtereignis pflichtversicherte Beklagte zu 2) für die Unfallfolgen gemäß § 7 Abs. 1 StVG einzustehen hat.

Sämtliche Beklagten haften dem Kläger als Gesamtschuldner.

2. Der Kläger hat den Unfall ebenfalls schuldhaft verursacht, §§ 7 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG. Denn der Kläger hat mit seiner Fahrweise gegen § 5 Abs. 7 StVO verstoßen. Die Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht hat zuverlässig ergeben, dass der Beklagte zu 1) sich zur Mittellinie hin eingeordnet und geblinkt hatte, als sich der Kläger von hinten näherte. Dies ergibt sich aus den Bekundungen der Zeugin Z7, die das Fahrzeug dort zum Einbiegen hat stehen sehen, den Bekundungen der Zeugin Z1, denen insoweit gefolgt werden kann, sowie den ergänzenden Feststellungen durch den Sachverständigen C in der Berufungshauptverhandlung. Außerdem steht fest, dass rechts neben dem auf eine Wendegelegenheit im Verkehrsfluss wartenden Beklagtenfahrzeug andere Fahrzeuge vorbeigefahren sind, was aufgrund der örtlichen Verhältnisse und der verbleibenden Fahrbahnbreite dort möglich war. In dieser Situation war es für den Kläger möglich und geboten, rechts am Beklagtenfahrzeug vorbeizufahren.

Dies hat der Kläger aus nicht nachvollziehbaren Gründen, die auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufgeklärt werden konnten, unterlassen und stattdessen in offensichtlicher Verkennung der Verkehrslage den Versuch unternommen, das erkennbar abbiegewillige Beklagtenfahrzeug links zu überholen.

3. Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsanteile gemäß der §§ 9, 17 Abs. 1 StVO führt zu einer Haftungsquote von 75 zu 25 zulasten des Klägers. Denn der Kläger hat den Schaden durch sein Fahrverhalten weit überwiegend verursacht und verschuldet. Ein völliges Zurücktreten des schuldhaften Verursachungsanteils des Beklagten zu 1) konnte angesichts der besonderen Sorgfaltspflichten des auf einer Bundesstraße außerorts Wendenden jedoch nicht angenommen werden. Die Voraussetzungen eines unabwendbaren Ereignisses i.S. von § 17 Abs. 3 StVG liegen wegen des beiderseitigen Verschuldens nicht vor.

Bei der Abwägung ist das Berufungsgericht nach dem Ergebnis seiner Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass sich die Beklagte zu 1) zum Wenden an der Mittellinie eingeordnet und geblinkt hatte, dort zum Stehen gekommen war, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen musste, nachfolgende Fahrzeuge rechts an ihm vorbeifuhren und er angefahren war, als der Kläger hinten links aufprallte.

Gegen den Beklagten zu 1) spricht die Vornahme eines nicht verkehrsnotwendigen Wendemanövers auf einer belebten außerörtlichen Bundesstraße mit dem beabsichtigten Überfahren einer Fahrbahnbegrenzung oder die Inanspruchnahme eines für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrten Wirtschaftsweges sowie das Unterlassen einer vollständigen zweiten Umschau vor dem Anfahren aus dem Stand heraus.

Im Hinblick auf das Fahrverhalten des Klägers liegt ein erheblich gravierenderes Verschulden vor, weil dieser das links eingeordnete Beklagtenfahrzeug bei gehöriger Aufmerksamkeit ebenso als abbiegewilligen Verkehrsteilnehmer hätte erkennen können wie dies der unbeteiligten Zeugin Z7 gelang und in dieser Situation von einem Überholmanöver links hätte Abstand nehmen müssen. Dies insbesondere deshalb, weil er bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können, dass vor ihm bereits andere Fahrzeuge rechts am Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren waren.

Die von ihm eingehaltene Bremsausgangsgeschwindigkeit, die der Sachverständige auf 50-70 km/h bemessen hat, war angesichts der örtlichen Verhältnisse - die Bundesstraße ist bereit, fast schnurgerade und für Tempo 100 zugelassen - nicht schuldhaft überhöht.

Angesichts der besonderen Sorgfaltspflichten des Wendenden kommt bei verkehrsgerechtem Verhalten des nachfolgenden und im Verlaufe des Wendevorgangs kollidierenden Fahrzeuges je nach den Umständen des Einzelfalles eine alleinige oder überwiegende Haftung des Wendenden in Betracht (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Hentschel § 9 StVO Rn. 55).

Davon war vorliegend abzuweichen, weil sich der Kläger nicht verkehrsgerecht, sondern schuldhaft erheblich verkehrswidrig verhalten hat und das Wendemanöver des Beklagten zu 1) - wie die Aussage der Zeugin Z7 und die Reaktion der rechts am Beklagtenfahrzeug vorbeifahrenden Verkehrsteilnehmer zeigen - für Dritte vorhersehbar war.

Der von dem Landgericht angenommene Ausschluss jeglicher Mithaftung der Beklagten wäre nur dann berechtigt gewesen, wenn eine vollständige zweite Rückschau des Beklagten zu 1) vor dem Anfahren aus der Warteposition heraus feststellbar gewesen wäre (vgl. hierzu OLG Celle vom 5. Dezember 1984, 3 U 79/84, VersR 1986, 349). Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht - wie dargestellt - aber nicht der Fall.

Deshalb war der den Unfall schuldhaft mitverursachende Beklagte zu 1) mit einer Quote zu belegen, die dem weit überwiegenden Verschulden des Klägers und dem geringen, aber nicht völlig zurückstehenden Verschulden des Beklagten zu 1) angemessen ist. Dies rechtfertigt bei der Verletzung der zweiten Rückschaupflicht vor dem Abbiegen oder Wenden und einem Zusammenstoß mit einem zum Überholen ansetzenden Kradfahrer regelmäßig eine Mithaftung des Vorausfahrenden von 25 % (vgl. Landgericht Köln, 19 S 323/76, r+s 1977, 141). Diese Quote war aufgrund der im Berufungsverfahren festgestellten Umstände des Einzelfalls auch vorliegend angemessen.

4. Der Kläger hat gem. § 249 BGB Anspruch auf Ersatz von 25 % seines materiellen Schadens. Die von dem Sachverständigen ermittelten Kosten einer Wiederbeschaffung kann der Kläger nur ohne den Umsatzsteueranteil beanspruchen, weil er keine Ersatzbeschaffung durchgeführt hat, § 249 Abs. 2 S. 2 BGB. Hiervon ist der erzielte Restwert in Abzug zu bringen sowie die Auslagenpauschale und die Kosten der Begutachtung hinzuzusetzen. Daraus ergibt sich folgende Berechnung:

Wiederbeschaffungswert netto 10.924,37 €
abzüglich Restwert 3.560,00 €
Zwischensumme 7.364,37 €
Auslagenpauschale 25,00 €
Gutachterkosten 853,23 €
Summe 8.242,60 €
hiervon 25 % 2.060,65 €



5. Der Zinsanspruch des Klägers ist aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB begründet.

Die vorgerichtlichen Auslagen sind mit einer 1,3 fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG aus der berechtigten Forderung zu bemessen, entsprechend mit Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer 272,87 €.

Die Pauschale für die Akteneinsicht von 12 € gehört ebenfalls zu den schadensbedingten Aufwendungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO; die Mehrkosten der Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts Michelstadt trägt allein der Kläger, 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Urteile ergeht gem. der §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO.