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OLG Köln Urteil vom 23.02.2012 - I-7 U 163/11 - Zur Haftung bei Kollision zwischen Kreuzungsräumer und Einfahren im fliegenden Start bei Grün
OLG Köln v. 23.02.2012: Zur Haftung bei Kollision zwischen Kreuzungsräumer und Einfahren im fliegenden Start bei Grün
Das OLG Köln (Urteil vom 23.02.2012 - I-7 U 163/11) hat entschieden:
- Das Grünlicht befreit nicht von der Verpflichtung, Nachzüglern das Verlassen der Kreuzung zu ermöglichen; wer bei Grün mit „fliegendem Start” in eine unübersichtliche Kreuzung einfährt, muss mit Nachzüglern rechnen. Andererseits muss auch derjenige, der noch bei Grün die Haltelinie überquert hatte, nach dem Farbwechsel anhalten, wenn er den durch die Flucht- oder Fahrlinien gebildeten Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hat; hatte er ihn erreicht, darf er ihn vorsichtig unter sorgfältiger Beobachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs verlassen; der Nachzügler darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass er vorgelassen werde.
- Steht beiderseits ein schuldhafter Verkehrsverstoß nicht fest, ist dennoch beiderseits eine erhöhte Betriebsgefahr gegeben; eine Schadenteilung kann dann gerechtfertigt sein.
- Hat der unfallbeteiligte Kläger ein Gutachten zur Schadenshöhe eingeholt und wird der Klage nur teilweise stattgegeben, so hat der Beklagte die Kosten des Sachverständigen nur in Höhe des für seine Haftung maßgebenden Anteils zu erstatten (so nunmehr auch BGH, Urteil vom 7.2.2012 - VI ZR 133/11).
Siehe auch Quotelung der Sachverständigenkosten entsprechend der Haftung oder der Schadenshöhe? und Sachverständigenkosten
Gründe:
Die in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Zu Recht hat das Landgericht angesichts der streitgegenständlichen Konstellation eine Haftungsquote zu Lasten der Beklagten in Höhe von 50 % angenommen.
Ausgangspunkt ist § 17 StVG, wonach die Verpflichtung zum Schadensersatz und der Umfang des zu leistenden Ersatzes davon abhängt, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, sofern der Unfall nicht durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist. Letzteres scheidet aus, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Zutreffend ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass bei der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge zu Lasten der Beteiligten nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen sind.
Vom Tatsächlichen gilt hier in Übereinstimmung mit dem Landgericht Folgendes:
Ein Rotlichtverstoß des Beklagten zu 1) ist nicht nachweisbar.
Der Beklagte selbst (Bl. 55 R) hat angegeben, er habe die Lichtzeichenanlage bereits passiert gehabt und habe dann hinter zwei voranfahrenden Rechtsabbiegern warten müssen. Bezogen auf die Unfallskizze Bl. 5 BA, habe er mit dem vorderen Teil seines Fahrzeugs auf Höhe der näher zum B. gelegenen gestrichelten Linie gestanden, während der Heckbereich sich ungefähr im Bereich der weiter in die C. hinein gelegenen gestrichelten Linie befunden habe.
Dass der Beklagte zu 1) bei für ihn Rotlicht zeigender Lichtzeichenanlage in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, d. h. über die für ihn erkennbar rote Ampel ohne anzuhalten auf den kreuzenden B. aufgefahren ist, hat keiner der Zeugen gesehen bzw. bekundet. Dies wäre für die gehörten Zeugen auch schwerlich wahrzunehmen gewesen, da sich sämtliche Zeugen auf den Fahrbahnen des B. befanden, damit also bereits keine Einsicht in die Lichtphasen der für den Beklagten zu 1) maßgeblichen Lichtzeichenanlage hatten. Soweit der Zeuge K. (Bl. 56 R) bekundet hat, der D. sei mit hoher Geschwindigkeit aus der C. herausgefahren, kann dem nicht entnommen werden, dass der Beklagte zu 1) für ihn erkennbar über die rote Ampel gefahren ist. Der Zeuge stand als Beifahrer des Zeugen E. auf der linken Abbiegespur des B. (neben dem Kläger) und konnte ersichtlich nur die Richtung angeben, aus der der Beklagte zu 1) kam, nämlich aus der C.. Die Lichtzeichenverhältnisse in der C. waren auch für ihn nicht einsehbar. Abgesehen davon, bestehen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Zeugen; der Zeuge hat auch bekundet, der Kläger sei neben ihm mit seinem F. zum Stillstand gekommen, d. h. nicht auf die Ampel zugerollt, obgleich der Kläger selbst und dessen Verlobte, die Zeugin T., dies anders angegeben haben. Der Zeuge E. hat ausgesagt, als er den D. das erste Mal gesehen habe, habe er sich noch auf der Gegenspur, also links von ihm befunden, und zwar kurz hinter der C. im Einmündungsbereich zum B.. Der Zeuge O. (Busfahrer rechts neben dem Kläger stehend) hat angegeben, dass er das Fahrzeug, das aus der C. kam, etwa in dem Bereich gesehen habe, der den in Fahrtrichtung Innenstadt gesehen rechten Fahrstreifen des B. darstellt. Ob das Fahrzeug eben angefahren war oder von hinten gekommen sei, habe er nicht gesehen.
Auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr.-Ing. N. besteht eine Nachweismöglichkeit für ein Durchfahren des Beklagten-PKW in einem Zuge - bei Rotlicht - nicht (Bl. 111). Die vom Sachverständigen aufgeführten zeitlichen Zusammenhänge unter Berücksichtigung der Ampelphasen sprechen eher - so das Landgericht zu Recht - gegen einen Rotlichtverstoß. Danach ereignete sich der Unfall in Sekunde 13 des Lichtzeichenanlagenzyklus (3 Sekunden nach Beginn der Grünphase in Sekunde 10 für die Kläger-Richtung). Zu diesem Zeitpunkt hatte der Querverkehr (Beklagter) allerdings erst seit 5 Sekunden rot, und nicht, wie der SV wohl versehentlich angibt, seit 8 Sekunden, denn die Rotphase beginnt in Sek. 8. (+ 5 = 13). Ca. 5 Sekunden aber benötigte der Beklagte zu 1) nach den Berechnungen des Sachverständigen von dem von ihm angegebenen verkehrsbedingten Anhaltepunkt (jenseits "seiner" Ampel) bis zum Kollisionsort. Das bedeutet, dass der Beklagte zu 1) gerade in dem Moment erneut angefahren ist, in dem für seine Fahrtrichtung die Ampel auf Rot umschlug.
Danach war für ihn der Ampelphasenwechsel auf Rotlicht für seine Fahrtrichtung nicht erkennbar. Ferner befand er sich bereits im Einmündungsbereich des B. - mit dem vorderen Teil seines Wagens auf der die Fluchtlinie des Fahrbahnrandes des B. kennzeichnenden gestrichelten Linie. Ob er bereits in den B. hineinragte, steht nicht fest. Die Angaben des Beklagten zu 1) laufen darauf hinaus. Allerdings lässt sich dies mangels verwertbarer Spuren und sonstiger zuverlässiger Beweismittel nicht aufklären.
Der solchermaßen in tatsächlicher Hinsicht zugrundezulegende Unfallhergang ist nach Maßgabe folgender Grundsätze zu beurteilen:
Das grüne Lichtzeichen befreit den Vorfahrtberechtigten nicht von der Verpflichtung, auf der Kreuzung verbliebene Nachzügler des Querverkehrs vorrangig räumen zu lassen. Dies folgt aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot der §§ 1 II, 11 II StVO, wonach derjenige, der Vorrang hat, auf sein Recht verzichten muss, wenn es die allgemeine Verkehrslage erfordert (z. B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.5.1993 - 1 U 116/92 -). Der Vorfahrtberechtigte muss daher Nachzüglern das Verlassen der Kreuzung ermöglichen. Je weiter der Farbwechsel auf Grün zurückliegt, umso mehr darf der bei Grün An- oder Durchfahrende auf freie Kreuzung ohne weitere Verkehrsteilnehmer aus dem Querverkehr der vorhergehenden Phase vertrauen. Das Hineinfahren in eine - zumal unübersichtliche - Kreuzung mit fliegendem Start unmittelbar nach dem Umschalten auf Grün ist nur erlaubt, wenn sich der Einfahrende vorher davon überzeugt hat, dass die Kreuzung von bevorrechtigtem Querverkehr frei ist. Dabei muss er vollen Überblick über den Kreuzungsbereich haben und diesen zuverlässig als frei erkennen. Wer bei "Grün" fliegend in die Kreuzung einfährt, kann sich nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen; zwar muss er nicht mit verbotswidrigem Querverkehr rechnen, aber mit Nachzüglern (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 37 StVO Rz. 45, 45 a; OLG Hamm, Urt. v. 25.4.2002 - 27 U 200/01 - jeweils m.w.N.).
Andererseits darf der Nachzügler nicht blindlings darauf vertrauen, dass er vorgelassen werde. Wer im Kreuzungsbereich aufgehalten wird, hat ihn bei Farbwechsel vorsichtig, unter sorgfältiger Beobachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs mit Vorrang zu verlassen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.5.1993 - 1 U 116/92 - m.w.N.; Hentschel aaO, Rz. 45 a) - anders, wenn er den eigentlichen Kreuzungsbereich noch nicht erreicht hat: Wer bei Grün Haltelinie und Ampel passiert hat, muss dennoch vor dem durch die Flucht- oder Fahrlinien gebildeten Kreuzungsraum anhalten, wenn er die Fahrt infolge stockenden Verkehrs nicht zügig fortsetzen kann und bei beginnendem Querverkehr damit rechnen muss, dass die Lichtzeichenanlage für seine Fahrtrichtung inzwischen auf Rotlicht umgeschaltet hat (Hentschel aaO).
Im Streitfall ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) die für ihn maßgebliche Ampel bei Grün passiert hat, dass sich aber nicht zuverlässig feststellen lässt, ob seine Warteposition hinter den beiden Rechtsabbiegern im inneren Kreuzungsbereich lag, wo er nach dem Umschalten der Ampel den dann einsetzenden Querverkehr behindert hätte, oder ob er die Fluchtlinie der Gehwegkanten noch nicht passiert hatte, so dass er den dann einsetzenden Querverkehr problemlos hätte durchfahren lassen können.
Unter diesen Umständen hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise - eingedenk des Grundsatzes, dass bei der Abwägung nur feststehende Umstände berücksichtigt werden dürfen - eine hälftige Schadensteilung vorgenommen (ebenso in einem gleichgelagerten Fall OLG Hamm, Urt. v. 2.5.2005 - 6 U 193/04 -). Auf Grundlage der festgestellten Tatsachen kann auf Seiten des Beklagten zu 1) ein Vorfahrtverstoß nicht festgestellt werden, weil zur Warteposition - innerhalb oder außerhalb des eigentlichen Kreuzungsbereichs - keine hinreichend sicheren Feststellungen getroffen werden konnten. Allerdings befand sich der Beklagte zu 1) schon nach seinem eigenen Vorbringen allein deswegen, weil er im Einmündungsbereich des B. zum Stehen gekommen war und diesen nicht hat räumen können, bevor der Querverkehr einsetzte, in einer gefahrenträchtigen Situation, welche die Annahme einer erhöhten Betriebsgefahr auf seiner Seite rechtfertigt.
Andererseits war aber auch die Betriebsgefahr des vom Kläger geführten Fahrzeugs erhöht, weil er in der frühen Grünphase, ohne vor der Kreuzung anzuhalten, also "fliegend ", in diese eingefahren ist, Das durfte er nur dann, wenn er übersehen konnte, dass keine Nachzügler behindert wurden; auf den Vertrauensgrundsatz konnte er sich in dieser Situation nicht verlassen (vgl. oben). Dies muss hier umso mehr gelten, als die Kreuzung für den zwar nicht mit hoher Geschwindigkeit, aber dennoch „mit fliegendem Start“ in die Kreuzung einfahrenden Kläger unübersichtlich gewesen sein muss; links neben ihm befand sich eine Abbiegerspur, auf der der Zeuge E. ebenfalls anfuhr, so dass die Sicht des Klägers in den für ihn linken Teil der Kreuzung beeinträchtigt war. Es kann allerdings nicht hinreichend sicher festgestellt werden, ob dieser Sorgfaltsverstoß des Klägers für den Unfall ursächlich geworden ist, da ungeklärt ist, von welcher Warteposition aus der Beklagte zu 1) gestartet war, ob also der Beklagte zu 1) bereits soweit vorgefahren war, dass er als Gefahr hätte wahrgenommen werden können.
Da sich somit auf beiden Seiten lediglich eine objektive Erhöhung der Betriebsgefahr, aber kein unfallursächliches Verschulden feststellen lässt, erscheint eine hälftige Schadensteilung sachgerecht.
2. Auch hinsichtlich der Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes sowie der zuerkannten Schadenspositionen gibt es gegen die angefochtene Entscheidung nichts zu erinnern.
Zum Schmerzensgeld fehlt es an jeglichem (substantiiertem) Vortrag.
Den Nutzungsausfallschaden hat das Landgericht im Rahmen des § 287 ZPO ebenfalls angemessen ermittelt.
Die Quotelung auch der vorgerichtlichen Sachverständigen-Kosten ist gleichermaßen zutreffend: Hat der unfallbeteiligte Kläger ein Gutachten zur Schadenshöhe eingeholt und wird der Klage nur teilweise stattgegeben, so hat der Beklagte die Kosten des Sachverständigen nur in Höhe des für seine Haftung maßgebenden Anteils zu erstatten (so nunmehr auch BGH, Urteil vom 7.2.2012 - VI ZR 133/11 - ).
Hinsichtlich der Arztkosten hätte der Kläger angesichts des Bestreitens seiner Aktiv-Legitimation durch die Beklagte unschwer eine Bestätigung seiner Versicherung vorlegen können, dass er die Arztkosten dort nicht geltend gemacht habe.
Schließlich setzt Verzugseintritt eine fällige, d. h. bezifferte Forderung voraus, an der es zum Zeitpunkt des Schreibens vom 29.4.2009 noch fehlte.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 I, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gegenstandswert für das Berufungsverfahren: 7.609,93 Euro.